1. KAPITEL

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So als zürnten die Götter jener Stadt, die sich zur Herrin der Welt aufgeschwungen hatte, verdunkelte sich der Himmel an diesem Morgen über Rom. Dabei hatte der Tag mit strahlendem Sonnenschein begonnen, und das, obwohl die Zeit der Herbststürme angebrochen war. Fröstelnd zog Šamu ihren schweren Wollumhang um die Schultern und dankte der Göttin für die Ahnung, die sie am Morgen bewogen hatte, das unschöne, aber warme Kleidungsstück doch noch mitzunehmen.

Gemeinsam mit ihrem nubischen Leibwächter Batis war sie vor dem Regen in eine Taverne geflohen. Im engen Schankraum roch es nach Rauch und abgestandenem Essen. Šamu spürte, wie sie von einigen Männern, die sich beim Würfelspiel die Zeit vertrieben, verstohlen gemustert wurde. Ungewaschene Gestalten in schmuddeligen tuniken. Doch keiner wagte es, sie anzusprechen, denn sie war der Göttin ergeben. Šamu trug das weiße, vor der Brust geknotete Gewand der Isispriesterinnen. Ein goldener Reif, der sich wie eine Schlange wand, zierte ihren rechten Arm. Dies war ihr einziger Schmuck außer der wie ein Vogel geformten Brosche, die ihren Mantel hielt. Šamu war klein und von zierlicher Statur, ihr Gesicht dunkel und ebenmäßig geschnitten. Das lange schwarze Haar reichte ihr bis über die Schultern und war sorgfältig frisiert. Ihre Augenlinien hatte sie mit einem Kohlestift nachgezogen, eine Sitte, die die meisten vornehmen Römerinnen erschaudern lassen würde. Doch Šamu schätzte die Wirkung der Schminke. Ihre Augen erschienen so größer und eindringlicher.

Jedesmal, wenn sie demonstrativ den Kopf zu den Tagelöhnern drehte, wichen sie ihrem Blick aus, feierten grölend einen geglückten Würfelwurf und bemühten sich nach Kräften, den Anschein zu erwecken, daß sie nicht die mindeste Notiz von ihr nahmen. Es galt nämlich als gefährlich, den Zorn einer Priesterin auf sich zu ziehen. Auch wenn nicht die Göttin selbst die Frevler strafte, so mochte schon allein der Blick einer ihr ergebenen Frau Fluch und Unglück bringen.

Šamu belächelte insgeheim die Furcht der Würfelspieler. Wüßte das Volk, daß sich die größte Macht der Priester im Aberglauben begründete, so wären in diesen Tagen wohl nicht einmal die Vestalinnen sicher gewesen.

Es gab zwar auch Männer und Frauen, die tatsächlich Wunder wirken konnten, doch meistens entsprangen sie einfach dem Wissen um Kräuter und Drogen, das nur an Auserwählte weitergegeben wurde. Auch wenn Isis viele Dienerinnen hatte, so waren nur die wenigsten würdig, als »Gefäße« ihrer göttlichen Macht zu wirken.

In Gedanken versunken, schaute Šamu auf die verregnete Straße, wo zwei Männer in erdfarbenen Kapuzenmänteln vorüberhuschten. Sie war in melancholischer Stimmung. Wie lange würde das Schicksal sie in dieser fremden Stadt gefangen halten, in der man ihrer Göttin mit Angst und Zorn begegnete?

Erst ein Jahr war es her, daß der Mob der Straße die Altäre von Isis, Serapis, Harpokrates und dem schakalköpfigen Anubis gestürzt und die Standbilder der Götter zerschlagen hatte. Seither trafen sich auch die Anhänger der Isis heimlich. Einige der mächtigsten Frauen Roms huldigten der Göttin, und doch war es nicht möglich, ihr in der Ewigen Stadt einen Tempel oder auch nur einen Schrein zu eröffnen.

Šamu haßte das große, schmutzige Rom. Hier wurden nur Unheil und Zerstörung gezeugt. Außer der Armee gab es nichts, was typisch römisch war. Ihre Götter hatten die Römer von den Griechen, auch wenn sie ihnen andere Namen gaben. Sogar die Tempel waren nur schlechte Kopien griechischer Vorbilder. Und wenn man einmal etwas sah, das nicht griechisch wirkte, so konnte man sicher sein, daß es zur Beute aus einem der unzähligen Kriegszüge römischer Legionen gehörte.

Die Herrin der Welt oder Roma aeterna nannte dieses Volk von Dieben stolz seine Hauptstadt. Ein spöttisches Lächeln spielte um Šamus Lippen. Was für eine Herrin …!

Eigentlich sollten sie es besser wissen. Rom, dessen Hunger nach neuen Eroberungen unstillbar schien, herrschte von Syrien bis zu den Ländern der goldhaarigen Barbaren im Norden. Von den Säulen des Herakles bis ins ferne Colchis. Die Straßen fast aller bedeutenden Städte dieser Welt hallten wider von den genagelten caligae, den Sandalen römischer Legionäre. Das stolze Athen hatten sie genommen, und erst vor wenigen Jahren hatte Pompeius die reichen Städte Phrygiens und Kilikiens erobert. Städte, die vor weißem Marmor strahlten und deren Geschichte so alt war wie die Welt.

Als Šamu Athen einige Wochen nach dem Navigium Isidis, dem Fest, mit dem die Isispriester das Ende der Winterstürme feiern, verlassen hatte, war sie noch gespannt gewesen, jenes Rom endlich zu sehen, vor dessen Macht sich alle anderen Städte verneigten. Doch welche Enttäuschung! Die Herren der Welt wohnten in schmutzigen Holzhäusern. Die meisten Straßen Roms waren ungepflastert, so daß man nach einem Regenschauer bis zu den Knöcheln im Schlamm versank, und es stank bestialisch. Wenn der Wind drehte und die Ausdünstungen der Gerbereien in die Stadt blies, konnte man ohne ein Tuch vor dem Mund nicht mehr atmen.

Aus Stein oder Ziegeln waren nur wenige Häuser erbaut, und der einzig bemerkenswerte Ort der Stadt war das capitol mit seinen Tempeln. Doch wie armselig wirkten selbst diese gegen das serapeum in Alexandria oder die von himmelhohen Säulen getragenen Tempel Thebens! Nichts, was sie bislang gesehen hatte, konnte sich auch nur im entferntesten mit Ägypten messen. Und dennoch war der göttliche Ptolemaios Auletes, der Neue Osiris und König von Ägypten, ausgerechnet nach Rom geflohen, um hier Hilfe zu erbitten.

Šamu schüttelte den Kopf. Sie konnte diesen Widerspruch einfach nicht begreifen. Ägypten war das reichste Land der Welt. Um seine Tempel und Schätze rankten sich Legenden, – und sein König kam als mittelloser Bittsteller nach Rom. Vom Thron verstoßen von seinen eigenen Töchtern Kleopatra Tryphaina und Berenike.

Es hatte aufgehört zu regnen. Mißmutig musterte Šamu den aufgeweichten Schlamm in der Gasse. Hätte sie doch nur das Angebot von Herakleus angenommen! Der Hausverwalter des Pompeius hatte sie gefragt, ob sie nicht in einer Sänfte in die Stadt gebracht werden wollte. Doch sie haßte diese engen, schwankenden Verschläge und hatte abgelehnt. Außerdem wollte sie auf dem forum einige Einkäufe erledigen, und dabei in einer Sänfte durch die von Menschen überfüllten Märkte getragen zu werden, hatte ihr widerstrebt. Sie wollte die Kräuter, die sie einkaufte, selbst begutachten und nicht hinter bunten Vorhängen verborgen einem Sklaven zurufen, was zu besorgen sei.

»Lass' uns aufbrechen, Batis.«

Der nubische Krieger nickte stumm und klemmte sich die bunt bemalte, hölzerne Kiste unter den Arm, die er auf dem Boden abgestellt hatte. Dann griff er nach dem schweren Stab aus dunklem Holz, der an der Wand lehnte, und schnitt eine Grimasse.

Šamu lächelte. Es hatte lange gedauert, dem Krieger klarzumachen, daß es innerhalb des pomeriums, der alten, von Romulus festgelegten Stadtgrenze, verboten war, Waffen zu tragen. Nur ihr ausdrücklicher Befehl hatte ihn dazu bringen können, seine Axt schließlich in der Villa des Pompeius zu lassen.

Dabei war Šamu der Meinung, daß ein Krieger wie Batis kaum Waffen benötigen würde, um römische Straßenräuber davon abzuhalten, sich mit ihm anzulegen. Die meisten Männer überragte er um mehr als Haupteslänge, und seine schier übermenschliche Kraft lieferte unerschöpflichen Stoff für mehr oder weniger erfundene Geschichten, die unter den Hofdamen die Runde machten. Bekleidet war der Nubier nur mit dem Fell eines Leoparden, das er um die Hüften geschlungen trug. Seine Muskeln waren mit Öl eingerieben und glänzten matt im grauen Licht des wolkenverhangenen Himmels.

Batis runzelte mürrisch die Stirn. Dann folgte er Šamu zögernd durch die verschlammte Gasse, sorgsam darauf achtend, nie mehr als zwei Schritt hinter ihr zu gehen.

* * *

Es dauerte eine Weile, bis Šamu in dem unübersichtlichen Gewirr von kleinen verwinkelten Gassen das Haus des proconsul Aulus Gabinius gefunden hatte. Ein junger, an den Torstein geketteter Sklave öffnete ihnen. Wortreich erklärte er, daß sie im atrium warten müßten, da sein Herr gerade wichtigen Besuch habe.

Der Innenhof der kleinen Villa war von einem alten Olivenbaum überschattet, aus dessen Geäst noch immer schwere Regentropfen fielen. Šamu musterte gerade neugierig das Bodenmosaik, das Neptun umgeben von Nereiden zeigte, als hinter dem Stamm des Olivenbaums ein Mann hervortrat.

»Du bist also diese ägyptische Wunderheilerin.« Der Fremde war kaum größer als Šamu. Sein Gesicht wurde von einem sorgfältig gepflegten, schwarzen Bart gerahmt, und unter seinen buschigen Brauen verbarg sich ein unruhiges Augenpaar, das sie fixiert hielt. Der Mann trug eine schlichte, weiße toga, die ihn als römischen Bürger auszeichnete. Unter den linken Arm hatte er ein sorgfältig gefaltetes Leinentuch geklemmt.

Der Fremde war ihr unangenehm. Šamu hatte das Gefühl, von ihm wie eine Sklavin gemustert zu werden, die auf dem Markt zum Verkauf geboten wurde. Doch vielleicht war er ja ein Vertrauter des proconsul? Sie zwang sich zu einem Lächeln.

* * *

Mißtrauisch musterte Philippos die dunkelhäutige Frau. Die Geschichten, die man sich um Ptolemaios und seine Zaubermeister und Lustsklavinnen erzählte, gehörten zur Zeit neben den Skandalen um die schöne Clodia zum beliebtesten Tratsch in Rom. Hübsch war sie zugegebenermaßen schon, diese Priesterin. Aber wer hatte je gehört, daß eine Frau mehr als eine Hebamme war? Vermutlich beruhten ihre Heilungen allein auf irgendwelchen zweifelhaften Zaubertränken und dem Feuer, das ihr Anblick in einem Männerkörper zu entfachen vermochte. Wenn da nicht dieser baumlange, rabenschwarze Leibwächter wäre …

Die Priesterin nickte ihm lächelnd zu. »Mit wem habe ich das Vergnügen?«

Einen Moment lang war der Arzt erstaunt. Sie sprach lateinisch! Doch sofort hatte er sich wieder unter Kontrolle. Sich auch nur im geringsten über irgend etwas erstaunt zu zeigen, war mehr Ehre, als diese Hexe verdient hatte. »Man kennt mich als Philippos, wahrscheinlich hast du schon von mir gehört.« Ohne ihre Antwort abzuwarten, fuhr er in selbstgefälligem Ton fort: »Ich bin der berühmteste Arzt der Stadt und behandele die Reichen und Mächtigen. Als ich hörte, der proconsul sei krank, bin ich sofort in sein Haus geeilt. Doch man will mich nicht zu ihm vorlassen. Der Türsklave hat mir erzählt, daß sein Herr sich von dir behandeln lassen möchte …« Natürlich war diese Geschichte erfunden. Philippos kannte zwar den proconsul aus seiner Zeit bei den Legionen, doch daß er in Wahrheit erst vor kurzem in Rom angekommen war und seitdem mit allen Mitteln versuchte, wenigstens einen Senator als Patienten zu gewinnen, ging diese Hetaire nichts an. Ursprünglich hatte er gehofft, als Arzt in den städtischen Thermen arbeiten zu können, doch obwohl er fast sein ganzes Erspartes als Bestechungsgeld aufzubieten bereit gewesen war, hatte er keine dieser lukrativen Stellen bekommen können. Ja, fast hatte er das Gefühl, sein Aufenthalt in Rom stünde unter einem ungünstigen Stern. Und jetzt kam ihm auch noch diese Priesterin in die Quere. Warum beim Zeus mußte sie ausgerechnet zu Gabinius kommen?

»Es tut mir leid, wenn ich Eure Geschäfte störe. Vielleicht können wir dem Kranken ja gemeinsam helfen.« Die Priesterin lächelte und zeigte dabei zwei Reihen makellos weißer Zähne. Doch er würde sich nicht von ihrer Schönheit einlullen lassen!

»Hältst du mich wirklich für so dumm, daß ich auf ein solches Angebot eingehen würde? Glaubst du, ich wüßte nicht, daß du in Wahrheit nur darauf aus bist, meine Geheimnisse zu stehlen, ägyptische Hexe.«

In seinem Zorn war Philippos noch näher an die Priesterin herangetreten. Am liebsten hätte er diese Aufschneiderin mit einem Knüppel aus dem Haus getrieben. Doch so, als könne er Gedanken lesen, stellte sich der Leibwächter im Nu vor die Priesterin und bedrohte Philippos mit seinem wuchtigen Wanderstab. Erschrocken riß der Arzt seine Arme hoch und zischte: »Weiche von mir, Daimon! Zurück hinter die Pforten des Hades

Doch statt zu weichen, verpaßte der Leibwächter Philippos einen leichten Stoß mit seinem Knüppel, der ihn ein wenig zurücktaumeln ließ.

Für einen Augenblick war der Grieche wie versteinert. Dann beeilte er sich, in die hinterste Ecke des atrium zu flüchten.

»Ruf dieses schwarze Ungeheuer zurück! Es ist ein Frevel, Hand an einen Arzt zu legen. Wir sind unberührbar …«

Ein Wink der Priesterin genügte, und der Nubier trat hinter sie zurück. »Ihr müßt entschuldigen, aber mein Leibwächter schätzt es nicht, wenn man in unverschämtem Tonfall zu mir spricht oder mir zu nahe kommt. Wenn Ihr diese beiden Regeln berücksichtigt, wird er Euch nichts zuleide tun.«

Philippos legte den Kopf schief und musterte den Nubier. Die Worte der Priesterin überzeugten ihn nicht recht, und er zog es vor, das Gespräch vom anderen Ende des Hofes aus weiterzuführen.

»Wie willst du den edlen Herren denn behandeln? Wirst du ihm ein Klistier setzen oder ihn vielleicht zur Ader lassen?«

»Ich muß den proconsul erst einmal sehen, bevor ich entscheide, wie ich ihn behandele. Man hat mir gesagt, er leide unter Leibkrämpfen.«

»Richtig! Also muß man Gabinius zur Ader lassen und die giftigen Säfte aus seinem Körper ableiten! Vorher wird es ihm nicht besser gehen. Ich verwende diese Therapie immer mit großem Erfolg.«

»Das heißt, Ihr schneidet einem Mann, der über Bauchweh klagt, in den Arm?«

»Nein, allerverehrteste Wunderheilerin, ich sehe, du hast wirklich nicht die geringste Ahnung von der Arbeit eines richtigen Arztes. Schließlich habe ich in Athen und im Tempel des Aesculapius auf der Tiberinsel Medizin und Philosophie studiert. Keinem Arzt, der den Eid des Hippokrates geschworen hat, würde es jemals einfallen, einen Patienten zu verletzen. Der Schwur verbietet ausdrücklich das Schneiden mit dem Messer.« Philippos räusperte sich wichtigtuerisch. In Wahrheit hatte er weder in Athen noch im Tempel des Aesculapius studiert, sondern sein Handwerk in den Legionslagern und auf den Schlachtfeldern der Republik erlernt, aber was spielte das schon für eine Rolle? Schließlich ging es hier darum, die hehre Medizin gegen die Anfechtungen einer Hexe zu verteidigen!

Die Ägypterin schüttelte den Kopf. »Ihr habt doch gerade noch gesagt, daß Eure erfolgreichste Methode sei, den Patienten zur Ader zu lassen. Wie bringt Ihr das fertig, wenn Ihr ihn nicht verletzt? Und was das Ableiten von Säften angeht … Ist es nicht so, daß Hippokrates die Lehre der vier Säfte verworfen hat? Und hat er nicht das Schneiden mit dem Messer verboten, um diesem unsinnigen Blutabzapfen, das einige Ärzte eine Therapie nennen, endgültig ein Ende zu setzen?« Die Priesterin blickte Philippos, dem alle Farbe aus dem Gesicht gewichen war, triumphierend an. »Wißt Ihr, mein Guter, auch ich habe mein Handwerk lange studiert. Meine Jugend verbrachte ich im Isistempel von Philae. Dort lehrte man nicht nur die altüberlieferten Beschwörungen und die Kunst, mit Kräutern und Drogen die Leiden der Kranken zu mindern, sondern man hat auch etliche Lehren der griechischen Medizin übernommen. Dank der Gunst des Neuen Osiris fand ich sogar Gelegenheit, die Bücher des Hippokrates zu studieren, denn seine sämtlichen Schriften befinden sich in der berühmten Bibliothek nahe dem Großen Hafen. Leider bleibt den meisten meiner Schwestern der Zutritt zur Bibliothek verwehrt, weil die Philosophen keine Frauen um sich dulden. Statt dafür zu sorgen, daß das Wissen, das sie gesammelt haben, seinen Weg in die Welt findet, hüteten sie ihre Schätze eifersüchtig. Ich denke, auch Ihr gehört zu den Gelehrten, die der Überzeugung sind, daß Frauen nicht klar denken können und das Lesen von Büchern den unreifen Verstand nur noch weiter verwirren würde. Oder sollte ich mich irren?« Die Priesterin hatte ein herablassendes Lächeln aufgesetzt und blickte den Arzt herausfordernd an.

Philippos brauchte einen Moment, um die Fassung wiederzufinden. Der Wortschwall des Weibes hatte ihn regelrecht gelähmt. Eine typisch weibliche Strategie, vor der er nicht kapitulieren würde! Wenn sie ihm überheblich kam, bitte, das konnte er auch.

»Mein liebes Kind, du bist zwar hübsch anzuschauen und hast sicher brav deine Zaubersprüche im Tempel gelernt, doch über Hippokrates und die Kunst der Ärzte wirst du doch wohl nur vom Hörensagen wissen.« Der Grieche räusperte sich erneut, jetzt würde er ihr demonstrieren, was es hieß, ein Arzt zu sein! In Grund und Boden würde er sie reden! »Niemand zweifelt am überragenden Wissen des Hippokrates, was die Heilung von Brüchen aller Art angeht. Und was die Lehre der vier Säfte betrifft, so hat er diese lediglich berichtigt. Glaubten unsere unwissenden Urahnen, die Gesundheit und Krankheit würde auf dem Verhältnis der trockenen und feuchten, warmen und kalten Säfte zueinander beruhen, so hat Hippokrates richtig erkannt, daß sich der Körper des Menschen aus dem Blut, dem Schleim, der gelben und der schwarzen Galle zusammensetzt. Jede Krankheit gründet sich auf diese vier Stoffe, die den Menschen ausmachen. Je nachdem, wie das Übel geartet ist, kann man die Säfte regulieren, indem man den Patienten zum Erbrechen bringt, ihm ein Klistier setzt oder aber ihn zur Ader läßt.« Philippos machte eine rhetorische Pause. »Und falls du behaupten willst, ich würde meinen Eid brechen, wenn ich einen Patienten zur Ader lasse, so weise ich dich darauf hin, daß ich diese Arbeit selbstverständlich einem Sklaven überlasse.«

»Verstehe ich Euch richtig? Ihr habt jahrelang die Kunst des Heilens studiert und drückt dann einem Sklaven das Messer in die Hand, damit er die Operation durchführt?« Die Priesterin lächelte. »Ist das kein Paradoxon, Grieche?«

Philippos schnitt eine ärgerliche Grimasse. So viel Dummheit gepaart mit Dreistigkeit war kaum zu ertragen. »Ich bin natürlich derjenige, der Kraft seines Wissens die Entscheidung zur richtigen Behandlung fällt. Der Sklave tut nur das, was die Bestimmung eines Sklaven ist. Er führt meine Befehle aus. Allerdings kann man für solche Arbeiten nicht jeden Beliebigen nehmen.« Philippos warf einen abfälligen Blick auf Batis. »Dein Herakles da hinten wäre für so etwas völlig ungeeignet. Doch was kannst du eigentlich? Ich möchte dir ja nicht zu nahe treten, aber von Isispriesterinnen habe ich bislang nur gehört, daß sie talentierte Kupplerinnen sind.«

Philippos warf einen raschen Blick auf den Leibwächter. Bisher hatte er mit der Priesterin auf lateinisch gestritten, einer Sprache, die dieser Riese offensichtlich nicht verstand. Trotzdem brachte der Arzt seine Beleidigungen im allerhöflichsten Tonfall vor. Schließlich wollte er kein unnötiges Risiko eingehen! Für den Leibwächter mußte es sich ganz so anhören, als würde er der Priesterin ein Kompliment nach dem anderen machen. Philippos lächelte den Krieger an. Ein weiterer Triumph des Geistes über rohe Gewalt!

»Wie verträgt sich Euer Genie eigentlich mit der Tatsache, daß Ihr die Gunst des proconsul Aulus Gabinius verloren habt? Eure angeblich so unfehlbaren Heilmethoden scheinen sein Mißfallen erregt zu haben. Sonst hätte er wohl kaum nach mir rufen lassen. Oder wäre es vielleicht möglich, daß Eure Kunst so unbedeutend ist, daß er Euch einfach vergessen hat? Schließlich ist er zum ersten Mal wieder in Rom, seit man ihn zum proconsul in Syrien ernannt hat.«

Der Arzt zog die Augenbrauen zusammen, so daß sie wie ein durchgehender, dunkler Strich aussahen. Mit dieser Vermutung war die Priesterin der Wahrheit schon ziemlich nahe gekommen. Vielleicht wäre jetzt der Zeitpunkt, sich einfach aus dem Streit zurückzuziehen? Warum sollte er sein Genie noch länger an dieses Weib verschwenden? Wenn er ihr seine Überlegenheit allzu deutlich machte, würde sie aus Rache vielleicht gar ihren Leibwächter auf ihn hetzen … »Es ist meiner nicht würdig, mich mit einer orientalischen Hexe zu streiten.«

Ohne die Priesterin auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, ließ sich Philippos auf einer der kleinen Marmorbänke im atrium nieder und betete zu Aesculapius, daß der proconsul weise genug sein möge, sich nicht in die Hände dieser Hexe zu begeben.

Verstohlen blickte er dabei zu der Ägypterin und dachte an den Ruf, den Gabinius genoß. Cicero hatte den Gabinius unlängst einen verräterischen, diebischen, verweichlichten, kraushaarigen Tänzerknaben genannt. Hatte es überhaupt einen Sinn zu hoffen, daß so jemand sich für einen kompetenten Arzt entscheiden würde, wenn er nicht wirklich sterbenskrank war?

Philippos blickte zum wolkenverhangenen Himmel. Er durfte die Hoffnung noch nicht aufgeben. Gabinius war der einzige berühmte Mann, den er in seinem Leben bislang getroffen hatte. Bestimmt würde er sich noch an ihn erinnern und diese ägyptische Hetaire davonjagen!

* * *

Im ersten Moment war Šamu wütend darüber, daß der Grieche sich einfach aus dem Gespräch davonstahl. Bei einem Mann hätte er das sicher nicht gewagt! Doch was brachte es ihr, ihren Sieg über diesen Ignoranten noch weiter auszukosten!

Statt sich also ihrem Zorn hinzugeben, dachte sie an das Fest, das Lucius Licinius Lucullus am vorangegangenen Abend zu Ehren des Ptolemaios Auletes gegeben hatte. Šamu hatte den König dorthin begleitet, sich aber an der Völlerei des ausschweifenden Mahls nicht beteiligt.

Der reiche Lucullus hatte es sich, nachdem er auf den Feldzügen gegen Mithridates ein Vermögen zusammengerafft hatte, zur Lebensaufgabe gemacht, einen Luxus und eine Pracht zu entfalten, wie man sie bis dahin noch nicht in Rom gesehen hatte. Šamu mußte sich eingestehen, daß Lucullus selbst den Neuen Osiris in der Präsentation exotischer Genüsse übertraf.

Auch der proconsul Gabinius war bei dem Fest zugegen gewesen, und Šamu war sich sicher, daß hier die Ursache seiner plötzlichen Erkrankung lag. Ptolemaios hatte während des Banketts damit geprahlt, welche außergewöhnlichen Fähigkeiten seine Priesterin habe und daß er ihre Behandlung der eines jeden griechischen Arztes vorzöge.

Šamu waren seine Worte peinlich gewesen. Sie wußte, daß Ptolemaios von nicht minder robuster Natur als ein Flußpferd war. Ein Vergleich, dachte sie schmunzelnd, der allein in Anbetracht seines Körpervolumens schon zutreffend war.

Noch nie hatte sie etwas anderes als eine Unpäßlichkeit nach einem Gelage bei ihm behandeln müssen. Gelegentlich verhalf sie Ptolemaios auch durch gewisse Tränke, seine Manneskraft auf eine Weise auszuleben, die man bei seinem Alter nicht mehr erwartet hätte.

Daß der Neue Osiris ihre Dienste jemand anderem als einem Mitglied der königlichen Familie zur Verfügung stellte, war bislang noch nicht vorgekommen. Das zeigte, in welch erbärmlicher Lage er war. Er brauchte Freunde hier in Rom. Jeder wußte, daß Ptolemaios nur durch die Macht römischer Waffen wieder zu seinem Thron gelangen konnte. Doch dazu war ein Senatsbeschluß erforderlich, und um eine Mehrheit im Senat zu bekommen, würde er sehr, sehr viel Bestechungsgeld zahlen müssen. Wahrscheinlich sah er in der Krankheit des Gabinius eine Gelegenheit, preiswerter an eine Stimme zu kommen. Außerdem war der proconsul Kommandant der Legionen im benachbarten Syrien. Wenn der Senat sich entschließen sollte, Ptolemaios Hilfe zu schicken, so wären es vermutlich die Männer des Gabinius, die in Ägypten einmarschieren würden. Das hieß, daß Šamu auf gar keinen Fall versagen durfte.

Noch einmal ging sie im Geiste die Rituale und Beschwörungsformeln durch, die sie im Tempel gelernt hatte. Sie war unsicher, ob die Göttin es zulassen würde, daß ihre Macht zum Bestandteil politischen Kalküls wurde. Doch stand nicht Isis jedem Kranken bei?

Ein junger Soldat trat, von einem Sklaven begleitet, ins atrium. Der Mann trug die Rüstung eines Reiteroffiziers, einen kurzen Umhang und einen Kettenpanzer nach gallischer Art. Unter seinem Arm klemmte ein prächtiger Bronzehelm mit wallendem Federbusch. In der Rechten hielt der Offizier mehrere Papyrusrollen.

Flüchtig lächelte er Šamu zu. Er mochte vielleicht etwas mehr als zwanzig Jahre alt sein und hatte ein hübsches, von vollem schwarzem Haar gesäumtes Gesicht.

»Mein Herr erwartet Euch jetzt« Der Sklave, der den Offizier ins atrium gebracht hatte, war neben Šamu getreten. »Wenn Ihr mir bitte folgen wollt.«

»Sag deinem Herren, daß ich auch gekommen bin, um ihm meine Aufwartung zu machen.« Philippos war von seinem Sitz aufgesprungen und durch den Hof geeilt.

»Wenn mein Herr sich entschließen sollte, Euch zu empfangen, werde ich nicht versäumen, es Euch wissen zu lassen. Bis dahin möchte ich Euch darum bitten, das atrium zu verlassen. Der janitor hatte kein Recht, Euch durch das Tor zu lassen. In der Zeit, in der mein Herr abwesend war, hat die Disziplin in diesem Haus leider sehr gelitten. Man wird den Torsklaven für seine Eigenmächtigkeit noch zur Verantwortung ziehen.

Philippos gab sich geschlagen. Mit hängenden Schultern verließ er das atrium, und in diesem Moment tat es Šamu leid, nicht ein wenig freundlicher mit dem Griechen umgegangen zu sein.

* * *

Gabinius hatte sich in einen kleinen Raum zurückgezogen, dessen Wände mit Jagdszenen bemalt waren. Er ruhte auf einer Liege, als Šamu eintrat Ihr Leibwächter und der Haussklave, der sie durch die Villa des proconsul hierher gebracht hatte, warteten respektvoll vor der Tür.

»Sei mir willkommen, schöne Priesterin! Wenn deine Kunstfertigkeit auch nur halb so groß ist wie das Lob des Flötenspielers, kannst du dich mit dem göttlichen Aesculapius messen.«

Šamu zuckte innerlich zusammen. Sie haßte es, wenn man den Neuen Osiris mit dem Spottnamen bedachte, der seinen Weg aus den Straßen Alexandrias bis nach Rom gefunden hatte. Man nannte ihn Flötenspieler, weil er sein Liebeswerben stets mit dem Spiel auf einer Rohrflöte zu eröffnen pflegte. Seine Kunst hatte er so sehr vervollkommnet, daß er sich mit den besten Flötenspielern Ägyptens messen konnte und dies gelegentlich vor versammeltem Hofstaat auch tat.

»Was habt Ihr für Beschwerden, proconsul?« Šamu gab sich betont kühl, während der Römer sie aufmerksam musterte.

»Seit ich vom Festmahl des Lucius Licinius zurück bin, quälen mich Leibschmerzen. Ich möchte nur sicher gehen, daß nicht vielleicht einer seiner Sklaven ein langsam wirkendes Gift in meine Speisen gemischt hat.«

»Hätte der edle Lucullus denn Anlaß zu einer solchen Tat?«

Gabinius lächelte spöttisch. »Er hätte Anlaß, den halben Senat zu vergiften. Ich sehe schon, daß du mit den Einzelheiten unserer innenpolitischen Verhältnisse nicht sonderlich vertraut bist.«

Wenn er aber so viele Feinde hat, warum sollte er ausgerechnet Euch vergiften, proconsul

»Ich habe als Volkstribun vor zehn Jahren dafür gesorgt, daß Lucullus das Kommando im pontischen Krieg entzogen wurde. So hat Pompeius den Lorbeer für den Sieg über Mithridates erhalten, der eigentlich ein Verdienst des Lucullus war. Außerdem hat Pompeius sehr viel Gold aus den asiatischen Provinzen geholt, das Lucullus hätte zufallen müssen. Ich bin sicher, daß mir Lucius Licinius das niemals vergeben wird, obwohl er in letzter Zeit sehr viel Wert darauf legt, als ehrlicher und unpolitischer Mann zu gelten.«

Šamu nickte. Auch wenn sie erst wenige Wochen in Rom war, so hatte sie doch schon gelernt, daß die Machtkämpfe, die sich unter den einflußreichen Familien der Stadt abspielten, die Intrigen am Hofe des Ptolemaios noch um einiges übertrafen.

»Würdet Ihr Euch bitte entblößen, proconsul

Mit einem anzüglichen Lächeln kam Gabinius ihrem Wunsch nach.

Vorsichtig tastete sie über seinen Hals und Nacken und suchte nach Schwellungen, die auf eine Vergiftung hinwiesen. Dann massierte sie seinen Bauch, um festzustellen, ob die Krämpfe zu Verhärtungen geführt hatten.

»Man erzählt sich hier in Rom, daß die Diener der Isis auch als Kuppler tätig sind. Stimmt das?«

»In Alexandria geht das Gerücht um, daß die Frauen aller mächtigen Männer in Caesars Bett gelegen haben und daß Eure Schulden so groß sind, daß selbst der Schatz des Darius nicht ausreichen würde, Eure Gläubiger auszuzahlen. Doch ich denke, das ist genauso wahr wie das, was man sich hier über die Göttin erzählt.«

Gabinius hatte aufgehört zu lächeln. Mit durchdringendem Blick musterte er Šamu.

Der proconsul war ein kräftig gebauter Mann, der bald sein vierzigstes Lebensjahr erreichen würde. An den Schläfen war sein lockiges Haar bereits schlohweiß geworden. In seinen Augen brannte das Feuer des Fanatikers, der sich sicher war, noch lange nicht am Ende seiner politischen Möglichkeiten angekommen zu sein.

Seinem Körper waren die Strapazen der Kriegszüge in Judäa anzusehen. Eine frische Narbe zog sich über seinen linken Arm, und die Schwielen an seiner rechten Hand verrieten, daß er sich nicht scheute, selbst an der Seite seiner Soldaten zu kämpfen.

»Daraus, daß Ihr noch lebt, proconsul, läßt sich schließen, daß es sich um kein gewöhnliches Gift handeln kann, falls Ihr tatsächlich vergiftet worden seid.«

»Was soll das heißen?«

»Es ist mehr als vierzehn Stunden her, daß Ihr an dem Gastmahl von Lucius Licinius teilgenommen habt. Die meisten Gifte hätten Euch in dieser Zeit getötet. Ich kenne nur sehr wenige Gifte, die so langsam wirken. Es besteht natürlich die Möglichkeit, daß man Euch ein eigentlich tödliches Gift in kleinen Dosierungen verabreicht. So werdet Ihr langsam dahinsiechen, und jeder wird glauben, daß Euch eine geheimnisvolle Krankheit, die Euch im Orient befallen hat, dahinrafft.«

Gabinius stand jetzt der Angstschweiß auf der Stirn. Offensichtlich mangelte es nicht an Neidern, denen er einen solchen Mord zutrauen würde.

»Habt Ihr unter Euren Sklaven jemanden, dem Ihr nicht traut? Oder habt Ihr in den letzten Tagen einen Sklaven erworben, der sich in Eurer Nähe aufhält und die Möglichkeit hätte, Gift in Eure Speisen zu mischen?«

»Nein.« Der proconsul schüttelte entschieden den Kopf. Jeglicher Hochmut war aus seiner Stimme gewichen. »Ich bin erst seit drei Tagen wieder in Rom, und auf meiner Reise hierher haben mich nur Sklaven begleitet, die meinem Haus schon seit Jahren angehören.«

»Gut, dann können wir diese Möglichkeit wohl ausschließen. Im allgemeinen ist dies auch eine Methode des Giftmordes, die an orientalischen und griechischen Höfen bevorzugt wird.«

Gabinius wirkte ein wenig erleichtert.

»Erinnert Ihr Euch noch, was Ihr beim Fest gegessen habt?«

Stockend begann der proconsul die kulinarischen Extravaganzen aufzuzählen, mit denen Lucullus seine Gäste verwöhnt hatte. Šamu wurde immer klarer, was die Ursache für das Leiden des Gabinius war. Es schien, als habe er fast keinen der mehr als zwanzig Gänge ausgelassen. Freilich hatte er von den meisten Gerichten, so wie es allgemein bei diesen Gelagen üblich war, nicht mehr als nur einige Bissen probiert, doch um dies über Stunden durchzustehen, bedurfte es schon einiger Übung.

Obwohl Šamu sich jetzt fast ganz sicher war, daß Gabinius nur unter einer gewöhnlichen Magenverstimmung litt, durfte sie die Möglichkeit nicht außer acht lassen, daß er vielleicht doch vergiftet worden war.

»Habt Ihr Euch in der Nacht erbrochen?«

Gabinius nickte kurz.

»Das ist gut. Damit hättet Ihr einen Teil des Giftes schon von Euch gegeben. Welcher Art sind die Schmerzen, die Euch plagen?«

»Seit den frühen Morgenstunden haben mich immer wieder in kurzen Abständen heftige Bauchkrämpfe befallen.«

»Und wie geht es Euch jetzt?«

»Ich fühle mich schwach. Doch die Krämpfe haben nachgelassen. Wie du gesehen hast, war ich bereits in der Lage, meinen praefectus equitum, Marcus Antonius, zu empfangen.«

»Ihr seid wohl ein sehr pflichtbewußter Mann, wenn Ihr Eure Offiziere sogar noch an Euer Krankenlager bestellt.«

»Morgen ist ein wichtiger Tag. Ich muß im Senat über die Kämpfe berichten, die ich in Judäa gegen den aufrührerischen Aristobul geführt habe.« Gabinius zögerte einen Moment, bevor er fortfuhr. »Glaubt Ihr, daß es vielleicht doch nur ein vorübergehendes Unwohlsein sein könnte?«

»Traut Ihr Lucullus zu, viel Geld für Euren Tod auszugeben, und hat er gute Verbindungen in den Orient?« Šamu durfte auf gar keinen Fall zulassen, daß der proconsul auf den Gedanken kam, daß er ihre Hilfe nicht nötig hatte. Damit wäre ihre Mission gescheitert, und sie würde vielleicht die Gunst des Ptolemaios verlieren.

Gabinius ging sofort auf ihre Frage ein.

»Lucullus ist neben Licinius Crassus der reichste Mann in der Stadt Was für andere ein Vermögen wäre, ist für ihn nur eine Kleinigkeit. Außerdem dürfte Lucullus aus der Zeit des pontischen Feldzuges noch über gute Verbindungen in Asia verfügen.«

Šamu wiegte bedächtig den Kopf. »Ich kenne einige Skorpiongifte, die in der richtigen Dosierung eine Wirkung haben können, die den Beschwerden entsprechen, die Ihr mir geschildert habt. Die meisten dieser Gifte entfalten ihre tödliche Kraft nur, wenn sie sich mit dem Blut vermischen. Manche vermögen es aber auch, die Eingeweide eines Menschen langsam zu zerfressen. Ein schrecklicher Tod, der sich über viele Tage hinzieht.«

Gabinius schluckte. »Und gibt es kein Mittel dagegen?«

»Da Ihr meine Göttin und ihre Diener verächtlich macht, befürchte ich, daß sie Euch nicht helfen wird, proconsul. Isis liebt es nicht, wenn man ihre Priester Kuppler nennt.«

»Das ist doch nur das Gerede von der Straße.« Gabinius wedelte abwehrend mit der Hand.

Jetzt hatte Šamu ihn dort, wo sie ihn haben wollte. Sie hatte nicht die geringsten Gewissensbisse, mit der Angst des Römers zu spielen. Schließlich war die List die schärfste Waffe der Isis, wenn sie sich gegen ihre Feinde durchsetzen mußte, deshalb würde die Göttin es ihr nachsehen, wenn sie die Angst des Römers nutzte, um dem Neuen Osiris zu dienen.

»Wird die Göttin mir verzeihen?« Gabinius hatte sich halb auf der Liege aufgerichtet und starrte sie jetzt in banger Erwartung an.

»Ihr wißt, daß Ptolemaios sich der Neue Dionysos nennt? In Ägypten glaubt man, daß Dionysos nur ein anderer Name für Osiris, den Geliebten der Isis, ist.«

Der proconsul nickte.

»Der Pharao wünscht mit Euch zu sprechen, nachdem Ihr im Senat wart. Erweist ihm die Gunst und besucht ihn, und ich bin sicher, Isis wird in ihrer Großmut übersehen, daß Ihr über die Dienerin der Göttin gelästert habt.«

»Das ist Erpressung!«

»Nein, proconsul, Ihr selbst habt Euch in diese Lage gebracht. Ganz egal, ob Ihr dem Neuen Osiris einen Besuch erstatten werdet oder nicht, ich werde auf jeden Fall meine Kunst bemühen. Da die Heilung jedoch nicht erfolgreich sein kann, wenn ich nicht mit einem Zauber die Kraft der Göttin beschwöre, liegt es nicht an mir, ob Ihr genesen werdet oder nicht.«

Der Römer zögerte. Er schien zu erwägen, welche Dimensionen die Intrige annehmen könnte, in die er hineingezogen werden sollte.

»Besteht die Möglichkeit, daß ich gar nicht durch Lucullus, sondern durch einen Sklaven des Ptolemaios vergiftet worden bin?«

Šamu runzelte die Stirn. »Ihr habt Euch also entschlossen, nicht nur die Göttin, sondern auch den Neuen Osiris zu beleidigen? Ihr spielt leichtfertig mit Mächten, die über den Hochmut der Römer nur lachen! Glaubt Ihr vielleicht, die Kraft der Isis würde nicht über die Grenzen Ägyptens hinausreichen? Wenn dies Eure Meinung ist, so werdet Ihr meiner Hilfe nicht bedürfen. Vielleicht solltet Ihr dann lieber nach diesem Philippos rufen lassen.«

Šamu hatte sich umgedreht und schritt auf die Tür zu.

»Warte!« Gabinius erhob sich. »Ich soll deinen König nur besuchen?«

Betont langsam drehte sich Šamu um. »So ist es.«

»Und du glaubst, Isis könnte mir vergeben?«

Šamu zögerte die Antwort hinaus. Einen Augenblick lang sollte der Römer ruhig noch die Qualen des Zweifels erleiden.

»Ich werde für Euch beten, proconsul. Doch nun begebt Euch zurück zu Eurem Lager. Ihr müßt ruhig liegen und gleichmäßig atmen, wenn mein Zauber seine volle Macht entfalten soll.«

Gabinius gehorchte ihren Anweisungen. Dann rief Šamu nach Batis, der die bemalte Holztruhe mit den Kräutern und Tränken hereinbrachte und sich sogleich wieder entfernte.

Noch einmal betastete die Priesterin den Hals des Römers. Leichte Schwellungen wären ein Hinweis darauf, daß Gabinius mit einem Gift oder der Macht böser Daimonen, die seinen Körper auszehrten, rang. Doch sie konnte nichts Auffälliges feststellen.

»Ihr werdet nun einen Trank bekommen, der alle Schmerzen vertreibt und Euch Eure Sorgen vergessen läßt. Er wird Euch die Ruhe geben, die Ihr in dieser Nacht missen mußtet.«

Šamu träufelte ein wenig von einer hellgrünen Flüssigkeit in eine flache Schale und reichte sie dem proconsul. Es war ein Sud aus weißem Opium, das die Händler aus dem fernen Babylonien brachten, der Milch einer jungen Kuh und einigen Kräutern, die im fruchtbaren Nildelta gediehen. Sollte Gabinius nur unter Krämpfen leiden, so würde der Trank seine Schmerzen besiegen und ihm einen erholsamen Schlaf schenken. Doch wenn er tatsächlich vergiftet worden war … Šamu mochte gar nicht daran denken. In diesem Fall hätte der Sud lediglich die Macht, dem proconsul die Qual des Todeskampfs zu erleichtern. Wie Re würde Gabinius zum Abend die Reise in die Unterwelt antreten, doch im Gegensatz zu dem Gott gäbe es für ihn keine Rückkehr mehr.

Der Römer roch mißtrauisch an der Flüssigkeit.

»Was gibst du mir da? Was ist das?«

»Es hieße, die Mysterien des Tempels verraten, wenn ich diese Frage beantworten würde. Vertraut mir, Gabinius! Isis ist die große Mutter, und sie wird ihren Kindern kein Leid zufügen.«

»Wenn das so ist, wird es dir sicher nichts ausmachen, auch einen Schluck von deinem Trank zu nehmen.«

Mit tadelndem Blick nahm Šamu die Schale und trank ein wenig von dem würzig duftenden Sud. »Ihr beleidigt schon wieder die Göttin. Ich hoffe, Ihr ahnt, welcher Gefahr Ihr Euch damit aussetzt.«

Wortlos nahm der Römer die Schale entgegen und leerte sie mit einem Zug. Dann legte er sich zurück.

»Ich werde nun mit der Anrufung der Sieben Skorpione beginnen. Sie begleiteten Isis in die Wüste, als die Göttin auf der Flucht vor dem mächtigen Seth war. In ihren Stacheln tragen sie die tödlichsten aller Gifte. Sprecht mir die Formel nach, mit der ich ihre Macht zu bannen versuche, und seid gewiß, wenn das Gift von Skorpionen Euch martert, werden schon bald alle Schmerzen verfliegen.«

Gabinius nickte schläfrig.

»Petet, der du gehst vor der Göttin, wisse, ich kenne deinen Namen und banne deine Macht!«

Langsam, jedes Wort betonend wiederholte Gabinius den Bannspruch. Šamu fuhr fort:

»Tjetet, der du gehst vor der Göttin, wisse, ich kenne deinen Namen und banne deine Macht!

Matet, der du gehst vor der Göttin, wisse, ich kenne deinenNamen und banne deine Macht!

Mesetetef, der du schreitest unter der Sänfte der Göttin, wisse, ich kenne deinen Namen und banne deine Macht …!«

Noch bevor Šamu den Beschwörungszyklus zum zweiten Mal vollendet hatte, war Gabinius eingeschlafen. Sieben Mal, so wie es die geheimen Schriften des Tempels geboten, wiederholte sie die Beschwörung der Skorpione. Dann lauschte sie auf den Atem des Römers. Er war ruhig und regelmäßig. Šamu war sich jetzt sicher, daß der proconsul gesund erwachen würde.

Leise räumte sie die Schalen und Tiegel in ihre kleine Truhe zurück und verließ den Raum.

Vor der Tür warteten noch immer Batis und der Leibsklave des proconsul.

»Wie geht es meinem Herrn?«

»Er wird viele Stunden schlafen. Wenn er erwacht, bereite ihm einen Sud aus diesen Kräutern.« Šamu reichte dem jungen Mann ein kleines Leinenbeutelchen. »Sie werden ihm neue Kräfte geben und helfen, das Schwächegefühl, das dem langen Schlaf folgt, zu vertreiben.«

Der Sklave verneigte sich ehrerbietig. »Ich danke Euch, Herrin.« Unter Lobreden auf die Macht der Göttin geleitete er sie durch das atrium zum Tor, und Šamu machte sich auf den Rückweg zur Villa des Pompeius, um dort ihrem König vom Erfolg der Mission zu berichten.

2. KAPITEL

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Verfluchte ägyptische striga! Philippos trat wütend gegen einen der angenagten Knochen, die auf dem schlammigen Weg lagen. Wie konnte sich ein intelligenter Mann wie Gabinius einer solchen Frau anvertrauen? Eine Frau als Ärztin, wo hatte man dies je gehört. Hebammen, schön … Kräuterweiber, gut, aber Ärztinnen! Nein, das war undenkbar. Der Aufenthalt in Syrien mußte Gabinius verwirrt haben. Früher hätte sich ein Mann, ein ehemaliger Konsul wie er, nicht auf so etwas eingelassen.

Vielleicht sollte er das ganze als einen Wink des Schicksals betrachten, überlegte Philippos. Nicht ganz zwei Monate war es her, daß er die Legion verlassen hatte. Gerade noch rechtzeitig, wenn man von den blutigen Kämpfen in Gallien hörte. Womöglich wäre er in dieses kalte Barbarenland verlegt worden.

Der Arzt dachte an die zwanzig Jahre, die er in der Armee verbracht hatte, an all die Feldzüge und Schlachten … Ärgerlich schüttelte er den Kopf, um die düsteren Erinnerungen zu vertreiben. Er hatte genug sterbende Legionäre auf seinem Tisch liegen gehabt. Was er jetzt wollte, waren reiche Patrizier, die sich bei einer Orgie überfressen hatten, und hübsche Damen mit harmlosen Zipperlein.

Doch das Schicksal schien sich gegen ihn verschworen zu haben! Erst sein Pech in den thermen, dann tauchte auch noch diese ägyptische Hexe auf! Gabinius zu behandeln, das hätte der Anfang seiner Karriere als seßhafter Arzt werden können. Philippos kannte ihn noch von früher und hatte gehofft, der Konsul würde sich noch an ihn erinnern. Schließlich hatte er Gabinius vor Jahren einmal während des Feldzugs in Spanien eine böse Platzwunde vernäht. Aber diese Reichen waren alle gleich! Sie hatten kein Auge für die einfachen Männer um sie herum.

Römische Barbaren! Vielleicht sollte er diese Stadt verlassen! Rom war doch ohnehin nur ein riesiges Drecksloch. Eine der verkommensten Städte, die er jemals gesehen hatte. Jedes Legionslager war da besser organisiert. Philippos dachte an seine Jugend in Athen, die prächtigen weißen Tempel auf der Akropolis und das wunderbare Meer. Was hielt ihn hier eigentlich? Er hatte sein Diplom als entlassener Legionsarzt und das Bürgerrecht. Er konnte gehen, wohin er wollte. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, ausgerechnet hierher zurückzukommen.

Ein drohendes Knurren schreckte ihn aus seinen Gedanken auf. Aus einer der Gruben nahe dem Weg war ein großer, grauer Hund geklettert und kam steifbeinig auf ihn zugestelzt. Erschrocken tastete Philippos nach dem gefalteten Leinentuch, das er unter den Arm geklemmt hatte. In das Tuch hatte er seine chirurgischen Instrumente eingeschlagen.

Wäre er nur nicht über den Esquilin gegangen, fluchte Philippos stumm. Er wußte genau, welche Gefahren auf diesem Hügel lauerten. Es war einzig seine Bequemlichkeit, die ihm diesen Ärger eingebracht hatte. Die paar hundert Schritt, die er weniger zu laufen hatte, wenn er über diesen verfluchten Hügel ging! Bei Nacht wäre ihm diese Idee erst gar nicht gekommen, aber jetzt war ja nicht einmal Mittag, und die Sonne stand hoch am Himmel.

Seine Finger ertasteten die kalte Klinge eines seiner Chirurgenmesser. So lange er es nur mit einem Hund zu tun hatte, brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Vorsichtig blickte der Arzt sich um, doch abgesehen von einigen wohlgenährten Raben war nichts Lebendiges zu sehen.

Der Hund blieb stehen und knurrte wieder. Vielleicht würde es ausreichen, wenn er den Weg verließ und einen weiten Bogen schlug, überlegte Philippos.

Langsam zog er das schlanke, leicht gebogene Messer aus dem Leinentuch. Sollte er nur kommen, dieser räudige Straßenköter. Einige Augenblicke lang verharrten sie beide. Dann trat der Arzt ein wenig zur Seite. Vorsichtig am Rand einer der langen Gruben entlangbalancierend, versuchte er einen weiten Bogen um den Hund zu machen.

Der Gestank, der Philippos entgegenschlug, war entsetzlich. Diese römische Barbaren, dachte er angewidert. Wie unter einem Bann mußte er in die Grube hinabblicken. Ein Fluch der Toten vielleicht, die wollten, daß er ihr Elend sah?

Er blickte in das grausig entstellte Gesicht einer halb verwesten Frau. Sie war nicht sehr alt geworden, höchstens dreißig … Ihre Glieder waren dünn und ausgemergelt, so als sei sie an einer Krankheit gestorben. Vielleicht war sie auch ein Mordopfer, das man einfach in die Grube geworfen hatte. Nicht einmal ein schlichtes Leinengewand war ihr geblieben, das im Tod ihre Blöße bedeckt hätte.

Dicht neben ihr lag der Kadaver einer Katze, deren Balg durch den Regen aufgedunsen war, so daß ihr die Beine steif wie Stöcke vom Leib abstanden. Angeekelt wandte sich Philippos ab. Der Hund belauerte ihn noch immer. Warum nur, wo es hier doch reichlich Aas gab? Auf den Esquilin schleppten die Römer die Leichen all jener, die zu arm waren, um sich ein Begräbnis leisten zu können. Achtlos, ohne daß man sich auch nur die Mühe machte, sie mit ein wenig Erde zu bedecken, wurden sie in die Gruben gestoßen. Auch Müll und die Kadaver von Haustieren brachte man hier hinauf. Was war das nur für ein Volk, das eine solche Barbarei duldete! Wie hatten sie nur jemals über das edle Griechenland triumphieren können?

Der Hund war ein paar Schritt näher gekommen. Plötzlich sprang er mit einem Satz in die Grube hinab. Erschrocken riß Philippos das Messer hoch, doch statt anzugreifen knurrte die Bestie noch einmal und machte sich dann am Leichnam der Frau zu schaffen. Gierig schlug er ihr seine Fänge in die Schulter und begann mit solcher Kraft an ihr zu zerren, daß der schlaffe Körper hin- und herschlingerte. Einen Augenblick lang sah es so aus, als würden ihre pendelnden Arme Philippos zuwinken.

Eine Tote, die ihm zuwinkte! Mit einem Schreckensschrei auf den Lippen drehte er sich um und begann zu laufen, wie er in seinem Leben noch nicht gelaufen war. Ohne weiter auf den Weg zu achten, hetzte er über die Hügelkuppe hinweg, strauchelte auf dem rutschigen Lehmboden und raffte sich wieder auf, getrieben von kopfloser Angst.

Erst als er die belebten Gassen der subura erreichte, verlangsamte er sein Tempo und blieb schließlich vor einer billigen Weinbude stehen. Was für ein schauerliches Omen! Die Tote hatte ihn sicherlich zu sich ins Grab herabwinken wollen. Erst die ägyptische Hexe und jetzt das! Er sollte diese Stadt so schnell wie nur möglich verlassen. In Rom würde er niemals sein Glück machen. Hier erwartete ihn nichts als Verderben!

* * *

Schon als Šamu den Garten jener prächtigen Villa betrat, in der Pompeius den Pharao untergebracht hatte, konnte sie das melancholische Flötenspiel hören, das Ptolemaios seinen Spottnamen eingebracht hatte. Sie wußte, daß es dem Neuen Osiris nun gleichgültig sein würde, ob sie Erfolg gehabt hatte oder nicht. Würde sie jetzt seine Gemächer betreten, müßte sie sich an den Liebesspielen des Hofes beteiligen, doch stand ihr danach nicht der Sinn.

Im atrium entließ sie Baris, und der Nubier verschwand in Richtung Küche. Ihr selbst war nicht nach Essen zumute. Obwohl sie von dem Trank, den sie Gabinius gegeben hatte, nur einen winzigen Schluck genommen hatte, fühlte sie sich müde und ein wenig schwindlig.

In Gedanken versunken blieb Šamu im atrium stehen. Es gab hier einen kleinen Brunnen und Marmorbänke, die zum Verweilen einluden. Der Boden war mit einem prächtigen Mosaik ausgelegt, das Alexander den Großen zeigte, wie er an der Spitze seiner Reiter eine Formation von Kriegselefanten angriff. Das Portrait des Königs der Makedonier war äußerst gelungen. Wer immer das Mosaik gelegt hatte, war ein Meister seines Fachs gewesen. Man konnte sehen, wie der Wind in die Haare Alexanders fuhr, und sein Blick war von erschreckender Intensität. Der Blick eines Mannes, der kein Maß fand und keine Grenze akzeptieren konnte. Die Amunpriester von Sekhetam hatten ihm offenbart, daß seine maßlose Art zu leben seinen Körper vernichten würde und daß ihm, auch wenn er der Sohn Amuns war, ein früher Tod gewiß sei.