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Über dieses Buch:

Charlotte will das wilde Leben genießen, und das am liebsten mit ihren besten Freunden, dem angehenden Lehrer Peter und dem Architekten Benedikt. Mit ihrer spritzigen Art und unbeschwerten Lebensfreude reißt sie die beiden jungen Männer mitten hinein ins Abenteuer. Es scheint, als könne das Trio nichts trennen … doch dann kommen plötzlich Gefühle ins Spiel – und Charlotte erkennt, dass sich Träume auch ändern können. Aber ist sie bereit, für ein neues Glück alles aufs Spiel zu setzen?

Die Wiederentdeckung des erfolgreichen Romans nach der gleichnamigen Kultserie mit Jutta Speidel, Herbert Herrmann und Thomas Fritsch!

Über die Autorin:

Barbara Noack, geboren 1924, hat mit ihren fröhlichen und humorvollen Bestsellern deutsche Unterhaltungsgeschichte geschrieben. In einer Zeit, in der die Männer meist die Alleinverdiener waren, beschritt sie bereits ihren eigenen Weg als berufstätige und alleinerziehende Mutter. Diese Erfahrungen wie auch die Erlebnisse mit ihrem Sohn und dessen Freunden inspirierten sie zu vieler ihrer Geschichten.
Ihr erster Roman »Die Zürcher Verlobung« wurde zweimal verfilmt und besitzt noch heute Kultstatus. Auch die TV-Serien »Der Bastian« und »Drei sind einer zu viel«, deren Drehbücher die Autorin verfasste, brachen in Deutschland alle Rekorde und verhalfen Horst Janson und Jutta Speidel zu großer Popularität.

Barbara Noack veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane »Der Bastian«, »Danziger Liebesgeschichte«, »Drei sind einer zuviel«, »Brombeerzeit«, »Das Leuchten heller Sommernächte«, »Die Melodie des Glücks«, »So muss es wohl im Paradies gewesen sein«, »Jennys Geschichte«, »Der Duft von Sommer und Oliven«, »Der Zwillingsbruder«, »Das kommt davon, wenn man verreist«, »Auf einmal sind sie keine Kinder mehr«, »Was halten Sie vom Mondschein?«, »Valentine heißt man nicht«, »Der Traum eines Sommers« und »Eine Handvoll Glück« sowie »Ein Stück vom Leben«, die auch im Doppelband »Schwestern der Hoffnung« erhältlich sind. Auch bei dotbooks erschienen ihre Erzählbände »Flöhe hüten ist leichter«, »Eines Knaben Phantasie hat meistens schwarze Knie« und »Ferien sind schöner« sowie der Sammelband »Valentine heißt man nicht & Der Duft von Sommer und Oliven«.

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eBook-Neuausgabe Februar 2016

Copyright © der Originalausgabe 1982 Langen Müller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/FooTToo

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-451-1

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Barbara Noack

Drei sind einer zuviel

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

An einem Aprilabend fuhr Charlotte Müller, genannt Karlchen, mit ihrem rostigen Kombi, der bis zum Kragen mit Töpferwaren aus dem Westerwald beladen war, in München ein.

Der Kombi war halb so alt wie Karlchen. Sie wurde im Juni rostfreie Zwoundzwanzig.

Neben ihr auf dem Beifahrersitz knitterte eine handgemalte Wegbeschreibung ihres Onkels Ernst, die von seiner Lebensgefährtin Marianne mit Rotstift korrigiert worden war.

Karlchen, im Sog der Autoherde von Ampel zu Ampel rollend, entzifferte aus dieser widersprüchlichen Gemeinschaftsarbeit immerhin, daß sie nach der nächsten Kreuzung rechts abbiegen und dann geradeaus fahren mußte bis zu einer Tankstelle, die mangels Kunden stillgelegt worden war.

Die Gegend, durch die sie nach Verlassen der Hauptstraße kam, wurde immer stiller und immer neuer – auch die Bäumchen rechts und links der Straße waren noch fast neu.

Und dann sah sie schon das Betonsilo gegen den Abendhimmel ragen. Es handelte sich um ein Bauherrenmodell, weder schön noch solide gebaut, aber ungemein steuersparend, weshalb Onkel Ernst blindlings zugegriffen hatte, als Ihm eine der Wohnungen angeboten worden war. Anschließend war die Rezession gekommen, die Interessenten ließen sich nicht länger jeden Mist andrehen, deshalb blieben zwei Drittel der Wohnungen unverkauft.

»Was«, so Onkel Ernst, »auch einen Vorteil hat. Dadurch ist es schön ruhig in der Gegend.«

Gegen »schön ruhig« hatte Karlchen nichts einzuwenden, aber mußte es denn gleich so tot sein? Sie stieg aus.

Auf dem riesigen Parkplatz graulten sich fünf Autos, und nun graulte sich Karlchen mit ihnen.

Als sie Koffer und Seesack vor der Haustür abstellte, um nach den Schlüsseln zu suchen, fielen ihr die vielen blinden Namensschildchen auf dem Klingelbrett auf, gerade neun waren beschriftet. Neun Mieter in fünf Stockwerken!

Ob sie nicht doch im Hotel absteigen sollte? Aber auf eigene Kosten? Lieber zittern.

Sie fuhr mit dem Aufzug in den dritten Stock, öffnete vorsichtig die Lifttür, schob Koffer, Seesack und schließlich sich selber auf den betonierten Flur, in dem ihre Schritte hallten wie im Horrorfilm. Ein leeres Haus ist was Schlimmes, aber wer garantierte ihr, daß seine Flure wirklich leer waren, daß da nicht irgendeiner hinter der nächsten Ecke auf sie lauerte, und sie war doch noch so jung –!

Karlchen atmete zum erstenmal tief durch, als sie die Wohnungstür hinter sich zugeschlagen hatte.

Es roch muffig in dem kleinen, dürftig möblierten Zweizimmerapartment. Auf dem Wohnzimmertisch dorrten noch die Blumen von Mariannes letztem München-Besuch vor sich hin.

Telefonläuten holte Karlchen frühzeitig vom Klo. Sie nahm den Hörer ab. Ehe sie etwas sagen konnte, brüllte Onkel Ernst:

»Charlotte! Bist du endlich da? Wir haben schon zweimal angerufen!«

»Nein, dreimal!« rief Marianne dazwischen.

»Wie war die Fahrt nach München?« fragte Onkel Ernst. »Ach, es ging. Aber das leere Haus hier! Die Angst!«

»Alles Gewöhnung«, mischte sich Marianne wieder ein. »Mir ist da noch nie was passiert.«

»Ja, dir –«, sagte Onkel Ernst.

»Steck für alle Fälle das Brotmesser ein, wenn du weggehst«, riet Marianne.

»Lieber den Pfefferstreuer! Dem Gegner direkt in die Augen!« kommandierte Onkel Ernst.

»Da kommt sie doch gar nicht mehr zu. Hallo, Karlchen, bist du noch da?«

»Ja.«

»Ruf Gaby an. Ruf sie gleich an.«

»Warum soll sie denn Gaby gleich anrufen?« hörte sie Onkel Ernst fragen.

»Herrgott, Ernst! Damit sie nicht so allein in München ist.«

Karlchen verabschiedete sich erschöpft und suchte Gabys Nummer aus dem Telefonbuch.

***

Gaby Hess hatte mongolische Augen und schräge Wangenknochen, was Männer ja gerne mögen, und eine Stimme wie ein Kettenraucher am nächsten Morgen. Wenn sie eine kleine Party gab so wie heute, trug sie ihre auf einem Asientrip erworbenen exotischen Gewänder auf.

Zwei junge Buchhändler – Toni und Reni – waren bei ihr, ein juristischer Christoph und Peter Melchior, der dem Telefon am nächsten saß und darum den Hörer abnahm, als es klingelte.

»Hallo? – Wer? – Ich verstehe nicht! Seid mal ruhig!« Er wartete einen Moment, dann sagte er bedauernd in den Hörer: »Die sind nicht ruhig. Wer ist da? – Charlotte?«

Jetzt war es ruhig. Gaby dachte angestrengt nach, ob sie eine Charlotte kannte.

»Ist das so eine Blonde?« erkundigte sich Christoph. Peter betrachtete den Telefonhörer und zuckte die Achseln.

»Ach, Karlchen!« begriff Gaby plötzlich und riß ihm den Hörer aus der Hand. »Du?! Wo steckst du denn? – In München! Seit wann? – Ja, Mensch, dann komm doch her. Komm gleich. Ich hab paar Typen hier. Wir feiern Abschied. – Was? Warum denn nicht?«

»Weil ich mich fürchte«, erklärte Karlchen am anderen Ende der Leitung. »Bin ich endlich hier oben und froh, daß mich keiner abgemurkst hat, soll ich schon wieder runter! Das verkrafte ich nicht.«

»Stell dich nicht an! Glaubst du, Verbrecher haben nichts anderes zu tun, als auf dich zu warten?« war alles an Mitgefühl, was Gaby aufbrachte. »Nun komm schon, komm so, wie du bist. Okay?«

Ehe Karlchen die Wohnung verließ, steckte sie das Brotmesser ein und den Pfefferstreuer – denk daran, dem Gegner direkt in die Augen!

»Wann geht dein Zug?« fragte Gaby beim Austeilen des Heringssalates.

»So um neun rum.«

Alle Anwesenden sahen mitleidig auf Peter Melchior, der morgen früh nach Nebel im Bayerischen Wald nahe der tschechischen Grenze reisen und dort seine erste Stellung als Lehrer antreten würde.

»Wenn ich mir vorstelle, ich müßte morgen an den Arsch der Welt«, sagte Christoph. »Also soviel könnte ich gar nicht saufen!«

»Ich hab ja nicht Großstadtlehrer gelernt, sondern Lehrer«,

gab Peter zu bedenken. »Außerdem hat’s da auch Kinder, die unterrichtet werden müssen!«

»Na ja – aber ausgerechnet von dir!?«

Und dann kam Karlchen.

Gaby stellte sie vor mit dem Zusatz: »Wir sind beinah verwandt. Meine Tante Marianne lebt mit ihrem Onkel Ernst seit 15 Jahren zusammen.«

»Eernst, ach, Eernst, was du mir alles leernst!« fiel Toni dazu ein.

»Und das sind meine Freunde Reni, Toni, Peter, Christoph. Hier hast’n Glas. Magst du was essen? Peter, rutsch mal, laß Karlchen sitzen.«

Peter rutschte und betrachtete dabei den Neuzugang. Lange Beine in gelben Stiefeln, frostgerötete Knie und ein lodengrüner Minirock. Obgleich sie schlank war, wirkte sie ein bißchen pummelig. Karlchen nannte es ihren alternden Babyspeck, der müßte dringend weg, und ab nächsten Montag würde sie ganz bestimmt mit der Hungerei anfangen …

Unter ihrem rotblonden, starken Wikingerhaar leuchteten viele, viele winterfeste Sommersprossen. Ihre Augen waren braun wie dunkles Bernstein.

»Karlchen kommt aus Montabaur, aus dem Westerwald«, erzählte Gaby.

»O du schöner Wehehesterwald –«, sang Toni.

Karlchen sah ihn gequält an, die Gabel im Heringssalat. Da brach er ab.

»Danke«, sagte sie.

»Stell dir vor, Karlchen, Peter zieht morgen in den Bayerischen Wald. Als LAA. Weißt du, was das ist?«

Sie überlegte und tippte auf Götz von Berlichingen. »Falsch«, sagte Christoph, »das ist L–M–A–A. Ein LAA ist ein Lehr-Amts-Anwärter. Spricht sich schön flüssig, nicht?«

»Möchten Herr Lehramtsanwärter noch ’n kleinen Schluck?« fragte Gaby.

Peter seufzte: »MannohMann! Was ich mich freu, wenn ich euer blödes Gerede nicht mehr hören muß.«

»Das ist sein Galgenhumor«, sagte Reni zu Karlchen. »Dabei werden wir ihm fehlen. Wir werden ihm ja so fehlen!«

Peter schaute Reni an und wollte etwas sagen, wurde aber durch Karlchen abgelenkt, die sich verschluckt hatte und hustete.

»Hände hoch!«

Sie hob gehorsam die Arme. Er schlug ihr auf den Rücken. »Nicht so doll«, sagte Gaby, »sonst verrutschen ihr die Rippen.«

Und dann tranken alle auf Peters Wohl und schönes, lehramtsanwärterliches Gelingen.

»Komisch, wie beliebt man plötzlich bei seinen Freunden ist, wenn sie einen loswerden«, stellte er fest. »Da merkt man doch –«

Er brach ab und staunte in Karlchens geöffnete Tasche, in der sie nach Tempotüchern suchte. Dabei sah er das blanke Brotmesser liegen.

»Ist was? Du wolltest doch was sagen!« erinnerte Gaby. Peter blickte auf. »Ich hab’s vergessen –«

Karlchens Tasche war nun wieder zu. Sie aß den Teller auf ihren Knien leer.

»Mach bloß keine Kollegin an«, sagte Reni zu Peter. »Ich kenn dich doch. Das dauert paar Wochen, dann bist du sie leid, aber noch immer an derselben Schule wie sie, und das in ’ner Kleinstadt –«

»Ich fang da schon nichts an.« Peter sah auf die Uhr und erhob sich. »Muß nach Hause. Hab noch nicht gepackt.« »Wir gehen auch«, sagte Toni zu Reni.

»Wir besuchen dich mal. Wir kommen alle nach Nebel, nicht wahr?«

Karlchen blieb bei Gaby zurück. »Sag mal, macht es dir was aus, wenn ich heut nacht bei dir schlafe?«

Gabys Begeisterung hielt sich in Grenzen.

»Nein, natürlich nicht – ich meine, jederzeit – bloß ausgerechnet heute geht’s schlecht –« Sie blickte auf Christoph.

»Ach so, verstehe.« Und Karlchen lief den andern hinterher die Treppe hinunter.

Auf der Straße wartete sie ab, bis sich die Freunde voneinander verabschiedet hatten. Reni tauschte viele Küsse mit Peter Melchior, Toni gab ihm noch ein paar dumme Sprüche mit auf den Weg und die Ermahnung: »Denk daran, von jetzt ab ruht das Auge der Öffentlichkeit auf dir nebst dem seiner Gattin!«

Dann stiegen sie in ihren Käfer, die Türen klappten laut, letzte Zurufe hallten über die Straße – wer von den Anliegern schon geschlafen hatte, war nun bestimmt wieder wach.

Peter gähnte »Tschau, Karlchen, mach’s gut« und wollte die Straße hinuntergehen.

»Ach, bitte –«

»Ja?« blieb er stehen.

»Können Sie mich nicht heimbringen?«

»Hab ja kein Auto.« (Was manchmal ein Vorteil ist.)

»Aber ich.«

»Ja, dann – wieso?!« begriff er nicht. »Ich wohne direkt um die Ecke. Keine drei Minuten von hier.«

Karlchen sah ihn an. Sollte das nun ein flehender oder ein verführerischer Blick sein? Peter war da nicht sicher, er merkte nur eins: wie müde er war.

»Bitte –« Sie zeigte auf einen idiotisch geparkten Kombi auf der gegenüberliegenden Straßenseite. »Da steht er.«

»O Mann!« war er plötzlich wütend auf sich selber, weil er »Na schön« sagte, obgleich er ›Bin ich blöd und fahr die heim?‹ dachte.

Im Laternenschein kramte sie nach den Autoschlüsseln. Kramte ihre Tasche aus, ihre Manteltaschen – drückte ihm Messer und Pfefferstreuer in die Hand. »Halten Sie mal –«, er probierte ihn aus. Da war wirklich Pfeffer drin.

»Wozu?« fragte er.

»Für Notfälle«, sagte Karlchen und hatte ihre Schlüssel endlich in der Rocktasche gefunden.

Ungern stieg er in den Kombi. Auf seinem Sitz war Holzwolle. Er wischte sie unter seinem Hintern vor.

Karlchen schnallte sich indessen an und fuhr mit einem Ruck los. Hinter ihnen klirrte es.

»Reisen Sie immer mit Geschirr?«

»Das sind meine Muster. Wir haben ’ne kleine Töpferei in Montabaur. Das heißt – mein Onkel Ernst hat sie. Zweimal im Jahr geht einer von uns auf Tournee und sammelt Bestellungen ein. Diesmal bin ich mit Bayern dran.«

***

So fuhr Karlchen munter, weil nicht alleine, in die Betonöde zurück. Nachts fiel es nicht so auf, daß keine Fenster erhellt waren.

Peter stieg aus und wollte sich gleich verabschieden.

»Ja, bringen Sie mich denn nicht rauf?« erschrak sie.

»Nein. Ich muß noch packen.«

»Wozu sind Sie dann erst mitgekommen?«

»Das frage ich mich auch.«

»Sie müssen mit raufkommen! Bitte.«

»MannohMann!« Peter war nun sauer. »Was soll’s? Morgen fahre ich in den Bayerischen Wald. Ich bin hundemüde. Seit Wochen feiere ich Abschied. Einen Abschied nach dem anderen. Ich bin froh, daß ich alles Bisherige los bin. Da werde ich doch am letzten Abend nicht noch was Neues anfangen! Oder?«

Endlich kapierte Karlchen: »Nichts anfangen. Bloß mit raufkommen. Ich trau mich nicht allein. Hier wohnt doch fast keiner.«

»Ach so. Deshalb.« Peter war fast ein wenig enttäuscht. Sie wollte gar nichts von ihm!

»Ich glaube nicht, daß ich hier lange bleibe«, sagte Karlchen, während sie auf das Haus zugingen. »Ich halte das nervlich nicht durch.«

»Sie werden sich dran gewöhnen.«

»Ans Fürchten? Nie!!«

In der Wohnung angekommen, mußte er warten, bis sie unter das Bett geschaut hatte und in die Schränke, ob vielleicht einer drinsaß. Er fand das reichlich übertrieben, aber bitte, wenn es sie beruhigte …

»Sie kommen mir vor wie eine, die sich ’nen Löwen als Haustier kauft und dann aus Angst vor ihm auf’m Schrank sitzt. Warum wohnen Sie hier, wenn Sie sich derart graulen?«

»War ja nicht vorauszusehen, als Onkel Ernst den Kaufvertrag unterschrieben hat. Ein einziges Mal im Leben macht er ein großes Geschäft. Um Steuern zu sparen und ein Bein in München zu haben, kauft er sich in diesem optischen Schandfleck ein. Nach München kommt er nicht öfter als früher, und für die Zinsen, die er zahlen muß, könnte er in den ›Jahreszeiten‹ übernachten, wenn er mal hier ist. Aber das ist typisch für meine Familie, wenn die mal ein Geschäft macht!«

Peter lachte.

»Ist gar nicht zum Lachen«, lachte Karlchen.

Dann ging er. Sie schloß zweimal herum und legte die Kette vor.

»He«, bummerte er von draußen, »ich bin’s noch mal. Gibt es in dieser gottverlassenen Gegend ein Verkehrsmittel?«

»Keine Ahnung, glaube ich nicht.«

»Können Sie mir ’n Taxi rufen?«

Karlchen schloß wieder auf.

»Taxi? Ja aber – was das kostet! Bei der Anfahrt!«

Peter tat sich sehr leid und ihr nun auch. Kurz entschlossen gab sie ihm ihre Autoschlüssel.

»Wissen Sie was? Nehmen Sie den Kombi bis morgen früh. Okay?«

***

Karlchen frühstückte stehend am Küchentisch – rechts eine Dose mit Ananas, links lasche Salzbrezeln, was anderes an Vorräten hatte sie nicht vorgefunden. Kaffee wollte sie erst kochen, wenn Peter kam, um die Autoschlüssel zurückzubringen. »Wenigstens eine Tasse, geht ganz schnell.«

Aber er war spät dran. Er mußte dringend zum Bahnhof. Sie gab ihm die Hand. »Na, dann alles Gute. Werden Sie ein netter Lehrer.«

Er sah sie fragend an. »Ich habe noch meine Klamotten in Ihrem Wagen.«

»Was für Klamotten?«

»Na, alles.«

Endlich begriff Karlchen. »Achsoja – da muß ich Sie wohl zum Bahnhof fahren.«

»Nett, daß Sie von selber drauf kommen.«

***

Karlchen schnallte sich an.

Peter lehnte sich zurück und wartete darauf, daß sie endlich startete.

Karlchen schnallte sich wieder ab.

»Was jetzt?«

»Die Papiere! Ich hab die Autopapiere vergessen.« Sie stieg aus und rannte zum Haus. »Bin gleich wieder da!«

»Aber mein Zug!!«

Das durfte nicht wahr sein. Er pfiff, trommelte, schrie »hallo« aus dem offenen Fenster. Resignierte schließlich.

Endlich kam Karlchen aus dem Haus gerannt, stieg atemlos ein und schnallte sich an.

»So, jetzt können wir. – Wo ist der Bahnhof? Wissen Sie, wie es zum Bahnhof geht?«

»Ja. Aber was soll ich noch da? Der Zug ist weg.«

»Ach!« sagte sie betreten. »Und der nächste?«

»Der ist mit zweimal Umsteigen.« Er zeigte mit dem Daumen hinter sich. »Bei dem Gepäck!«

»Alles meine Schuld«, sah sie ein.

»Ja.«

Karlchen hatte eine Idee. Dazu brauchte sie die Straßenkarte aus dem Handschuhfach. Sie breitete dieselbe aus, sich und Peter damit zudeckend, und irrte mit dem Zeigefinger los.

»Was suchen Sie eigentlich?« erkundigte er sich nach einer Weile.

»Nebel – was sonst?«

»Aber doch nicht in Holstein.« Er nahm ihren Zeigefinger

und fuhr mit ihm in den Bayerischen Wald.

»Wie weit ist das eigentlich von München?«

»Na, so hundertfünfzig Kilometer.«

»Da muß ich sowieso hin. Ob ich nun heute oder erst in drei Wochen die Gegend abklappere, ist Jacke wie Hose. Fange ich eben meine Verkaufstour im Bayerischen Wald an.« Und Karlchen schnallte sich wieder ab. »Muß ich bloß noch mal rauf, meinen Koffer holen.«

Kapitel 2

Karlchens Kombi hielt mitten auf dem Marktplatz von Nebel. Peter stellte vor: »Rathaus – Gotteshaus – Wirtshaus – Kriegerdenkmal –«

»Nett«, sagte Karlchen. »Wissen Sie schon, wo Sie wohnen werden?«

»Ja. Im Haus muß man die Schuhe ausziehen.« Er legte die Hand auf ihre Schulter. »Gehn wir erst mal ins Gasthaus. Ich hab Durst.«

Während sie den Platz überquerten, sahen sie einen jungen Mann mit einer gewaltigen Rolle Maschendraht und anderem Sperrgut aus dem Kaufhaus kommen.

In der Wirtsstube hockten um diese frühe Mittagsstunde nur wenige Einheimische.

»Ob das alles Eltern sind?« überlegte Karlchen.

»Eltern? Wieso? Wessen Eltern?«

»Na, die von Ihren Schülern.«

Peter trank einen Schluck Bier. »Ich weiß ja noch gar nicht, welche Klasse ich kriege. Uns Anfängern halst man gerne die schwierigsten auf. Die, die kein anderer Lehrer haben will.«

»Was sind eigentlich Ihre Fächer?«

»Deutsch, Biologie und Turnen. Aber das will nichts heißen. Ein Freund von mir hatte Deutsch und Mathe. Dann kam er als erstes nach Warzenried. Und was mußte er geben? Englisch und Religion in den obersten Klassen. Es ist alles drin.«

Die Drahtrolle aus dem Kaufhaus mit dem jungen blonden Mann betrat die Gaststube, steuerte auf ihren Nebentisch zu. Er lehnte die Rolle an die Wand. Kaum drehte er ihr den Rücken zu, fiel sie um.

Resi, die Kellnerin, knallte ein Schinkenbrot vor Karlchen hin und begrüßte den jungen Mann: »Ja, der Herr Kreuzer! Wie geht’s dem Bein?«

»Danke.« Er stellte die Rolle wieder auf. »Es ist wahrscheinlich eine Dehnung der Gelenkbänder. Daher der Bluterguß im Fuß. So was geht meistens Hand in Hand.«

Resi schien beeindruckt. »Ah geh – waren S’ beim Dokter?«

»Brauch ich nicht. Ich habe ein Medizinbuch.«

Karlchen, die interessiert zugehört hatte, wandte sich jetzt an Peter: »Hier werden Sie nun Ihre einsamen Abende verbringen. Haben Sie gar kein Muffensausen vor der Zukunft?«

Peter lachte. »Sie machen sich mehr Sorgen als ich. Es wird schon irgendwie werden …« Er trank sein Bier aus und stand auf. »Ich lade rasch mein Gepäck aus. Dauert nicht lange.«

»Ich hab ja auch noch mein Schinkenbrot«, sagte Karlchen und wickelte Messer und Gabel aus der Serviette.

Peter sah ihr dabei zu. »He – Sie – ich find’s ganz nett mit Ihnen.«

»Ich auch«, versicherte Karlchen.

»Gestern fand ich Sie nicht so nett.«

»Das geht manchem so. Man muß sich erst an mich gewöhnen.«

Er ging. Hinter ihm fiel die Drahtrolle um. Der junge blonde Mann vom Nebentisch erhob sich und stellte sie wieder auf. Karlchen schaute ihm interessiert zu.

»Sie fällt immer um«, sagte er erklärend.

»Ja«, nickte Karlchen, »Sie fällt immer um«, und biß in ihr Brot.

Und danach beobachteten beide gespannt die Rolle. Sie stand jetzt wie eine Eins.

»Warum legen Sie sie nicht hin?« fragte Karlchen.

»Hinlegen?« überlegte er, »Ja, natürlich. Das ist ’ne gute Idee.«

Er stand auf, legte die Rolle hin und setzte sich wieder. Karlchen kaute mit langen Zähnen an ihrem Brot mit gekochtem Schinken. Sie schaute sich suchend auf dem Tisch um. Der junge Mann reichte ihr den Senf herüber.

»Danke. Woher wissen Sie?«

»Ich kenne diesen Schinken.«

»Sind Sie aus der Gegend?«

»Nein. Aber ich wohne hier.«

Karlchen musterte ihn. Er war ein besonders hübscher junger Mann. Was ihn auf Anhieb für Frauen so anziehend machte, waren seine tiefliegenden, bekümmerten Augen. Er sah so verletzbar aus.

»Ich bin erst’n paar Wochen hier in Nebel«, sagte er. »Ich komme aus Berlin.«

»Aha. Wie lebt es sich denn hier?«

Er zuckte die Achseln. »Auf alle Fälle billiger.«

***

Inzwischen stand Peter mit Koffern, Taschen und Radio vor einem abweisend nüchternen Haus. Seine Fassade machte den Eindruck einer täglich gescheuerten. Mehrere Gardinen waren in Bewegung, als er die Klingel drückte. Fast im gleichen Moment öffnete sich die Haustür. Seine neue Wirtin, Frau Obermayer, musterte Peter ohne Lächeln. Sie trug Hausschuhe und drei Schürzen übereinander, eine davon zum Schonen der anderen.

Peter, den nichts so leicht zu erschrecken vermochte, rief munter: »Grüß Gott, Frau Obermayer. Da bin ich.«

»Ja, ich seh«, sagte sie gedehnt und trat zur Seite, damit er sein Gepäck in den Flur buckeln konnte. Im Hausflur roch es säuerlich.

Frau Obermayer wies mahnend auf seine Füße. »Die Schuhe! Das war ausgemacht.«.

Ergeben kickte er die Slipper von seinen Hacken und schleppte auf Socken und unter ihrer Aufsicht seine Habe die Treppe hinauf.

Das Zimmer, das er im ersten Stock gemietet hatte, war von erlesener Ungemütlichkeit, aber sauber. Sein einziger Schmuck – ein frommer Druck vom geigenden Eremiten.

***

In der Gastwirtschaft hatte das kontaktfreudige Karlchen inzwischen einiges über den Drahtrollenbesitzer erfahren. Er hieß Benedikt Kreuzer, war Architekt, zur Zeit stellungslos, wohnte nicht in Nebel, sondern etwa vier Kilometer entfernt am Wald.

»Weit weg von jedem Umweltschmutz. Ich würde sagen, von jeder Umwelt überhaupt.«

»Das ist bestimmt sehr gesund, aber besonders komisch ist es nicht, oder?«

»Nein«, versicherte er ihr. »Es ist so eine Art Überlebenstraining. Wie lange halte ich es ohne Ansprache, ohne jedes Lebewesen – ausgenommen Vögel und Ungeziefer – in meiner Einsiedelei aus.« Er sah auf seine Uhr und erhob sich. »Mein Auto ist zur Durchsicht. In zehn Minuten geht der Schulbus, mit dem ich zurückfahren kann.«

»Im Bus? Mit dem ganzen Gelump? Und das bei Ihrem schlimmen Bein!?«

Benedikt Kreuzer zuckte die Achseln. »Was soll’s –« Ihm war zur Zeit so ziemlich alles egal. Das spürte Karlchen. »Und vom Bus – haben Sie’s da noch weit?«

»Vielleicht zehn Minuten Feldweg.«

Das waren fünf Minuten zuviel – ihrer Meinung nach. Entschlossen stand sie auf. »Ich fahre Sie heim.«

Er konnte das nicht so recht kapieren. »Sie mich –? Warum? Sie kennen mich doch gar nicht. Und wenn Ihr Freund inzwischen zurückkommt?«

»Habe ich ihn von München hierhergekarrt, kann ich Sie wohl die paar Kilometer heimbringen.«

»Ja aber, das ist doch ’n Unterschied.«

»O ja. Sie haben ein schlimmes Bein, er nicht. Warten Sie, ich nehme Ihnen was ab.« Sie stürzte sich auf die Drahtrolle. »Außerdem ist er nicht mein Freund. Ich kenne ihn noch nicht mal 24 Stunden.«

Während er mit ihr um das Tragen der Rolle rang, sah man Benedikt an, daß er kurz über Karlchen und die Männer nachdachte und nicht so recht durchblickte.

Peter zählte, endlich von Frau Obermayers irritierendem Kontrollblick befreit, die um ihn verstreuten Gepäckstücke. Und siehe, es waren statt sechs nur fünf. Es fehlte was. Was fehlte? Die Plastiktüte mit dem Radio.

Er lief die Treppe hinunter, zur Haustür hinaus.

Einsam auf dem Gehsteig wartete sein Radio. Und gegenüber verstaute gerade der junge, blonde Mann aus dem Wirtshaus seine Drahtrolle und diverse Pakete in Karlchens Kombi, in dem noch vor kurzem sein eigenes Hab und Gut gereist war. Karlchen und der Blonde stiegen ein und starteten.

»MannohMann«, staunte Peter und rannte hinter dem anfahrenden Wagen her. »He – Sie – anhalten!!« Ein Nagel auf dem Kopfsteinpflaster erinnerte ihn daran, daß er auf Socken war. Er gab die Verfolgung auf.

Komisches Karlchen. Wie die sich an die Männer ranmachte, ohne was von ihnen zu wollen! Denn daß sie diesen blonden Schönling attraktiver finden könnte als ihn selbst, kam Peter Melchior keinen Augenblick in den Sinn. Dazu hatten er und die Mädchen sein Selbstbewußtsein viel zu sehr verwöhnt.

Peter fand sich fabelhaft gewachsen, muskulös, drahtig. Seiner Meinung nach hatte er einen irren Sex, und dazu die schönen, dichten, dunklen Haare, die er täglich wusch …

Neinnein. Auf ihn fuhr jede ab.

Karlchen war auch abgefahren – bloß nicht auf ihn, sondern mit einem andern. Na, egal – Sie war sowieso nicht sein Typ gewesen. Hauptsache, sie hatte ihn samt Gepäck von München nach Nebel kutschiert.

Kapitel 3

Es war ein schöner Morgen. Peter ging – mit Schlips! – über den Markt, vorbei an den Gemüse- und Obstständen. Er spürte, wie er von allen Seiten gemustert wurde. Noch kannte er keinen hier, aber er hatte den Eindruck, alle wußten bereits, daß er der neue Lehrer war.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Marktes betrat er das Kaufhaus Hirn.

»Haben Sie Luftballons?« fragte er die Verkäuferin. »Solche zum Auf blasen?«

Sie überflog die in den Regalen gestapelten Kartons und zog einen hervor. Außer verschiedenen Scherzartikeln enthielt er auch Ballons.

»Wieviel brauchen Sie denn, Herr Lehrer?«

Peter war überrascht: »Woher wissen Sie?«

»Nebel ist eine Kleinstadt, Herr Melchior –« Sie reichte ihm die Hand über den Ladentisch. »Ich bin Frau Anders, auch nicht von hier.« Frau Anders mochte Mitte Dreißig sein und sah so aus, als ob sie mit dem linken Fuß auf die Welt gekommen wäre.

Gemeinsam zählten sie die schrumpligen Ballons aus ihrem Karton in eine Tüte – für jedes Kind einen und fünf zur Reserve, falls welche kaputtgingen.

»Welche Klasse werden Sie übernehmen?«

»Die sechste«, wußte er inzwischen.

»Da tun Sie mir aber leid, Herr Lehrer. Das ist die schlimmste. Ihre Vorgängerin haben sie total geschafft. Ich weiß das, mein Andi geht in die sechste. Der arme Bub! Er hat so einen schweren Stand, Herr Lehrer, er ist der Kleinste und Schmächtigste. Außerdem sind wir Zugereiste.«

Sie schob die Ballons in eine Tüte.

Peter zahlte.

»Wozu brauchen Sie denn so viele?«

»Für den Unterricht.« Er gab ihr die Hand. »Schönen Dank, Frau Anders.«

»Mein Bub heißt Andi – Andi Anders«, erinnerte sie ihn beim Abschied. »Wenn Sie ein bißchen auf ihn achtgeben würden, Herr Lehrer, bitte.«

***

Als Peter auf seine neue Schule zuging, bremste ein Kombi scharf neben ihm. Und dabei klirrte es ein bißchen.

Das Geräusch war ihm vertraut.

»Karlchen aus dem Westerwald! So eine Überraschung! Sind Sie noch immer hier oder schon wieder?«

»Noch immer. Ich grase die Gegend nach Aufträgen ab. – Doll ist das nicht. In vier Geschäften hab ich neun Milchtöpfe verkauft. Hier in Nebel noch kein Stück. – Heute ist erster Schultag, nicht wahr?« Sie stieg aus.

»Ja.«

»Ist Ihnen mulmig zumute?«

»Bißchen schon.«

»Hab ich mir gedacht. Darum bin ich noch mal vorbeigekommen.«

Karlchen. Die Haare auf dem Hinterkopf mit Schießgummi zusammengezurrt, eine geblümte Dirndlbluse, der Minirock diesmal aus Leder, ein viel zu weiter Anorak. Ihr unbeschwertes Lachen. Ihre Gutmütigkeit. Ihre Sommersprossen. Karlchens Anblick duftete nach frisch gemähtem Heu, nach Himbeeren und Schulkakao mit einem Schuß Senf, ging es ihm durch den Sinn.

»Was macht eigentlich Ihr neuer Freund?«

Sie begriff nicht sofort. »Welcher?«

»Na der, mit dem Sie aus dem Wirtshaus abgehauen sind!«

»Ach, haben Sie das gesehen? Warum haben Sie nicht gerufen?« wunderte sie sich. »Ich möchte Sie gern mit ihm zusammenbringen, damit sie beide nicht so allein hier sind.«

Das Geräusch eines gemächlich fegenden Besens kam immer näher, wirbelte inzwischen die Bonbonpapiere zu ihren Füßen auf. Fuhr um ihre Beine. Der Besen gehörte einem kleinen Mann mit Schiebermütze. Nicht nur sein Besen, auch sein breites, gutmütiges Grinsen begann sie zu irritieren, wenn sie seinem Blick begegneten.

»Komisch, daß noch keiner da ist«, wunderte sich Karlchen, das stumme Schulhaus betrachtend. »Wahrscheinlich sind Sie viel zu früh dran …«

»Zu frieh fir Schul, aba zu spät fir Kirche. Heite is erste Schultag, Herr Lehrer.« Er stellte den Besen ab und gab Peter die Hand. »Gumpizek. Schulhauswart. Kennen S’ aba auch Gumpi sagen wie alle.«

»Melchior.« Peter schüttelte Gumpis Hand, und dann dämmerte es ihm: »Was haben Sie gesagt? Die sind schon alle in der Kirche? Ja, was ist denn mit meiner Uhr –? Was mach ich denn jetzt?«

Gumpi legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. »Wenn S’ tichtig rennen, Herr Lehrer, kriegen S’ noch Segen mit.«

Peter rannte los. Nach fünf Schritten stoppte er und rief zurück: »Wo beten die denn?«

»Wir in die unsre und die Evangelische in Kirche ihriges. Wo missen Herr Lehrer?«

»Was ist näher?«

»Wir – am Markt.«