Vorwort

Als ich eines Tages bekümmert feststellte, dass mir die Geschichten über meine Kinder ausgingen, weil diese langsam erwachsen wurden und ihr Leben nun ihre ureigenste Privatangelegenheit war, sagte meine älteste Tochter knallhart: »Sei doch froh, dass wir dir überhaupt so viel Material geliefert haben. Warte einfach ab, bis die Enkelkinder eintrudeln, dann kommst du ganz sicher wieder groß in Mode.«

Ein schwacher Trost; denn zu der damaligen Zeit war ich noch nicht so weit, mich mit dem Gedanken vertraut zu machen, einen Großvater zum Mann zu haben.

»Ich fasse es nicht«, amüsierte sich mein Sohn, »und was stört dich sonst noch so am Großmuttersein?«

»Schlag nur mal irgendein Magazin auf«, konterte ich erbost, »Großmütter dürfen sich nicht mehr selbst verwirklichen, haben weiße Haare, falsche Zähne und einen ebenfalls ergrauten, zahnlosen Hund. Sie werden ständig zum Babysitten missbraucht und in den Gazetten als Rentnerinnen apostrophiert. Ich dagegen habe noch alle meine eigenen Zähne, eine schicke Haarfarbe vom Frisör, und unsere Dackel sind noch sehr gut bei Biss und zu Fuß. Wo also liegt da der Witz?«

»Ich finde Großmütter einfach klasse«, mischte sich da meine Jüngste ein, »sie kochen immer unser Lieblingsessen, schenken uns häufig Süßigkeiten, lassen uns bis in die Puppen fernsehen und im Winter Söckchen tragen, weil Strumpfhosen unter Jeans einfach ekelhaft sind.«

»Echt starke Argumente«, gab ich mich geschlagen und versuchte mich langsam mit großmütterlichen Gedanken vertraut zu machen; denn wann hatte ich je Gelegenheit gehabt, bei meinen Kindern Unvernunft walten zu lassen ohne dafür die Verantwortung tragen zu müssen?

Inge Helm

Hilfe, ich werde Großmutter!

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Hilfe, ich werde Großmutter!

Dreißig Jahre war ich die »Mami«, viel geliebt und noch mehr kritisiert, eine Freundin meiner Kinder und eigentlich eine fabelhafte Person. Und nun das!

»In knapp sieben Monaten wirst du Großmutter«, sagt meine älteste Tochter eines schönen Tages aus heiterem Himmel und ganz beiläufig, während ich mich mit Orthografie und Interpunktion eines wichtigen Artikels abmühe. Bevor ich mich von dem Schock einigermaßen erholt habe – schließlich lebt sie erst seit kurzem in einer nicht standesamtlich beglaubigten Fusion mit einem mir nur flüchtig bekannten jungen Mann –, werde ich auch schon freundlich, aber bestimmt darauf hingewiesen, dass meine Unterstützung vor, während und nach der Geburt absolut nicht vonnöten ist. Sie und der Vater ihres Kindes wünschten keinerlei Störung in der wunderbarsten Zeit einer werdenden Familie und außerdem würden sie in einem Krankenhaus entbinden, wo es heutzutage so viele Möglichkeiten einer natürlichen Geburt gibt, wie zum Beispiel in einer Badewanne mit warmem Wasser.

Also bleibt mir die Freude erst einmal im Halse stecken vor lauter Sorgen, und die mache ich mir umgehend mit Hingabe und Beharrlichkeit; immerhin hat sich seit der Zeit meiner eigenen Niederkünfte doch so einiges geändert.

Die Mär, dass Großmütter in dem Ruf stehen, ihre Enkel zu verwöhnen, lässt sich nunmehr nicht länger aufrechterhalten; denn bekanntermaßen neigen Eltern heute dazu, teils aus Zeitmangel, teils weil Anhänger moderner Erziehungsmethoden, den Kindern all das zu gestatten, was früher einziges Privileg der Großmütter war. Notgedrungen hat also ein Rollentausch stattgefunden, und es ist an der Zeit, dass Omis liebevoll straff gespannter Zügel dem Kinde nur zum Segen gereichen kann.

»Ich hab’s ja gewusst«, jammere ich beim abendlichen Zwiegespräch dem Großvater in spe vor, »Großmutterfreuden sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Wenn ich mir vorstelle, mein Kind bekommt unter diesen Umständen ein Baby …!«

»Was denn für Umstände?«, fragt Felix unschuldig. »Das Kind ist schließlich schon dreißig und kein hilfloses Wesen. Außerdem hat es einen säuglingsgeschulten Vater an der Seite, bei den vielen Schwangerschaftskursen, die die beiden zurzeit so besuchen.«

Ich bin nicht zu bremsen: »Dieser Unmensch! Wenn ich mir vorstelle, sie entbindet zum Beispiel in der Badewanne und das Baby droht zu ertrinken, was dann?«

Doch Felix nimmt es gelassen: »So wie ich deine Tochter kenne, ist das einzig und allein ihre Entscheidung und nicht die des werdenden Vaters. Sie war schon immer für das Extraordinäre. Außerdem, denk an die Naturvölker …«

»Jetzt komm mir bloß nicht mit denen, schließlich ist mein Kind von zarter, gebrechlicher Statur und wohl behütet in meiner Obhut aufgewachsen.«

»Es ist schon ein Kreuz, wenn man so eine aus- schweifende Fantasie hat wie du, meine Liebe. Du solltest lieber ein neues Buch schreiben. Für eine werdende Großmutter scheint sie mir dann doch reichlich übertrieben.«

Typisch Mann! Männern fehlt einfach der Sinn fürs Grundsätzliche. »Ich kann doch nicht ruhig zusehen, wenn meine Kleine in einer solchen Lage ist! Statt weise Reden zu schwingen, solltest du mich lieber trösten!«

»Weil du Großmutter wirst?«

»Das auch, und weil ich nun einmal die fatale Gabe habe, mir schreckliche Dinge vorzustellen, die dann doch nicht eintreten … Aber wenn du glaubst, ich gehöre zu den Omas, die ständig das neueste Ultraschallfoto ihres zukünftigen Enkels im Portemonnaie haben und es gefragt oder ungefragt jedem unter die Nase halten, dann bist du ganz gewaltig auf dem Holzweg!«

Da nimmt er mich in die Arme und tröstet mich, so gut er es als werdender Großvater versteht.

»Weißt du, die heutigen Väter sind doch ganz anders gestrickt als wir zu unserer Zeit. Lass es die beiden ruhig allein versuchen. Ich bin sicher, sie werden schneller nach der Omi rufen, als es dir lieb ist!«

Namensgebung

Der Tag der Geburt rückt immer näher. Bevor es richtig losgeht, hat meine Tochter uns, das heißt Großmutter und Großvater in spe sowie alle werdenden Tanten und Onkel mütterlicherseits, da gleich um die Ecke, noch einmal eingeladen, zu Marmorkuchen, Kaffee, Knabbereien und Wein. Kaum habe ich den Mund nur noch halb voll, frage ich: »Habt ihr denn nun endlich einen Namen für den Jungen?«

»Wieso Junge?«, will der zukünftige Onkel Christoph wissen. »Woher weißt du, dass es ein Junge wird?«

Ich erröte, ziehe das neueste Ultraschallfoto meines Enkels verschämt aus der Tasche und reiche es in die Runde. Felix sieht mich grinsend an: »Unverkennbar ein Baby mit Zipfelchen … und wem hast du das sonst noch gefragt oder ungefragt gezeigt?«

Bevor ich etwas Geistreiches erwidern kann, springt mir der hochschwangere Vater zur Seite: »Wir dachten an Paul«, sagt er und sieht uns Beifall heischend an, »ein schöner alter Name, nicht wahr?«

»Ich weiß nicht«, gibt die baldige Tante Pia zu bedenken, »eigentlich erinnert mich das mehr an die Jünger Peter und Paul aus der Bibel. Dabei sind wir doch allesamt evangelisch.«

Da fällt mir meine Freundin Monika ein. Die war mal mit einem Paul liiert. Der ging dann nach Brasi- lien, und sie musste sich ihren Weg mit einem Buschmesser durch den Urwald schlagen, ein ganzes halbes Jahr lang, dann hatte sie die Zivilisation endlich wieder. »Was haltet ihr denn von Carlos?«

»Na, hör mal«, sagt Felix, »guck dir die beiden doch genauer an, die brauchen einen blonden Namen für ihr Kind. Wie wäre es denn mit Jens oder Knut?«

»Bloß nicht«, stöhnt meine Tochter und stützt die Hände in den Rücken. Also, lange kann sie aber nicht mehr sitzen! Doch wir geben noch nicht auf, und der werdende Vater öffnet notgedrungen eine weitere Flasche Wein.

»Nennt ihn doch einfach nach seinen Großvätern.«

»Um Gottes willen«, kommt es da unisono von den hochschwangeren Eltern, »wie würde euch denn das gefallen: Wilhelm oder Otto, vielleicht auch noch als Doppelnamen: Wilhelm-Otto, haha!«

»Mein Großvater hieß August und war sehr zufrieden damit«, spinne ich weiter.

»Du spinnst wirklich«, sagt meine Tochter, »das erinnert mich sofort an Zirkus und den dummen August. Mein Sohn wird kein Clown, da kannst du Gift drauf nehmen!«

»Gene sind vererbbar«, fällt Felix dazu ein, »guck dir mal genau die werdende Großmutter an!« Alles lacht, und ich sehe den zukünftigen Großvater tadelnd an. Die Namenssuche droht ins Alberne abzurutschen. Kurz entschlossen blase ich zum allgemeinen Aufbruch, die Guter-Hoffnung-Mutter braucht ihre Ruhe und muss die Beine hochlegen. »Was sagen denn die zukünftigen Großeltern väterlicherseits dazu?«, frage ich noch zum Abschied.

»Die sind für Rudolf.«

»Was«, empöre ich mich, »das lasst ihr euch gefallen, wo es doch unser Kind ist!«

»Eben«, sagt der Guter-Hoffnung-Vater genervt, »deshalb heißt der Junge ja auch Paul.« Und damit bugsiert er uns endgültig zur Tür hinaus.

Nachts um zwei Uhr läutet das Telefon neben meinem Bett. Ein zu Tränen gerührter Jung-Vater teilt uns schniefend mit: »Wir haben einen gesunden Max!«

Ich gebe die Botschaft schniefend weiter an die Tanten und Onkel des Neugeborenen. Dann wende ich mich verwirrt an Felix: »Wie findest du denn das? Max! Der Junge sollte doch Paul heißen. Max erinnert mich so an Wilhelm Busch: Max und Moritz, diese beiden …«

Felix hat sich inzwischen den Brockhaus aus dem Bücherregal geklaubt und schlägt ihn auf. »Max«, sagt der funkelnagelneue Großvater, »Max kommt von Maximilian. Und das waren in vielen Epochen große Herrscher, wie zum Beispiel im fünfzehnten Jahrhundert Maximilian der Erste, König und Kaiser des römischen Reiches, oder …«

«… oder Max von Bayern«, fällt mir spontan ein, »du weißt doch, der Vater von der berühmten Sissi … Übrigens, wusstest du, dass Romy Schneider eine Schulkameradin von mir war? Und als ihr erster Film anlief, bekam die ganze Penne frei und durfte hin. Mann, waren wir vielleicht neidisch!«