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Moses Wolff

Ozapft is!

Das Wiesn-Handbuch

Mit Fotos von Volker Derlath

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Buch

Wo ist die Wiesn? Wer ist da? Wie komme ich bei Überfüllung trotzdem noch ins Bierzelt? Was ist »Strategisches Trinken«? Welches Bierzelt passt zu mir? Wo ist am meisten los? Wann kann ich in Ruhe über die Wiesn bummeln? Was ist die Krinoline? Und wer ist dieser Vogel-Jakob?

Moses Wolff kennt das Münchner Oktoberfest wie seine Westentasche. Er hat in seinem Leben so gut wie keinen einzigen Tag auf dem schönsten Volksfest der Welt verpasst – und teilt sein Expertenwissen jetzt mit uns. Entstanden ist ein heiteres wie informatives Wiesn-Handbuch voll unglaublicher Tipps und Tricks. Auf eine gelungene Wiesn. Prost!

Autor

Moses Wolff, geb. 1969 in München, ist Schauspieler, Kabarettist, Autor und Wiesnvollprofi. Er schreibt regelmäßig für das Satiremagazin Titanic und veranstaltet die erfolgreiche Münchner Lesebühne »Schwabinger Schaumschläger Show«. Er ist quasi zwischen Toboggan und Schottenhamel aufgewachsen. Moses Wolff wohnt in der Isarvorstadt in München.

Fotograf

Volker Derlath, ebenfalls Münchner, ist Kunstfotograf, Träger des Schwabinger Kunstpreises und bekannt durch die Fotokolumne »Die andere Seite« in der Süddeutschen Zeitung.

Originalausgabe

1. Auflage
Copyright © 2012
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Fotos im Innenteil © by Volker Derlath
Zeichnungen © by Moses Wolff
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur München
Umschlagabbildung © by GettyImages/Westend 61
Layout und Satz: Stefan Hansen
ISBN 978-3-641-08057-0

www.goldmann-verlag.de

Für Bazi

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Inhalt

Am Anfang war der Aufbau

Geschichtliches zum Münchner Oktoberfest

Zur Gründung Münchens

Zur Entstehung des Oktoberfestes

Warum schon im September?

Hinkommen und Orientierung

Anfahrt

Was ist wo und wo bin ich?

Wer ist sonst noch da?

Kleidung

Tracht, Jeans oder Hasenkostüm?

Herrenbekleidung

Damenbekleidung

Kopfschmuck und der Wildbart

Wo kaufe ich die Trachten?

Volksverköstigung – Bier

Das Wiesnbier

Eine Verkostung – Die Biersorten auf dem Oktoberfest

Tipp vom Sachverständigen: Was ist Strategisches Trinken?

Getränkerückgabe – Die Notdurft und das Pissoir

Tipp vom Sachverständigen: Einzug der Wiesnwirte oder Sitzplatz beim Anstich?

Volksverköstigung – Kulinarisches

Wiesnhendl

Fisch- und Ochsensemmel

Brezn

Kas

Heil- und Hilfsmittel

Die Zelte

Alles rund ums Zelt

Musik im Bierzelt

Tipp vom Sachverständigen: Wie kommt man ins Zelt rein, wenn es wegen Überfüllung geschlossen ist? Und wo setzt man sich dann hin, wenn man drin ist, aber keinen reservierten Sitzplatz hat?

Große Zelte

Hacker-Festzelt

Augustiner Festhalle

Armbrustschützenzelt

Festhalle Pschorr-Bräurosl

Hippodrom

Fischer-Vroni

Hofbräu-Festzelt

Käfer Wies’n-Schänke

Löwenbräu-Festzelt

Ochsenbraterei

Festhalle Schottenhamel

Schützen-Festzelt

Kufflers Weinzelt

Winzerer Fähndl

Kleinere Zelte

Ammer Hühner- und Entenbraterei

Heimer Hendl- und Entenbraterei

Heinz Wurst- und Hühnerbraterei

Poschner’s Hühner- und Entenbraterei

Wildmoser Hühner- und Entenbraterei

Zum Stiftl

Wirtshaus im Schichtl

Feisingers Kas- und Weinstubn

Burtschers Bratwursthüttn

Wildstuben

Glöckle Wirt

Zur Bratwurst

Haxenbraterei Hochreiter

Kalbs-Kuchl

Münchner Knödelei

Vinzenz Murr Metzgerstubn

Kaffeezelte

Bodos Cafézelt

Café Kaiserschmarrn

Café Mohrenkopf

Schiebls Kaffeehaferl

Wiesn Guglhupf

Volksbelustigung

Die Fahrgeschäfte auf der Wiesn

Bekanntes, das auf der Wiesn aber besonders schön ist

Traditionelles, das es nur auf der Wiesn gibt

Die Historische Wiesn

Rund um die Wiesn

Die After-Wiesn

Das Oktoberfestmuseum

Die Abteilung Puppentheater und Schaustellerei im Münchner Stadtmuseum

Abschließende Tipps

Reservierungen

Nachwort: Bayrische Tradition

Persöhnlichkeitstest für Wiesngänger

Dank

Am Anfang war der Aufbau

Jedes Jahr Mitte Juli, etwa zwei Monate vor Beginn des bekanntesten Volksfestes der Welt, fahren die ersten Sattelschlepper über die Münchner Theresienwiese. Geschäftige Handwerker und Zeltbaumeister suchen die ihnen vom Tourismusamt der Landeshauptstadt zugewiesenen Plätze auf und langsam aber sicher erheben sich auf der großen Asphaltfläche mitten in München riesige Bierzelte und bunte Fahrgeschäfte. Bauarbeiter schrauben in windigen Höhen am Fünferlooping herum oder bringen die tragenden Teile eines Bierzeltes in Position.

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Biertrinker aller Länder vereinigt euch!

Vielen Leuten ist gar nicht bewusst, was das für eine Schwerstarbeit ist, so ein Zelt aufzubauen. Ich bin jedes Mal wieder fasziniert. Alles beginnt dabei mit den »Bindern« – jenen riesigen tragenden Bauteilen, die quasi das Skelett einer jeden Festhalle sind. Nach und nach entstehen dann die Seitenschiffe, das Dach und das Innenleben des Zeltes. Alles wird schön eins nach dem anderen gebaut: Balkonvorrichtungen, Bodenbretter, Planken, Balken, Elektronik. Zuletzt wird die Ausschmückung vernagelt, verlegt und befestigt. Man hört es von allen Seiten klopfen und bohren, schrauben und hämmern, scheppern und brummen. Aber nicht nur den Ohren wird etwas geboten, auch den Augen und der Nase: Es riecht nach Harz und man sieht Schilder, Büsten, Statuen, Kränze, Schmuck-Fässer, Puppen und Leuchtkonstruktionen herumliegen.

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Einige erheben schon beim Aufbau den Krug.

Die ganze Wiesn erwacht zum Leben. Drinnen klopfen Zimmermänner die Balken der Zelte fest, draußen überprüfen TÜV-Mitarbeiter die Fahrgeschäfte auf Sicherheit und überall stehen Schwertransporter und Lieferwägen herum. Stressfrei, aber hochproduktiv sind da Hunderte bei der Arbeit. Da gehts drunter und drüber.

Bis heute gehe ich Jahr für Jahr mit meiner Mutter gleich zu Beginn des Aufbaus auf die Theresienwiese. Wir lieben die Klopfgeräusche und die Atmosphäre, den Geruch und den Luxus, in solch einer schönen Stadt wohnen zu dürfen und das Entstehen eines so wunderbaren Volksfestes hautnah und live miterleben zu dürfen. Für mich als bekennenden Wiesnfan beginnt nämlich der ganze Spaß schon hier, beim Aufbau.

Das Oktoberfest ist quasi wie eine Achterbahnfahrt, die Mitte Juli langsam und mit viel Vorfreude im Bauch beginnt, sich täglich steigert, dann plötzlich losrauscht, ihr Tempo über zwei Wochen turbulent und mitreißend fortsetzt, um dann Anfang Oktober in einem höchst zufriedenstellenden Finale zu enden. In freudiger Erwartung der nächsten Runde. Den Beginn dieser Reise nehme ich jedenfalls stets mit großer Freude wahr.

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich im Alter von etwa 9 Jahren mit Schulfreunden das erste Mal dem Aufbau beiwohnte. Wir fuhren mit der S-Bahn von Pasing zur Hackerbrücke und liefen rüber zur Theresienwiese. Wir hatten eigentlich erwartet, in eine Art Volksfest-Geisterstadt zu kommen, da es ja noch viele Wochen vorm Anstich war – jenem wunderbaren Zeremoniell, das den offiziellen Beginn des Oktoberfestes mit einem sauberen Schlegelschlag markiert. Als wir Buben ankamen und anstatt einer bereits fertig errichteten, aber halt noch ausgestorbenen Festwiese lauter halbfertige Zelt-Gerippe, fleißige Handwerker, herumrennende Schausteller und zahlreiche emsig brummende Lieferfahrzeuge vorfanden, staunten wir nicht schlecht. Ein älterer Münchner, der auf einer Bank am Rand der Theresienwiese saß, bemerkte unsere Verwirrung. Wenn ich mich recht erinnere, sagte er etwas missbilligend: »Da kennas wieder recht rumgschaftln alle mitanander!« (»Da können sie sich alle wieder schön wichtigmachen.«) Und gleich darauf hatte er einen bahnbrechenden Einfall: »Warum lassens des Zeig denn ned glei as ganze Jahr steh? Na hättens ned jeds Jahr des Gfrett.« (»Warum lassen diese Leute das Gelumpe nicht einfach das ganze Jahr über stehen? Dann hätten sie nicht jedes Jahr diese Umstände.«) Damals wusste ich keine Antwort auf diese durchaus berechtigte Frage. Heute würde ich sagen: »Weil es dann halt auch keinen Aufbau geben würde und der gehört dazu. Des is doch logisch.« Außerdem finden auf der Theresienwiese während des restlichen Jahres immer wieder andere Veranstaltungen statt.

In jedem wahren Münchner wächst die Vorfreude auf das schönste Ereignis des Jahres, sobald der Oktoberfest-Aufbau begonnen hat. Dann sind es nämlich wirklich nur noch ein paar Wochen, bis es endlich wieder heißt: »Ozapft is!«

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Für Leute, die es gar nicht erwarten können: die Wiesnkantine.

Da bei so einem Aufbau auch für das leibliche Wohl gesorgt werden muss, gibt es einzelne »Zelt-Kantinen«, wo die Arbeiter zu fairen Preisen gute Speisen und Getränke kaufen können. Nachdem während des Aufbauzeitraums auch oft Schaulustige und Spaziergänger des Weges kommen, war es eine Zeit lang zwar nicht offiziell gestattet, aber dennoch geduldet, dass auch Nichtbeschäftigte in den Genuss des Kantinenbesuches kamen. Das nahm nie überhand und wurde auch nie zu einem Problem, dennoch benötigt man mittlerweile einen Mitarbeiter-Ausweis, um in der schönen Sommersonne vor der Wiesnkantine ein Bier und ein Hendl verzehren zu können. Setzt man sich einfach so dazu und konsumiert nichts, sagt allerdings auch keiner was. Hab ich mir sagen lassen.

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Etwa 90 % der Weltbevölkerung kennt das Wort »Oktoberfest«. Damit ist es das berühmteste deutsche Wort.

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Geschichtliches zum Münchner Oktoberfest

Zur Gründung Münchens

Es heißt, dass sich Mitte des achten Jahrhunderts nach Christi Geburt zwei Mönche aus dem Kloster Schäftlarn auf die Suche nach einem ruhigen und schönen Ort etwas weiter nördlich machten, um Besinnung und Erquickung zu finden. Sie ruhten sich unterwegs auf einer kleinen, von Bäumen umringten Anhöhe aus. Nachdem sie ihre mitgebrachte Brotzeit verzehrt hatten, dürstete es die beiden und sie tranken das wohlschmeckende und kristallklare Wasser aus dem nahe gelegenen, reißenden Fluss.

»Oh, wie wohl tät es mir jetzt, wenn dies Wasser noch etwas süffiger im Geschmack wäre«, rief da wohl der eine Mönch aus und der andere pflichtete ihm sicherlich sogleich bei.

Sie sprachen vielleicht sogar noch ein Gebet, dass hier eines Tages ein erfrischender Trunk – ähnlich des ihnen bereits wohlbekannten Bieres – gereicht werden solle, an dem sich die Menschen gleichwohl am Tage und bei Nacht gütlich tun könnten. Am Ende beschlossen sie jedenfalls, genau an dieser Stelle eine Kirche aus Holz zu errichten, und benannten sie traditionell nach dem heiligen Petrus. Beide sprachen damals schon gepflegtes Bayrisch und überliefertes Keltisch, aber als gute Mönche auch ein wenig Latein, und so hießen sie das ersehnte Getränk »Salvator« (»Heiler der Welt«), die Anhöhe »Petersbergl« und das Gewässer »ys ura« (»rasant dahinfließendes Wasser«). Sie lebten bis an ihr Ende in Bescheidenheit und Dankbarkeit.

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Schon wieder leer!

400 Jahre später erbaute Heinrich der Löwe, der damalige Herzog von Bayern und Sachsen, eine prachtvolle Brücke, die das eine Ufer des Flusses (dessen Name »ys ura« sich inzwischen wegen der leichteren Aussprache in »Isar« gewandelt hatte) mit dem anderen verband, wo mittlerweile eine romanische Klosterkirche stand. Der Herzog liebte die Gegend und die kleinen Flussinseln am Brückenfuß. Noch mehr jedoch liebte er den Handel. Deshalb ließ er vorsorglich die weiter nördlich gelegene, dem Bistum Freising zugehörige und bislang wirtschaftlich unentbehrliche Oberföhringer Brücke in Schutt und Asche legen, um somit anhand seiner eigenen Brücke (der nun einzigen weit und breit) die Pferdefuhrwerke besser kontrollieren und die Staatskasse durch einen kräftigenden Zoll aufbessern zu können.

Damit alles seine Ordnung hatte, beantragte er in Augsburg das Markt-, Zins- und Zollrecht, welches ihm Friedrich I. Barbarossa gern zusprach. Heinrich der Löwe freute sich, scherzte, dass dieser Ort in ferner Zukunft einmal die »nördlichste Stadt Italiens« werden würde, und übernahm deshalb zusätzlich sicherheitshalber auch den Brenner.

Im »Augsburger Schied«, jener am 14. Juni 1158 von Friedrich I. abgefassten Urkunde, findet sich auch der früheste Beleg des Namens dieser nördlichsten Stadt Italiens. In der Urkunde ist die Rede vom »forum apud ... Munichen«, also einem Markt in der Nähe von »Munichen«. »Munich« ist (nicht nur das englische Wort für »München«, sondern auch) ein althochdeutsches Wort, das später zu »Münich, Münech, Münch« wurde. Noch später hat es sich dann zum heutigen »Mönch« entwickelt. Der Name »München« kommt also von den »Mönchen«, wahrscheinlich von denen auf dem Petersbergl.

Zur Entstehung des Oktoberfestes

Die ursprünglichen, in ganz Bayern noch heute weit verbreiteten Volksfeste im Oktober dienten zum Verzehr des bis dahin noch nicht verbrauchten Märzenbieres vor Beginn der neuen Brausaison. Diese beginnt übrigens traditionell mit dem Einkauf der Bier-Rohstoffe im Herbst und endet im Frühjahr, unter anderem deshalb, weil in den »heißen« Sommermonaten früher Brandgefahr beim Biersieden herrschte. Das Märzenbier ist ein untergäriges Lagerbier. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es in jeder Hinsicht ein wenig kräftiger ist als ein gewöhnliches Helles: Sowohl der Geschmack und die Farbe, als auch der Alkoholgehalt sind etwas stärker. Ein Helles verhält sich zum Märzen wie Benzin zum Super.

Das heute in der ganzen Welt bekannte Münchner Oktoberfest hatte allerdings einen ganz anderen Hintergrund: eine Hochzeit.

Am 12. Oktober 1810 nämlich heiratete der damalige Kronprinz Ludwig (der künftige König Ludwig I. von Bayern) die Prinzessin Therese Charlotte Luise Friederike Amalie von Sachsen-Hildburghausen, die er dem ebenfalls heiratswilligen Napoleon einfach vor der Nase weggeschnappt hatte. Fünf Tage nach der Hochzeit fand im Zuge der großen Feierlichkeiten auf einer Wiese vor den Toren Münchens ein Pferderennen statt, zu dem viele Herrschaften von hohem Rang geladen waren. Zu Ehren der jungen Braut benannte man den Platz nach ihr: Theresienwiese.

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Manche machen sich einen Knoten ins Taschentuch, andere suchen sich ausgefallenere Hilfsmittel, um sich zu erinnern.

Auf den guten Rat eines Mitarbeiters hin entschloss sich der Kronprinz, in den darauffolgenden Jahren wieder jeweils im Oktober ein Fest abzuhalten – nun aber im Stile antiker olympischer Spiele. Ludwig war nämlich dem damaligen Zeitgeist des Klassizismus und Neuhumanismus verfallen, ein begeisterter Anhänger der griechischen Antike und daher auch sofort Feuer und Flamme – vor allem für die Idee, das Oktoberfest olympisch zu gestalten. Er liebte den Gedanken, München in ein »Isar-Athen« zu verwandeln.

An den eigentlichen »olympischen« Plan für das Oktoberfest erinnert heutzutage nicht mehr viel – wenn man nicht gerade direkt vor der Bavaria steht und zur Ruhmeshalle raufschaut. Wer das macht, sollte sich allerdings auch gleich kurz Zeit nehmen, die Augen schließen und sich vorstellen, Mitte des 19. Jahrhunderts (vielleicht gerade während eines schönen Sonnenunterganges) am Fuße der Bavaria zu sein. Die Theresienwiese ist weder mitten im Zentrum noch asphaltiert, sondern eine tatsächliche Wiese vor den Toren Münchens, weit und breit nur Natur und freie Sicht, einzig diese riesige Statue ragt vor jenem antik anmutenden Tempel gen Himmel. Dieses Experiment sollte man mindestens einmal während eines Oktoberfestbesuchs machen. Dem Ludwig I. zuliebe.

Ludwig_I.tifKönig Ludwig I. von Bayern

König Ludwig I. war Vater von neun Kindern, darunter der spätere König Maximilian II. (der seinerseits der Vater vom »Kini« Ludwig II. war) und Otto Friedrich Ludwig von Wittelsbach, der wiederum später König von Griechenland war. Ottos Walten in Griechenland hatte übrigens zur Folge, dass dort zeitweise das bayrische Reinheitsgebot galt. Die griechische Flagge, die Otto seinerzeit eingeführt hatte, trägt bis heute die bayrischen weiß-blauen Farben und eine Seelenverwandtschaft zwischen Bayern und Griechen ist unbestritten. Ähnliche Verhaltensweisen wie Sturheit, Herzlichkeit, Mutterwitz und Misstrauen gegenüber Obrigkeiten sind beiden Bevölkerungsgruppen zutiefst vertraut. In Griechenland gibt es ein wichtiges wie in seinem Kern jedem Bayern wohlbekanntes Sprichwort: »Fassuli, Fassuli, je missito Sakkuli« (»Böhnchen für Böhnchen füllt sich das Säcklein.«) – auf Bayrisch: »A bisserl was geht oiwei.« (»Ein bisschen was geht immer.«)

Erst gut zwanzig Jahre nach dem ursprünglichen Oktoberfest auf der Theresienwiese begann der Architekt Leo von Klenze mit der Planung der Ruhmeshalle, kurze Zeit später entwarf der Bildhauer Ludwig Schwanthaler die ersten Skizzen der Bavaria, der Patronin Bayerns, die in ihrer linken Hand einen Eichenkranz und in der rechten ein Schwert hält. In ihr Gewand ist ein Bärenfell eingearbeitet und ein Löwe begleitet sie. Historiker diskutieren bis zum heutigen Tage, welche Bedeutung die verschiedenen Attribute haben mögen. Vor allem der Löwe bereitet vielen Wissenschaftlern Kopfzerbrechen. Steht er für die Wehrhaftigkeit der Bavaria oder ist er nur das Wappentier? Der Münchner Turnverein von 1860 hat damit nichts zu tun, da er erst 10 Jahre nach Einweihung der Bavaria ins Leben gerufen wurde. (Nur zur Information: Der FC Bayern wurde im Jahre 1900 gegründet.) Jedenfalls wurde die Bavaria in der heutigen Erzgießereistraße unter der Aufsicht des Erzgießers Johann Baptist Stiglmaier gegossen. Auch wenn die Ruhmeshalle zum Zeitpunkt der Errichtung der Bavaria noch nicht fertiggestellt war (ihre Einweihung folgte drei Jahre später), wurde die Bavaria im Jahre 1850 am 9. Oktober feierlich eingeweiht.

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Ich habe viele Freuden erlebt, doch eine solche Freude noch nie.
König Ludwig I. bei der Enthüllung der Bavaria 1850

Blöderweise war König Ludwig I. von Bayern da schon nicht mehr König. Er hatte den Bogen überspannt. Er hatte nämlich im Jahre 1844 (34 Jahre nach dem ersten Oktoberfest) die Anhebung des Bierpreises um einen Pfennig geplant. Die Erhöhung des Brotpreises hatte die Bevölkerung noch hingenommen, aber die Nachricht von einer möglichen Bierpreiserhöhung war zu viel. Über zweitausend Menschen stürmten noch am selben Abend Brauereien, Gasthäuser und Bierkeller, bedienten sich eigenmächtig am guten Gerstensaft und schlugen alles kurz und klein. Die Bierrevolution war ausgebrochen. Sofort wurde das Militär verständigt. Es zeigte sich aber solidarisch mit den Aufständischen und verweigerte das Einschreiten. Wenige Tage später zog der König sein Vorhaben wieder zurück, um kurze Zeit später den Bierpreis sogar zu senken, »um dem Militär und der arbeitenden Klasse einen gesunden und wohlfeilen Trunk zu bieten«. (Im Jahre 1995 wiederholte sich die Geschichte in abgewandelter Form, als in München 25000 Bürger erfolgreich auf die Straße gingen, um eine Sperrzeitverlängerung in Biergärten zu verhindern.) Der Münchner versteht eine Menge Spaß, außer wenn es ums Bier geht.

Sichtbare_Punkte.tifAls der König nach diesem Biereklat auch noch durch die skandalöse Affäre mit der irischen Tänzerin Lola Montez die Wut der Bevölkerung auf sich zog, kam es zu erheblichen Unruhen, die letztlich zum Abdanken des Königs führten. Er überließ den Thron und die feierliche Enthüllung der Bavaria seinem erstgeborenen Sohn Maximilian II. von Bayern. Hätten die Münchner damals geahnt, welche Bedeutung das Oktoberfest einmal weltweit für ihre Stadt haben würde, wären sie vielleicht ein bisschen freundlicher mit dem armen Ludwig I. umgesprungen.

Auf dem Oktoberfest kamen über die Jahre hinweg immer neue Attraktionen dazu und das Theresienwiesen-Oktoberfest wurde größer und größer. Immer mehr Jahrmarktbetreiber meldeten sich an und so gab es nach kurzer Zeit zahlreiche Schaukeln, Karusselle, Kletterbäume, Losbuden und Kaschperltheater. Nicht gerade »olympisch«, aber schön. Das Volk nahm dies jedenfalls begeistert auf. Schon bald war klar, was die Münchner meinten, wenn sie im Oktober sagten: »Mir gehen aufd Wiesn.« Sie würden sich den Wonnen des Oktoberfestes auf der Theresienwiese hingeben.

1881 gab es dann endlich das erste Wiesnhendl und die bisherigen einfach gezimmerten Bierbuden wichen ersten Bierhallen. Laufend wurde etwas verbessert und erneuert. Irgendwann gab es auch elektrisches Licht. In heutigen Tagen gibt es sogar Heizstrahler. Doch keine technische Errungenschaft vermochte dem innersten Wesenskern der Wiesn Einhalt zu gebieten: Die Ursprünglichkeit hat das Oktoberfest sich immer bewahrt.

Trittbrettfahrer.tifTrittbrettfahrer

Durch die wachsende Beliebtheit des Münchner Oktoberfestes gibt es zahlreiche Trittbrettfahrer. In Asien, Kanada, den USA, Australien, Brasilien, Österreich und vielen anderen Ländern werden Oktoberfeste nachgestellt und teils halbwegs authentisch, teils komplett misslungen imitiert. Aber auch in Deutschland gibt es Nachahmer, wie zum Beispiel das Cannstatter Volksfest (im Volksmund »Wasen« genannt), das zum ersten Mal acht Jahre nach dem Münchner Oktoberfest im Jahre 1818 stattfand. Vergleiche mit dem Münchner Oktoberfest sind unsinnig, aber ich war schon dort und kann es als ordentliches und schönes Volksfest absolut empfehlen. Unter anderem findet auch in Hannover ein rege besuchtes Oktoberfest statt, im thüringischen Hildburghausen wird das Theresienfest gefeiert und in Hamburg gibts die Wandsbeker Wies’n. Mit Apostroph.

Warum schon im September?

Ursprünglich begann das Oktoberfest also tatsächlich im Oktober. Da es in diesem Monat aber oftmals bereits recht ungemütlich ist, wurde hin und her überlegt, ob es da nicht eine geschicktere Lösung gäbe. Bereits im Jahre 1828 wurde beantragt, einige Wochen früher anzufangen. Der Stadtrat, wie heute ein mitunter zäher Haufen, lehnte es ab, da die um die Theresienwiese liegenden Felder seinerzeit noch landwirtschaftlich bewirtschaftet wurden und man den Pächtern den Ertrag nicht schmälern wollte. Denn schon damals war das Fest bei den Münchnern sehr beliebt und das Schuhwerk fest, sodass die Befürchtung, die Ernte könne »zertrampelt« werden, mehr als berechtigt war. Petrus missfiel diese ungemütliche Entscheidung des Stadtrates allem Anschein nach, denn es regnete in jenem Jahre während des Oktoberfestes in Strömen. Im Jahr darauf ließ er sogar einen Schneesturm über die Theresienwiese hinwegfegen, daher musste eine sinnvolle Lösung her. Aber die Mühlen in Bayern mahlen langsamer als anderswo und so vergingen beinahe 50 Jahre, bis man sich bei nächtelangen winterlichen Debatten in gutbeheizten Hinterzimmern Münchner Gastronomiebetriebe dazu durchgerungen hatte, die Theresienwiese und die darum herum liegenden Felder in Bauland umzuwandeln und ab sofort das Oktoberfest am ersten Sonntag im Oktober enden zu lassen.

Nun war allen geholfen und der Anstich konnte schon Mitte September stattfinden. Traditionell wird an einem Samstag »angestochen« und an einem Sonntag »abgezapft«. Als allerdings im Jahre 1989 ein Pfälzer Bundeskanzler zufällig den Tag der deutschen Einheit auf den Todestag seines Mentors Franz Josef Strauß legte – noch dazu zufällig ein Jahr nach dessen Ableben –, entschieden sich die Münchner Oktoberfestverantwortlichen, jenen zwiefachen Feiertag zum großen Wiesnfinale zu erheben. Die Regel lautet seither: Wenn der 3. Oktober auf einen Montag oder einen Dienstag fällt, solle in diesem Fall das Fest um einen oder gar zwei Tage verlängert werden. Mindestens dauert die Wiesn also 16 Tage und im Idealfall 18 Tage.

Clima.tif»Über das Clima Münchens verlauten vielfache, theils schlimme Gerüchte.«

Münchner Reiseführer, 1863

Der liebe GOTT mag die Wiesn, möchte man meinen. Deshalb lässt Petrus auch oft die Sonne scheinen und die Biergartenbedienungen auf der Theresienwiese frohlocken ebenso wie jene Besucher, denen die Stimmung im Zelt etwas zu gewaltig ist. Im Biergarten geht es nämlich insgesamt etwas gesitteter zu. Man muss halt auf den Genuss der Stimmungsband verzichten. Dafür gibt es draußen frische Luft, wenn man nicht gerade an einem Tisch mit alteingesessenen Zigarrenrauchern sitzt. Denn das Rauchen im Freien haben die neunmalklugen Gesundheitsapostel noch nicht verbieten können und wir wollen den Rauchern wünschen, dass dies auch nie geschehen möge. Für Raucher ist es auf dem Oktoberfest nämlich organisatorisch etwas schwierig geworden, wenn sie sich innerhalb des Zeltes niedergelassen haben. Möchten sie dem Tabakgenuss frönen, müssen sie vors Zelt gehen. Allerdings gibt es Alternativen wie Raucherbalkons oder Ähnliches. Denn, wir erinnern uns: A bisserl was geht oiwei.

Tabakgenuss.tifTabakgenuss unter weiß-blauem Himmel

Man darf seit 2010 offiziell nicht mehr innerhalb der Bierzelte rauchen. Für viele war die Durchführung dieses Verbotes unvorstellbar, aber dann kam der profilierungssüchtige Chef einer unbedeutenden Partei auf die Idee, ein Volksbegehren einzuleiten. Kaum jemand nahm es ernst, daher war die Abstimmungsbeteiligung sehr gering. Resultat: Rauchverbot in ganz Bayern. Also auch auf dem Oktoberfest. Das Problem dabei ist zum einen, dass es der Gemütlichkeit schadet, wenn ständig Leute zum Rauchen weggehen, und zum andern, dass mancher das Pech hat, nicht mehr ins Zelt eingelassen zu werden, weil es während seines Zigarettengenusses wegen Überfüllung geschlossen wurde. Die Zeltwirte jedoch waren nicht träge und haben für gut funktionierende Alternativen gesorgt. Zum Beispiel kann man im Winzerer Fähndl – sofern man auf der vorderen Galerie reserviert hat – auf einem hübsch gestalteten Balkon rauchend verweilen und dabei einen Blick auf die wunderschöne Festwiese und auf die Bavaria werfen. Übrigens sind auch Nichtraucher auf diesem Balkon herzlich willkommen. Ansonsten gibt es meist hinter oder an den Seiten der Zelte kleine abgesperrte Raucherbereiche.