Edgar Wallace

 

Fünf Kriminalgeschichten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2015

 

ISBN/EAN: 9783958704640

 

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

 

www.nexx-verlag.de

 

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Der Fall Stretelli

 

Detektivinspektor John Mackenzie hatte seinen Abschied eingereicht, und die Zeitungen brachten aus diesem Anlass viele Berichte über ihn und seine Erfolge. Seine direkten Vorgesetzten wunderten sich, welche Gründe ihn zu dem vorzeitigen Rücktritt veranlasst haben mochten. Aber alle Vermutungen waren falsch; kein Mensch ahnte die eigentliche Ursache. Mackenzie wusste nämlich nicht mehr, wie er in dem Widerstreit zwischen Pflicht und Gerechtigkeitssinn handeln sollte, und wählte deshalb den Ausweg, sein Amt niederzulegen.

 

In diesen Konflikt war er durch die Bearbeitung des Falles Stretelli geraten, der äußerlich dadurch zum Abschluss gebracht wurde, dass man an einem kalten Dezember-Morgen im Gefängnis zu Nottingham einen Verbrecher hängte.

 

Die Tatsache, dass John Mackenzie seinen Abschied einreichte, war umso unverständlicher, als seine Vorgesetzten ihm zur Aufklärung dieses Falles besonders gratuliert und eine Beförderung in Aussicht gestellt hatten. Aber gleich darauf ging er in sein Büro und schrieb kurz entschlossen sein Abschiedsgesuch.

 

In gewisser Weise war Mackenzie eben altmodisch.

 

•••

 

Einige Monate bevor er den Dienst quittierte, brachte ihm ein Untergebener eine Visitenkarte mit der Aufschrift: »Dr. med. Mona Stretelli, Madrid.« Als er das las, rümpfte er die Nase.

 

Er hatte ein Vorurteil gegen Ärztinnen, obwohl dies die erste war, die ihn amtlich aufsuchte.

 

»Führen Sie die Dame in mein Büro«, sagte er und wunderte sich, was eine spanische Ärztin bei Scotland Yard zu suchen hatte.

 

Noch ehe er sich versah, stand sie bereits vor ihm – lebhaft, dunkel, von durchschnittlicher Größe. Als er sie näher betrachtete, kam ihm zum Bewusstsein, dass sie sogar schön war.

 

»Es ist mir eine große Ehre, Sie kennenzulernen«, begrüßte er sie höflich in französischer Sprache. »Was kann ich für Sie tun?«

 

Sie lächelte leicht über diesen etwas brüsken Empfang.

 

»Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir zehn Minuten Ihrer sonst so kostbaren Zeit schenken, würden, Mr. Mackenzie«, entgegnete sie auf Englisch. »Ich habe Ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen.« Dann reichte sie ihm einen Brief, der den Stempel des Innenministeriums trug. Es war ein Einführungsschreiben, das ihr ein hoher Beamter gegeben hatte. Inspektor Mackenzie wunderte sich jetzt nicht mehr, dass sie ihn aufgesucht hatte.

 

»Kennen Sie Mr. Morstels?« fragte sie.

 

Er schüttelte den Kopf.

 

Sie zögerte.

 

»In London müssen Sie aber doch – gewisse Gerüchte hören ... Ich meine, von West End. Haben Sie noch nie etwas von Margaret Stretelli erfahren?«

 

Mackenzie runzelte die Stirn.

 

»Selbstverständlich, der Name kommt mir bekannt vor. Sind Sie mit der Dame verwandt?«

 

»Sie war meine Schwester«, entgegnete sie ruhig.

 

Sie nickte: wieder, und er sah, dass ihre Augen feucht wurden.

 

Als Margaret Stretelli aus London verschwand, war man in Scotland Yard darüber weder erleichtert noch betrübt, aber man vermerkte es. Margaret gehörte zu einem Kreis moderner junger Damen, die sich gewöhnlich in einem Restaurant in Soho trafen. Man wusste im Polizeipräsidium, dass sie mit allen möglichen fragwürdigen Elementen zusammenkam. Sie war in gewisser Weise am Kokainhandel beteiligt, da sie das Rauschgift selbst kaufte. Einmal hatte die Polizei eine Razzia abgehalten und sie in einer Kokainkneipe abgefasst, so dass sie vor den Polizeirichter kam und eine Ordnungsstrafe erhielt. Ein anderes Mal hatte sie ebenfalls die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich gelenkt, weil sie in ihrem Luxuswagen gegen einen Laternenpfahl gefahren war. Ihr selbst war bei dem Unfall nichts geschehen.

 

In Scotland Yard interessierte man sich für die Extravaganzen dieser jungen Dame. Man wusste, dass sie über große Geldmittel verfügte, und als sie sich nicht länger in den Lokalen zeigte, in denen sie früher verkehrt hatte, erkundigte man sich nach ihrem Verbleib. Es stellte sich heraus, dass sie einen Gutsbesitzer in Mittelengland geheiratet hatte. Ein paar Wochen nach der Hochzeit brannte sie jedoch durch und fuhr nach New York. Das war eine ziemlich uninteressante Geschichte, die ähnlich auch schon anderen Leuten passiert war. Es lohnte sich kaum, die, Einzelheiten zu den Akten zu nehmen. Da aber alle Verbrechen mit nichtssagenden Geschichten beginnen, wurden auch diese Daten gesammelt und notiert.

 

»Vielleicht ist es besser, wenn ich Ihnen zuerst kurz die Geschichte unserer Familie erzähle«, begann Mona Stretelli. »Mein Vater war ein bekannter Arzt in Madrid. Bei seinem Tod hinterließ er seinen beiden Töchtern, Margaret und mir, fünf Millionen Pesetas. Ich hatte den Beruf meines Vaters ergriffen und übte schon drei Jahre eine Praxis aus, als er starb.

 

Meine arme Schwester Margaret führte ein bewegtes Leben und suchte Zerstreuungen, die nach ihrem Geschmack waren. Drei Monate nach dem Tod meines Vaters ging sie nach Paris, um Musik zu studieren, und von dort nach London, wo sie in den Kreisen der Boheme verkehrte – unter anderem auch mit Leuten, die bei der Polizei unbeliebt waren. Wie sie mit Mr. Morstels bekannt wurde, habe ich niemals erfahren können. Sie hatte bereits einen großen Teil ihres Geldes verbraucht, als sie unter seinen Einfluss kam. Er machte ihr einen Heiratsantrag, und sie wurden auf dem Standesamt in Marylebone getraut. Darauf zog sie mit ihm auf sein Gut in Little Saffron.

 

Verschiedene Dorfbewohner haben sie gesehen, und soweit ich herausbringen konnte, hat sie im Ganzen drei Wochen mit ihm zusammen gelebt. Wie lange sie dann noch dort wohnte, ist nicht bekannt. Es mögen drei Monate gewesen sein, vielleicht auch nur einer. Als sie verschwand, glaubte man im Dorf allgemein, dass sie ihrem Mann davongelaufen sei. Die Leute waren ja schon gewöhnt, dass Mr. Morstels mit seinen Ehen Unglück hatte.«

 

»War er schon öfter verheiratet?« fragte Mackenzie.

 

»Schon zweimal. Auch seine beiden ersten Frauen waren ihm durchgegangen, und er hatte sich scheiden lassen. Mr. Mackenzie, ich bin fest davon überzeugt, dass meine Schwester ermordet worden ist!«

 

Er richtete sich plötzlich auf.

 

»Ermordet? Aber liebes gnädiges Fräulein, es ist doch leicht möglich, dass Ihre Schwester tatsächlich davonlief.«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Das ist unmöglich. Wenn sie ihn verlassen hätte, wäre sie sofort zu mir gekommen. Wir waren immer die besten Freundinnen, und obgleich sie sehr eigensinnig und dickköpfig war, wandte sie sich doch immer an mich, wenn sie in eine unangenehme Situation geriet.«

 

»Haben Sie denn Mr. Morstels kennengelernt?«

 

»Ja, ich habe ihn gesehen, und zwar gestern zum ersten Mal. Und nachdem ich ihn getroffen habe, bin ich davon überzeugt, dass meine Schwester ermordet wurde.«

 

»Das ist eine schwere Anklage, die Sie erheben. Ich will allerdings glauben, dass Sie derartiges nicht sagen würden, wenn Sie nicht guten Grund dazu hätten«, entgegnete Mackenzie lächelnd. »Und da Sie Ärztin sind, lassen Sie sich wahrscheinlich nicht leicht durch Stimmungen beeinflussen und überlegen sich, was Sie sagen.«

 

Sie nickte mit dem Kopf, erhob sich und ging erregt im Büro auf und ab. »Verzeihen Sie, Mr. Mackenzie, aber ich bin so fest davon überzeugt, dass meine arme Schwester Margaret tot ist, dass ich es nicht glauben würde, wenn ich sie in diesem Augenblick ins Zimmer treten sähe.«

 

»Aber wie kommen Sie denn darauf?« fragte Mackenzie hartnäckig. »Außer der Tatsache, dass Mr. Morstels dreimal geheiratet hat, ist doch nichts gegen ihn bekannt?«

 

»Ich selbst habe Nachforschungen angestellt. Die Polizeibehörde seines Ortes hält ihn für einen ehrbaren Charakter, aber ich glaube, dass ich Ihnen Einzelheiten mitteilen kann, die Sie interessieren werden. Bevor Margaret London verließ, hat sie sechstausendfünfhundert Pfund von ihrer Bank abgehoben. Und wo blieb das Geld?«

 

»Haben Sie ihn denn nicht gefragt?«

 

»Doch. Er antwortete mir, dass meine Schwester, als sie von ihm wegging, nicht nur ihr eigenes Geld, sondern auch noch eine große Summe von ihm mitgenommen habe, so dass er im Augenblick in großer Verlegenheit sei. Ja, er hatte sogar die Unverschämtheit, mich aufzufordern, ihm Schadenersatz zu leisten!«

 

Mackenzie stützte das Kinn in die Hand und dachte nach.

 

»Die Sache scheint sich tatsächlich mehr und mehr zu einer Mordgeschichte zu entwickeln«, meinte er. »Aber ich hoffe schon um Ihretwillen, dass Sie sich irren, Miss Stretelli. Auf jeden Fall werde ich Mr. Morstels aufsuchen.«

 

•••

 

An einem Wintermorgen, an dem alle Zweige und Sträucher in dem Obstgarten von Mr. Peter Morstels bereift waren, ging Detektivinspektor Mackenzie langsam von der Eisenbahnstation nach Morstels' Haus. Er hatte seine Pfeife angesteckt und trug den zusammengerollten Regenschirm, ohne den er niemals ausging.

 

Als er das Haus auf dem Hügel sah, blieb er stehen und betrachtete das Gebäude – einen hässlichen Beton-Neubau – eingehend. Es stand am Abhang, und man musste von dort eine prachtvolle Aussicht haben.

 

Fünf Minuten später war er bei dem Gebäude selbst angekommen – irgendwie machte es ihm keinen günstigen Eindruck. Er klopfte an die Tür, und ein großer breitschultriger Mann öffnete ihm.

 

Sein nicht allzu volles Haar zeigte eine rötlichblonde Färbung, und er hatte ein rotes gesundes Gesicht. Mit argwöhnischen Blicken maß er den Detektiv.

 

»Guten Morgen, Mr. Morstels. Ich bin Inspektor Mackenzie von Scotland Yard.«

 

Kein Muskel in dem Gesicht des Mannes rührte sich. Er zuckte mit keiner Wimper, während er ihn mit seinen großen, blauen Augen fest ansah.

 

»Freut mich – bitte treten Sie näher.«

 

Morstels führte den Inspektor in eine mit Steinfliesen ausgelegte Küche, die niedrig, aber sehr sauber war.

 

»Hat Miss Stretelli Sie hergeschickt?« fragte er. »Nach allem, was ich von ihr weiß, muss ich das annehmen. Als ob ich nicht schon gerade genug Sorgen und Kummer mit ihrer Schwester gehabt hätte!«

 

»Wo ist denn Ihre frühere Frau?« fragte Mackenzie geradezu.

 

»Die muss sich irgendwo in Amerika aufhalten. Selbstverständlich hat sie mir nicht die Stadt genannt, in die sie ziehen wollte. Ich habe ihren letzten Brief oben.«

 

Nach ein paar Minuten kehrte er mit einem grauen Briefbogen zurück, der weder Anschrift noch Adresse trug.

 

Ich verlasse Dich, weil ich das ruhige Landleben nicht vertragen kann. Diesen Brief schreibe ich an Bord der Teutonic. Bitte reiche die Scheidungsklage gegen mich ein. Ich möchte Dir nur noch kurz mitteilen, dass ich nicht unter meinem eigenen Namen reise.

 

 

Mackenzie betrachtete das Schreiben von allen Seiten.

 

»Ich möchte nur wissen, warum sie nicht die Briefbogen genommen hat, die man umsonst an Bord bekommen kann?« fragte er freundlich. »Eine Frau, die in aller Eile abreist, packt doch gewöhnlich kein Briefpapier in ihren Koffer. Sie haben sie doch sicher in der Passagierliste gefunden? – Ach so, ich verstehe, das konnten Sie ja nicht, weil sie unter einem anderen Namen reiste. Wie mag sie nur mit den Pass-Schwierigkeiten fertig geworden sein?«

 

Der Inspektor sagte das alles leichthin, betrachtete aber dauernd den Mann, der vor ihm stand. Wenn er aber glaubte, dass er Peter Morstels irgendwie beeinflussen konnte, irrte er sich.

 

»Wie sie mit ihrem Pass fertig geworden ist, geht mich doch nichts an. Darum soll sie sich allein kümmern«, entgegnete der Mann ruhig. »Sie hat mich nicht ins Vertrauen gezogen. Ihre Schwester ist ja ganz darauf versessen, dass ich sie umgebracht haben soll«, sagte er dann und lachte. »Glücklicherweise war ich allein im Haus, als sie neulich herkam. Es hätte ja einen hübschen Spektakel im Dorf gegeben, wenn meine Dienerschaft alles gehört hätte, was sie mir an den Kopf warf.«

 

Auch Morstels sah den Inspektor dauernd an.

 

»Ich vermute, dass sie Ihnen auch all den Unsinn erzählt hat. Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen gern die Erlaubnis, das ganze Haus vom Keller bis zum Dach zu durchsuchen. Mehr kann ich wahrhaftig nicht tun. Das einzige, was noch von ihr hier ist, sind ein paar Kleider. Wollen Sie die vielleicht sehen?«

 

Mackenzie folgte ihm die Treppe hinauf zum großen gemeinsamen Schlafzimmer, das nach vorn heraus lag. In einem eingebauten Schrank fand er einen braunen Pelzmantel, drei Kleider und ein halbes Dutzend Paar Schuhe. Diese betrachtete er und entdeckte ein Paar, das noch nicht getragen war. Mackenzie, der die Frauen kannte, zog seine Schlussfolgerungen aus dieser Tatsache.

 

Eine Untersuchung des Gartens und des Grundstücks brachte ihn der Lösung auch nicht näher. Er konnte sich nicht erklären, wie die Frau verschwunden sein mochte.

 

»Was bauen Sie denn da?« fragte Mackenzie und wies auf einen halbvollendeten Betonanbau.

 

Morstels lächelte.

 

»Ich wollte einen Anbau fertigstellen. Darin sollte auch ein Schlafzimmer und ein Bad für meine Frau eingerichtet werden. Dieses Haus war ihr nicht gut genug. Der untere Teil war zu einem Wohnzimmer bestimmt, das sie gleichzeitig als Boudoir benutzen wollte. Ich bin kein vermögender Mann, Mr. Mackenzie, aber ich hätte mein letztes Geld für diese Frau hergegeben! Sie war sehr reich, sie hatte Tausende, aber ich habe davon nichts bekommen. Und ich wollte auch gar nichts davon!«

 

Mackenzie holte tief Atem.

 

»Dann haben Sie allerdings viel Unglück in Ihren Ehen gehabt«, meinte er, und Morstels brummte etwas, das wohl eine Bestätigung sein sollte.

 

•••

 

Nachdenklich reiste Mackenzie nach London zurück, und als er in Scotland Yard ankam, wartete Mona Stretelli bereits in seinem Büro auf ihn.

 

»Ich kann es Ihnen schon ansehen, dass Sie nichts erreicht haben«, sagte sie.

 

»Dann müssen Sie ja eine Gedankenleserin sein«, entgegnete er lächelnd. »Es steht bei mir fest – aber das sage ich Ihnen nur inoffiziell – dass Morstels ein Lügner ist. Er mag ja auch ein Mörder sein, aber das ist noch nicht ganz erwiesen!«

 

»Glauben Sie, dass Sie etwas finden würden, wenn Sie einen Haussuchungsbefehl hätten?«

 

Mackenzie schüttelte den Kopf.

 

»Nein, das glaube ich nicht«, erwiderte er bedauernd. »Dieser Mann ist mehr als ein gewöhnlicher Verbrecher. Wenn er diese unglückliche Frau ermordet haben sollte ...«

 

Er sah, dass sie bleich wurde und schwankte, und eilte zu ihr, um sie zu stützen.

 

»Es ist nichts«, sagte sie, aber ihr Gesicht nahm einen leidenschaftlichen Ausdruck an, und ihre Augen blitzten so, dass er erschrak. »Und ich schwöre Ihnen«, rief sie heftig, »dass dieser Mann nicht entkommen Soll. Er wird für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden ...«

 

Plötzlich brach sie ab, presste die Lippen zusammen und reichte ihm die Hand.

 

»Ich werde Sie nicht wiedersehen.«

 

Mit diesen Worten verabschiedete sie sich von ihm. Am Nachmittag berichtete Mackenzie seinem Chef über den Fall, aber der hatte wenig Hoffnung, die Sache aufzuklären.

 

»Ich fürchte, wir können nichts tun. Natürlich begreife ich, dass die spanische Dame über den Verlust ihrer Schwester sehr aufgeregt ist. Aber häufig verschwinden Personen, besonders wenn sie – der Boheme angehören. Vielleicht taucht sie in kurzer Zeit in Monte Carlo auf.«

 

Mackenzie war nicht der Ansicht.

 

Vierzehn Tage lang sah er Mona Stretelli nicht, aber er las von ihr in der Zeitung. Es waren kostbare Juwelen versteigert worden, die einem Marquis gehörten, und sie hatte einen berühmten Ring mit einer Gemme gekauft, der früher im Besitz von Marie Antoinette gewesen war. In der Zeitung war besonders vermerkt, dass sie zweihundert Pfund dafür gezahlt hatte. In einer illustrierten Zeitschrift erschien sogar eine Abbildung des Ringes, und daraus ging hervor, dass er ein ganz besonderes Aussehen hatte und mit keinem anderen verwechselt werden konnte. Es wurde in den Blättern ausdrücklich erwähnt, dass der Ring eine außergewöhnliche Größe habe und sich wohl kaum als Schmuckstück für eine Frau eigne. Mackenzie wunderte sich, dass Mona Stretelli ihren Schmerz so schnell vergessen hatte und sich mit solchen Dingen tröstete.

 

Aber dann ereignete sich etwas Unvorhergesehenes. Sie kam nach Scotland Yard, ohne sich vorher anzumelden, und suchte Mr. Mackenzie im Büro auf. Er hoffte, dass sie ihm etwas Neues über den Fall mitteilen würde, aber er war entsetzt und sprachlos, als er den Grund ihres Besuches erfuhr.

 

»Mr. Mackenzie«, sagte sie, »ich habe Ihnen gegenüber Mr. Morstels verdächtigt. Das war nicht recht von mir. Mein Argwohn hat sich nicht bestätigt.«

 

Bestürzt sah er sie an.

 

»Haben Sie ihn denn kürzlich gesehen?«

 

Sie nickte, und das Blut stieg ihr in die Wangen.

 

»Ich werde ihn noch diese Woche heiraten«, erwiderte sie mit etwas unsicherer Stimme.

 

Ungläubiges Erstaunen drückte sich in seinen Zügen aus.

 

»Sie wollen ihn heiraten?« fragte er atemlos. »Aber Sie wissen doch, mit wem Sie es zu tun haben ...«

 

»Ich fürchte, dass wir beide ein Vorurteil gegen ihn gefasst haben«, entgegnete sie ruhiger. »Ich täuschte mich jedenfalls. Als ich ihn nachher näher kennenlernte, fand ich, dass er ein liebenswürdiger, faszinierender Charakter ist.«

 

»Das muss wohl der Fall sein«, sagte der Inspektor grimmig. »Aber sind Sie sich auch über das klar, was Sie tun?«

 

Sie nickte.

 

»Ja, ich werde ihn heiraten – wenn seine Scheidung bei Gericht erledigt ist. Ich besuche ihn jetzt für eine Woche. Seine Tante kommt auch, so dass noch eine ältere Dame im Haus ist. Ich sagte Ihnen ja, dass ich Sie nicht wiedersehen würde, und diesmal meine ich es wirklich.«