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Über dieses Buch:

Der charmante und gewitzte Bastian hat sein Examen in der Tasche. Doch gleich eine Stelle als Lehrer antreten? Viel lieber möchte er noch eine Weile seine Freiheit genießen! Da verliebt er sich in die Ärztin Katharina, die genau das Gegenteil von Bastian darstellt: Sie steht mit beiden Beinen fest im Leben, ist vernünftig und vorausschauend. Durch Bastian lernt sie ein Leben kennen, das unbeschwerter und romantischer nicht sein könnte. Doch reicht die Liebe allein aus, um glücklich zu werden?

Über die Autorin:

Barbara Noack, geboren 1924, hat mit ihren fröhlichen und humorvollen Bestsellern deutsche Unterhaltungsgeschichte geschrieben. In einer Zeit, in der die Männer meist die Alleinverdiener waren, beschritt sie bereits ihren eigenen Weg als berufstätige und alleinerziehende Mutter. Diese Erfahrungen wie auch die Erlebnisse mit ihrem Sohn und dessen Freunden inspirierten sie zu vieler ihrer Geschichten.
Ihr erster Roman »Die Zürcher Verlobung« wurde zweimal verfilmt und besitzt noch heute Kultstatus. Auch die TV-Serien »Der Bastian« und »Drei sind einer zu viel«, deren Drehbücher die Autorin verfasste, brachen in Deutschland alle Rekorde und verhalfen Horst Janson und Jutta Speidel zu großer Popularität.

Barbara Noack veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane »Die Zürcher Verlobung«, »Danziger Liebesgeschichte«, »Drei sind einer zuviel«, »Brombeerzeit«, »Das Leuchten heller Sommernächte«, »Die Melodie des Glücks«, »So muss es wohl im Paradies gewesen sein«, »Jennys Geschichte«, »Der Duft von Sommer und Oliven«, »Der Zwillingsbruder«, »Das kommt davon, wenn man verreist«, »Auf einmal sind sie keine Kinder mehr«, »Was halten Sie vom Mondschein?«, »Valentine heißt man nicht«, »Der Traum eines Sommers« und »Eine Handvoll Glück« sowie »Ein Stück vom Leben«, die auch im Doppelband »Schwestern der Hoffnung« erhältlich sind. Auch bei dotbooks erschienen ihre Erzählbände »Flöhe hüten ist leichter«, »Eines Knaben Phantasie hat meistens schwarze Knie« und »Ferien sind schöner« sowie der Sammelband »Valentine heißt man nicht & Der Duft von Sommer und Oliven«.

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eBook-Neuausgabe Dezember 2015

Copyright © der Originalausgabe 1974 Albert Langen – Georg Müller Verlags GmbH, München – Wien

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Daniela Stärk und Oliver Hoffmann

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-415-3

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Barbara Noack

Der Bastian

Roman

dotbooks.

Kapitel 1
Bastian macht einen Krankenbesuch

An einem Dienstagmorgen Anfang Juli stand Bastian Guthmann auf dem Viktualienmarkt vor einem Blumenstand und wußte nicht recht, was er kaufen sollte.

Er zog ein Bund Margeriten zu zwei Mark aus einem Eimer, der Strauß tropfte auf seine Schuhe und erschien ihm ein bißchen wenig.

»Dann nehmen S' doch zwei«, sagte die Blumenfrau.

Dies wiederum erschien Bastian ein bißchen teuer. Er hatte etwas zu zwoachtzig im Sinn gehabt.

»Für welchen Zweck soll's denn sein?«

»Meine Großmutter«, sagte er, »sie liegt im Spital.«

Der Satz ging der Blumenfrau zu echtem Herzen. »Ah geh –schlimm?«

»Nichts Gefährliches«, sagte Bastian, aber genau wußte er auch nicht, was ihr fehlte. Seine Schwestern, die ihn abwechselnd anriefen, um ihn daran zu erinnern, daß er Großmutter besuchen müßte, sprachen diskret von Omas Vorfall, worunter sich Bastian wenig vorzustellen vermochte. Auf alle Fälle hatte es etwas mit ihrem Unterleib zu tun.

Bastian wunderte sich, daß so eine alte Frau überhaupt noch einen Unterleib besaß, der Schwierigkeiten machen konnte.

»Ich denke, der zu zwei Mark wird genügen«, sagte er, »sie kriegt ja noch von anderen Blumen.«

Nachfolgend bestieg er seine »Else«, einen Deux Cheveaux, Baujahr 59, aber Luxusausgabe. Der Motor lief noch fabelhaft, nur der Rost machte Else zu schaffen. Er hatte ihren Unterboden so gründlich aufgefressen, daß Bastian während der Fahrt das Straßenpflaster unter seinen Füßen betrachten konnte. Solange er nicht durch eine Pfütze fuhr, störte das nicht. Die Risse und Triangel im Verdeck hatte er mit Isolierband verpappt. Auf den durchhängenden Sitzen glichen Sofakissen das Schlimmste aus. Bastian liebte seine Else wie einen alten Hund.

Bastian, Else und der Strauß Margeriten fuhren zum Krankenhaus, das war so gegen elf Uhr vormittags.

Die Empfangsschwester guckte streng aus ihrem Glaskasten. »Jetzt? Jetzt ist keine Besuchszeit. Kommen Sie morgen nachmittag wieder.«

Bastian, nun einmal da und finster entschlossen, seine Blumen loszuwerden, sagte, er käme von außerhalb, von Oberpfaffenhofen. Er habe sich extra von seinem Chef freigeben lassen, um seine alte Oma zu besuchen, er könne am nächsten Tag nicht wiederkommen. Und er lächelte.

Bastian konnte überwältigend lächeln, wenn er wollte.

Die Schwester sagte: »Dritter Stock, Zimmer 338, Gynäkologische, links durch die Glastür, wo ›Professor Dr. Klein‹ draufsteht. Wenn der Herr Chefarzt Visite macht, müssen Sie verschwinden, hören Sie?«

Bastian nahm den Lift. Der Lift roch nach frisch behandeltem Unglücksfall. Krankenhäuser waren ihm ein Greuel.

Als kerngesunder junger Mann, der sogar noch über seinen Blinddarm (27) verfügte, hatte er eine kerngesunde Scheu vor allem, was mit Leiden, Blut und Bahren zu tun hatte und mit Spritzen. Bastian hatte schon dreimal eine in den Arm gekriegt und eine ins Gesäß. Und niemand hatte ihn bedauert.

Als er den Lift im dritten Stock verließ, wehte eine weiße, gewichtige Wolke an ihm vorüber – der Chefarzt mit eilfertigem Gefolge auf der Rückkehr von der Visite. Ein königlicher Aufmarsch in Weiß, weißer ging's nicht, selbst die Schuhe, alles weiß – bis auf das Gesicht des Oberarztes. Ihm sah man an, daß er schon 14 Tage Costa Brava hinter sich hatte.

Bastian ließ die Prozession an sich vorüberziehen, hörte im Geist Barocktrompeten und zog ergriffen einen Hut, den er nicht besaß.

Dann suchte er sich an den Zimmertüren entlang. Zimmer 314 – 315 – Eintritt verboten – 317 – 318 – Fäkalienspüle (die deutsche Sprache verfügt wirklich über hervorragende Wortkompositionen) – 319 ...

Auf dem Gang bewegten sich Patientinnen mit plattgelegenen Frisuren und geblümten Morgenröcken. Manche trugen Söckchen oder heruntergerollte Strümpfe in Puschelpantoffeln. Alle sahen Bastian nach.

Zu der Unbehaglichkeit, sich in einer Krankenanstalt zu befinden, gesellte sich nun auch noch das peinliche Gefühl, in eine verbotene, weibliche Welt eingedrungen zu sein – ein Gefühl ähnlich dem, das er empfunden hatte, als er einmal aus Versehen in eine Damentoilette geraten war.

Zimmer 338.

Großmutter Guthmann lag mit zwei anderen Frauen in einem länglichen, hellblau gestrichenen Zimmer. Im Bett am Fenster. Sie trug ein langärmeliges Anstaltshemd mit blauen Borten und las Zeitung.

Bastian hatte sie noch nie im Bett gesehen. Auch im Bett strahlte sie die vorsorgliche Sauberkeit einer Frau aus, die jeden Augenblick damit rechnet, daß ihr etwas Unvorhergesehenes zustoßen könnte. Ihr fast faltenloses, ostisches Gesicht glühte vor mühsam gezügelter Streitlust. Wie eine Leidende sah sie nicht aus.

»Grüß dich, Martha«, sagte er ungewiß in den Raum.

Sie nahm die Brille ab und lachte. »Der Bub ist da.«

Bastian ging an ihr Bett und küßte sie auf den Kopf. Sie duftete nach Baldrian und Kölnisch Wasser. Er wickelte seine Margeriten aus und dachte, ich hätte doch zwei Bund zu vier Mark nehmen sollen. Er wollte den Strauß zu den anderen Blumen stecken, die schon auf ihrem Nachttisch standen, aber Großmutter hinderte ihn daran.

»Im Krankenhaus muß jeder Strauß seine eigene Vase haben, egal, wie spillrig er ist.«

Dann stellte sie ihn den anderen Betten vor. »Das ist Bastian Guthmann, mein Enkel. – Frau Schüssle – Frau Kynast. Bastian, sag den Damen guten Tag!«

Bastian begrüßte zuerst Frau Schüssle (etwa 45) und dann Frau Kynast (schon alt). Frau Kynast sagte: »Gestern hatte ich Geburtstag. Ich bin aus Gleiwitz.«

Bastian sagte: »Herzlichen Glückwunsch.«

Großmutter sagte: »Du mußt schreien. Sie ist taub wie eine Nuß.«

Bastian schrie: »Herzlichen Glückwunsch nachträglich!«

Frau Kynast nickte: »Ja, ja, aus Gleiwitz.«

Darauf zog er sich lächelnd zu Großmutters Bett zurück, schon ziemlich erschöpft. »Wie geht's dir denn?«

»Ach, gut soweit. – Hast du deine Klausuren geschrieben?«

»Ja. Hab ich.«

»Na und?«

»In den nächsten Wochen kriege ich Bescheid.«

»Achgottachgott!«

»Es wird schon schiefgehen«, beruhigte er sie. »Aber nun erzähl mal – wie war die Operation?«

»Stell dir vor, Bub, sie geben einem eine Spritze, und eh man denkt, nun geht's los, ist es schon vorbei.« Sie beugte sich vor und flüsterte: »Ich bin nicht einmal sicher, ob sie mich überhaupt operiert haben. Wie soll man das nachprüfen, wenn man schläft? Aber bezahlen muß ich.«

»Ja, bist du denn in keiner Kasse?« fragte er erschrocken.

»Nein. Wozu? Soll ich die Versicherungen reich machen, wo ich bisher mit Baldrian ausgekommen bin!?«

Frau Kynast sagte: »Schwester Theresa ist auch aus Gleiwitz«, und sah Bastian dabei an.

Bastian brüllte: »Aha.«

Frau Kynast sagte: »Die jungen Schwestern taugen nichts. Sie schimpfen, wenn man Soße aufs Bett kleckert. Weil sie zu faul sind, einen neu zu beziehen.«

»Aber der Chefarzt ist nett«, sagte Frau Schüssle. »Er hat das Majestätische.«

»Und das Fräulein Doktor Freude ist nett«, sagte Großmutter.

»Hat sie auch das Majestätische?«

»Sie hat schöne Augen«, sagte Großmutter.

»Das Essen taugt nichts«, sagte Frau Schüssle. »Ganz billige Wurst gibt's, und der Kaffee schmeckt wie fünfundvierzig.«

In diesem Augenblick kam Schwester Theresa aus Gleiwitz herein, und Bastian mußte auf den Flur.

»Typisch Kynast!« schimpfte Großmutter. »Kaum kriegt man Besuch, muß sie auf die Schüssel.«

Bastian stand auf dem Gang herum. Eine Frau wischte den Fußboden immer dort, wo seine Füße gerade waren. Um eine Flurecke sauste ein Bett auf Rädern, begleitet von silberhellem Gesang:

»Zwei Apfelsinen im Haar
und an der Hüfte Banaanen –
Lalalalalala ...«

Eine ganz junge Lernschwester schubste das Bett vor sich her im Takt zu ihrem mexikanischen Geträller. In dem Bett lag eine gelbgesichtige Frau ohne Zahnprothesen, ein bestürzender Anblick für einen wie Bastian, der keinen täglichen Umgang mit Frischoperierten hatte.

Es reichte ihm. Er wollte raus hier, bloß raus, und das so rasch wie möglich. Die beklemmende Krankenhausatmosphäre. Frau Kynast und noch eine Bahre mit Musik! Er war geschafft.

Wie von Bakterien gejagt, rannte er den Flur hinunter und mußte sehr scharf bremsen, um nicht einen weißen Kittel zu überfahren, der ihm von rechts in den Weg trat – mit einer Spritze in der Hand.

»Na, na!« sagte der Kittel.

Bastian wußte später nicht mehr, was es zuerst gewesen war. Auf keinen Fall die Spritze und auch nicht der Kittel. Er gehörte nicht zu den Leuten, die auf weiße Kittel standen. Im Gegenteil.

Es gelang ihm nachträglich nicht einmal, sich präzis an die Ärztin zu erinnern, die ihn getragen hatte.

Sie war eher klein. Er liebte große Frauen. Kurze, helle Kinderhaare voller Wirbel fielen ihr ins Gesicht. Bastian hatte lieber Dunkelhaarige mit langen, seidigen Mähnen. Blond war er selber.

Nur einen Augenblick lang sah sie ihn verwundert an.

Dieser Augenblick mußte es wohl gewesen sein.

Bei ihm.

Bei ihr nicht.

Ein Augenblick, wo im Film die Geigen einsetzen.

Für ihn.

Nicht für sie, die einen Haken um Bastian schlug wie um ein Hindernis, das ihr im Weg stand, und den Flur hinunterging. Er folgte ihr verzaubert.

Sie war so gar nicht sein Typ und entsprach dennoch der unklaren Vorstellung von jener Frau, auf die er bisher vergebens gewartet hatte. Aber mußte das ausgerechnet eine Ärztin sein!?

Sie öffnete die Tür von Zimmer 338. Das war Großmutters Unterkunft.

Die Tür schloß sich hinter ihr.

Vergessen waren seine Fluchtgedanken, seine Krankenhausallergie.

Er wartete darauf, daß sich die Tür von 338 wieder öffnen und sie herauskommen würde.

Die Tür von 338 öffnete sich, und Schwester Theresa kam mit Frau Kynasts Schüssel heraus.

Schwester Theresa sagte zu ihm: »Sie können noch nicht hinein. Doktor Freude ist drin. Und überhaupt ist jetzt keine Besuchszeit. Wo kämen wir denn hin, wenn wir ständig Ausnahmen machen würden!«

Schwester Theresa ging den Flur hinunter und verschwand in der Fäkalienspüle. Bastian hätte sie am liebsten dort eingeschlossen, damit sie ihn nicht verscheuchen konnte. Er mußte die Ärztin wiedersehen. Doktor Freude hieß sie. Freude schöner Götterfunken. Doktor Freude schöner Götterfunken.

Er fand sich schon sehr albern.

Sie verließ das Zimmer 338. Bastian stellte sich ihr in den Weg.

Verwunderter Blick aus weit auseinanderstehenden, bernsteingoldenen, skeptischen Augen. Die Augen waren eigentlich viel zu groß für ihr Gesicht.

»Ja, bitte?«

»Wie geht es meiner Großmutter?«

»Großmutter? Welcher?«

»Frau Guthmann.«

»Oh, gut. Sehr gut.«

»Und ihr Vorfall?«

»Der wird ihr keine Beschwerden mehr machen.« Sie wollte weitergehen. Dazu mußte sie wieder einen Haken um ihn schlagen.

»Wie passiert denn so was?« fragte Bastian, sich an ihre Fersen heftend.

»Bei fünf Kindern kommt das schon mal vor.«

»... und bei 13 Enkeln«, sagte er verstehend.

»Die haben damit nichts zu tun«, sagte Dr. Freude. »Die gehen höchstens auf die Nerven.« Sie blieb stehen und lachte. »Sie sind Bastian, der dreizehnte, nicht wahr?«

Amüsiert betrachtete sie ihn. »Sie sind ein Siebenmonatskind.«

»Ja, wieso?«

»Mit fünf Jahren fielen Sie vom Kirschbaum. Sie blieben zweimal sitzen. Meisterten Ihr Abitur mit einundzwanzig. Dann studierten Sie Maschinenbau. Liebten eine Fünfunddreißigjährige. Ihre Familie stand Kopf. Sie sattelten um ...«

»Auf eine Neunzehnjährige.«

»Auf Pädagogik.«

Bastian legte die Hände vor sein Gesicht.

»Machen Sie sich nichts draus.«

Bastian nahm die Hände wieder herunter. »Es wird immer schlimmer mit ihr, je älter sie wird. Hat sie Ihnen auch von dem Schäfer erzählt? Von dem, der sie im Jahre 38 gesundgebetet hat, als sie die Gürtelrose hatte?«

Dr. Freude drückte die Klinke von Zimmer 331. »Nein«, sagte sie, »bisher nicht. Aber ich nehme an, das wird sie noch. Ihre Großmutter ist ja noch ein paar Tage hier.«

»Ein Glück«, sagte Bastian, »ein solches Glück. Muß ich noch öfter zu Besuch kommen.«

Die Person, die er so spontan zu lieben begonnen hatte, war schon beinah im Zimmer 331, und ehe sie da wieder herauskam, würde längst Schwester Theresa aus Gleiwitz zurückgekehrt sein und ihn exmittieren.

»Hören Sie –« sagte er dringend hinter ihr her.

»Was denn noch?«

»Ich hasse Krankenhäuser.«

»Dann gehen Sie doch auch zum Schäfer.«

»Aber wenn es die einzige Möglichkeit wäre, Sie wiederzusehen, ließe ich mich hier einweisen. Und wenn ich Terpentin saufen müßte.«

Die Ärztin betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Für Terpentin bin ich nicht zuständig. Da müßten Sie sich schon ein Frauenleiden zulegen. Schaffen Sie das?«

Und damit schloß sich die Tür von Zimmer 331 hinter ihr. Bastian war abgeblitzt. Aber er nahm es Dr. Freude nicht weiter übel, daß sie noch so gar nichts für ihn empfand.

Bei manchen dauert das eben länger.

Kapitel 2
Micky

Seit er an der Münchner PH studierte, bewohnte Bastian eine Mansardenwohnung in einem Altbau nahe den Isarauen. Er war das Lieblingsthema der weiblichen Mieter im Treppenhaus. Sie hatten so ziemlich alles an ihm zu besprechen – sein Privatleben, seine Gewohnheiten, die Fenster putzte er auch nie und verlor ständig etwas, wenn er seine überfüllten Mülltüten auf den Hof hinuntertrug. Außerdem hatte er lange Haare. Insgesamt waren sie der Meinung: »Wenn das mein Sohn wär –! Dem würd ich vielleicht –!!« – und mochten ihn trotzdem ganz gern.

Bastians Wohnung umfaßte zwei Zimmer, eine Rumpelkammer, Bad und Küche. Das große Zimmer nach vorn heraus hatte er an einen Ingenieur aus Erding vermietet, der dort übernachtete, wenn er zu betrunken war, um heimzufahren, oder wenn er eine Freundin hatte.

Im anderen – Bastians Zimmer – waren noch die Vorhänge zugezogen, als er gegen Mittag heimkam. In seinem Bett lag Micky herum.

Das war ein echter Schlag für einen frisch verzauberten Menschen. Er hatte Micky ganz vergessen.

Auf dem Sofa, auf seinem Arbeitstisch, den Stühlen und am Fußboden lagen ihre Ketten, Höschen, Blüschen, Jeans – soviel Plunder auf seinem Besitztum – und der ärgste Plunder war Micky selbst in seinem Bett, aus dem sie sich jetzt stöhnend schälte. »Was 'n los?«

Bastian zerrte so wütend die Gardine auf, daß sie aus ihren Ringen sprang. Micky sah ihm zu und fand das komisch – seine Wut und die kaputte Gardine.

Sie war ganz junger, wuscheliger Sex, mit Schminkresten um die Augen und einem Busen, der selbst beim Aufwachen nicht verschlafen wirkte. Er war ihr Kapital, von dem sie gelegentlich lebte, indem sie ihn für Wäschefotos und Reklame herlieh.

»Da liegst du rum«, schrie er voll sittlicher Empörung. »Da liegt alles von dir rum! Du breitest dich aus wie der Rost auf meiner Else!«

»Welcher Else?«

»Meinem Auto, wem denn sonst! Stehst du nicht auf? Weißt du überhaupt, wie spät es ist? Andere Frauen – zum Beispiel in Krankenhäusern – haben jetzt schon ein Riesenpensum hinter sich. Echte Pflichten!«

»Schön blöde«, sagte Micky.

Bastian stand blutrauschend vor dem Bett. »Micky, ich rate dir, such dir 'ne andere Bleibe. Sonst gibt's ein Unglück!«

»Was für 'n Unglück?«

Bastian fiel so schnell kein passendes ein.

»Hab ich's mir doch gedacht! Du weißt keins.«

Er fiel erschöpft in seinen einzigen Sessel, stand noch mal auf, um Mickys Handtäschchen daraus zu entfernen, und sah sie an. »Wie lange willst du eigentlich noch hierbleiben?«

Micky breitete ungewiß die Arme aus, sie wußte es auch nicht.

Vor drei Wochen hatten Freunde von Bastian sie mit hierhergebracht. Die Freunde – Lisa und Paul – waren nur auf ein Bier gekommen. Waren nach dem Bier wieder gegangen und hatten Micky zurückgelassen, die stark fieberte und in München keine feste Adresse besaß.

Seit zwei Wochen und drei Tagen hatte Micky kein Fieber mehr, war aber immer noch da.

»Warum, Micky?« fragte Bastian gezielt in ihre Richtung.

Sie streckte erst mal ein Bein in die Luft, ein langes, gerades braunes Bein mit einem Kettchen am Fußgelenk. Und ungewaschener Fußsohle. Micky gefiel das Bein sehr gut.

»Weil ich keine Bleibe habe«, sagte sie, »und weil du nicht der Mensch bist, der den Mut hat, einen anderen rauszuschmeißen.«

Womit sie die Sachlage klar erfaßt hatte.

»Wenn du schon hier bist, könntest du wenigstens mal abwaschen. Seit drei Wochen hast du nicht einmal.«

»Du ja auch nicht«, sagte Micky und rollte sich zur Wand.

»Ich hab dich nicht freiwillig aufgenommen. Dafür hab ich Zeugen.«

»Ja«, sagte Micky, »Paul und Lisa. Aber das ist doch bekannt.«

Sie wandte mühsam den Kopf nach ihm um – ein Traum von einem Mädchen. Eine knisternde Katze, bei deren Anblick Männer heiße Ohren kriegen und blumige Vorstellungen. Ein Mädchen, das alle Vorzüge für eine sinnliche Nacht mitbrachte, bloß keine Lust dazu. Ein absoluter Bluff.

Bastian stand wütend aus dem Sessel auf und sagte: »Ach, Mensch! Mensch, Micky –« und ging und wußte noch nicht wohin.

Kapitel 3
Bastian macht schon wieder einen Krankenbesuch

Am nächsten Tag stand Bastian auf dem Viktualienmarkt vor demselben Blumenstand und kaufte sieben langstielige Rosen. Er bekam sie billiger, weil sie nicht mehr ganz frisch waren.

Mit denen besuchte er seine Großmutter am Nachmittag zur offiziellen Besuchszeit.

Martha Guthmann saß aufrecht in ihrem Bett und hielt sich verbittert die Ohren zu, und das mit Grund. Denn um der tauben Frau Kynasts Bett lagerte ihre Familie – Mann, Tochter, Schwiegersohn und Enkelkind.

Die Tochter schrie gerade: »Frau Huber läßt dich grüßen!«

Frau Kynast fragte: »Wie?«

»Frau Huuuber!«

Darauf Frau Kynast ungeduldig: »Ja, Frau Huber. Ich hab verstanden. Was ist mit der?«

»Sie läßt dich grüßen!!«

»Wie?«

»Grüßen!«

»Von wem?«

Großmutter nahm die Finger aus den Ohren und klagte: »Kannst du mir mal sagen, warum die Schwerhörige immer den meisten Besuch hat?«

Bastian wußte es auch nicht.

Erst jetzt begriff sie bewußt seine Anwesenheit, sah die Rosen, die er auf ihre Bettdecke gelegt hatte, und war sehr erschrocken. »Ja, Bub! Was ist los? Du warst doch erst gestern da und heut schon wieder. Steht's denn so schlecht um mich?«

»Um dich? I wo! Ich dachte nur, es würde dich freuen ...«

»Freilich«, sagte sie, »aber wer besucht schon so oft eine alte Frau im Spital? Und ausgerechnet du, der sich vor Krankenhäusern fürchtet!«

»Ach«, sagte Bastian, »das kommt auch aufs Krankenhaus an. Hier gefällt's mir ganz gut.«

Nun freute sie sich über die schönen, schönen Rosen. Dieselbe Sorte gab's auch im Englischen Garten.

»Das sollst du doch nicht, Bub!«

»Ich hab sie gekauft«, beteuerte er.

»Natürlich«, sagte sie, »das mein ich ja.«

»Soll ich dir eine Vase holen, Martha? Ich hol dir eine, Moment –« Er eilte aus dem Zimmer auf der Suche nach einer Vase, vor allem aber nach Dr. Freude.

Großmutter rief vergebens »Bastian! Bastian!« hinter ihm her. »Wo läufst du hin? Hier ist doch eine!«

In der Stationsküche fand er Schwester Theresa. Zur offiziellen Besuchszeit war sie bedeutend gnädiger zu ihm. Sie schloß sogar eine Kammer auf und suchte dort eine große, kristallene Vase für ihn heraus.

Bastian fragte so nebenbei nach Dr. Freude. Ob die vielleicht im Hause wäre?

»Sie hat heut Nachtdienst«, sagte Theresa. »Hat sich aber noch nicht bei mir sehen lassen. Wenn Sie den Doktor Vogel sprechen möchten ...«

Bastian dankte für den Dr. Vogel und zog mit seiner Vase ab. Er durchquerte mehrmals die Flure, auf denen sich Patienten von ihren Besuchern verabschiedeten. Am Krankenbett verschüchterte Kinder drängten erleichtert dem Lift zu.

Die Dr. Freude sah er nirgends. Dafür fiel ihm eine junge Frau auf, weil sie so sehr allein an einem Fenster stand. Ihr Haar war strähnig, das Gesicht, das sie ihm einmal zuwandte, als er vorüberging, wirkte gedunsen. Er kannte es, aber er wußte nicht woher.

Sie stutzte auch und wußte nicht, ob sie ihn grüßen sollte, und als er vorüber war, fragte sie zögernd »Bastian? Bastian Guthmann?« hinter ihm her.

Er blieb stehen.

»Erinnerst du dich nicht mehr? Ich bin Susi Schulz. Wir waren voriges Jahr auf der Party bei Freddy Kuchel zusammen.«

»Ach ja, natürlich, Susi. Hab dich gar nicht erkannt.« Bastian kam zurück, nicht eben überwältigt vor Freude. »Grüß dich, Susi. Was machst du denn hier?«

»Siehst du doch. Ich bekomme ein Baby.«

»Aha.«

Sie standen voreinander und wußten nicht recht ...

»Ja, dann will ich nicht weiter stören. Alles Gute, toi, toi, toi!« Er winkte noch einmal zurück und erschrak.

Susi stand schwerfällig da, ihre Hände verkrampften sich über dem Bauch, sie stöhnte leise.

»Gottes willen, geht's los?«

Susi Schulz versuchte ein quittegelbes wehes Lächeln.

»Soll ich die Ärztin holen?« fragte er eilfertig. »Ich hol die Freude, ja?«

Susi wehrte ab. »Es ist ja erst alle drei Minuten.« Farbe kehrte langsam in ihr Gesicht zurück, das Lächeln wirkte gelöster, wenn auch nicht besonders froh.

Sie erinnerte ihn jetzt entfernt an ein zierliches, hellblaues, wehendes Geschöpf auf einer Vorortstraße. Mitten auf der Straße. Barfuß auf dem Asphalt, in jeder Hand eine Sandalette.

Susi voller Lachen, voller Schwips, voller Sommer im Morgengrauen nach der Party bei Freddy Kuchel. Sie waren ruhestörend albern gewesen, rannten um die Wette und machten Klingelzüge. Vor ihrer Haustür hatte Susi die Arme um seinen Hals gelegt und ihn geküßt. Bastian spürte dabei die Hacken ihrer baumelnden Schuhe in seinem Kreuz. Er mochte Susi. Verliebt war er nicht, aber er hatte versprochen, sie anzurufen.

Das war jetzt ein Jahr her.

»Du hast damals nicht angerufen.«

»Habe ich nicht? Muß mir wohl was dazwischengekommen sein.«

»Ja, schade«, sagte Susi. »Vielleicht wäre sonst alles ganz anders gekommen.«

Sie krümmte sich in einer neuen Wehe und tat Bastian so leid. Daß man dagegen noch nichts erfunden hatte –!

Die Flure waren nun leer. Eine Schwester räumte die Blumenvasen vor die Türen und erinnerte ihn daran, daß die Besuchszeit vorüber war.

»Willst du dich nicht lieber hinlegen?«

»Ich soll ja laufen –«

»Und dein Mann? Gibt's hier kein Vaterzimmer, wo er warten kann?«

»Ich hab keinen Mann«, sagte Susi, als die Wehe abgeklungen war. »Ich hab ihn im Urlaub kennengelernt – vorigen Herbst. In Spanien. Da war's die große Liebe. Er ist Referendar in Köln, weißt du, und als wir uns später wiedertrafen, haben wir nur noch gestritten. Furchtbar war das. Habe ich eben Schluß gemacht. Lieber keinen Vater für das Baby, als einen, mit dem ich mich nicht versteh. Verstehst du?«

Bastian verstand.

»Aber manchmal ist es verflixt schwer so allein. Mit meiner Mutter versteh ich mich auch nicht. Sie weiß noch gar nichts von dem Baby ...« Susi brach ab, weil Bastian nicht mehr zuhörte, sondern einen jähen Ausbruchsversuch Richtung Lift machte. Denn dort stand sie, die Freude, aber nur sekundenlang, dann hatte der Lift sie verschluckt.

»Das war die Ärztin«, sagte Susi.

»Ja, das war sie.«

Die Schwester kam wieder vorbei und schimpfte, weil Bastian noch immer da war.

Er strich Susi über die verschwitzte Wange. »Mach's gut, Mädchen. Halt die Ohren steif.«

»Werd schon.«

»Und wenn's da ist, ruf mich an.« Er gab ihr seine Nummer.

»Du bist sehr lieb, Bastian«, sagte Susi. »Du mit deiner Vase.«

Erst jetzt erinnerte er sich an die Kristallpracht, die noch immer unter seinem Arm klemmte – und an seine Großmutter, die noch immer auf die Vase und seine Rückkehr warten mochte.

Er hatte sich gestern nicht von ihr verabschiedet, er mußte es wenigstens heute tun.

Auf dem Weg zu Zimmer 338 begegnete er Schwester Theresa. »Sie sind ja noch hier!«

Bastian zuckte bedauernd die Achseln. »Ja, ich versteh das auch nicht. Ich – ich such den Lift.«

»Den Lift!« staunte sie. »Den Lift sucht er und steht davor!«

In diesem Augenblick öffneten sich seine Türen. Zwei Ärzte kamen heraus – eine davon war die Freude.

Bastian strahlte. »Hab ich ein Schwein!«

»Ach Sie schon wieder –« Während ihr Kollege weiterging, mußte sie stehenbleiben, das lag an Bastian, der ihr im Wege stand – nun schon zum drittenmal in zwei Tagen.

»Ich hab mir so gewünscht, Sie wiederzusehen«, sagte er und wurde daraufhin prüfend von ihr betrachtet. Wenn ihr schon einer so intensiv in die Quere kam, wollte sie wenigstens wissen, wie er aussah.

Er hatte fröhliche Augen. Das vor allem. Blonde, frischgewaschene Haare, die ihm immerzu in die Stirn fielen. Er war lang und eckig, trug Jeans und ein kariertes Hemd und eine Jeansjacke, deren Kragen beim Anziehen zur Hälfte nach innen geraten war. Ein ebenso sympathischer wie harmlos wirkender junger Mann mit einer Kristallvase unterm Arm, wieso mit einer Vase!?

»Sie sind verrückt«, sagte sie und ging ihrem Kollegen nach, der auf sie wartete.

»Bis morgen, Doktor!« rief Bastian. »Ich komm jetzt täglich.«

»Wer war denn das?« fragte der Kollege, als die Freude ihn eingeholt hatte.

»Der Enkel einer Patientin. Der dreizehnte Enkel von Frau Guthmann.«

»Und kommt täglich zu seiner Großmutter?« staunte der Kollege.

»Ja. Rührend, nicht wahr?«

In diesem Augenblick krachte und klirrte es hinter ihnen.

Das war die Vase.

Bastian zog sich hastig die Jacke aus, fegte die Scherben in sie hinein und floh per Lift.

Kapitel 4
»Katharina ...!«

Es war so schön leer und friedlich, als er nach Hause kam. Micky war nicht da, nur ihr ausgelaufener Nagellack auf seiner Tischplatte. Sah aus wie Blut im Krimi.

Warum gab's nur solche Typen wie Micky in seinem Leben, die ihm wie Kletten anhingen, ohne daß er sie aufgefordert hatte, bei ihm Klette zu sein?

Ich bin zu gutmütig, sagte er sich, nein, gutmütig bin ich nicht. Ich bringe nur nie im entscheidenden Moment genügend Rücksichtslosigkeit auf, um das Übel von mir abzuwenden. Ich habe wohl auch zuviel Mitleid mit den Mädchen und nachher den Ärger, sie wieder loszuwerden.

Bastian ging an den Eisschrank. Im Eisschrank standen Mickys Cremedöschen und ein übriggebliebenes Marmeladenbrot vom Frühstück und ein uraltes Yoghurt und – welch Lichtblick – auch zwei Biere.

Bastian trank die Biere und rauchte dabei aus dem Giebelfenster seines Zimmers auf den grünen, runden Kopf der Hofkastanie. Er war verknallt, jedoch dabei noch immer logisch. Er fragte sich, was soll ich mit einer Ärztin!? So eine Frau hat erstens kaum Zeit, und zweitens stellt sie Ansprüche. Sie würde versuchen, Ordnung in sein Leben zu bringen. Beruflichen Ehrgeiz von ihm erwarten. Bürgerliche Anzüge. Eine saubere »Else« und all so was.

Aber was regte er sich auf? Die Freude erwartete ja gar nichts von ihm. Sie war vernünftig genug, sein Balzen nicht ernst zu nehmen. »Sie sind verrückt«, hatte sie gesagt und ihn einfach stehenlassen.

Bastian suchte im Radio, bis er etwas fand, das einem sehnsüchtigen Sommerabend ungefähr entsprach. Er schaltete das Licht ein, ohne an die Mücken zu denken, und malte Strichmännchen auf einen Zeitungsrand, machte Strichmädchen aus ihnen, nein, Himmel nein, nicht das, sondern Ärztinnen, im weißen, braven Kittel. Freude. Doktor Freude. Ob sie wohl auch einen Vornamen hatte?

Es war schon ziemlich schlimm. Seit Juscha damals hatte es ihn nicht mehr so erwischt. (Juscha war Wienerin und seine große Leidenschaft gewesen. Die Leidenschaft mußte sterben, weil es ihm am nötigen Fahrgeld von München nach Wien und zurück fehlte.)

Als das Bier zu Ende war, ging er auf seinem Sofa zu Bett, überzeugt, nie mehr schlafen zu können, schon wegen der vielen Mückenstiche.

***

Irgendwann bellte eine Klingel in seinen tiefen Schlaf. Bastian schreckte hoch, wußte erst nicht, wo er war, was los war, auf welcher Seite er aussteigen mußte und tappte im Dunkeln, mehrere scharfe Kanten rammend, zur Wohnungstür. Verfluchte Micky, vergaß immer den Wohnungsschlüssel.

Aber es war nicht die Türklingel, die ihn geweckt hatte, sondern das Telefon.

Bastian stieg mit dem Apparat in sein Sofabett und schimpfte »Guthmann« in den Hörer. »Was – wer? Was für 'n Krankenhaus?«

Eine dunkle, müde klingende Frauenstimme sagte, unterbrochen von einem tiefen Lungenzug: »Ich ruf Sie im Auftrag von Susi Schulz an. Ihr Baby ist da.«

»Mitten in der Nacht?«

»Es ist ein Mädchen.« Tiefer Zug. »Fast sieben Pfund. Eine ganz normale Geburt.«

»Na fein«, sagte Bastian. »Gratulieren Sie von mir, und vielen Dank für 'n Anruf.« Plötzlich war er hellwach. »Hallo«, schrie er in den Hörer, »sind Sie noch da?«

»Ja.«

»Mit wem spreche ich? Sind Sie es?«

»Wer – ich?«

»Na eben Sie –«

Kurzes Zögern, dann: »Ja. Wieso?«

»Schön«, sagte Bastian. »Waren Sie dabei, als die Susi gemuttert hat?«

»Ja.«

»Ich bin nicht der Vater.«

»Ich weiß. Frau Schulz hat es mir gesagt.«

»Was hat sie gesagt?« fragte er.

»Daß Sie nicht der Vater sind, wohl aber der einzige Mensch, der sich ein bißchen freut, wenn ihr Baby da ist.«

So eine gute Meinung hatte dieses Mädchen, das ihm fast fremd war, von ihm. Eine Meinung allerdings, die beinah die Verpflichtung einschloß, sich um sie zu kümmern.

»Grüßen Sie Mutter und Kind.«

»Fräulein Schulz hat übrigens eine Bitte an Sie, Herr Guthmann. Sie hat fest mit einem Jungen gerechnet und keinen Namen für ein Mädchen und ob Sie nicht vielleicht ...«

»Ob ich was?«

»... einen Namen wüßten.«

»So auf Anhieb?« fielen ihm Micky ein, Juscha, seine Schwestern Leni und Rosi – aber dann kam ihm eine Idee. »Ich weiß einen: Wie heißen Sie?«

»Ich?« Kurzes Zögern, dann ungern: »Katharina. Aber ...«

»Schönen Gruß an Susi Schulz, und ich fände den Namen Katharina schön.«

»Aber das ist doch –«

»Bitte!« sagte er unendlich sanft.

»Ich werd's ausrichten. Gute Nacht, Herr Guthmann.«

»Gute Nacht, Katharina ...«

Er legte den Hörer auf, umarmte seine angezogenen Knie und grinste blödsinnig froh auf seine Zehen hinab.

»Katharina Freude. Katharina – Katharina ...«

Und jetzt erst sah er Micky neben seinem Sofa stehen. Er hatte sie nicht kommen hören.

Sie imitierte ihn seelenvoll: »Katharina – Katharina – Katharina ...« Dabei nahm sie ihre Tasche von der Schulter und warf sie hinter sich, ihren Landungsort dem Zufall überlassend. »Ist Katharina deine neue Mieze, ja? Erzähl mal!«

Bastian brach beinah zusammen. »Mieze! Bist du wahnsinnig? Sie ist eine Ärztin!«

»Ach du mein Herr Gesangverein«, seufzte Micky. »Wieder keine, die hier abwäscht.«

Bastian schaute sie nur an. Ohne einen Funken von Sympathie. Wortlos stand er auf und stieg in seine Hosen. Micky sah ihm zu. Micky sah, wie er seinen Pullover überstülpte und den total verstaubten Koffer vom Schrank riß.

Er stopfte wahllos alles hinein, was ihm unter die Finger kam –Hemden, Bücher, selbst den Aschenbecher.

»Du reist aber plötzlich.«

»Ich reise nicht. Ich ziehe aus!«

»Warum?« fragte Micky. »Etwa meinetwegen?«

»Weshalb wohl sonst!?«

Das begriff Micky nicht, denn bei allem, was man ihr nachsagen konnte – unlogisch war sie nicht. »Warum? Warum ziehst du aus und nicht ich? Das ist doch deine Bude hier, oder?«

»Aber du ziehst ja nicht!!«

»Wer sagt denn das?« Sie klang beinah gekränkt. »Wer sagt denn, daß ich nicht ziehe, wo ich doch bloß gekommen bin, um meine Koffer zu holen.«

»Deine – Koffer?«

»Na ja, mein Täschchen.«

Sie begann ihr herumliegendes Hab und Flitter einzusammeln und in eine Plastiktüte zu stopfen.

Bastian sah ihr zu, erst skeptisch – »Ziehst du wirklich?« – und dann immer mehr von Hoffnung verklärt. Sollte etwa eine Glückssträhne bei ihm ausgebrochen sein?

Micky nahm ein Hemd und wollte es in die Tüte stopfen, Bastian stellte das Hemd rechtzeitig sicher, denn es war sein Hemd. Micky sagte: »Na schön, was wollen wir streiten.« Und sah ihn fröhlich an. »Ich hab mir gedacht, rausschmeißen tut er dich eh eines Tages. Also vermasselst du ihm den Rausschmiß und gehst von selbst. Hab ich mir gedacht.«

»Wo ziehst du denn hin?«

»Zu einer Freundin.« Sie sah sich im Zimmer um, ob sie auch nichts vergessen hatte. Bastian sah sich im Zimmer um, ob sie auch nichts hatte mitgehen lassen, was ihm gehörte.

»Die wohnt vielleicht –! Toll! Einfach groupie! Mit Farbfernseher. Nicht so wie hier.«

»Und du bist sicher, daß sie dich aufnimmt? Kann ich mich drauf verlassen?«

Micky lachte. »Mannomann, bist du aber in Druck. Also ja, sie nimmt mich. Sie ist ganz wild drauf, daß ich zu ihr zieh. Sonst würd ich doch nicht mitten in der Nacht – oder?«

Kapitel 5
Katharina II. von links

Gegen sechs Uhr pflegte Schwester Theresa geradezu widerlich frisch die Krankenzimmertür aufzureißen und ihr »Guten Morgen! Guten Morgen!« den schlafenden Patientinnen um die Ohren zu klatschen.

Frau Schüssle antwortete mit einem Stöhnen und Frau Kynast, von Theresa durch ein zusätzliches Rütteln geweckt, nahm ihre Zähne aus dem Wasserglas und fummelte sie sich in den Mund.

»Können Sie einen anständigen Kranken nicht ausschlafen lassen? Nee? Geht das nicht? Die Privatpatienten wecken Sie ja ooch nich mitten in der Nacht. Sind die vielleicht was Besseres?«

Schwester Theresa verteilte die Thermometer und schüttelte herzhaft Martha Guthmanns Hand, als sie an ihr Bett trat. »Na, das war vielleicht eine Überraschung. Herzlichen Glückwunsch!«

Großmutter sah sie nichtsbegreifend an. »Wozu denn?«

Theresa drohte mit dem Finger. »Tun Sie doch nicht so scheinheilig. Sie wissen ganz genau, was ich meine.«

»Was denn? Sagen Sie doch mal!«

»Sie sind Urgroßmutter geworden, Frau Guthmann.«

»Ich? Schon wieder? Wann denn?«

Theresa konnte nicht antworten, weil Frau Kynast, bei der sie den Puls maß, mit Stentorstimme jede weitere Unterhaltung niederdröhnte: »Mit uns könnses ja machen. Wir sind ja bloß Kassenpatienten.«

»Ruhe!« flehte Frau Schüssle. »Die Person macht einen ganz schwach.«

»Wenn du arm bist, mußt du früher aufstehen. Um sechs!« schimpfte die Kynast.

Schwester Theresa kam an Großmutters Bett und ließ sich das Thermometer geben.

»Erzählen Sie doch mal, Schwester. Ich wußt ja gar nicht, daß schon wieder was fällig war. Diese Familie vermehrt sich wie die Karnickel. 13 Enkel hab ich, davon acht verheiratet und von denen schon wieder neun Urenkel in drei Jahren. Einer hat immer Geburtstag. Das geht ins Geld. Das frißt die Pension. Wer ist es denn diesmal?«

»Na, Ihr Enkel, der Sie immer besuchen kommt!«

Großmutter richtete sich erschüttert auf. »Der Bastian? Der Bastian ist Vater geworden? Das gibt's doch nicht!«

»Ja, ist der junge Mann denn überhaupt verheiratet?« erkundigte sich Frau Schüssle, nun auch hellwach.

»Nein«, sagte Großmutter giftig, »ist er nicht. Kann er auch so. Aber daß er mir nichts erzählt hat!« Sie stieß Schwester Theresa, die Puls bei ihr messen wollte, beiseite. »Jetzt Pulsmessen? Was glauben Sie, wie der rast. Kriegt ein Kind und sagt mir nichts. Woher wissen Sie's denn? Hat er angerufen?«

»Von der Nachtschwester weiß ich's. Mutter und Kind liegen auf demselben Stock. Es ist ein Mädchen.«

»Im selben Haus? Hier?« Frau Schüssle war hingerissen. »Auf unserm Stock! Und Sie wissen nichts davon, Frau Guthmann, ja, was sagt man denn dazu!?«

Großmutter sagte gar nichts. Sie kochte.

***