Cover

Uli T. Swidler

Der Poliziotto tappt im Dunkeln

Kriminalroman

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

Über Uli T. Swidler

Uli T. Swidler wurde neben Bayer Leverkusen geboren, machte Rockmusik, studierte in Köln, schnupperte Theaterluft und arbeitete viele Jahre als Autor und Moderator für Radio und Fernsehen. 1997 hängte er den Journalismus an den Nagel, um sich ausschließlich dem Schreiben zu widmen. Der Autor lebt seit mehr als zwanzig Jahren abwechselnd in Deutschland und Italien.

 

Weitere Veröffentlichungen:

Toskana für Arme

Das Leben ist eine Nudel

Der Poliziotto

Über dieses Buch

Wenn ein Mörder in einer Winternacht …

 

Als kleiner Poliziotto in Urbino hat sich Roberto Rossi eigentlich um Parksünder und dergleichen zu kümmern. Aber dann wird in einer neblig-kalten Nacht ein Mann erschlagen, und bei der Kriminalpolizei ist einfach niemand greifbar. Der Täter hat seltsame Spuren hinterlassen und ist in der Synagoge verschwunden. Plötzlich heißt es überall: Das war der Golem!

 

Erneut schlägt der Mörder zu. Die Gerüchte um den Unhold aus dem alten Judenghetto wuchern heftig. Roberto – selbst sehr abergläubisch und ziemlich faul – muss einen Zahn zulegen. Was er herausfindet, hat jedoch mit Übersinnlichem wenig zu tun …

Impressum

Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Dezember 2012

Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt

(Abbildung: Alberto Guglielmi/Getty Images; thinkstockphotos.de; Archiv any.way)

Vignetten Niko Reitze de la Maza

Karte Peter Palm, Berlin

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN Buchausgabe 978-3-499-25982-1 (1. Auflage 2012)

ISBN Digitalbuch 978-3-644-48051-3

www.rowohlt-digitalbuch.de

ISBN 978-3-644-48051-3

Für Nicole, Helena und Celli.

Die Personen

Roberto Rossi, Verkehrspolizist in Urbino. Hätte seinerzeit fast die Ausbildung zum commissario der Polizia di Stato geschafft. Ein wenig korrupt, ein wenig übergewichtig, ziemlich faul und extrem abergläubisch.

Malpomena Del Vecchio ist Medizinstudentin im 20. Semester und von altem Adel. Oft depressiv oder wenigstens melancholisch, aber äußerst selten euphorisch. Sie und Roberto sind beste Freunde seit Kindertagen.

Antonia Del Vecchio, Chefin des Palazzo Ducale in Urbino. Sie ist die intelligenteste der vier Del-Vecchio-Schwestern. Körperkontakte sind ihr ein Gräuel.

Talia Del Vecchio arbeitet nicht, liebt das Leben, die Männer und die Nacht. Eine Venusfalle.

Raffaella Del Vecchio, die edelste der Schwestern. Bewegt sich sicher zwischen Hochadeligen und Großindustriellen.

Thilo Gruber, frühpensionierter Kripokommissar aus München. Liebt die Italiener und das Italienische. Hat das halbe Dorf aufgekauft, in dem Roberto lebt. Roberto kann ihn nicht leiden, kommt aber nicht ohne ihn aus.

Nevio Cottelli ist Robertos direkter Vorgesetzter. Ein Wadenbeißer. Quält Roberto gerne mit unmenschlichen Dienstplänen. Hat Roberto vor zehn Jahren die Frau ausgespannt, und zwar:

Maria Corbucci. Sie hat’s immer noch raus, Roberto weiche Knie zu machen. Sie ist die Sekretärin von:

Pretoro Galdroni. Er ist der letzte der ehemals drei commissari bei der Polizia di Stato. Plötzlich arbeitsunfähig. Muss dringend nach Hintertux.

Toto Scaglioni, Barista mit akademischem Abschluss. Ein Fuchs, der sich jede Information beschaffen kann. Kein Humor. Spindeldürr. Geizig. Fernziel: Bürgermeister von Urbino zu werden. Ist Robertos liebstes Opfer.

Franco Varese, Klangkünstler und Komponist von Neuer Musik. Glaubt, dass der Mörder ein Golem ist, und halb Urbino glaubt wiederum ihm.

Osvaldo, Robertos Cousin, ist extrem gelenkig und klettert wie eine Gämse. Als Automechaniker gibt es keinen schlechteren. Ein zäher Bursche.

Ivana, Osvaldos schwergewichtige Frau. Sie ist mit goldenen Kreolen und riesiger Lockenpracht versehen und immer unzufrieden.

Fidel heißt eigentlich Juan und stammt aus Kuba. Hausdiener, Gelegenheitsliebhaber und Bodyguard von Talia Del Vecchio. Muskulös.

Domenica Galeotti entstammt einer Familie, die ihr Geld vor Jahrhunderten als Steuereintreiber des Papstes gemacht hat.

Carlo Manzoni, ihr Mann, ist Schuhverkäufer. Mehr muss man nicht wissen.

Baronessa Concetta Del Vecchio Onori, die Oma der Del-Vecchio-Schwestern. Imposant. Mag Roberto sehr, weil er nicht adelig ist. Ihr Rat: «Leg mal einen Zahn zu.» Will ihre vier Enkelinnen enterben.

Sergio Buonasera, ein undurchsichtiger Typ. Mailänder. Behauptet, zwei Jahre in New York gelebt zu haben, aber das stimmt nicht.

Attilio Brozzi und Egidio Cecchetti, Rentner, hängen bei Remo Carlucci in der Bar Complotto herum und sondern eine Verschwörungstheorie nach der anderen ab.

Ernesto Quatriglio, Kellner aus Monte Merano in der Maremma.

Ruggero Grilli führt auf dem Monte Cesane einen gutgehenden Öko-Agriturismo.

Spartaco Mori, Ruggeros Nachbar, mit Errol-Flynn-Schmalzblick und dünnem Oberlippenbärtchen. Hat auf dem Monte Cesane einen schlechtgehenden Albergo.

1.

Franco gähnt und reißt den Mund dabei so weit auf, dass es schmerzt. Weil er einfach nicht genug Luft in seine Lungen bekommt. Wie denn auch. Es ist frostig, es ist feucht, es ist November, und der Nebel ist zäh wie kaltes Olivenöl. Selbst das kräftige natriumgelbe Licht der schmiedeeisernen Straßenlaternen oben an den Häuserfassaden kämpft vergeblich gegen die graue Dunkelheit an. Mittlerweile hat Franco keinen Schimmer mehr, in welcher Straße von Urbino er sich befindet. Ist auch nicht wichtig. Sich zu verirren ist in dieser kleinen Renaissancestadt unmöglich. Das Problem besteht eher darin, in den engen, steilen Gassen nicht zu stolpern oder sich den Kopf zu schrammen. Überall lauern irgendwelche Mäuerchen, Begrenzungssteine, winzige Erker in Schulterhöhe oder parkende Motorroller, die in dieser dumpfen Finsternis einfach nicht auszumachen sind. Allerdings ist Franco nach über fünfzig Stunden ohne Schlaf ohnehin in einer Verfassung, in der er schon stolpert, wenn er nur an ein Hindernis denkt. Und das alles nur wegen dieses verdammten –

«Wwrrrrgh …»

Was war das? Eine eisige Welle pulst durch seinen Körper. Mit Geräuschen kennt Franco, der Komponist und Musiker, sich aus, und dieses gehört eindeutig in die Kategorie der beunruhigenden Geräusche. Angestrengt lauscht er. Kam es von vorne? Oder von hinten? Er tastet sich weiter voran. Via dei Fornari, kann er auf einem Straßenschild lesen, der Nebel scheint hier ein wenig lichter zu sein. Die Via dei Fornari endet in einer Sackgasse, vielleicht ist das der Grund, warum der Nebel zwischen den Häusern weniger –

«Aah … Aaargh!»

Francos kurzgeschnittenes Kopfhaar steht plötzlich senkrecht. Das sind keine Geräusche mehr, das sind Schreie. Schreie eines Menschen in Todesangst! Oder Schreie eines Brüllaffen auf der Suche nach einem begattungswilligen Weibchen?

Was hat die Welt nicht schon alles gesehen, denkt Franco und macht einen weiteren Schritt. Er weiß, wie verwirrt er sein kann, deswegen nimmt er nicht jeden Gedanken ernst, der ihm durch den Kopf geht. Da, vor ihm, zwei Männer, sie liegen sich in den Armen, sie, nein – Franco reibt sich die Augen –, die beiden kämpfen. Einer massig und breit. Der andere kräftig und größer und trotzdem eindeutig unterlegen. Franco drückt sich in den nächsten Hauseingang und versucht noch einmal, sein Gehirn durch heftiges Gähnen mit mehr Sauerstoff zu versorgen. Plötzlich Stille. Franco beugt sich vor und sieht, wie der Kräftige langsam wie ein gefällter Baum zu Boden geht, ohne den geringsten Reflex, den Sturz abzumildern. Der Massige beugt sich über ihn, fühlt nach dem Puls. Franco presst sich, so tief es geht, in den Hauseingang, und doch kann er nicht anders, als weiterhin um die Ecke zu schielen.

Mit merkwürdig hölzernen Bewegungen richtet sich der Massige auf und sieht sich prüfend um. Dann stakst er los, als hätte er gleich beide Beine in Gips. Und ausgerechnet als er Francos Versteck passiert, bleibt er stehen. Franco hält den Atem an, dummerweise, nachdem er ausgeatmet hat. Er starrt den Kerl an, unfähig, seinen Blick abzuwenden. Zum Glück ist Franco wie immer vollkommen in Schwarz gekleidet und hat wegen der Kälte seinen schwarzen Schal um den Kopf gewickelt. Wenn er sich nicht rührt, wird der Massige ihn nicht entdecken.

Die große Glocke der Chiesa San Domenico schlägt einmal, dann die kleine zweimal: 1.30 Uhr. Mit jedem Schlag zuckt Franco zusammen, Sauerstoffmangel lässt seinen Schädel fast platzen, jetzt bloß nicht röcheln …

Der Massige zündet sich eine Zigarette an. Als die Flamme des Feuerzeugs sein Gesicht für einen Moment erhellt, muss Franco sich in seine Hand beißen, um nicht aufzustöhnen. Noch vier, fünf Sekunden, dann wird er atmen müssen … Wieder sieht sich der Kerl misstrauisch um – und verschwindet endlich im Nebel.

Franco japst nach Luft, allerhöchste Zeit. Die bunten Punkte, die vor seinen Augen herumtanzen, haben schon die Größe und die Physiognomie von indianischen Schrumpfköpfen angenommen. Ein Schwächeanfall will ihn in die Knie zwingen, gerade noch gelingt es ihm, sich an der Türklinke festzuhalten. Ein dumpfes Stöhnen entfährt seiner Kehle, jetzt weiß er, wo er sich befindet: Das ist die Tür von Rabbi Shlomo, der sich von dem Bildhauer Giacomo Pipistrello einen bronzenen Davidsstern als Klinke hat gießen lassen.

Die Schritte des Massigen verklingen langsam in der Via Balcone della Vita, links von Franco. Er selbst könnte ein paar Meter weiter rechts in die Via Budassi abbiegen und das Weite suchen, weg, nur weg, doch stattdessen – er hat keine Wahl, er hat einfach keine Wahl – heftet er sich an die Fersen des Mörders, von Grauen geschüttelt, mit unsicherem Schritt, aber entschieden.

2.

«Brüllaffen? Indianische Schrumpfköpfe?» Roberto starrte Franco an, schlecht gelaunt wie selten. Nevio Cottelli, sein Chef, hatte ihn jetzt schon fast drei Wochen lang mit Dienstplänen beglückt, die aus einer abenteuerlichen Mischung von Früh-, Spät- und Nachtschichten bestanden und gegen die er vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte locker ein Schmerzensgeld von einigen Zehntausend Euro einklagen könnte.

«Das war ja nur, um dir ein Bild zu vermitteln», versuchte Franco sich zu rechtfertigen, allerdings ließ ihn sein ständiges Gähnen irgendwie unseriös wirken.

«Was für ein Bild?», giftete Roberto zurück und fing an, mit drei Espressotassen zu jonglieren. Malpomena Del Vecchio hatte ihm das empfohlen als «Kalmierungstechnik, wenn der innere Druck einmal in bedrohliche Größenordnungen ansteigen sollte». Kalmierungstechnik – das Wort hatte Toto Scaglioni, der Barista der Bar Federico, für ihn erst mal im Internet recherchieren müssen, bevor er damit etwas anfangen konnte. Dann allerdings sehr viel, die Beruhigungstechnik funktionierte bestens, und wenn so wie jetzt drei Espressotassen in perfekten Bögen vor ihm durch die Luft flogen, fühlte er sich gleich besser. Roberto visierte die vierte Tasse an. Vier Tassen waren kalmierender als drei.

«Ich glaube, der Große ist tot.»

Oha. Vorsichtshalber ließ Roberto das mit der vierten Tasse erst einmal sein. Seit er letzten Sommer die arme Carmela Tozzi tot in der Zisterne unter dem Palazzo Ducale gefunden hatte und den Fall im Alleingang hatte lösen müssen – gut, nicht ganz, Malpomena Del Vecchio, Medizinstudentin im mittlerweile 20. Semester, hatte auch einiges dazu beigetragen, so wie durchaus auch ihre Schwester Antonia Del Vecchio, die Sovrintendentessa per i Beni Artistici e Storici delle Marche und Chefin des Palazzo Ducale, und wenn er ehrlich war, auch Toto Scaglioni, ja, sogar sein missratener cugino Osvaldo, den alle nur camoscino nannten, das Gämslein – jedenfalls machte ihn das Wörtchen ‹tot› seit dem Fall Carmela Tozzi furchtbar nervös.

«Das Wesen ist am Palazzo Ducale vorbei. Ich bin ihm gefolgt. Am Teatro Sanzio die Treppe hinunter, ins jüdische Ghetto. Dann ist es in der Synagoge verschwunden.»

«Wesen? Was für ein Wesen?» Die unästhetischen Würgegeräusche, die Franco inzwischen von sich gab, machten es Roberto noch schwerer, sich weiter zu kalmieren.

«Eine Kreatur aus Lehm», stieß Franco schaudernd hervor und bekreuzigte sich gleich mehrmals.

Plötzlich ging gar nichts mehr, die drei Tassen stürzten auf den Boden aus gebrannten mattoni, zwei zersplitterten, während die dritte unversehrt unter den Schreibtisch rollte. Wütend sprang Roberto auf.

«Eine was?»

Franco hatte Mühe, seine in einem irren Tempo herumflitzenden Augen wenigstens einigermaßen still zu halten. «Ein aus Lehm erschaffener Mensch.»

Eine lange Pause breitete sich aus. Roberto nutzte sie, um sich wieder hinzusetzen, seine Beine auf den Schreibtisch zu legen, zum Telefon zu greifen und Pretoro Galdronis Privatnummer zu wählen. Pretoro war der letzte der vormals drei commissari im Büro der Polizia di Stato in Urbino, nachdem Babini pensioniert und Primo Marzotti von einer privaten Sicherheitsfirma in Mailand abgeworben worden war, die ihm monatlich mehr als das Doppelte zahlte. Während es klingelte, klaubte Roberto eine Prise Friedhofserde aus seiner Hosentasche und pfefferte sie Franco mitten ins Gesicht. Frische Friedhofserde war einer der besten Abwehrzauber gegen jede Art von bösen Geistern.

«Wieso hast du das getan?», fragte Franco, während er sich die Erde aus den Augen pulte.

«Weil du gerade dabei bist, mir eine fette Portion Unglück zu bringen, und wenn es etwas gibt, was ich überhaupt nicht gebrauchen kann, dann Unglück. Und weißt du auch, warum?» Galdroni hob immer noch nicht ab.

«Ich bin dem Wesen begegnet, nicht du», maulte Franco, während er ein Erdkörnchen genauer untersuchte. Handelte es sich um mineralische Erde oder etwa um Reste einer Leiche?

«Ich brauche kein Unglück mehr, weil mir bereits ein sadistischer Chef im Nacken sitzt. Weil ich in diesen Nachtschichten vor Langeweile dem Tod näher bin als dem Leben. Und weil ich in», ein Blick auf die Kuckucksuhr, die sein Chef Cottelli vor zwei Jahren aus einem total verregneten Urlaub im Schwarzwald mitgebracht hatte, «drei Stunden meine Oliven zur Mühle bringen muss, damit sie nicht oxidieren, was die Qualität meines Olivenöls ruinieren würde.»

Franco betrachtete das Erdkörnchen jetzt mit unendlicher Hingabe und einem entrückten Lächeln. Sein Verhalten war wirklich sehr sprunghaft.

«Franco?» Roberto wedelte mit einer Hand vor dessen Gesicht herum. Keine Reaktion. Waren das erste Anzeichen von Irrsinn? «Ist dir nicht gut? Hast du –»

«Pretoro Galdroni hier, porca madosca!», kratzte die Stimme des commissario aus Robertos Handy.

«Ou, Galdroni. Roberto Rossi. Wir haben einen Toten. In der Via dei Fornaci. Du musst sofort kommen.»

«Wer soll denn der Tote sein?» Galdroni brüllte, als müsste er eine Demo der letzten und entsprechend trotzigen Kommunisten alleine mit der Kraft seiner Stimme stoppen. Im Hintergrund waren merkwürdige, irgendwie unanständige Laute zu hören.

«Keine Ahnung. Ich weiß noch nicht mal, ob er wirklich tot ist. Wir haben hier einen Zeugen. Franco Varese.»

«Leck mich, Poliziotto. Franco ist ein Spinner.»

Da konnte Roberto nicht viel dagegenhalten. Franco hatte jetzt angefangen, das Geräusch eines brunftigen Brüllaffen nachzuahmen, leise zwar, aber unverkennbar.

«Porca troia, Poliziotto. Du gehst nachsehen. Wenn da tatsächlich ein Toter rumliegt, ruf mich wieder an. Aber nur dann, verstanden?»

Klack, aufgelegt. Roberto hatte umsonst tief Luft geholt, um sich irgendwie rauszureden. Cazzo! Um vier Uhr musste er mit seinen Säcken vor der frantoio in Cartoceto im Val del Tarugo stehen, wenn er der Erste sein wollte, dessen Oliven heute gepresst wurden. Andererseits: In dieser bitterkalten Polizeiwache war es kaum wärmer als draußen. Immer wenn Roberto Nachtdienst hatte, drehte Cottelli die Zentralheizung runter, sobald er das Gebäude der Polizia Municipale verließ, und er drehte sie erst wieder hoch, wenn er am nächsten Tag seinen Dienst antrat. Da nur er einen Schlüssel zum Heizungskeller hatte und die alten Stromleitungen des Palazzo del Legato Albani zu schwach waren, um einen elektrischen Heizlüfter anzuschließen, blieb Roberto nichts anderes übrig, als der Kälte mit einer Daunenjacke Paroli zu bieten und sich, wenn es ganz schlimm wurde, eine Mikrofaserdecke über die Beine zu legen. Warum also nicht stattdessen einen kleinen nächtlichen Spaziergang machen?

Ächzend hievte er seinen Körper aus dem Schreibtischstuhl. Es war wie verhext, er konnte machen, was er wollte: Aus einem unerfindlichen Grund wog er immer mindestens fünf Kilo zu viel. Und wenn er Nachtschicht hatte, kamen ihm die fünf wie zehn vor. Heute sogar wie fünfzehn. Die sich aus einem weiteren unerfindlichen Grund alle genau da materialisierten, wo sein Hosengürtel ihn einschnürte.

Robertos Hand zuckte zurück. Logisch, dass die Leiche bei den Temperaturen schon reichlich ausgekühlt war, aber warum musste sie überhaupt tot sein? Ausgerechnet wenn er Dienst hatte? Überhaupt war ein kalter, lebloser Körper etwas Furchtbares. Weil er mit endgültiger, unmissverständlicher Klarheit sagte: Irgendwann bist du selber der Kalte. «Und dann? Dann ist Schicht», flüsterte Roberto.

Er packte einen Arm der Leiche und versuchte, sie auf den Rücken zu drehen. Aber wie sehr er auch zog und zerrte, der Tote war zu schwer, er bekam ihn einfach nicht gedreht.

«Könntest du vielleicht mal mit anfassen, porca miseria, eh

Franco reagierte nicht. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in die Dunkelheit, als erwarte er von dort den Angriff eines Zombies.

«Hast du wenigstens ein Feuerzeug?» Dummerweise hatte Roberto die MagLite in seiner Schreibtischschublade vergessen.

Franco reagierte immer noch nicht. Roberto gab auf und holte sein Uralt-Handy hervor, ein Nokia 6310 ohne Kamera, ohne MP3-Player, ohne Bluetooth und ohne Touch Screen. Ein Telefon zum Telefonieren.

«Galdroni? Der Mann ist tatsächlich tot.»

«Was? Wie? Eh …» Galdroni klang, als hätte Roberto ihn mitten aus einer Drei-Stunden-Meditation gerissen. Erst jetzt fiel Roberto ein, dass Galdroni für zwei Wochen alleine zu Hause war, weil seine Frau Ornella mit den beiden Kindern zum Skilaufen nach Hintertux gefahren war. Ohne seine Familie wusste Pretoro nichts Besseres mit sich anzufangen, als sich rauschhaft eine DVD nach der anderen reinzuziehen. Dabei trank er pausenlos Grappa Nardini, der mit seinem Alkoholgehalt von 50 Prozent selbst den robusten Galdroni irgendwann in die Horizontale zwang. Dem Klang seiner Stimme nach dürfte Galdroni diesem Punkt schon sehr nahe sein.

«Die Leiche liegt in der Via dei Fornari. Am Ende. In der Sackgasse.»

«Und, äh, wer ist es?»

«Kann ich nicht erkennen.»

«Ist er bloß tot oder auch noch unsichtbar, oder was!», pflaumte Galdroni zurück. Langsam ging er Roberto auf die Nerven. Sollte der commissario seine schlechte Laune doch mit Hilfe seiner obskuren DVDs abreagieren.

«Ich habe meine Taschenlampe vergessen.»

«Dann nimm ein Feuerzeug, porca puttana

«Habe ich keins. Nichtraucher.»

Galdroni stöhnte wie ein Mammut. «Und Franco? Typen wie der rauchen doch ständig Marihuana und Crack.»

Roberto warf dem Komponisten einen Blick zu. Franco zitterte hoffnungslos vor sich hin. Kurzerhand durchwühlte Roberto die Außentaschen von Francos Daunenjacke und wurde tatsächlich fündig: ein Mickey-Mouse-Feuerzeug. Nach ein wenig Herumprobieren fand er heraus, dass man die Löffelohren nach hinten drücken musste und die Flamme dann aus der Nase herausfauchte. Selbst bei diesem dürftigen Licht betrachtet war die Sache klar.

«Es ist Ruggero Grilli.»

«Kenn ich den?»

«Hat einen Agriturismo oben auf dem Monte Cesane.»

Galdroni fluchte ein wenig herum, nicht lange, höchstens eine Minute, und dann: «Also gut, ich bin in zehn Minuten da. Angefasst hast du ja nichts, Roberto, eh?»

«Ich? Also, ich käme doch nicht im Traum darauf, Beweismittel zu –»

Klack, Galdroni hatte aufgelegt.

Wie hatte dieser Fleischkloß noch gelegen? Roberto zerrte den Arm des Toten mal nach links, mal nach rechts, bis ihm aufging, dass es niemanden gab, der wusste, was richtig war. Außer Franco. Aber der machte mittlerweile den Eindruck, als würde er selber in Kürze den Löffel abgeben. Anstatt sich zu beruhigen, wurde seine Verfassung immer bedenklicher.

Nach einigen Minuten drangen bedrohliche Geräusche aus dem Nebel. Roberto drehte sich nicht einmal um. So klang es eben, wenn Pretoro Galdroni sich näherte. Böse Zungen behaupteten, Galdroni könnte durch eine Ziegelmauer hindurchgehen, ohne sein Tempo zu verlangsamen und irgendwie Schaden zu nehmen. Ein Baum von einem Kerl. Wahrscheinlich weil er väterlicherseits deutsche Vorfahren hatte, genauer gesagt bayrische, aus der Gegend von München, was Robertos Meinung nach auch der Grund war, warum Galdroni sich so gut mit Thilo Gruber verstand. Thilo Gruber! Den Namen auch nur zu denken regte Roberto schon auf, und reflexartig sah er sich nach Espressotassen zum Jonglieren um.

«Verdammter Saltara!», fluchte Galdroni zur Begrüßung und steckte sein Handy wieder ein, eins mit Bluetooth, Touch Screen, MP3-Player, Taschenlampe und Kameras für vorne und hinten und beladen mit so vielen Apps, dass Galdroni längst den Überblick verloren hatte, was er da mit sich herumtrug. Er hielt Roberto eine Rolle mit rot-weißem Absperrband hin. «Mach mal.»

«Hör zu, Galdroni, ich habe Nachtdienst, und ich bin alleine. Bei mir auf der Wache ist die Hölle los, ich muss wieder –»

«Red keinen Scheiß, Rossi, die einzige Hölle in deinem Büro ist die tickende Kuckucksuhr», unterbrach ihn der commissario. «Und jetzt mach hin.»

Galdroni begann, die Leiche aus verschiedenen Blickwinkeln zu fotografieren, wobei er weiterhin besorgniserregende Geräusche von sich gab. Franco starrte ihn an, als wäre er ein Monster aus Herr der Ringe.

«Zu dir kommen wir später, Franco Varese. So heißt du doch, oder?» Galdronis Stimme hatte einen Unterton, der Roberto überhaupt nicht gefiel, und er nahm sich vor, Franco auf keinen Fall mit dem commissario allein zu lassen. Ohne seine Familie war Galdroni bissig wie eine Viper nach dem Winterschlaf, und der sensible Komponist war ihm definitiv nicht gewachsen.

Galdroni wählte noch einmal Dottor Saltara an, den für die Provinz Pesaro-Urbino zuständigen Gerichtsmediziner. Dieses Mal hob der Dottore ab, schien sich aber zuerst einmal bitterlich zu beschweren. Galdroni hörte sich das Gejammer keine drei Sekunden an.

«Jetzt hören Sie mal zu, Saltara!», brüllte er los. «Dein Schlaf ist mir scheißegal! Mörder haben keinen geregelten Arbeitstag von neun bis fünf! Das sind keine Angestellten. Das sind Freiberufler, die arbeiten, wann’s ihnen passt. Und jetzt stell dich auf deine Absätze und tippel los! Urbino, Altstadt, Via dei Fornaci!»

Ein paar Sekunden war Ruhe, weil der Dottore etwas sagte, was nicht unwichtig zu sein schien. Dann legte Galdroni einfach auf.

«Der ist auf Fortbildung auf Capri, porca puttana. Ja, verdammt, wer soll denn jetzt –» Weiter kam er nicht, weil sein Handy das Geräusch einer zersplitternden Glasscheibe von sich gab. Eine SMS. Galdroni holte die Nachricht aufs Display, in dessen erstaunlich hellem Licht Roberto erkennen konnte, wie der commissario abwechselnd blass wurde und rot anlief. Gleichzeitig knetete er mit der freien Hand einen imaginären Hefeteig und hechelte wie ein Karnickel, über dem schon der Bussard kreist. Wäre Galdroni nicht Galdroni gewesen, hätte Roberto sich jetzt Sorgen gemacht. Aber eins war sicher: Was immer das Schicksal für den commissario bereithielt, er würde es aushalten, einen wie ihn konnte schlichtweg nichts umhauen.

Galdroni sackte zu Boden.

«Was ist los?», fragte Roberto, jetzt doch ein wenig besorgt.

«Hä», sagte Galdroni und starrte auf das Display.

«Geht’s ein bisschen genauer?»

«Hä.»

Roberto rupfte ihm das Handy aus der Hand und las: «habe mich in südtiroler skilehrer verliebt. einfühlsamer mann, toller sex. will die scheidung. kinder bleiben selbstverständlich bei mir. ornella.»

«Das ist ja ein Hammer, Pretoro.» Roberto schüttelte mitfühlend den Kopf. So war es damals bei ihm auch gewesen, als Maria Corbucci ihn hatte sitzenlassen, um sich fortan mit seinem verdammten Chef Nevio Cottelli zu vergnügen.

Galdroni reagierte nicht.

«Ein Skilehrer. Und dann noch aus Südtirol.»

Galdroni reagierte immer noch nicht.

«Sobald du den Fall hier geklärt hast, Galdroni, nimmst du am besten ein paar Wochen Urlaub. Mach eine Kur, die kannst du dir ja von Dottor Saltara verschreiben lassen.»

Galdroni reagierte immer noch nicht, nicht einmal als Franco ihn jetzt hektisch antippte.

«Hier, commissario, sehen Sie sich das an.»

«Was ist das?», fragte Roberto stellvertretend.

«Das ist Lehm. Der lag bei der Leiche.»

Oddio. Roberto bedeutete Franco unauffällig, die Klappe zu halten. Leider nicht unauffällig genug. Schwer hob Galdroni seinen Kopf. «Was soll das heißen, Lehm?»

«Der ist von dem Mörder», schauderte Franco.

Galdroni zog eine Augenbraue hoch: Wie das?

«Der Mörder ist ein Wesen, aus Lehm gemacht. Ich habe ihn gesehen. Er ist in die jüdische Synagoge. Da versteckt er sich. Ein Monster.»

Galdroni fixierte Franco mit einem stahlharten Dirty-Harry-Blick, ohne auch nur einmal zu blinzeln, kam langsam auf die Beine und nahm seine Grundstellung ein: breitbeinig, stabil wie eine Eiche, zu allem entschlossen, angriffslustig. Franco warf Roberto hilfesuchende Blicke zu. Galdroni nahm sein Handy, wählte und stellte es auf laut.

«Was soll das? Es ist zwei Uhr nachts!», tönte es aus dem Lautsprecher. Roberto erkannte sofort die Stimme seines Chefs, maresciallo capo Nevio Cottelli.

«Galdroni hier.»

«Ou, commissario! Wie geht es Ihnen? Wie kann ich Ihnen helfen?»

Typisch, dachte Roberto, kaum hatte Cottelli es mit einem Ranghöheren zu tun, wurde er zum eifrigen Speichellecker.

«Sie müssen mir Ihren besten Mann ausleihen, Nevio. Ein schwieriger Mordfall.»

«Na, aber gerne. Ich stelle Ihnen Battistelli ab.»

«Nichts da. Ich brauche Roberto Rossi.»

Roberto reckte sich und lächelte selig. Weil er sich vorstellen konnte, was jetzt in Cottelli vorging.

«Nun ja», quengelte dieser, «Sie sprachen von dem Besten, da wäre Battistelli sicherlich –»

«Rossi hat den Fall mit der Tozzi letzten Sommer praktisch im Alleingang gelöst.»

«Das würde ich so nicht unterschreiben, vor allem war ich selber in nicht unerheblicher Weise beteiligt und –»

«Rossi. Nicht Battistelli.»

Roberto wippte gut gelaunt auf den Zehenspitzen. In Cottellis Eingeweiden dürfte gerade gehöriger Aufruhr herrschen.

Schwerer Seufzer. «Na gut, wenn Sie darauf bestehen.»

«Danke und gute Nacht, maresciallo capo. Ende», sagte Galdroni und legte auf.

Roberto wippte noch beschwingter. Für Galdroni zu arbeiten würde eine angenehme Abwechslung sein: Zumindest auf absehbare Zeit kein lebensbedrohlicher Schichtwechsel mehr, außerdem wurden die Räume der Polizia di Stato konstant auf 25 Grad beheizt.

«Hör zu, Rossi», sagte der commissario. «Ich mach mich auf den Weg nach Hintertux.» Mit einem Ruck schloss er den Reißverschluss seiner Daunenjacke bis unters Kinn. «Ich lass mir doch von einem Südtiroler Yeti nicht die Frau ausspannen! Und die Kinder schon gar nicht!» Er verstaute sein Handy in einer kleinen Tasche auf dem linken Ärmel, in die es sich jedoch nur mit einiger Mühe hineinpressen ließ, Robertos altes Nokia war um einiges kleiner als dieses moderne App-beschwerte Smartphone. «Jetzt pass auf: Sag niemandem etwas von meinen privaten Problemen und mach meine Arbeit. Wie, ist mir schnuppe. Finde den Mörder. Hast du verstanden?»

«Eh, wie soll ich denn –» Roberto verstummte, als Galdroni mit ausgestrecktem Arm auf ihn zeigte. Offenbar hatte er zuletzt eine DVD mit einem Tom-Cruise-Film gesehen.

«Wenn du mich verrätst, erschieß ich dich. Dasselbe gilt für den da.» Er deutete auf Franco, der aus dem Lehm einen kleinen Klumpen geformt hatte und daran roch.

Roberto hatte plötzlich das Gefühl, sich sehr bald schon nach Cottellis menschenunwürdigen Wechselschichtdienstplänen zurückzusehnen. «Galdroni, jetzt warte mal. Hier geht es um einen brutalen Killer!»

«Ein Mensch aus Lehm, Poliziotto, wo ist das Problem? Ein Schlag auf die Nuss, und der zerbröselt.» Galdroni lachte merkwürdig, mit Humor hatte das rein gar nichts zu tun. Dann verschwand er in der Dunkelheit.

3.

Roberto konnte seine Armbanduhr in der Dunkelheit nicht lesen, dafür waren die Glocken von San Domenico nicht zu überhören. Dreimal die große, einmal die kleine. 3.15 Uhr.

Plötzlich Geräusche. Ein merkwürdig hohles Schaben. Und unregelmäßiges Poltern, hölzern, bedrohlich langsam, monströs. Franco und Roberto starrten in den Nebel.

«Er kommt zurück, er kommt zurück», stammelte der Musiker. Roberto nestelte hektisch an seinem Gürtelholster. Che diamine, seine Pistole lag in der Schublade seines Schreibtisches in der Wache, zwischen der MagLite und der noch unangetasteten salsiccia piccante, der höllisch scharfen Wildschweinwurst. Die sich jetzt ganz gut als Schlagstock machen würde, so steinhart, wie sie war.

Ein Schatten bildete sich im Nebel heraus, merkwürdig breit und unförmig. Und riesig. Verdammte Sackgasse, fluchte Roberto und tastete nach der Regenrinne an der Hausecke neben sich. Würde eine durchschnittliche italienische Regenrinne aus Kupfer stabil genug sein, um sein Gewicht auszuhalten? War er erst mal auf das Dach geklettert, dann konnte er leicht –

«Roberto?», fragte der Schatten.

Franco stieß einen spitzen Schrei aus.

«Heilige Scheiße, Malpomena!» Roberto entspannte sich.

«Höre ich da eine gewisse Panik in deiner Stimme?» Malpomena legte den riesigen Rollenkoffer, den sie im Schlepptau hatte, flach auf den Boden.

«Wieso hast du so lange gebraucht? Du wohnst doch keine hundert Meter von hier entfernt», maulte Roberto.

«Die rechtsmedizinische Untersuchung einer Leiche ist kein Pappenstiel, mein Lieber», antwortete Malpomena und begann, ihren Koffer auszupacken: ein Kamerastativ, einen schweren Akkuhandstrahler, ein 100er-Pack Gummihandschuhe, diverse forensische Fachbücher, sterile Gefäße und medizinische Instrumente, ein Diktiergerät und einen Helm mit Stirnlampe, wie ihn Höhlenforscher benutzen. Sie befestigte den Strahler auf dem Stativ und schaltete ihn ein. Grelles Licht beleuchtete den armen Ruggero Grilli in seiner ganzen verblichenen Masse. «Da haben wir ja unser Corpus Delicti.» Schnell schnallte sie sich noch zwei Knieschoner um, wie sie von Inlineskatern und Fliesenlegern benutzt werden, schaltete das Helmlicht an, ließ sich neben Ruggero auf die Knie sinken und tastete nach seiner Halsschlagader.

«Tot.»

«Ah, deswegen liegt er hier seit über einer Stunde auf dem Boden herum!», ätzte Roberto. «Das kam mir doch gleich komisch vor.»

«Dein Sarkasmus ist der Situation nicht angemessen, mein Lieber.»

«Dass der tot ist, war ja wohl klar.»

Malpomena wurde plötzlich sehr giftig. «Jetzt hör mal zu, falls du es noch nicht gemerkt hast: Ich tu dir hier gerade einen Gefallen, weil Dottor Saltara, den man meiner Meinung nach ohnehin nicht zu den großen Leuchten in unserer Profession zählen darf, ein Rezepteschreiber, wenn du verstehst, was ich meine –»

«Malpomena, bitte.»

«– weil Saltara gerade nicht greifbar ist. Was meinst du denn, was ich um», sie warf einen Blick auf ihre riesige Digital-Analog-Armbanduhr, die sie als Ausdruck ihrer Individualität am rechten Handgelenk trug, «drei Uhr einundzwanzig an einem Novembermorgen normalerweise mache?»

«Also, dass der Mann tot ist –»

«Richtig. Ich schlafe. Und zwar befinde ich mich – und nicht nur ich, sondern alle menschlichen Lebewesen, die gegen 22 Uhr ins Bett gehen – zu der Zeit in der längsten REM-Phase einer jeden Nacht, wie die Professoren Aserinsky und Kleitman von der University of Chicago schon 1953 nachgewiesen haben. Das ist die Phase des intensivsten Träumens. Und warum träumt man, Roberto? Um die Anspannungen und Nackenschläge und Widrigkeiten und üblen Ereignisse, um all das bashing und mobbing, um all die deprimierenden Erlebnisse des vorangegangenen Tages zu verarbeiten und – hoffentlich! – in einen Zustand der Ruhe und Ausgeglichenheit zu überführen. Und in genau diesen Prozess hast du eingegriffen, indem du mich geweckt hast, um mir eine Arbeit abzuverlangen, die nun wahrlich nicht zu meinem ureigensten Betätigungsfeld zu zählen ist.»

Roberto hatte mehrfach vergeblich versucht, sie zu unterbrechen. «Tut mir leid, Malpomena. Ich bin etwas angespannt. Wahrscheinlich weil meine letzte Rennphase schon ein halbes Jahr zurückliegt. Weißt du, Cottelli überzieht mich seit Wochen mit Dienstplänen, die –»

«REM-Phase, bitte schön. Rapid Eye Movement. Eine Rennphase, lieber Roberto, hattest du zuletzt allenfalls in deiner frühen Kindheit.»

Roberto hob beschwichtigend beide Hände. Malpomenas Erziehung als Spross des uralten Adelsgeschlechts der Del Vecchio war von grundsätzlichem Respekt gegenüber den Mitmenschen geprägt. Wenn sie derart unter die Gürtellinie schlug, dann war höchste Vorsicht geboten.

Wütend wandte Malpomena sich wieder dem toten Ruggero zu. Eine Weile hörte man sie nur Worte in ihr Diktiergerät bellen, und Roberto hütete sich, sie noch einmal zu stören. Auch weil er von Franco abgelenkt wurde, der schon wieder ganz nah an ihn heranrückte.

«Was soll das, Franco? Sind wir jetzt ein Paar, oder was?»

Der Musiker grinste verzerrt.

«Der Mörder hat dich nicht gesehen», versuchte Roberto ihn zu beruhigen. «Du hast also nichts zu befürchten.»

Franco nickte hektisch wie ein Kapuzineräffchen und fing plötzlich an, aus purer Angst ein Lied zu pfeifen.

Roberto boxte ihn in die Rippen. «Würdest du das bitte lassen? Pfeifen in der Nacht lockt den Teufel an, und der ist ein ganz anderes Kaliber als deine beknackte Kreatur.»

Sofort setzte Francos Pappelzittern wieder ein, und er rückte erneut näher an Roberto heran. Der nahm es resigniert hin, nicht zuletzt weil Franco eine erstaunliche Körperwärme ausstrahlte, ein nicht unerheblicher Vorteil in einer kalten Nacht wie dieser.

«Schwer zu sagen», meldete sich Malpomena nach einem tiefen Seufzer. «Eine tödliche Verletzung kann ich auf die Schnelle nicht erkennen.» Sie wandte sich Franco zu. «Wie war noch gleich der Ablauf?»

Im grellweißen Licht der Helmlampe sah Franco mit seinen panischen Augen wie ein Irrer aus.

«Die beiden haben … und er … tot», flüsterte er. «Plötzlich … ohne, da war kein, weißt du?»

«Nein, weiß ich nicht. Außerdem, ich frage mich: Konntest du mit diesen Flitzeaugen überhaupt irgendetwas sehen, Franco? Eh? Und deine Pupillen, warum sind die so klein? Und woher», sie strich dem Musiker über die Stirn, «woher kommt diese exorbitante Menge kalten Schweißes auf deiner Frons?»

«Ich, also …»

«Dann vermerke ich im Gegensatz dazu eine geradezu fiebrige Körpertemperatur. Für all dies muss es einen Grund geben.»

Franco sah Roberto hilfesuchend an.

«Er steht unter Schock, Malpomena», sagte der Poliziotto.

Malpomena griff nach Francos Handgelenk, fühlte den Puls und startete die Stoppuhrfunktion ihres Analog-Digital-Chronometers.

«Über zweihundert. Nicht schlecht. Ich habe schon Menschen sterben sehen, die –»

«Lass ihn in Ruhe», ging Roberto dazwischen. «Franco ist nur ein Zeuge, er –»

«Er ist möglicherweise der Täter», unterbrach sie ihn und stach Franco mit ihrem Zeigefinger in den weichen Raum zwischen vierter und fünfter Rippe, den zu finden für sie als angehende Medizinerin kein Problem war. «Wie hast du ihn kaltgemacht, eh? Sag’s lieber gleich, ich finde es sowieso heraus.»

«Jetzt reicht’s aber!» Roberto schob sich erneut zwischen die beiden. «Musst du nicht erst einmal eine Obduktion machen oder so was?»

Malpomena trat einen Schritt zurück. «Muss ich. Aber den da würde ich an deiner Stelle nicht aus den Augen lassen.» Sie zog eine Augenbraue hoch, machte ein Zeichen für Handschellenanlegen und wandte sich wieder dem toten Ruggero Grilli zu.

«Erzähl mir mehr, du kalter Mann. Wie hat man dich über den Jordan geschickt?»

Eine halbe Stunde später kam ein Krankenwagen, der allerdings vor dem Palazzo Corboli in der Via Vittorio Veneto parken musste, weil er zu breit war für die Via dei Fornaci. Die Sanitäter machten ein großes Gewese, weil sie die Rollliege lächerliche 50 Meter zu Fuß durch die enge Gasse schieben mussten, angestachelt von Marco Bruglia, dem Notarzt, der sauer war, dass eine Medizinstudentin im 20. Semester mit der Untersuchung der Leiche betraut worden war.

Roberto ließ ihn eine Weile herumschimpfen, bevor er ihn zur Seite nahm und ihm einige Worte ins Ohr flüsterte. Plötzlich wurde Bruglia zahm wie eine Butterblume und sorgte für den reibungslosesten Abtransport, den Urbino je erlebt hatte.

«Wie hast du ihn besänftigt?», fragte Malpomena, während sie ihre Utensilien einsammelte.

«Marco hat sich als stiller Teilhaber in eine kleine Firma eingekauft, die Mullbinden herstellt. Jetzt rate mal, wer seitdem praktisch alle Mullbinden für das Krankenhaus liefert?»

Malpomena produzierte eine ansehnliche Menge waschbrettartiger Falten auf ihrer Stirn, Korruption war ihr zutiefst verhasst.

«Ich weiß, was du sagen willst», sagte Roberto. «Aber Marco macht das so geschickt, dass man ihm schwerlich etwas nachweisen kann.»

«Und woher weißt du es dann?»

Eine unangenehme Frage. «Von Talia.»

Stille. In Malpomenas Gesicht tat sich einiges, vom Malmen der Kiefer bis zum Zucken der Lider, nur das Stirn-Waschbrett blieb unverändert. Talia war die jüngste der vier Del-Vecchio-Schwestern. Ein lebenspralles Energiebündel, von Männern umschwärmt, gesellig, ein Nachtmensch, sie kannte Gott und die Welt, und Männer neigten dazu, ihr selbst intimste Geheimnisse zu verraten. Wahrscheinlich um sich wichtig zu tun. Manche machten sich regelrecht lächerlich mit ihren Angebereien, natürlich vergeblich. Talia ließ sich nie verführen, das übernahm sie selbst. Auch die ihr anvertrauten Geheimnisse behielt sie grundsätzlich für sich. Einzig bei Roberto machte sie eine Ausnahme, aus welchem Grund auch immer. Einer Arbeit ging sie nicht nach, sondern lebte als einzige der Schwestern von den Früchten des gewaltigen Familienbesitzes. Kurz gesagt und auf den Punkt gebracht: Talia war in allem das genaue Gegenteil von Malpomena. Gemeinsam hatten sie einzig ihre atemberaubende Schönheit, was Malpomena allerdings völlig gleichgültig war.

«Soviel ich weiß, ist Marco Bruglia verheiratet», sagte Malpomena mit deutlicher Missbilligung.

Roberto zuckte mit den Schultern. Seit wann spielte das für Talia eine Rolle? Wenn sie mit einem Mann ihren Spaß haben wollte, fragte sie nicht dessen Ehefrau um Erlaubnis.

Mit einem tiefen Seufzen stieg Malpomena in den Rettungswagen und ignorierte wortlos Marco Bruglias Angebot, doch den bequemen Beifahrersitz einzunehmen. «Mercurius solubilis Hahnemanni C30», rief sie und warf Roberto ein kleines, mit Kügelchen gefülltes Glasröhrchen zu. «Stündlich fünf Globuli! Das hilft gegen das Augenflitzen!»

Roberto kehrte mit Franco zur Wache zurück. Eile war angesagt. Am Nachmittag vor seinem Nachtdienst hatte er mit Hilfe von einigen Nachbarn alle seine Olivenbäume abgeerntet, und nun mussten die Oliven nach Cartoceto gebracht und so schnell wie möglich gepresst werden.

«Ich bring dich in deinen palazzino», sagte Roberto und schob Franco vor sich her zum Ausgang, wobei er peinlich genau darauf achtete, auf keinen Fall auf die Türschwelle zu treten. Wahrscheinlich warteten die Schwellengeister nur darauf, ihm einen reinzuwürgen. «Mach dir keine Sorgen, du bist sicher.»

Franco wehrte sich wie ein Schwein, das zum Schlachten gebracht wird, und fing schon wieder mit dem Schlottern an.

«Hör auf damit!», fuhr Roberto ihn an.

«Ich kann nichts dafür», jammerte der Komponist und stemmte sich noch vehementer gegen Robertos Druck.

«Hast du die fünf Globuli genommen?»

«Fünf?» Franco hielt das leere Röhrchen hoch.

«Alle auf einmal?»

Franco nickte geistesabwesend. Roberto hatte den Eindruck, dass seine Augen noch schneller umherflitzten.

«Hör zu, Franco, ich muss weg.»

Da hatte sich Franco schon auf den Boden gesetzt und sah Roberto an wie ein Hundewelpe, dem ein vorbeifahrender Lkw nicht nur die Mutter, sondern gleich die gesamte Familie platt gefahren hatte. Und den eine äußerst seltene Augenkrankheit plagte.

4.

Roberto lenkte den Fiat-Scudo-Lieferwagen mit äußerster Vorsicht. Osvaldo, der camoscino, sein Cousin, der seinen Lebensunterhalt mit dem Reparieren von Autos aller Marken verdiente, natürlich in Schwarzarbeit, hatte ihm den Wagen besorgt und darauf hingewiesen, dass der Besitzer über jeden einzelnen Kratzer Buch führte und einen neuen sofort entdecken würde. «Ist ein Albaner», hatte Osvaldo hinzugefügt, was wohl eine Erklärung sein sollte, die Roberto allerdings nicht verstand. Waren Albaner besonders pingelig? Schnitten sie einem für jeden Kratzer einen Finger ab?

Franco schlief selig lächelnd auf dem Beifahrersitz. Das sanfte Wiegen und Wogen des schwer beladenen Scudo musste bei ihm ein Gefühl der Geborgenheit ausgelöst haben. Das allerdings jedes Mal jäh unterbrochen wurde, sobald Roberto anhielt. Als hätte Franco Angst, an einem unbekannten Ort mitten in Sibirien hinausgeworfen zu werden, krallte er sich dann mit beiden Händen an den Haltegriff auf dem Armaturenbrett und warf Roberto um Gnade bittende Blicke zu.

Zum Glück musste Roberto nicht allzu oft anhalten, null Verkehr um diese Zeit. Nach der schlechten, von Schlaglöchern und schrägen Bodenwellen durchsetzten strada bianca von Rombolina hinunter nach Canavaccio rollte er die nächsten 30 Kilometer auf der Via Nazionale SS 73, bis zur Ausfahrt Fossombrone Est. Von dort schlängelte er sich auf kurvenreichen Straßen durch die hügelige Landschaft nach Isola di Fano und dann weiter nach Cartoceto, wo er die Abzweigung ins Val di Tarugo nahm. Ab hier wurde die Straße sehr schmal, beengt vor allem durch das steil zum Bach abfallende Ufer auf der einen Seite und durch uralte Eichen auf der anderen, die niemand gewagt hatte zu fällen, nur um der Straße einen geraden Verlauf zu ermöglichen. Ebenso grenzten uralte, schiefe rustici unmittelbar an den Rand der Straße und engten sie zusätzlich ein, gebaut zu einer Zeit, als es hier nur einen staubigen Weg für Ochsenkarren gegeben hatte. Ramponierte oder gar fehlende Steine in den Hauswänden zeugten von vielen unfreiwilligen Begegnungen zwischen Mauern und vorbeifahrenden Fahrzeugen. Manche Hausbesitzer hatten reflektierende rot-weiße Bänder angebracht, andere stattdessen die Mauern mit armiertem Beton verstärkt, mit Erfolg, wie man an den vielen unterschiedlichen Autolackfarben erkennen konnte.

Die Zeichen der Armut, wie sie hier seit Jahrhunderten herrschte, waren allgegenwärtig. Nichts wurde weggeworfen, alte Schnüre wurden gesammelt, ebenso Holz- und Metallreste, Plastikplanen oder Zaundrahtreste, die zusammengeknüpft wieder ein paar Meter neuen Zaun hergaben. Die Felder waren winzig, viel Platz bot das schmale Tal nicht, und die Hügel rechts und links des Rio di Tarugo waren in der Regel zu steil, um ihnen zusätzliche Anbauflächen abzuringen. War es in anderen Gebieten wie zum Beispiel auf dem nahen Monte Dolciano üblich, dass Söhne, wenn sie eine eigene Familie gründeten, an das Haus der Eltern weitere Zimmer anbauten und so ausufernde Gehöfte erzeugten, so waren die rustici im Val di Tarugo winzig geblieben, weil das Tal keine zusätzlichen Familien hätte ernähren können. Die jungen Leute waren immer schon gezwungen gewesen, wegzugehen und sich in anderen Gegenden niederzulassen. Was auch ein Grund war, warum man heute im Val di Tarugo fast nur noch alte Leute sah, für die die moderne Welt lediglich aus den vorbeifahrenden Autos bestand, die hin und wieder ihre Außenwände rammten und es manchmal sogar schafften, mit ihren Stoßstangen bis ins Wohnzimmer oder in die Küche vorzudringen.

Einzigen bescheidenen Wohlstand hatte sich die Familie Lorenzetti mit ihrer Ölmühle, der frantoio oro, erwirtschaftet, die sie seit Generationen unweit des winzigen, wehrhaften Örtchens Torricello betrieb, unmittelbar am Ufer des schmächtigen Rio di Tarugo, den sie mit einfachen Mittel aufgestaut hatten, um genug Wasserdruck für den schweren Mühlstein zu schaffen. Unter Kennern galt die frantoio oro als die beste weit und breit, weil sie noch heute mit wunderbar alten, mit dem Öl von Jahrhunderten getränkten Mühlsteinen arbeitete.

Punkt vier Uhr, freute sich Roberto, als er den Scudo auf den Hof der frantoio lenkte und neben der stockdunklen Laderampe hielt. Wieder diese wohlige Gewissheit, zu derart früher Stunde der Erste zu sein, so wie jedes Jahr. Kaum hielt er an, wimmerte Franco auf und starrte entsetzt in die Dunkelheit.

«Ölmühle», sagte Roberto.

«Ich sehe nichts.»

«Weil es dunkel ist.»

«Das seh ich.»

«Na also.» Roberto stieg schnell aus. Franco ging ihm gehörig auf die Nerven. Er war ein sensibler Künstler, und einen Mord zu beobachten hatte schon stärkere Menschen umgehauen, aber musste er deswegen zu einem Schoßhündchen mutieren? Sobald Roberto hier fertig war, würde er ihn endgültig in dessen palazzino in der Via Minore abliefern. Franco hatte das kleine Stadthaus von seinem Großvater geerbt, andernfalls hätte er sich als Musiker und Komponist ein Häuschen in der Altstadt von Urbino ganz sicher nicht leisten können.

Roberto ertastete die Kante der Laderampe und flankte hinauf – er versuchte es zumindest. Erst beim vierten Versuch gelang es ihm, seinen ganzen Körper und nicht nur ein Bein hinaufzuwuchten. Einmal mehr schwor er sich, ein paar Kilo abzuspecken. Unbedingt.

Der Lichtschalter für die Hofbeleuchtung befand sich an der Wand neben dem Schiebetor, daran erinnerte er sich. Vittore Lorenzetti, der padrone, war ein extrem geiziger Kerl, der nichts von nächtelang brennenden Lampen hielt. Noch hat jeder meine Mühle gefunden, lautete seine Devise, und einen Schalter zu betätigen, wenn man sein Ziel erreicht hatte, war ja wohl nicht zu viel verlangt.

Die Energiesparlampe flackerte müde auf – und Roberto prallte zurück. Vor ihm zehn, fünfzehn Säcke voller Oliven. Welcher Mistkerl war ihm denn hier zuvorgekommen? Wütend trat er gegen den ersten Sack in der Reihe.

«Aaah! Verdammt noch mal!», ertönte eine dumpfe Stimme.

Roberto sah genauer hin. Das da vor ihm war gar kein Sack voller Oliven, sondern ein aufgeplusterter Hightech-Daunenschlafsack in Nato-Look und Nanga-Parbat-Qualität, wasserdicht und wahrscheinlich schwimm- und flugfähig, mit integriertem Chemie-Klo und Einbauküche. Ein Reißverschluss öffnete sich, die Kapuze wurde zurückgeschlagen, und zum Vorschein kam – Thilo Gruber, der deutsche Immobilienfresser, der Dorfvernichter.

«Porca zozza!» Roberto konnte es gar nicht fassen. Ausgerechnet der deutsche Mistkerl, dieser frühpensionierte Kripokommissar aus München! Nicht nur dass er gleich sieben Häuser in Robertos Heimatdorf Rombolina auf einen Schlag für sich und seine deutschen Freunde gekauft hatte – sieben von neun, wohlgemerkt –, nein, er hatte darüber hinaus Robertos Vorkaufsrecht mit dem miesesten aller Geometertricks ausgehebelt, dem 1-Meter-Abtrenn-Trick. Und jetzt machte er ihm auch noch den ersten Platz an der Ölmühle streitig. Wo sollte das enden?

«Haben Sie mich gerade getreten?»

Roberto überhörte die Frage und zählte Grubers Säcke durch. Siebzehn. Das würde etwa achtzig Liter Olivenöl ergeben.

Der deutsche Exkommissar wühlte sich aus dem Schlafsack heraus. «Sie stehen auf meiner Isomatte, Roberto.»

«Und Sie belegen meinen Platz», entgegnete dieser.

«Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Schon mal gehört, den Satz, Roberto?»

«Für Sie heiße ich immer noch Rossi.»

«Na, gut: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, Rossi.»

Roberto deutete auf seine Uniform. «Agente Rossi.»

caffè