Das hässliche Entlein

(Hans Christian Andersen)
Inhaltsverzeichnis

Es war herrlich draußen auf dem Lande. Es war Sommer, das Korn stand gelb, der Hafer grün, das Heu war unten auf den grünen Wiesen in Schobern aufgesetzt, und der Storch ging auf seinen langen, rothen Beinen und plapperte ägyptisch, denn diese Sprache hatte er von seiner Frau Mutter gelernt. Rings um die Aecker und Wiesen waren große Wälder, und mitten in den Wäldern tiefe Seen. Ja, es war wirklich herrlich draußen auf dem Lande! Mitten im Sonnenscheine lag dort ein altes Landgut, von tiefen Canälen umgeben, und von der Mauer bis zum Wasser herunter wuchsen große Klettenblätter, die so hoch waren, daß kleine Kinder unter den höchsten aufrecht stehen konnten; es war eben so wild darin, wie im tiefsten Walde. Hier saß auf ihrem Neste eine Ente, welche ihre Jungen ausbrüten mußte; aber es wurde ihr fast zu langweilig, ehe die Jungen kamen; dazu erhielt sie selten Besuch; die andern Enten schwammen lieber in den Canälen umher, als daß sie hinauf liefen, sich unter ein Klettenblatt zu setzen, um mit ihr zu schnattern.

Endlich platzte ein Ei nach dem andern: »Piep! piep!« sagte es, und alle Eidotter waren lebendig geworden und steckten den Kopf heraus.

»Rapp! rapp!« sagte sie; und so rappelten sich Alle, was sie konnten, und sahen nach allen Seiten unter den grünen Blättern; und die Mutter ließ sie sehen, so viel sie wollten, denn das Grüne ist gut für die Augen. »Wie groß ist doch die Welt!« sagten alle Jungen; denn nun hatten sie freilich viel mehr Platz, als wie im Ei.

»Glaubt Ihr, daß dies die ganze Welt sei?« sagte die Mutter; »die erstreckt sich noch weit über die andere Seite des Gartens, gerade hinein in des Pfarrers Feld; aber da bin ich noch nie gewesen!« – »Ihr seid doch Alle beisammen?« fuhr sie fort und stand auf. »Nein, ich habe nicht alle; das größte Ei liegt noch da; wie lange soll denn das dauern! Jetzt bin ich es bald überdrüßig!« und so setzte sie sich wieder.

»Nun, wie geht es?« sagte eine alte Ente, welche gekommen war, um ihr einen Besuch abzustatten.

»Es währt recht lange mit dem einen Ei!« sagte die Ente, die da saß; »es will nicht platzen; doch sieh nur die andern an: sind es nicht die niedlichsten Entlein, die man je gesehen? Sie gleichen allesammt ihrem Vater; der Bösewicht kommt nicht, mich zu besuchen.«

»Laß mich das Ei sehen, welches nicht platzen will!« sagte die Alte. »Glaube mir, es ist ein Kalkutten-Ei! Ich bin auch einmal so angeführt worden und hatte meine große Sorge und Noth mit den Jungen, denn ihnen ist bange vor dem Wasser! Ich konnte sie nicht hineinbringen; ich rappte und schnappte, aber es half nichts. – Laß mich das Ei sehen! Ja, das ist ein Kalkutten-Ei! Laß das liegen und lehre lieber die andern Kinder schwimmen!«

»Ich will doch noch ein Bischen darauf sitzen,« sagte die Ente; »habe ich nun so lange gesessen, so kann ich auch noch einige Tage sitzen.«

»Nach Belieben,« sagte die alte Ente und ging von dannen.

Endlich platzte das große Ei. »Piep! piep!« sagte das Junge und kroch heraus. Es war sehr groß und häßlich! Die Ente betrachtete es: »Es ist doch ein gewaltig großes Entlein das,« sagte sie; »keins von den andern sieht so aus; sollte es wohl ein kalkuttisches Küchlein sein? Nun wir wollen bald dahinter kommen; in das Wasser muß es, sollte ich es auch selbst hineinstoßen.«

Am nächsten Tage war schönes, herrliches Wetter; die Sonne schien auf alle grünen Kletten. Die Entleinmutter ging mit ihrer ganzen Familie zu dem Canale hinunter. Platsch! da sprang sie in das Wasser. »Rapp! rapp!« sagte sie, und ein Entlein nach dem andern plumpte hinein; das Wasser schlug ihnen über dem Kopfe zusammen, aber sie kamen gleich wieder empor und schwammen ganz prächtig; die Beine gingen von selbst, und alle waren sie im Wasser; selbst das häßliche, graue Junge schwamm mit. »Nein, es ist kein Kalkutt,« sagte sie; »sieh, wie herrlich es die Beine gebraucht, wie gerade es sich hält; es ist mein eigenes Kind! Im Grunde ist es doch hübsch, wenn man es nur recht betrachtet. Rapp! rapp! – Kommt nur mit mir, ich werde Euch in die große Welt führen, Euch im Entenhofe präsentiren; aber haltet Euch immer nahe zu mir, damit Euch Niemand trete und nehmt Euch vor den Katzen in Acht!«

Und so kamen sie in den Entenhof hinein. Drinnen war ein schrecklicher Lärm, denn da waren zwei Familien, die sich um einen Aalkopf bissen, und am Ende bekam ihn doch die Katze.

»Seht, so geht es in der Welt zu!« sagte die Entleinmutter und wetzte ihren Schnabel, denn sie wollte auch den Aalkopf haben. »Braucht nun die Beine!« sagte sie; »seht, daß Ihr Euch rappeln könnt, und neigt Euern Hals vor der alten Ente dort; die ist die vornehmste von allen hier; sie ist aus spanischem Geblüt, deshalb ist sie so dick, und seht Ihr: sie hat einen rothen Lappen um das Bein; das ist etwas außerordentlich Schönes und die größte Auszeichnung, welche einer Ente zu Theil werden kann; das bedeutet so viel, daß man sie nicht verlieren will und daß sie von Thier und Menschen erkannt werden soll! – Rappelt Euch! – setzt die Füße nicht einwärts: ein wohlerzogenes Entlein setzt die Füße weit auswärts, gerade wie Vater und Mutter; seht: so! Nun neigt Euern Hals und sagt: Rapp!«

Und das thaten sie; aber die andern Enten rings umher betrachteten sie und sagten ganz laut: »Siehe da! Nun sollen wir noch den Anhang haben; als ob wir nicht schon so genug wären! Und pfui! wie das eine Entlein aussieht, das wollen wir nicht dulden!« – Und sogleich flog eine Ente hin und biß es in den Nacken.

»Laß es gehen!« sagte die Mutter; »es thut ja Niemandem etwas.«

»Ja, aber es ist zu groß und ungewöhnlich,« sagte die beißende Ente, »und deshalb muß es gepufft werden.«

»Es sind hübsche Kinder, welche die Mutter hat,« sagte die alte Ente mit dem Lappen um das Bein, »alle schön, bis auf das eine; das ist nicht geglückt; ich möchte, daß sie es umarbeitete.«

»Das geht nicht, Ihro Gnaden,« sagte die Entleinmutter; »es ist nicht hübsch, aber es hat ein innerlich gutes Gemüth und schwimmt so herrlich wie jedes andere, ja, ich darf sagen, noch etwas besser; ich denke, es wird hübsch heranwachsen und mit der Zeit etwas kleiner werden; es hat zu lange in dem Ei gelegen und deshalb nicht die rechte Gestalt bekommen!« Und so zupfte sie es im Nacken und glättete das Gefieder. »Es ist überdies ein Entrich,« sagte sie; »und darum macht es nicht so viel aus. Ich denke, er wird gute Kräfte bekommen; er schlägt sich schon durch.«

»Die andern Entlein sind niedlich,« sagte die Alte; »thut nun, als ob Ihr zu Hause wäret, und findet Ihr einen Aalkopf, so könnt Ihr mir ihn bringen.«

Und nun waren sie zu Hause.

Aber das arme Entlein, welches zuletzt aus dem Ei gekrochen war und so häßlich aussah, wurde gebissen, gestoßen und zum Besten gehabt, und das sowohl von den Enten, wie von den Hühnern. »Es ist zu groß!« sagten Alle, und der kalkuttische Hahn, welcher mit Sporen zur Welt gekommen war und deshalb glaubte, daß er Kaiser sei, blies sich auf wie ein Fahrzeug mit vollen Segeln und ging auf dasselbe los; dann kollerte er und wurde ganz roth am Kopfe. Das arme Entlein wußte nicht, wo es stehen oder gehen sollte; es war betrübt, weil es häßlich aussah und vom ganzen Entenhofe verspottet wurde.

So ging es den ersten Tag, und später wurde es schlimmer und schlimmer. Das arme Entlein wurde von Allen gejagt: selbst seine Schwestern waren böse gegen dasselbe und sagten immer: »Wenn die Katze Dich nur fangen möchte, Du häßliches Geschöpf!« Und die Mutter sagte: »Wenn Du nur weit fort wärst!« Die Enten bissen es, und die Hühner schlugen es, und das Mädchen, welches die Thiere füttern sollte, stieß mit den Füßen nach ihm.

Da lief es und flog über den Zaun; die kleinen Vögel in den Büschen flogen erschrocken auf. »Das geschieht, weil ich so häßlich bin,« dachte das Entlein und schloß die Augen, lief aber gleichwohl weiter; so kam es hinaus zu dem großen Moor, wo die wilden Enten wohnten. Hier lag es die ganze Nacht; es war müde und kummervoll.

Gegen Morgen flogen die wilden Enten auf und betrachteten den neuen Kameraden. »Was bist Du für Einer?« fragten sie; und das Entlein wendete sich nach allen Seiten und grüßte, so gut es konnte.

»Du bist außerordentlich häßlich!« sagten die wilden Enten; »aber das kann uns gleich sein, wenn Du nur nicht in unsere Familie hinein heirathest.« – Das Arme! Es dachte wahrlich nicht daran, sich zu verheirathen, wenn es nur die Erlaubniß erhalten konnte, im Schilfe zu liegen und etwas Moorwasser zu trinken.

So lag es zwei ganze Tage; da kamen zwei wilde Gänse oder richtiger wilde Gänseriche dorthin; es war noch nicht lange her, daß sie aus dem Ei gekrochen waren, und deshalb waren sie auch so keck.

»Höre, Kamerad!« sagten sie; »Du bist so häßlich, daß wir Dich gut leiden können; willst Du mitziehen und Zugvogel werden? Hier nahebei in einem andern Moor gibt es einige süße, liebliche, wilde Gänse, sämmtlich Fräulein, die alle »Rapp!« sagen können. Du bist im Stande Dein Glück dort zu machen, so häßlich Du auch bist!« –

»Piff! Paff!« ertönte es eben, und beide wilden Gänseriche fielen todt in das Schilf nieder, und das Wasser wurde blutroth. – »Piff! Paff!« erscholl es wieder, und ganze Schaaren wilder Gänse flogen aus dem Schilfe auf. Und dann knallte es abermals. Es war große Jagd; die Jäger lagen rings um das Moos herum; ja, einige saßen oben in den Baumzweigen, welche sich weit über das Schilfrohr hinstreckten. Der blaue Dampf zog gleich Wolken in die dunkeln Bäume hinein und weit über das Wasser hin; zum Moore kamen die Jagdhunde: Platsch, Platsch; das Schilf und das Rohr neigte sich nach allen Seiten. Das war ein Schreck für das arme Entlein! Es wendete den Kopf, um ihn unter den Flügel zu stecken, aber in demselben Augenblicke stand ein fürchterlich großer Hund dicht bei dem Entlein; die Junge hing ihm lang aus dem Halse heraus, und die Augen leuchteten greulich, häßlich; er streckte seine Schnauze den Entlein gerade entgegen, zeigte ihm die scharfen Zähne und – – Platsch, Platsch! ging er wieder, ohne es zu packen.

»O, Gott sei Dank!« seufzte das Entlein; »ich bin so häßlich, daß mich selbst der Hund nicht beißen mag!«

Und so lag es still, während die Schrote durch das Schilf sausten und Schuß auf Schuß knallte.

Erst spät am Tage wurde es ruhig: aber das arme Junge wagte noch nicht, sich zu erheben; es wartete noch mehrere Stunden, bevor es sich umsah, und dann eilte es fort aus dem Moore, so schnell es konnte. Es lief über Feld und Wiese: da tobte ein solcher Sturm, daß es ihm schwer wurde, von der Stelle zu kommen.

Gegen Abend erreichte es eine kleine, armselige Bauernhütte; die war so baufällig, daß sie selbst nicht wußte, nach welcher Seite sie fallen sollte; und darum blieb sie stehen. Der Sturm umsauste das Entlein so, daß es sich niedersetzen mußte, um sich dagegen zu stemmen, und es wurde schlimmer und schlimmer. Da bemerkte es, daß die Thüre aus dem einen Angel gegangen war, und so schief hing, daß es durch die Spalte in die Stube hineinschlüpfen konnte, und das that es.

Hier wohnte eine Frau mit ihrem Kater und ihrer Henne. Und der Kater, welchen sie Söhnchen nannte, konnte einen Buckel machen und schnurren; er sprühte sogar Funken, aber dann mußte man ihn gegen das Haar streicheln. Die Henne hatte ganz kleine, niedrige Beine, und deshalb wurde sie Küchelchen-Kurzbein genannt; sie legte gute Eier, und die Frau liebte sie wie ihr Kind.

Am Morgen bemerkte man sogleich das fremde Entlein; und der Kater begann zu schnurren und die Henne zu glucken.

»Was ist das?« sagte die Frau und sah sich ringsum; aber sie sah nicht gut, und so glaubte sie, daß das Entlein eine fette Ente sei, die sich verirrt habe. »Das ist ja ein seltener Fang!« sagte sie. »Nun kann ich Enteneier bekommen. Wenn es nur kein Entrich ist! Das müssen wir erproben.«

Und so wurde das Entlein für drei Wochen auf Probe angenommen; aber es kamen keine Eier. Und der Kater war Herr im Hause, und die Henne war die Dame, und immer sagte sie: »Wir und die Welt!« Denn sie glaubte, daß sie die Hälfte seien, und zwar die bei Weitem beste Hälfte. Das Entlein glaubte, daß man auch eine andere Meinung haben könne; aber das litt die Henne nicht.

»Kannst Du Eier legen?« fragte sie.

»Nein!«

»Nun, da wirst Du die Güte haben zu schweigen!«

Und der Kater sagte: »Kannst du einen krummen Buckel machen, schnurren und Funken sprühen?«

»Nein!«

»So darfst Du auch keine Meinung haben, wenn vernünftige Leute sprechen!«

Und das Entlein saß im Winkel und war bei schlechter Laune; da fiel die frische Luft und der Sonnenschein herein; es bekam solche sonderbare Lust, auf dem Wasser zu schwimmen, daß es nicht unterlassen konnte, dies der Henne zu sagen.

»Was fällt Dir ein?« fragte die. »Du hast nichts zu thun, deshalb fängst Du Grillen! Lege Eier oder schnurre, so gehen sie vorüber.«

»Aber es ist so schön, auf dem Wasser zu schwimmen!« sagte das Entlein; »so herrlich, es über dem Kopfe zusammenschlagen zu lassen und auf den Grund zu tauchen!«

»Ja, das ist ein großes Vergnügen!« sagte die Henne. »Du bist wohl verrückt geworden! Frage den Kater darnach – er ist das klügste Geschöpf, das ich kenne – ob er es liebt, auf dem Wasser zu schwimmen oder unterzutauchen? Ich will nicht von mir sprechen. – Frage selbst unsere Herrschaft, die alte Frau; klüger als sie ist Niemand auf der Welt! Glaubst Du, daß die Lust hat, zu schwimmen und das Wasser über dem, Kopfe zusammenschlagen zu lassen?«

»Ihr versteht mich nicht!« sagte das Entlein.

»Wir verstehen Dich nicht? Wer soll Dich denn verstehen können! Du wirst doch wohl nicht klüger sein wollen, als der Kater und die Frau; – von mir will ich nicht reden! Bilde Dir nichts ein, Kind! und danke Deinem Schöpfer für all' das Gute, was man Dir erwiesen! Bist Du nicht in eine warme Stube gekommen und hast Du nicht eine Gesellschaft, von der Du Etwas profitiren kannst? Aber Du bist ein Schwätzer und es ist nicht erfreulich, mit Dir umzugehen! Mir kannst Du glauben! Ich meine es gut mit Dir. Ich sage Dir Unannehmlichkeiten, und daran kann man seine wahren Freunde erkennen! Sieh nur zu, daß Du Eier legst oder schnurren und Funken sprühen lernst!«

»Ich glaube, ich gehe hinaus in die weite Welt!« sagte das Entlein

»Ja, thue das!« sagte die Henne.

Und das Entlein ging; es schwamm auf dem Wasser, es tauchte unter, aber von allen Thieren wurde es wegen seiner Häßlichkeit übersehen.

Nun trat der Herbst ein; die Blätter im Walde wurden gelb und braun; der Wind faßte sie, sodaß sie umher tanzten; und oben in der Luft war es sehr kalt; die Wolken hingen schwer von Hagel und Schneeflocken; und auf dem Zaune stand der Rabe und schrie: »Au! Au!« vor Kälte; ja, es fror Einen schon, wenn man nur daran dachte. Das arme Entlein hatte es wahrlich nicht gut! Eines Abends – die Sonne ging so schön unter! – kam ein Schwarm herrlicher, großer Vögel aus dem Busche; das Entlein hatte nie so schöne gesehen; sie waren blendend weiß, mit langen, geschmeidigen Hälsen: es waren Schwäne. Sie stießen einen eigenthümlichen Ton aus, breiteten ihre prächtigen, langen Flügel aus und flogen aus der kalten Gegend fort nach wärmeren Ländern, nach offenen Seen! Sie stiegen so hoch, so hoch, und dem häßlichen, jungen Entlein wurde gar sonderbar zu Muthe. Es drehte sich im Wasser, wie ein Rad, rund herum, streckte den Hals hoch in die Luft nach ihnen und stieß einen so lauten und sonderbaren Schrei aus, daß es sich selbst davor fürchtete. O, es konnte die schönen, glücklichen Vögel nicht vergessen; und sobald es sie nicht mehr erblickte, tauchte es unter bis auf den Grund; und als es wieder heraufkam, war es wie außer sich. Es wußte nicht, wie die Vögel hießen, auch nicht, wohin sie flögen; aber doch war es ihnen gut, wie es nie Jemandem gewesen. Es beneidete sie durchaus nicht. Wie konnte es ihm einfallen, sich solche Lieblichkeit zu wünschen? Es wäre schon froh gewesen, wenn die Enten es nur unter sich geduldet hätten – das arme, häßliche Thier!

Der Winter wurde kalt, sehr kalt! Das Entlein mußte im Wasser umherschwimmen, um das völlige Zufrieren desselben zu verhindern; aber in jeder Nacht wurde das Loch, in dem es schwamm, kleiner und kleiner. Es fror so, daß es in der Eisdecke knackte; das Entlein mußte fortwährend die Beine gebrauchen, damit das Loch sich nicht schloß. Zuletzt wurde es matt, lag ganz stille und fror so im Eise fest.

Des Morgens früh kam ein Bauer; da er dies sah, ging er hin, schlug mit seinem Holzschuh das Eis in Stücke und trug das Entlein heim zu seiner Frau. Da kam es wieder zu sich.

Die Kinder wollten mit ihm spielen; aber das Entlein glaubte, sie wollten ihm etwas zu Leide thun, und fuhr in der Angst gerade in den Milchnapf hinein, sodaß die Milch in die Stube spritzte. Die Frau schlug die Hände zusammen, worauf es in das Butterfaß, dann hinunter in die Mehltonne und wieder heraus flog. Wie sah es da aus! Die Frau schrie und schlug mit der Feuerzange danach; die Kinder rannten einander über den Haufen, um das Entlein zu fangen; sie lachten und schrieen! – Gut war es, daß die Thür aufstand und es zwischen die Reiser in den frischgefallenen Schnee schlüpfen konnte; – da lag es ganz ermattet.

Aber all' die Noth und das Elend, welche das Entlein in dem harten Winter erdulden mußte, zu erzählen, würde zu trübe sein. – – Es lag im Moore zwischen dem Schilfe, als die Sonne wieder warm zu scheinen begann. Die Lerchen sangen; es war herrlicher Frühling.

Da konnte auf einmal das Entlein seine Flügel schwingen; sie brausten stärker, als früher und trugen es kräftig davon; und ehe es dasselbe recht wußte, befand es sich in einem großen Garten, wo der Flieder duftete und seine langen, grünen Zweige bis zu den geschlängelten Canälen hinunter neigte. O, hier war es so schön, so frühlingsfrisch! Und vorn aus dem Dickichte kamen drei prächtige, weiße Schwäne; sie brausten mit den Federn und schwammen leicht auf dem Wasser. Das Entlein kannte die prächtigen Thiere und wurde von einer eigenthümlichen Traurigkeit befangen.

»Ich will zu ihnen hinfliegen, zu den königlichen Vögeln! Und sie werden mich todtschlagen, weil ich, der ich so häßlich bin, mich ihnen zu nähern wage. Aber das ist Einerlei! Besser, von ihnen getödtet, als von den Enten gezwackt, von den Hühnern geschlagen, von dem Mädchen, welches den Hühnerhof hütet, gestoßen zu werden und im Winter Mangel zu leiden!« Und es flog hinaus in das Wasser und schwamm den prächtigen Schwänen entgegen; diese erblickten es und schossen mit brausenden Federn auf dasselbe los. »Tödtet mich nur!« sagte das arme Thier, neigte seinen Kopf der Wasserfläche zu und erwartete den Tod. – Aber was erblickte es in dem klaren Wasser? Es sah sein eigenes Bild unter sich, das kein plumper, schwarzgrauer Vogel mehr, häßlich und garstig, sondern selbst ein Schwan war.

Es schadet nichts, in einem Entenhofe geboren zu sein, wenn man nur in einem Schwanenei gelegen hat!

Es fühlte sich erfreut über all' die Noth und das Drangsal, welche es erduldet. Nun erkannte es erst recht sein Glück an der Herrlichkeit, die es begrüßte. – Und die großen Schwäne umschwammen es und streichelten es mit, den Schnäbeln.

In den Garten kamen einige kleine Kinder, die warfen Brot und Korn in das Wasser: und das kleinste rief: »Da ist ein neuer!« Und die andern Kinder jubelten mit: »Ja es ist ein neuer angekommen!« Und sie klatschten mit den Händen und tanzten umher, liefen zu dem Vater und der Mutter, und es wurde Brot und Kuchen in das Wasser geworfen, und sie sagten Alle: »Der neue ist der schönste! So jung und prächtig!« Und die alten Schwäne neigten sich vor ihm.

Da fühlte er sich ganz beschämt und steckte den Kopf unter seine Flügel; er wußte selbst nicht, was er beginnen sollte; er war allzuglücklich, aber durchaus nicht stolz! Er dachte daran, wie er verfolgt und verhöhnt worden war, und hörte nun Alle sagen, daß er der schönste aller schönen Vögel sei. Selbst der Flieder bog sich mit den Zweigen zu ihm in das Wasser hinunter, und die Sonne schien warm und mild! Da brausten seine Federn; der schlanke Hals hob sich, und aus vollem Herzen jubelte er: »So viel Glück habe ich mir nicht träumen lassen, als ich noch das häßliche Entlein war!«

Die Prinzessin auf der Erbse

(Hans Christian Andersen)
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Es war einmal ein Prinz, der wollte eine Prinzessin heirathen; aber es sollte eine wirkliche Prinzessin sein. Da reiste er in der ganzen Welt umher, um eine solche zu finden, aber überall stand dem etwas entgegen. Prinzessinnen gab es genug, aber ob es wirkliche Prinzessinnen waren, konnte er nicht herausbringen. Immer gab es etwas, was nicht in der Ordnung war. Da kam er denn wieder nach Hause und war traurig, denn er wollte doch gar zu gern eine wirkliche Prinzessin haben.

Eines Abends zog ein schreckliches Gewitter auf; es blitzte und donnerte, der Regen strömte herunter, es war entsetzlich! Da klopfte es an das Stadtthor, und der alte König ging hin, um aufzumachen.

Es war eine Prinzessin, die draußen vor dem Thore stand. Aber, o Gott! wie sah die von dem Regen und dem bösen Wetter aus! Das Wasser lief ihr von dem Haare und den Kleidern herunter; es lief in die Schnäbel der Schuhe hinein und an den Hacken wieder heraus. Und doch sagte sie, daß sie eine wirkliche Prinzessin sei.

»Ja, das werden wir schon erfahren!« dachte die alte Königin. Aber sie sagte nichts, ging in die Schlafkammer hinein, nahm alle Betten ab und legte eine Erbse auf den Boden der Bettstelle, darauf nahm sie zwanzig Matratzen und legte sie auf die Erbse, und dann noch zwanzig Eiderdunenbetten auf die Matratzen.

Darauf mußte nun die Prinzessin die ganze Nacht liegen. Am Morgen würde sie gefragt, wie sie geschlafen habe.

»O, schrecklich schlecht!« sagte die Prinzessin. »Ich habe meine Augen fast die ganze Nacht nicht geschlossen! Gott weiß, was da im Bette gewesen ist! Ich habe auf etwas Hartem gelegen, so daß ich ganz braun und blau über meinen ganzen Körper bin! Es ist entsetzlich!«

Nun sahen sie ein, daß sie eine wirkliche Prinzessin war, weil sie durch die zwanzig Matratzen und die zwanzig Eiderdunenbetten hindurch die Erbse verspürt hatte. So empfindlich konnte Niemand sein, als eine wirkliche Prinzessin.

Da nahm der Prinz sie zur Frau, denn nun wußte er, daß er eine wirkliche Prinzessin besitze; und die Erbse kam auf die Kunstkammer, wo sie noch zu sehen ist, wenn Niemand sie gestohlen hat.

Sieh, das ist eine wahre Geschichte.

Des Kaisers neue Kleider

(Hans Christian Andersen)
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Vor vielen Jahren lebte ein Kaiser, der so ungeheuer viel auf neue Kleider hielt, daß er all sein Geld dafür ausgab, um recht geputzt zu sein. Er kümmerte sich nicht um seine Soldaten, kümmerte sich nicht um das Theater und liebte es nur, spazieren zu fahren, um seine neuen Kleider zu zeigen. Er hatte einen Rock für jede Stunde des Tages, und eben so, wie man von einem Könige sagt, er ist im Rathe, sagte man hier immer: »Der Kaiser ist in der Garderobe!«

In der großen Stadt, in welcher er wohnte, ging es sehr munter zu; an jedem Tage trafen viele Fremde daselbst ein. Eines Tages kamen auch zwei Betrüger an; sie gaben sich für Weber aus und sagten, daß sie das schönste Zeug, das man sich denken könne, zu weben verstanden. Die Farben und das Muster wären nicht allein ungewöhnlich schön, sondern die Kleider, die von dem Zeuge genäht würden, besäßen die wunderbare Eigenschaft, daß sie für jeden Menschen unsichtbar wären, der nicht für sein Amt tauge oder der unverzeihlich dumm sei.

»Das wären ja prächtige Kleider,« dachte der Kaiser; »wenn ich die anhätte, könnte ich ja dahinter kommen, welche Männer in meinem Reiche zu dem Amte, das sie haben, nicht taugen; ich könnte die Klugen von den Dummen unterscheiden! Ja, das Zeug muß sogleich für mich gewebt werden!« Und er gab den beiden Betrügern viel Handgeld, damit sie ihre Arbeit beginnen möchten.

Sie stellten auch zwei Webstühle auf und thaten, als ob sie arbeiteten; aber sie hatten nicht das Geringste auf dem Stuhle. Frischweg verlangten sie die feinste Seide und das prächtigste Gold, das steckten sie in ihre eigenen Taschen und arbeiteten an den leeren Stühlen bis spät in die Nacht hinein.

»Ich möchte doch wohl wissen, wie weit sie mit dem Zeuge sind!« dachte der Kaiser. Aber es war ihm ordentlich beklommen zu Muthe, wenn er daran dachte, daß Derjenige, welcher dumm sei oder nicht zu seinem Amte tauge, es nicht sehen könne. Nun glaubte er zwar, daß er für sich selbst nichts zu fürchten habe, aber er wollte doch erst einen Andern senden, um zu sehen, wie es damit stände. Alle Menschen in der ganzen Stadt wußten, welche besondere Kraft das Zeug habe, und Alle waren begierig, zu sehen, wie schlecht oder dumm ihr Nachbar sei.

»Ich will meinen alten, ehrlichen Minister zu den Webern senden!« dachte der Kaiser. »Er kann am Besten beurtheilen, wie das Zeug sich ausnimmt, denn er hat Verstand, und Keiner versteht sein Amt besser, als er!« –

Nun ging der alte, gute Minister in den Saal hinein, wo die zwei Betrüger saßen und an den leeren Webstühlen arbeiteten. »Gott behüte uns!« dachte der alte Minister und riß die Augen auf; »ich kann ja nichts erblicken!« Aber das sagte er nicht.

Beide Betrüger baten ihn, gefälligst näher zu treten, und fragten, ob es nicht ein hübsches Muster und schöne Farben seien. Dann zeigten sie auf den leeren Webstuhl, und der arme, alte Minister fuhr fort, die Augen aufzureißen; aber er konnte nichts sehen, denn es war nichts da. »Herr Gott!« dachte er, »sollte ich dumm sein? Das habe ich nie geglaubt, und das darf kein Mensch wissen! Sollte ich nicht zu meinem Amte taugen? Nein, es geht nicht an, daß ich erzähle, ich könnte das Zeug nicht sehen!«

»Nun Sie sagen nichts dazu?« fragte der Eine, der da webte.

»O, es ist niedlich, ganz allerliebst!« antwortete der alte Minister und sah durch seine Brille. »Dieses Muster und diese Farben! – Ja, ich werde dem Kaiser sagen, daß es mir sehr gefällt.«

»Nun, das freut uns!« sagten beide Weber, und darauf nannten sie die Farben mit Namen und erklärten das seltsame Muster. Der alte Minister paßte gut auf, damit er dasselbe sagen könnte, wenn er zum Kaiser zurückkäme, und das that er.

Jetzt verlangten die Betrüger mehr Geld, mehr Seide und mehr Gold, das sie zum Weben gebrauchen wollten. Sie steckten Alles in ihre eigenen Taschen, auf den Webstuhl kam kein Faden, aber sie fuhren fort, wie bisher, an dem leeren Webstuhle zu arbeiten.

Der Kaiser sendete bald wieder einen andern ehrlichen Staatsmann hin, um zu sehen, wie es mit dem Weben stände und ob das Zeug bald fertig sei; es ging ihm gerade, wie dem Ersten; er sah und sah, weil aber außer dem leeren Webstuhle nichts da war, so konnte er nichts sehen.

»Ist das nicht ein hübsches Stück Zeug?« fragten die beiden Betrüger und zeigten und erklärten das prächtige Muster, welches gar nicht da war.

»Dumm bin ich nicht!« dachte der Mann; »es ist also mein gutes Amt, zu dem ich nicht tauge. Es ist komisch genug, aber das muß man sich nicht merken lassen!« und so lobte er das Zeug, welches er nicht sah, und versicherte ihnen seine Freude über die schönen Farben und das herrliche Muster. »Ja, es ist ganz allerliebst!« sagte er zum Kaiser.

Alle Menschen in der Stadt sprachen von dem prächtigen Zeuge.

Nun wollte der Kaiser es selbst sehen, während es noch auf dem Webstuhle sei. Mit einer ganzen Schaar auserwählter Männer, unter denen auch die beiden ehrlichen Staatsmänner waren, die schon früher dort gewesen, ging er zu den beiden listigen Betrügern hin, die nun aus allen Kräften webten, aber ohne Faser und Faden.

»Ist das nicht prächtig?« sagten die beiden alten Staatsmänner, die schon einmal da gewesen waren. »Sehen Ew. Majestät, welches Muster, welche Farben!« Und dann zeigten sie auf den leeren Webstuhl, denn sie glaubten, daß die Andern das Zeug wohl sehen könnten.

»Was!« dachte der Kaiser, »ich sehe gar nichts! Das ist ja schrecklich! Bin ich dumm? Tauge ich nicht dazu, Kaiser zu sein? Das wäre das Schrecklichste, was mir begegnen könnte.« – »O, es ist sehr hübsch!« sagte er. »Es hat meinen allerhöchsten Beifall!« Und er nickte zufrieden und betrachtete den leeren Webstuhl, denn er wollte nicht sagen, daß er nichts sehen könne. Das ganze Gefolge, das er bei sich hatte, sah und sah und bekam nicht mehr heraus, als alle die Andern; aber sie sagten, wie der Kaiser: »O, das ist hübsch!« Und sie riethen ihm, diese neuen, prächtigen Kleider das erste Mal bei der großen Processton, die bevorstand, zu tragen. »Es ist herrlich, niedlich, excellent!« ging es von Mund zu Mund; man schien allerseits innig erfreut darüber, und der Kaiser verlieh den Betrügern den Titel: Kaiserliche Hofweber.

Die ganze Nacht vor dem Morgen, an dem die Procession stattfinden sollte, waren die Betrüger auf und hatten über sechzehn Lichter angezündet. Die Leute konnten sehen, daß sie stark beschäftigt waren, des Kaisers neue Kleider fertig zu machen. Sie thaten, als ob sie das Zeug von dem Webstuhle nähmen, sie schnitten mit großen Scheeren in die Luft, sie nähten mit Nähnadeln ohne Faden und sagten zuletzt: »Nun sind die Kleider fertig!«

Der Kaiser kam mit seinen vornehmsten Cavalieren selbst dahin, und beide Betrüger hoben den einen Arm in die Höhe, gerade als ob sie Etwas hielten und sagten: »Seht, hier sind die Beinkleider! Hier ist der Rock! Hier der Mantel!« und so weiter. »Es ist so leicht wie Spinngewebe; man sollte glauben, man habe nichts auf dem Leibe; aber das ist gerade die Schönheit davon!«

»Ja!« sagten alle Cavaliere; aber sie konnten nichts sehen; denn es war nichts da.

»Belieben Ew. kaiserliche Majestät jetzt ihre Kleider allergnädigst auszuziehen,« sagten die Betrüger, »so wollen wir Ihnen die neuen anziehen, hier vor dem großen Spiegel!«

Der Kaiser legte alle seine Kleider ab, und die Betrüger stellten sich, als ob sie ihm jedes Stück der neuen Kleider anzögen, welche fertig wären; und der Kaiser wendete sich und drehte sich vor dem Spiegel.

»Ei, wie gut sie kleiden! Wie herrlich sie sitzen!« sagten Alle. »Welches Muster, welche Farben! Das ist eine köstliche Tracht!«

»Draußen stehen sie mit dem Thronhimmel, welcher über Ew. Majestät in der Procession getragen werden soll,« meldete der Oberceremonienmeister.

»Seht, ich bin fertig!« sagte der Kaiser. »Sitzt es nicht gut?« Und dann wendete er sich nochmals zu dem Spiegel, denn es sollte scheinen, als ob er seinen Schmuck recht betrachte.

Die Kammerherren, welche die Schleppe tragen sollten, griffen mit den Händen nach dem Fußboden, gerade als ob sie die Schleppe aufhöben; sie gingen und thaten, wie wenn sie Etwas in der Luft hielten; sie wagten nicht, es sich merken zu lassen, daß sie nichts sehen konnten.

So ging der Kaiser in Procession unter dem prächtigen Thronhimmel, und alle Menschen auf der Straße und in den Fenstern sprachen: »Gott, wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich; welche Schleppe der am Kleide hat, wie schön das sitzt!« Keiner wollte es sich merken lassen, daß er nichts sehe, denn dann hätte er ja nicht zu seinem Amte getaugt oder wäre sehr dumm gewesen. Keine Kleider des Kaisers hatten solches Glück gemacht, wie diese.

»Aber er hat ja nichts an!« sagte endlich ein kleines Kind. »Herr Gott, hört des Unschuldigen Stimme!« sagte der Vater; und der Eine zischelte dem Andern zu, was das Kind gesagt hatte.

»Aber er hat ja nichts an!« rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn es schien ihm, als hatten sie Recht; aber er dachte bei sich: »Nun muß ich die Procession aushalten.« Und die Kammerherren gingen noch straffer und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.

Die wilden Schwäne

(Hans Christian Andersen)
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Weit von hier, dort wohin die Schwalben fliegen, wenn wir Winter haben, wohnte ein König, der eilf Sohne und eine Tochter Elisa hatte.

Die eilf Brüder waren Prinzen und gingen mit dem Stern auf der Brust und dem Säbel an der Seite in die Schule. Sie schrieben mit Diamantgriffeln auf Goldtafeln und lernten ebenso auswendig, wie sie lasen; man konnte gleich hören, daß sie Prinzen waren. Die Schwester Elisa saß auf einem kleinen Schemel von Spiegelglas und hatte ein Bilderbuch, welches für das halbe Königreich erkauft war.

O, die Kinder hatten es außerordentlich gut; aber so sollte es nicht immer bleiben!

Ihr Vater, welcher König über das ganze Land war, verheirathete sich mit einer bösen Königin, die die armen Kinder gar nicht liebte. Schon am ersten Tage konnten sie es merken. Auf dem Schlosse war große Pracht, und da spielten die Kinder: »Es kommt Besuch«; aber statt daß sie, wie sonst, alle Kuchen und alle gebratenen Aepfel erhielten, die nur zu haben waren, gab sie ihnen blos Sand in einer Theetasse und sagte, sie könnten thun, als ob Dies etwas wäre.

Die Woche darauf brachte sie die kleine Schwester Elisa auf das Land zu einem Bauernpaare, und lange währte es nicht, da log sie dem König so viel von den armen Prinzen vor, daß er sich gar nicht mehr um sie kümmerte. –

»Fliegt hinaus in die Welt und ernährt Euch selbst,« sagte die böse Königin. »Fliegt, wie die großen Vögel ohne Stimme!« Aber sie konnte es doch nicht so schlimm machen, wie sie gern wollte; sie wurden eilf herrliche wilde Schwäne. Mit einem sonderbaren Schrei flogen sie aus den Schloßfenstern, weit über den Park in den Wald hinein.

Es war noch früh am Morgen, als sie da vorbeikamen, wo die Schwester Elisa in der Stube des Landmanns lag und schlief. Hier schwebten sie über dem Dache, drehten ihre langen Hälse und schlugen dann mit den Flügeln; aber Niemand hörte oder sah es. Sie mußten wieder weiter, hoch gegen die Wolken empor, hinaus in die weite Welt; da flogen sie nach einem großen, dunklen Walde, der sich bis an den Strand erstreckte.

Die arme, kleine Elisa stand in der Stube des Landmannes und spielte mit einem grünen Blatte; anderes Spielzeug hatte sie nicht. Sie stach ein Loch in das Blatt, sah hindurch und gegen die Sonne empor, da war es, als sähe sie ihrer Brüder klare Augen; jedesmal, wenn die warmen Sonnenstrahlen auf ihre Wangen schienen, gedachte sie aller ihrer Küsse.

Ein Tag verging eben so, wie der andere. Strich der Wind durch die großen Rosenhecken draußen vor dem Hause, so flüsterte er den Rosen zu: »Wer kann schöner sein, als Ihr?« Aber die Rosen schüttelten das Haupt und sagten: »Elisa ist es!« Und saß die alte Frau am Sonntage vor der Thür und las in ihrem Gesangbuche, so wendete der Wind die Blätter um und sagte zu dem Buche: »Wer kann frömmer sein, als Du?« – »Elisa ist es!« sagte das Gesangbuch. Und es war die reine Wahrheit, was die Rosen und das Gesangbuch sagten.

Als sie fünfzehn Jahre alt war, sollte sie nach Hause; und als die Königin sah, wie schön sie war, wurde sie ihr gram. Gern hätte sie sie in einen wilden Schwan verwandelt, wie die Brüder; aber das wagte sie nicht gleich, weil ja der König seine Tochter sehen wollte.

Früh Morgens ging die Königin in das Bad, welches von Marmor erbaut und mit weichen Kissen und den prächtigsten Decken geschmückt war; sie nahm drei Kröten, küßte sie, und sagte zu der einen: »Setze Dich auf Elisa's Kopf, wenn sie in das Bad kommt, damit sie dumm wird, wie Du!« »Setze Dich auf ihre Stirn,« sagte sie zur andern, »damit sie häßlich wird, wie Du, sodaß ihr Vater sie nicht erkennt!« »Ruhe an ihrem Herzen!« flüsterte sie der dritten zu; »laß sie einen bösen Sinn erhalten, damit sie Schmerzen davon hat!« Dann setzte sie die Kröten in das klare Wasser, welches sogleich eine grüne Farbe erhielt, rief Elisa, zog sie aus und ließ sie in das Wasser hinabsteigen. Und indem Elisa untertauchte, setzte die eine Kröte sich ihr in das Haar, die andere auf ihre Stirn und die dritte auf die Brust. Aber sie schien es nicht zu merken; sobald sie sich emporrichtete, schwammen drei rothe Mohnblumen auf dem Wasser. Waren die Thiere nicht giftig gewesen und von der Hexe geküßt gewesen, so wären sie in rothe Rosen verwandelt. Aber Blumen wurden sie doch, weil sie auf ihrem Haupte, ihrer Stirn und an ihrem Herzen geruht hatten. Sie war zu fromm und unschuldig, als daß die Zauberei Macht über sie haben konnte!

Als die böse Königin das sah, rieb sie Elisa mit Wallnußsaft ein, sodaß sie schwarzbraun wurde, bestrich ihr das hübsche Antlitz mit einer stinkenden Salbe und ließ das herrliche Haar sich verwirren. Es war unmöglich, die schöne Elisa wiederzuerkennen.

Als der Vater sie sah, erschrak er sehr und sagte, es sei nicht seine Tochter. Niemand, außer dem Kettenhunde und den Schwalben, wollte sie erkennen; aber das waren arme Thiere, die nichts zu sagen hatten.

Da weinte die arme Elisa und dachte an ihre eilf Brüder, die alle fort waren. Betrübt stahl sie sich aus dem Schlosse und ging den ganzen Tag über Feld und Moor bis in den großen Wald hinein. Sie wußte gar nicht, wohin sie wollte, aber sie fühlte sich unendlich betrübt und sehnte sich nach ihren Brüdern; die waren sicher auch, gleich ihr, in die Welt hinausgejagt; die wollte sie suchen und finden.

Nur kurze Zeit war sie im Walde gewesen, da brach die Nacht an; sie kam ganz von Weg und Steg ab; darum legte sie sich auf das weiche Moos nieder, betete ihr Abendgebet und lehnte ihr Haupt an einen Baumstumpf. Es herrschte tiefe Stille, die Luft war mild, und ringsumher im Grase und im Moose leuchteten, einem grünen Feuer gleich, Hunderte von Johanniswürmchen; als sie einen der Zweige leise mit der Hand berührte, fielen die leuchtenden Insecten wie Sternschnuppen zu ihr nieder.

Die ganze Nacht träumte sie von ihren Brüdern; sie spielten wieder als Kinder, schrieben mit den Diamantengriffeln auf die Goldtafeln und betrachteten das herrliche Bilderbuch, welches das halbe Königreich gekostet hatte. Aber auf die Tafel schrieben sie nicht, wie früher, Nullen und Striche, sondern die muthigen Thaten, die sie vollführt, Alles, was sie erlebt und gesehen hatten; und im Bilderbuche war Alles lebendig; die Vögel sangen und die Menschen gingen aus dem Buche heraus und sprachen mit Elisa und ihren Brüdern. Aber wenn diese das Blatt umwendeten, sprangen sie gleich wieder hinein, damit keine Unordnung hineinkomme.

Als sie erwachte, stand die Sonne schon hoch, Sie konnte diese freilich nicht sehen: die hohen Bäume breiteten ihre Zweige dicht und fest über ihr aus. Aber die Strahlen spielten dort oben wie ein webender Goldflor, da war ein Duft von dem Grünen, und die Vögel setzten sich fast auf ihre Schultern! Sie hörte Wasser plätschern: das waren viele große Quellen, die alle in einen See flössen, in dem der herrlichste Sandboden war. Freilich wuchsen dort dichte Büsche ringsumher, aber an einer Stelle hatten die Hirsche eine große Oeffnung gemacht, und hier ging Elisa zum Wasser hin. Dies war so klar, daß man, wenn der Wind nicht die Zweige und Büsche berührte, sodaß sie sich bewegten, hatte glauben müssen, sie wären auf dem Wassergrunde abgemalt gewesen; so deutlich spiegelte sich dort jedes Blatt, sowohl das, welches von der Sonne beschienen, als das, welches im Schatten war.

Sobald Elisa ihr eigenes Gesicht erblickte, erschrak sie, so braun und häßlich war es; doch als sie ihre kleine Hand benetzte und Augen und Stirne rieb, glänzte die weiße Haut wieder vor. Da entkleidete sie sich und ging in das frische Wasser hinein! ein schöneres Königskind als sie war, wurde in dieser Welt nicht gefunden!

Als sie sich wieder angekleidet und ihr langes Haar geflochten hatte, ging sie zur sprudelnden Quelle, trank aus der hohlen Hand und wanderte tief in den Wald hinein, ohne selbst zu wissen wohin. Sie dachte an ihre Brüder, dachte an den lieben Gott, der sie sicher nicht verlassen würde. Gott ließ die wilden Waldäpfel wachsen, um den Hungrigen zu sättigen: er zeigte ihr einen« solchen Baum; die Zweige bogen sich unter der Last der Früchte. Hier hielt sie ihre Mittagsmahlzeit, setzte Stützen unter die Zweige und ging dann in den dunkelsten Theil des Waldes hinein. Da war es so still, daß sie ihre eigenen Fußtritte hörte, sowie das Rascheln jedes dürren Blattes, welches sich unter ihrem Fuße bog. Nicht ein Vogel war da zu sehen, nicht ein Sonnenstrahl konnte durch die großen, dunklen Baumzweige dringen; die hohen Stämme standen so nahe beisammen, daß es, wenn sie vor sich hin sah, so schien, als ob ein Balkengitter dicht beim andern sie umschlösse. O, hier war eine Einsamkeit, wie sie solche früher nie gekannt!

Die Nacht wurde sehr dunkel! nicht ein einziger kleiner Johanniswurm leuchtete mehr im Moose, Betrübt legte sie sich nieder, um zu schlafen. Da schien es ihr, als ob die Baumzweige über ihr sich zur Seite bewegten und der liebe Gott mit milden Augen auf sie niederblickte; und kleine Engel sahen über seinem Kopfe und unter seinen Armen hervor.

Als sie am Morgen erwachte, wußte sie nicht, ob sie es geträumt habe, oder ob es wirklich so gewesen.

Sie ging einige Schritte vorwärts, da begegnete sie einer alten Frau mit Beeren in ihrem Korbe; die Alte gab ihr einige davon. Elisa fragte, ob sie nicht eilf Prinzen durch den Wald habe reiten sehen.

»Nein!« sagte die Alte; »aber ich sah gestern eilf Schwäne mit Goldkronen auf den Köpfen den Fluß hier nahebei hinschwimmen!«

Und sie führte Elisa ein Stück weiter vor zu einem Abhange; am Fuße desselben schlängelte sich ein Flüßchen; die Bäume an seinen Ufern streckten ihre langen, blattreichen Zweige einander entgegen, und wo sie, ihrem natürlichen Wüchse nach, nicht zusammenreichen konnten, da waren die Wurzeln aus der Erde losgerissen und hingen, mit den Zweigen ineinander verschlungen, über das Wasser hinaus.

Elisa sagte der Alten Lebewohl und ging längst dem Flüßchen bis dahin, wo dieses nach dem großen, offenen Strande hinausfloß.

Das ganze herrliche Meer lag vor dem jungen Mädchen, aber nicht ein Segel zeigte sich darauf, nicht ein Boot war da zu sehen. Wie sollte sie nun dort weiter fortkommen? Sie betrachtete die unzähligen kleinen Steine am Ufer; das Wasser hatte sie alle rund geschliffen. Glas, Eisen, Steine, Alles, was da zusammengespült lag, hatte seine Form durch das Wasser, welches doch viel weicher als ihre seine Hand, bekommen. »Das rollet unermüdlich fort, und so ebnet sich das Harte; ich will ebenso unermüdlich sein. Dank für Eure Lehre, Ihr klaren, rollenden Wogen: einst, das sagt mir mein Herz, werdet Ihr mich zu meinen Brüdern tragen!«

Auf dem angespülten Seegrase lagen eilf weiße Schwanenfedern; sie sammelte sie in einen Strauß. Es lagen Wassertropfen darauf: ob es Thautropfen oder Thränen waren, konnte Niemand sehen. Einsam war es dort am Strande, aber sie fühlte es nicht; denn das Meer bot eine ewige Abwechselung dar, ja mehr in nur wenigen Stunden, als die süßen Landseen in einem Jahre aufweisen können. Kam eine große, schwarze Wolke, so war das, als ob der See sagen wollte: »Ich kann auch finster aussehen,« und dann blies der Wind und die Wogen kehrten das Weiße nach außen. Schienen aber die Wolken roth, und schliefen die Winde, so war das Meer einem Rosenblatte gleich; bald wurde es grün, bald weiß. Aber wie still es auch ruhte, am Ufer war doch eine leise Bewegung; das Wasser hob sich schwach, wie die Brust eines schlafenden Kindes.

Als die Sonne untergehen wollte, sah Elisa eilf wilde Schwäne mit Goldkronen auf den Köpfen dem Lande zufliegen; sie schwebten einer hinter dem andern; es sah aus, wie ein langes weißes Band. Da stieg Elisa den Abhang hinauf und verbarg sich hinter einem Busche; die Schwäne ließen sich nahe bei ihr nieder und schlugen mit ihren großen, weißen Schwingen.

Sowie die Sonne hinter dem Wasser war, fielen plötzlich die Schwanengefieder und eilf schöne Prinzen, Elisa's Brüder, standen da. Sie stieß einen lauten Schrei aus; ungeachtet sie sich sehr verändert hatten, wußte sie doch, daß sie es waren, fühlte sie, daß sie es sein müßten. Und sie sprang in ihre Arme und nannte sie bei Namen; und die Prinzen fühlten sich hochbeglückt, als sie ihre kleine Schwester sahen, und erkannten auch sie, die nun groß und schön war. Sie lachten und weinten, und bald hatten sie einander verstanden, wie böse ihre Stiefmutter gegen sie alle gewesen war.

»Wir Brüder,« sagte der Aelteste, »fliegen als wilde Schwäne so lange die Sonne am Himmel steht; sobald sie untergegangen ist, erhalten wir unsere menschliche Gestalt wieder. Deshalb müssen wir immer aufpassen, beim Sonnenuntergang eine Ruhestätte für die Füße zu haben; denn fliegen wir um diese Zeit gegen die Wolken empor, so müssen wir als Menschen in die Tiefe hinunterstürzen. Hier wohnen wir nicht; es liegt ein ebenso schönes Land, wie dieses, jenseit der See. Aber der Weg dahin ist weit: wir müssen über das große Meer, und es findet sich keine Insel auf unserm Wege, wo wir übernachten könnten: nur eine kleine Klippe ragt in der Mitte desselben hervor; sie ist nur so groß, daß wir, dicht nebeneinander gelagert, darauf ruhen können. Ist die See stark bewegt, so spritzt das Wasser hoch über uns hinweg; aber doch danken wir Gott für sie. Dort übernachten wir in unserer Menschengestalt; ohne diese könnten wir nie unser liebes Vaterland besuchen, denn zwei der längsten Tage des Jahres brauchen wir zu unserm Fluge. Nur einmal im Jahre ist es uns vergönnt, unsere Heimath zu besuchen; eilf Tage dürfen wir hier bleiben und über den großen Wald hinfliegen, von wo wir das Schloß, in dem wir geboren wurden und wo unser Vater wohnt, erblicken und den hohen Kirchthurm sehen können, wo die Mutter begraben ist. Hier kommt es uns vor, als wären Bäume und Büsche mit uns verwandt; hier laufen die wilden Pferde über die Steppen hin, wie wir es in unserer Kindheit gesehen: hier singt der Kohlenbrenner die alten Lieder, nach denen wir als Kinder tanzten; hier ist unser Vaterland; hierher fühlen wir uns gezogen, und hier haben wir Dich, Du liebe, kleine Schwester, gefunden! Zwei Tage können wir noch hier bleiben, dann müssen wir fort über das Meer, nach einem herrlichen Lande, welches aber nicht unser Vaterland ist! Wie bringen wir Dich fort? Wir haben weder Schiff noch Boot!«

»Auf welche Art kann ich Euch erlösen?« fragte die Schwester. Und sie unterhielten sich fast die ganze Nacht: es wurde nur einige Stunden geschlummert.

Elisa erwachte von dem Schlag der Schwanenflügel, welche über ihr brausten: die Brüder waren wieder verwandelt und flogen in großen Kreisen und zuletzt weit weg; aber der Eine von ihnen, der Jüngste, blieb zurück; und der Schwan legte den Kopf in ihren Schoos und sie streichelte seine Flügel; den ganzen Tag waren sie beisammen. Gegen Abend kamen die Andern zurück, und als die Sonne untergegangen war, standen sie in natürlicher Gestalt da.

»Morgen fliegen wir von hier weg und können vor Ablauf eines ganzen Jahres nicht zurückkehren. Aber Dich können wir nicht so verlassen! Hast Du Muth, mitzukommen? Mein Arm ist stark genug, Dich durch den Wald zu tragen: sollten wir da nicht Alle so starke Flügel haben, um mit Dir über das Meer zu fliegen?«

»Ja, nehmt mich mit!« sagte Elisa.

Die ganze Nacht brachten sie damit zu, aus der geschmeidigen Weidenrinde und dem zähen Schilf ein Netz zu flechten, und das wurde groß und fest. Auf dieses Netz legte sich Elisa, und als die Sonne hervortrat und die Brüder in wilde Schwäne verwandelt wurden, ergriffen sie das Netz mit ihren Schnäbeln und flogen mit ihrer lieben Schwester, die noch schlief, hoch gegen die Wolken empor. Die Sonnenstrahlen fielen ihr gerade auf das Antlitz, deshalb flog einer der Schwäne über ihrem Kopfe, damit seine breiten Schwingen sie beschatten konnten.

Sie waren weit vom Lande entfernt als Elisa erwachte; sie glaubte, noch zu träumen, so sonderbar kam es ihr vor, hoch durch die Luft, über das Meer getragen zu werden. An ihrer Seite lag ein Zweig mit herrlichen, reifen Beeren und ein Bündel wohlschmeckender Wurzeln; die hatte der jüngste der Brüder gesammelt und ihr hingelegt. Sie lächelte ihn dankbar an, denn sie erkannte ihn; er war es, der über ihr flog und sie mit seinen Schwingen beschattete.

Sie waren so hoch, daß das größte Schiff, welches sie unter sich erblickten, eine weiße Möve zu sein schien, die auf dem Wasser lag. Eine große Wolke stand hinter ihnen: das war ein Berg. Und auf diesem sah Elisa ihren eigenen Schatten und den der eilf Schwäne; so riesengroß flogen sie da. Das war ein Gemälde, prächtiger, als sie früher je eins gesehen. Doch als die Sonne höher stieg, und die Wolke weiter zurückblieb, verschwand das schwebende Schattenbild.