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Thomas Buomberger

Guido Magnaguagno

Schwarzbuch Bührle

Thomas Buomberger
Guido Magnaguagno (Hrsg.)

Schwarzbuch
Bührle

Raubkunst für das Kunsthaus Zürich?

Rotpunktverlag.

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Cassinelli Vogel Stiftung

Bilder der Kunstwerke mit freundlicher
Genehmigung durch die Stiftung
Sammlung E.G. Bührle.

© 2015 Rotpunktverlag
www.rotpunktverlag.ch

Umschlagbild: Emil G. Bührle und seine
Kunstsammlung, 1953. Foto: Dmitri Kessel.
© Getty Images.

ISBN 978-3-85869-676-2

1. Auflage 2015

Inhalt

Vorwort

Hans Ulrich Jost

Das Bührle-Paradox: Ausgegrenzt und eingespannt

Wolfgang Hafner

Oerlikon-Bührle: Das hässliche Gesicht der Schweizer Industrie

Thomas Buomberger

Kunst und Kanonen: Die Herkunft von Bührles Bildern

Guido Magnaguagno

Die Sammlung Bührle: Raubkunst und Fluchtgut

Charles Linsmayer

»Blutgeld vom ersten bis zum letzten Rappen …«

Thomas Buomberger

Der Steueroptimierer

Thomas Buomberger

Bührle als Kulturförderer: Eigennutz und Großzügigkeit

Wolfgang Hafner

Antikommunistisch und amoralisch: Oerlikon-Bührle profitiert vom Ost-West-Konflikt

Heinz Nigg

Augenöffner: Raubkunst und Fluchtgut erinnern an den Holocaust

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Die Autoren

Personenregister

Vorbemerkung zur E-Book-Ausgabe

Die Publikation des Schwarzbuchs im August 2015 sowie eine ausgebuchte Podiumsdiskussion im Zürcher Kaufleuten gleich nach Erscheinen des Buches haben eine intensive Diskussion ausgelöst. Nicht nur in der gesamten Schweizer Presse, sondern vor allem auch in Deutschland ist ausführlich und wie voraussehbar sehr kontrovers und engagiert auf die Enthüllungen über Raubkunst und Fluchtgut in der Sammlung Bührle berichtet worden. Während den Autoren teils vorgeworfen wurde, wenig Neues zu liefern, war es interessant festzustellen, wie der Inhalt des Buchs ganze Zeitungsseiten spielend zu füllen vermochte. Auf einer Fluchtgut-Tagung am 31. 8. im Museum Oskar Reinhart in Winterthur versuchten Exponenten des Schweizer Kunsthandels nach dem ersten Sturm zwar noch, die alten Dämme wieder aufzurichten. Aber die Reaktionen im Zürcher Gemeinderat auf ein Postulat der Alternativen Liste (AL), die Absicht des Bundesamtes für Kultur, die Schweizer Museen bei der Durchleuchtung ihrer Bestände finanziell zu unterstützen oder die im Fall des Hodler-Bildes aus der Sammlung Blocher erstmals ausgelöste Aufforderung, auch die Schweizer Privatsammlungen auf ihre Provenienzen zu untersuchen, zeigen deutlich, dass hinter den Diskussionsstand des Schwarzbuchs nicht mehr zurückgegangen werden kann. Vielmehr ist nach der 70-jährigen Verdunkelung jetzt allgemein lückenlose Transparenz gefragt.

Die Schweizer Haltung, die einmal mehr einen »Sonderfall« beanspruchen wollte, wird sich auch die Kategorie »NS- verfolgungsbedingter Verluste« aneignen müssen, was heißt, dass auch in unserem Land getätigte Notverkäufe restituiert werden müssen. Bemerkenswert ist, dass die Direktorin des Bundesamtes für Kultur, Isabelle Chassot, unlängst verlauten ließ, dass die Kategorie »Fluchtgut« nicht befriedige und sie den Terminus des »NS-verfolgungsbedingten Verlustes« vorziehe.

Transparenz ist insbesondere auch von der Stiftung Sammlung Bührle gefragt. Sie betrifft auch die nicht zugängliche Privatsammlung Bührle, die einst rund 120 Bilder ausmachte. Die digital einsehbaren Provenienzen der 190 Werke in der Stiftung weisen insbesondere für die Kriegsjahre beträchtliche Lücken auf. Von »vorbildlicher Provenienzforschung« seitens der Stiftung Sammlung Bührle, wie teils in der Presse zu lesen war, kann keine Rede sein. Die Aneinanderreihung von Handänderungen genügt heutigen Ansprüchen nicht – vielmehr müssen die Familienbiografien sowie das politisch-soziale Umfeld erforscht und so dargestellt werden, dass ersichtlich wird, ob Notverkäufe getätigt werden mussten.

Im Laufe der Auseinandersetzungen um die Aufnahme der Bührle-Stiftung in den Neubau des Zürcher Kunsthauses, dessen Eröffnung für 2020 in Aussicht gestellt ist, wurde mehrfach gefordert, dass der geheim gehaltene Leihvertrag zwischen der Zürcher Kunstgesellschaft und der Stiftung Sammlung Bührle endlich offengelegt werden muss. Auch hat sich die Bührle-Stiftung öffentlich dazu verpflichtet, im Kunsthaus einen Dokumentationsraum einzurichten. Die Autoren dieses Buchs und viele weitere namhafte Fachleute verlangen indessen, dass diese Dokumentation von unabhängiger Seite erstellt wird. Dazu ist auch der Zugang zum Bührle-Archiv vor 2020 zu gewährleisten.

Je nach Forschungsergebnissen wäre auch eine öffentlich-politische Initiative denkbar, auf den Einzug der Dauerleihgabe Sammlung Stiftung Bührle ganz zu verzichten und die neuen Räume mit den vielen und hervorragenden antifaschistischen Künstlern Zürichs zu bestücken. Dazu gehören unter anderen Max Bill, Richard Paul Lohse, Gottfried Honegger, Varlin, Wilfried Moser, Mario Comensoli, Otto Müller, Hans Josephsohn, Hans Fischli, Hans Aeschbacher, Trudi Demut, Hanny Fries, Friedrich Kuhn, Martin Disler.

Thomas Buomberger, Guido Magnaguagno

Dezember 2015

Vorwort

Das Unternehmen, das von Emil Georg Bührle zu einer bedeutenden Waffenschmiede aufgebaut wurde, stellt seit Jahren weder Waffen noch Munition her. Der Konzern wurde ab den 1980er-Jahren bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt und wieder neu zusammengesetzt, es ist nach mehrfachen Umstrukturierungen und Zu- und Verkäufen nicht mehr mit dem früheren Unternehmen zu vergleichen. Der Name OC Oerlikon erinnert denn auch nicht mehr an die frühere Geschichte. Hauptaktionärin ist die Renova AG des russischen Oligarchen Viktor Vekselberg.

Dennoch ist der Name Bührle noch immer ein Reizwort, steht er doch für die Verknüpfung von Waffen und Kultur, von Geld und Macht, für Arroganz und Knauserigkeit. Bührle hat die Vorstellung kultiviert, dass die Liebe zur Kunst, das Sammeln von Kunst den Menschen veredle. Wer Sinn für das Schöne hat, kann kein schlechter Mensch sein. Bührle hatte nie Skrupel bezüglich seiner Tätigkeit als Waffenfabrikant – im Gegenteil. Ihn störte eher, dass der Soldat oft heroisiert wurde, während derjenige, der ihm die Kriegswerkzeuge in die Hand gab, als Todbringer Anfeindungen ausgesetzt war.

Emil G. Bührle ist eine Projektionsfläche für das nicht immer sehr ehrenhafte Verhalten der Schweizer Politik, von Unternehmern, Kriegsgewinnlern und Opportunisten, die aus der flexiblen Neutralität der Schweiz Kapital geschlagen haben. Auch wenn vieles von dem, was moralisch fragwürdig erscheint (heute mehr als damals), auf Bührle fokussiert ist, soll nicht vergessen werden, dass er nur personifiziert, wofür viele in der Schweiz stehen, die vom Leid anderer profitiert haben.

Mit der Übernahme von zwei Dritteln der Sammlung Bührle – vorerst als Leihgabe für zwanzig Jahre – durch das Kunsthaus Zürich, das bis anhin jährlich 8,3 Millionen Franken städtische Subventionen erhalten hat und in Zukunft ein paar Millionen mehr bekommen soll, ist der Name Bührle auch Teil der Öffentlichkeit geworden, einer öffentlichen Kulturinstitution. Damit einher geht auch die moralische Verpflichtung, sich der Vergangenheit ohne Scheuklappen und mit intellektueller Offenheit zu stellen. Und dazu gehört die lückenlose Aufarbeitung und öffentliche Dokumentation der Herkunft von Bührles Bildern, die Suche nach Raub- und Fluchtgut auch in der Sammlung des Kunsthauses und die Suche nach fairen Lösungen, wo Kunstwerke unter Druck der Naziherrschaft veräußert wurden und deshalb in die Sammlung des Kunsthauses gelangten. Zur Aufarbeitung gehört aber auch, dass die Familie Bührle offenlegt, welche Kunstwerke aus der früheren Sammlung von Emil G. Bührle heute in Privatbesitz sind, denn sollten sich dort Werke mit dubioser Vergangenheit befinden, würde das auch einen Schatten auf die Sammlung im Kunsthaus werfen.

Der Kunsthaus-Erweiterungsbau von David Chipperfield soll dieses Museum in die Top-Liga der Kunstmuseen hinaufbefördern, soll dazu beitragen, dass die Stadt Zürich im internationalen Standortmarketing bessere Karten erhält. Ob allerdings die Sammlung des Kunsthauses mit der integralen Eingliederung der Sammlung Bührle einen entsprechenden Zugewinn an Renommee erhält, hängt zum einen davon ab, ob sich tatsächlich kein Werk mehr mit einem Schatten findet. Zum andern ist diskutabel, ob die Kunsthaus-Sammlung auch für die Besuchenden nicht gewänne, wenn die Werke der Bührle-Sammlung nach kunstpädagogischen und kunsthistorischen Kriterien in die bestehende Sammlung integriert würden und nicht als Ganzes. Denn nicht alles, was Bührle gesammelt hat, gehört in die oberste Liga.

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Der Chipperfield-Bau (Mitte) soll 2020 bezugsbereit sein.
(Website Stadt Zürich)

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Monumentale Eingangshalle des neuen Kunsthauses, links und rechts davon die Ausstellungsräume. (Website Stadt Zürich)

Das Kunsthaus in seiner jetzigen Form gäbe es nicht, wenn nicht Emil G. Bührle immer wieder seine Schatulle geöffnet hätte. So finanzierte er den 1958 eröffneten Bau, dessen Fertigstellung er nicht mehr erlebte. Bührles kulturelles Engagement war aber nicht nur durch Großzügigkeit und Großherzigkeit bestimmt, sondern dahinter steckte auch Kalkül. Der deutsche Parvenü erhoffte sich wohl mit seinem Engagement die Anerkennung durch die Zürcher Gesellschaft, die ihm zeitlebens mit Distanz begegnete. Dieses Engagement sollte sich aber auch finanziell auszahlen, zog er doch seine kulturellen Aufwendungen immer von den Steuern ab und versuchte auch sonst, sich steuerliche Vorteile zu verschaffen.

Das Kunsthaus Zürich und damit die Stadt haben ein schwieriges – halbes – Geschenk akzeptiert. Es kann nur Freude bereiten, wenn immer auch an die Vergangenheit erinnert und gezeigt wird, wie die Bührle-Sammlung überhaupt zustande kam. Eine Möglichkeit bestünde darin, der Stiftungs-Sammlung einen Dokumentationsraum voranzustellen, in welchem alle Provenienzen der Werke lückenlos aufgezeigt sind. Zudem könnte man auf dem Heimplatz vor dem Kunsthaus eine Stele errichten, die an die dunklen Seiten der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs erinnert, an abgewiesene Flüchtlinge, an Geschäfte mit Raubgold und Raubkunst, an Waffen- und Munitionslieferungen an Nazideutschland.

Unsere Publikation soll den öffentlichen Diskurs um ein schwieriges Erbe fördern, soll die Diskussion über das neue Konzept des Kunsthauses weiterführen und soll darauf verweisen, dass die Vergangenheit in Bezug auf Raub- und Fluchtkunst sich so lange zurückmeldet, bis sie aufgearbeitet ist. Siebzig Jahre Weißwäscherei sind genug.

Thomas Buomberger / Guido Magnaguagno

Hans Ulrich Jost

Das Bührle-Paradox: Ausgegrenzt und eingespannt

Geierling – ein Prolog

Sein Name ist Helmut Geierling, ein geschniegelter Herr von kaum dreißig Jahren mit einem »kaiserlich nach oben gesträubten Schnurrbärtchen«, kaufmännischer Direktor eines großen Schweizer Unternehmens, das sich modernisieren und neue Absatzmärkte erobern soll. Geierling, ein enthusiastischer Anhänger der großdeutschen Idee – wir stehen kurz vor dem Ersten Weltkrieg –, sieht in der Verbindung des amerikanischen Kapitalismus und des Deutschen Reiches das Modell der Zukunft. Es gilt, so Geierling, »mächtig zu sein, alles zu zermalmen, was sich einem in den Weg stellt«. Für ihn war »die ganze Welt in einen gewaltigen Geschäftsbetrieb verknäuelt, in eine ungeheure Maschinenhalle gepfercht, wo ein Mechanismus gegen den andern stand und es nur darauf ankam, dem größeren, stärkeren, vollkommeneren anzugehören oder ihn gar zu meistern«. Geierling gelang es, mit nicht ganz sauberen Methoden, das Unternehmen seines Schweizer Arbeitgebers zu unterwandern und sich schließlich als Mitbesitzer einzuschleichen. Am Ende einer Sitzung, bei der diese Neuorganisation des Unternehmens festgeschrieben wurde, stellte er in einer kleinen Rede freudig fest, dass mit diesem Geschäftsumbau »die kleine, aber geschäftstüchtige Schweiz« mit »dem mächtigen Deutschen Reich, als dessen Vertreter er die Ehre habe«, im Kleinen einen Bund geschlossen habe. Geierling sah weit und besprach beispielsweise »die deutsche Kolonialpolitik und ihren Einfluss auf den schweizerischen Warenabsatz«. Seine Gesinnung und das Hohelied der deutschen Kultur propagierte er auch am Biertisch, wo er mit Gesinnungsgenossen zusammen ein Gartenrestaurant mit zackigen Liedern beglückte. »Es braust ein Ruf wie Donnerhall …« schallte über die Gäste, und am Schluss »prallten die Biergläser zusammen wie Schilde in einem mittelalterlichen Gefecht«.

Geierling ist, man dürfte es längst erahnt haben, eine erfundene Person. Es handelt sich in der Tat um einen der Protagonisten des 1921 erschienen Romans Ein Rufer in der Wüste des Zürcher Gymnasiallehrers Jakob Bosshart.1 In vieler Hinsicht handelt es sich hier um einen Schlüsselroman, der viel über die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Aspekte der Zürcher Welt vor und nach dem Ersten Weltkrieg aussagt. Der Roman Bossharts, der im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung abgedruckt wurde, gab die gesellschaftliche Ambiance dieser Zeit trefflich wieder. Dazu zählen auch die engen Verbindungen zu Deutschland und zur Elite des wilhelminischen Reiches. Vor dem Weltkrieg, 1912, hatte Zürich den deutschen Kaiser anlässlich seines Schweizer Besuchs mit einem Aufmarsch und einem Jubel begrüßt, der in einer reichsdeutschen Stadt nicht hätte größer sein können. Der in Meilen ansässige Ulrich Wille, Mitglied des exklusiven, von Unternehmern und Bankiers getragenen Reitclubs Zürich und General der Schweizer Armee, zählte auch zu diesen Bewunderern des Deutschen Reiches. Er schrieb am 1. September 1914 in einem Brief an seine aus der Familie von Bismarck stammende Gattin: »Jetzt wird vollendet, was damals [1870] eingeleitet worden ist: Die Suprematie Deutschlands, das heißt deutschen Wesens über die ganze Welt. Mein ganzes Herz ist auf der Seite Deutschlands.«2

Politische Perspektiven

Nach dem Ersten Weltkrieg bekundete noch immer ein Teil der Deutschschweizer Elite, trotz der Niederlage des Deutschen Reiches, viel Sympathie für den großen nördlichen Nachbarn. Insbesondere die Unternehmerschaft, die sich seit dem spektakulären Aufstieg der deutschen Industrie am Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr ins Kielwasser der deutschen Wirtschaft manövriert hatte, sah in der Verbindung mit Deutschland die große Zukunft. Im Versailler Vertrag waren unserem nördlichen Nachbarn erhebliche wirtschaftliche Hürden gesetzt und insbesondere eine erneute militärische Aufrüstung verboten worden. Um dieses Verbot zu umgehen, wurde die Weiterentwicklung von Waffen ins Ausland verlegt. Zu den Firmen, die sich an solchen Geschäften beteiligten, zählte auch die 1924 von der Magdeburger Werkzeug- und Maschinenfabrik übernommene Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon (WO), die nun mit Emil G. Bührle einen neuen Chef erhielt.3 Dank seines finanzkräftigen Schwiegervaters besaß Bührle schon 1929 die Aktienmehrheit der WO, die 1936 gänzlich in seine Hände überging. Die WO entwickelte sich schließlich im Zweiten Weltkrieg nicht nur zum größten Waffenexporteur der Schweiz, sondern auch zu einem wichtigen Instrument der schweizerischen Außenpolitik.

Trotz des erfolgreichen geschäftlichen Aufstiegs blieb Bührle, auch nach seiner Einbürgerung im Jahre 1937, ein Geierling. Er stand einer Gesellschaft gegenüber, in der die größeren Unternehmer, die Schwarzenbach, Sulzer, Schindler und Koechlin, aristokratischen Clans gleich die großbürgerliche Szene beherrschten. Obwohl viele Schweizer Unternehmer der deutschen Oberschicht zugetan waren, betrachtete man die in der Schweiz tätigen Deutschen mit Misstrauen. Zudem waren die einheimischen Unternehmer in nicht immer leicht zugänglichen Kartellen und Wirtschaftsverbänden – etwa im Handels- und Industrieverein, dem politisch einflussreichen Vorort (heute economiesuisse) – organisiert. Bührle konnte deshalb nicht auf einen leichten Zugang zur zürcherischen und schweizerischen Gesellschaft zählen. Er beklagte sich noch 1942 darüber und versuchte, weil er »gewissermaßen noch immer als Ausländer betrachtet« werde, einen Verwaltungsratssitz in der Schweizerischen Industrie-Gesellschaft zu ergattern. Doch man wies ihn ab.4

Auch das politische Umfeld war eher verworren. Zwar hätte der aus Freisinn, Katholisch-Konservativen und Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, heute SVP) gebildete Bürgerblock dem ehemaligen Offizier des Deutschen Reiches durchaus zusagen können. Und möglicherweise sympathisierte er sogar mit den sogenannten Erneuerungsbewegungen, das heißt mit den im rechtsradikalen Spektrum agierenden Fronten der 1930er-Jahre. Doch als Leiter einer Maschinenfabrik musste er auch mit der Arbeiterschaft rechnen. Diese wurde zwar, gesamtschweizerisch gesehen, vom Bürgerblock mit Erfolg ausgegrenzt. Im Nationalrat kam die Sozialdemokratische Partei in diesen Jahren nie über dreißig Prozent, und die 1921 noch dynamische Kommunistische Partei schrumpfte und verlor jeden politischen Einfluss. Doch in einigen Städten, so auch in Zürich, hatte die politische Linke eine Mehrheit. Dass es besser war, die linke Arbeiterschaft nicht allzu sehr vor den Kopf zu stoßen, erkannte Bührle in seinem eigenen Betrieb. So konnte etwa im September 1931 ein Streik in seiner Fabrik erst durch die Vermittlung des Präsidenten des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbandes, Konrad Ilg, beigelegt werden, wobei diese Schlichtung durch den Gewerkschaftsboss sogar zugunsten Bührles ausfiel.

Die damals in der Schweiz vorherrschenden sozialen Spannungen waren in Zürich besonders präsent. Die Gegensätze zwischen dem Bürgertum und der Arbeiterschaft beherrschten die politische Szene. Die Konflikte spielten sich nicht nur in Wahlen und in den Räten, sondern auch im kulturellen Leben ab. Zudem war Zürich für die rechtsradikalen Bewegungen ein gutes Pflaster. An der Universität entstand eine eigentliche Pflanzschule der, wie man sie euphemistisch nannte, Erneuerungsbewegungen. Im September 1933 kam es anlässlich der Gemeindewahlen sogar zu einem »vaterländischen Block« der bürgerlichen Parteien und der Nationalen Front. Mit gewalttätigen Demonstrationen, beispielsweise gegen das Kabarett »Die Pfeffermühle« von Erika Mann oder gegen Aufführungen des Schauspielhauses, sorgten die Fronten, unterstützt durch die Bauernpartei (heute SVP), für permanente Unruhe. Auch der vom Migros-Chef Gottlieb Duttweiler 1936 gegründete Landesring der Unabhängigen trug das Seine zur Verunsicherung der politischen Szene bei.

Wichtiger als die Zürcher Politik waren die, vor allem im außenpolitischen Bereich, getroffenen Entscheidungen in Bern. Das 1935 erlassene Verbot der Ausfuhr von Waffen nach Abessinien, nach dem Überfall Italiens auf dieses Land, traf Bührle beispielsweise sehr direkt. Er war Generalkonsul Abessiniens und lieferte Waffen in das afrikanische Land. Nach der Anerkennung der italienischen Souveränität über Abessinien teilte der Bundesrat Bührle in einem knappen formellen Schreiben mit, dass seine Funktion als Generalkonsul beendet sei. Die Waffenlieferungen nach Mexiko veranlassten Bern ebenfalls, bei Bührle zu intervenieren. Die Behörden wurden zunehmend misstrauischer, doch gleichzeitig hatten sie alles Interesse daran, die Produktion von Waffen und die Arbeitsplätze zu erhalten.

Der Zweite Weltkrieg schuf nun in Bezug auf die Waffenausfuhr eine völlig neue Lage. Die WO wurde zu einem wichtigen Element der schweizerischen Außenpolitik. Diese, beruhend auf den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, sah im Außenhandel – und insbesondere in der Waffenausfuhr – das zentrale Instrument einer Strategie, mit der sowohl eine profitable Binnenwirtschaft gesichert wie eine gewisse außenpolitische Aktionsfähigkeit bewahrt werden konnten. Als im Juni 1940 Frankreich fiel, setzten in Bern der Bundesrat und die Delegation für Wirtschaftsverhandlungen in einer langen Sitzung diese neue Strategie fest. Man habe, heißt es im Protokoll,5 »alle Hebel in Bewegung gesetzt, um eine Förderung des Exportes nach Deutschland auf der ganzen Linie herbeizuführen«. Heinrich Homberger, der Direktor des Vororts, fügte bei, man müsse »die äußersten Anstrengungen machen, um Deutschland mehr Ware, inklusive Kriegsmaterial, zu liefern«. Da zudem vorgesehen war, diese Lieferungen mit Krediten der Eidgenossenschaft zu finanzieren, solle man, meinte Bundesrat Marcel Pilet-Golaz, nicht »über eine Million mehr oder weniger« diskutieren. Schließlich kam an dieser Sitzung auch zur Sprache, wie man die WO in diese Strategie einbinden könnte.

Diese Entscheidungen brachten Bührle in eine ambivalente Rolle. Er zählte nun zwar zum Dispositiv der schweizerischen Außenpolitik, doch blieb er gleichzeitig der misstrauisch beobachtete Waffenfabrikant. Als dann gegen Ende des Krieges die Kriegsmateriallieferungen nach Deutschland ins Feuer der alliierten Kritik kamen, war die Versuchung groß, den schwarzen Peter Bührle zuzuschieben – umso mehr, als dieser sich bei seinen Geschäften enorm bereichert hatte. Es wurde nun so getan, als trüge nicht Bern, sondern Bührle allein die Verantwortung für die Waffenlieferungen ins Dritte Reich.

Wirtschaftliche und gesellschaftliche Verbindungen

Die große Mehrheit der Schweizer Industrie besteht aus Klein- und Mittelbetrieben. Doch gesellschaftlich und politisch einflussreich sind in erster Linie große, von Familien oder Clans geleitete Unternehmen. Bei ihnen spielen Wirtschaftsverbände, direkte Beziehungen zur politischen Führung, Netzwerke, Tradition und regionale Verbundenheit eine große Rolle. Bührle hatte große Mühe, in diesen Kreisen Fuß zu fassen.

Gewiss, Bührle baute sich auch ein eigenes geschäftliches Netz mit zahlreichen Akteuren auf, doch dieses war inkohärent und in der schweizerischen Gesellschaftsstruktur schlecht verankert. Nicht wenige seiner Kontaktpersonen waren moralisch oder politisch belastet. Unter den Kaderleuten seines Unternehmens fand sich eine große Zahl Deutscher, und Bührle stand in Verbindung zu Mittelsmännern, die sich, auch außerhalb der Legalität, für die Wiederbewaffnung Deutschlands einsetzten. Im Zweiten Weltkrieg wurden seine Beziehungen zum Dritten Reich mehr als suspekt.6 Er verhandelte hinter dem Rücken der Behörden mit deutschen Unternehmen – zum Beispiel mit Messerschmitt, um eine Flugzeugproduktion zugunsten der deutschen Luftwaffe in der Schweiz aufzubauen7 – oder verkehrte offenherzig mit Nazigrößen wie Hans Sigismund von Bibra, dem Legationsrat und NSDAP-Landesgruppenleiter in der Schweiz. Und das Hotel zum Storchen in Zürich, in Bührles Besitz, galt als Treffpunkt der deutschen, mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden Kolonie. Bührle selber half auch nach Kriegsende einer Reihe von Nazis, sich aus Deutschland abzusetzen.8

Auch unter den Schweizer Beziehungen finden sich etliche Mesalliancen. Die Anstellung beispielsweise von Oberst Gustav Däniker im Jahre 1942, der wegen seines deutschfreundlichen Manifests den Dienst als Instruktionsoffizier quittieren musste, war nicht geeignet, Bührles Ansehen zu verbessern. Ebenso zwiespältig waren seine offenbar freundschaftlichen Beziehungen zum BGB-Nationalrat Roman Abt, der 1940 für eine »Anpassung« an Deutschland eintrat. Dass Bührle in den Ferien in Scuol mit dem deutschfreundlichen Schweizer Botschafter in Berlin, Hans Frölicher, zusammentraf, ist hingegen angesichts der Geschäfte mit dem Dritten Reich nicht weiter verwunderlich. Es gilt allerdings anzumerken, dass eine deutschfreundliche Haltung nicht außergewöhnlich und auch bei etlichen Schweizer Repräsentanten der Wirtschaft und Politik anzutreffen war.

Bührle und die Bundespolitik

Noch ungünstiger als die wenig gesellschaftsfähigen Beziehungen war das Fehlen von vertrauensvollen Kontakten zu wichtigen Entscheidungsträgern der Wirtschaftspolitik. Das kann man beispielsweise im Falle von Robert Fierz, dem Chef der Kriegstechnischen Abteilung des Bundes, sehen. Fierz kritisiert immer wieder die Qualität und die Preise der WO-Kanonen, und zu Beginn des Krieges stellte er sich gegen die Gründung der Flugzeugwerke Pilatus in Stans.9 Derselbe Fierz zögerte jedoch im Juni 1940 nicht, Bührle persönlich aufzufordern, unverzüglich Waffenlieferungen nach Deutschland aufzunehmen. Dabei nahm unsere politische und militärische Führung in Kauf, dass der Schweizer Armee weiterhin wesentliche Abwehrwaffen fehlten, während Bührle mit den Lieferungen ins Ausland sich ein Vermögen schuf.

Trotz der strategischen Bedeutung der WO hatte Bührle zu den wichtigen Schaltstellen der Wirtschaftspolitik des Bundes, zum Beispiel zu der 1939 geschaffenen Ständigen Delegation für Wirtschaftsverhandlungen, keinen direkten Zugang. Dieses zentrale Organ der eidgenössischen Außenwirtschaftspolitik stand unter Leitung von Jean Hotz, dem Direktor der Handelsabteilung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements, der eng mit Heinrich Homberger, ebenfalls Mitglied der Delegation und zugleich Direktor des Vororts, zusammenarbeitete. Die WO war in ihren Augen zwar im Moment nützlich, um den Bedarf der Deutschen mit Waffenlieferungen zufriedenzustellen, doch ob sich damit Bührles Ansehen verbesserte, ist eine andere Frage. Andere wichtige Persönlichkeiten der Außenhandelspolitik, wie beispielsweise Vorortspräsident Hans Sulzer, waren die umfangreichen Waffenlieferungen der WO eher suspekt. Sulzer beklagte sich bei Heinrich Homberger schon im Juli 1942 über diese in seinen Augen äußerst schädlichen Waffengeschäfte, »Kernpunkt all unserer Schwierigkeiten«.10

Der Zugang zur Bundesverwaltung war möglicherweise auch deshalb nicht einfach, weil die beiden in Wirtschaftsfragen zuständigen Bundesräte, Hermann Obrecht und Walther Stampfli – beide Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements von 1935 bis 1940 beziehungsweise 1940 bis 1947 –, von der solothurnischen Wirtschaft herkamen. Dort lag aber auch einer der größeren Konkurrenten Bührles, die vormals von Obrecht präsidierte Waffenfabrik Solothurn.11

Doch zumindest mit einem Bundesrat pflegte Bührle, der sich ansonsten politisch in der Öffentlichkeit nur wenig exponierte, einen freundschaftlichen Umgang. Es handelt sich um den 1934 zum Bundesrat erkorenen katholisch-konservativen Philipp Etter, der dem Departement des Innern vorstand. Etter zählte zu jenen Konservativen, die mit Ständestaatsideen liebäugelten und in den rechtsradikalen Erneuerungsbewegungen Verbündete im Kampf gegen den liberalen Staat, den Freisinn und die Sozialdemokraten sahen.12

Vielleicht war es nur Zufall, dass Bührle ausgerechnet mit Etter, diesem rechtslastigen Konservativen, freundschaftliche Beziehungen pflegte und gemeinsam mit ihm auf die Jagd ging. Etter wiederum, der sich als Bewahrer der vaterländischen Kultur verstand und 1938 die Geistige Landesverteidigung ins Regierungsprogramm einbrachte, hielt bei seinem Lob über Bührle nicht zurück. »Dem Waffenschmied war es nicht nur um Kanonen, Maschinengewehre und Raketen zu tun. Er wollte auch geistige Waffen schmieden. […] Die öffentliche Kunstsammlung aber ist einer geistigen Waffenschmiede vergleichbar, weil in ihr Jahrhunderte schöpferischer Kraft der Begnadeten unseres Volks sich zusammenballen und von ihr neue geistige Kräfte ausstrahlen.«13

Bei den Waffenlieferungen von Bührles WO waren zahlreiche Zulieferanten beteiligt. Darunter befanden sich auch Betriebe des Bundes, deren Beteiligung am WO-Waffenexport eine klare Verletzung der Neutralität darstellte. Die großen, von den andern Unternehmern neidisch beobachteten Profite kamen jedoch in erster Linie Bührle zu. Als dann bei Kriegsende die Alliierten Rechenschaft für diese Zusammenarbeit mit Nazideutschland einforderten, schob man Bührle allein den schwarzen Peter zu und stellte ihn wie einen bösen Buben in die Ecke. Ähnliches widerfuhr dem deutschfreundlichen Gesandten Hans Frölicher.14 Diese beiden öffentlich zur Schau gestellten Sündenböcke erlaubten es anderen, ebenso belasteten Akteuren, von sich selber abzulenken.

Doch es gelang Bührle, wenn auch unter beträchtlichen Schwierigkeiten, die Neuorientierung in der Nachkriegszeit zu bewältigen. Als im Herbst 1946 die Alliierten seine Firma von der schwarzen Liste strichen, erfolgte erneut der Einstieg ins internationale Waffengeschäft. Bührle selber war, wie schon nach dem Ersten Weltkrieg, überzeugt, dass der nächste Krieg vor der Tür stehe. Man brauche kein Seher zu sein, erklärte er 1955 in einem Vortrag vor der Zürcher Volkswirtschaftlichen Gesellschaft, um zu verstehen, wohin die Welt sich bewege. »Daher«, fuhr Bührle fort, »empfand ich geradezu eine Verpflichtung, in einem Sektor zu verharren, in dem meine Firma immerhin in zwanzig Jahren eine gewichtige Position errungen und wertvolle Erfahrungen gesammelt hatte.«15

Das Problem der illegalen Geschäfte

Bei Unternehmen, die sich im internationalen Waffenhandel einen Platz zu schaffen versuchen, kommt es oft zu undurchsichtigen Geschäften. Bei Bührles WO war dies bekanntlich von Anfang an der Fall. Dieter Bührle, der 1956 nach dem Tode seines Vaters die Leitung übernahm, führte diese Praxis fort, sprach aber gleichzeitig beim Bundesrat vor, um für die WO bessere Bedingungen für den Waffenexport auszuhandeln.16 Auch in diesen Gesprächen kommt immer wieder ein gewisses Misstrauen gegenüber Bührle zum Ausdruck, wobei dessen Drohung, die Produktion ins Ausland zu verlegen, die Stimmung nicht verbesserte.

Obwohl die illegalen Geschäfte der WO nicht ganz unbekannt waren, kam es erst 1968 bei der Lieferung von Kanonen ins nigerianische Kriegsgebiet zum Skandal. Selbst die Neue Zürcher Zeitung erhob nun schwere Vorwürfe gegen Bührle,17 sodass der Bundesrat schließlich eine Strafverfolgung einleiten musste. Darauf schrieb Arnold Kaech, der Direktor der Militärverwaltung, an Dieter Bührle: »Sie werden verstehen, dass solche Vorkommnisse nicht geeignet sind, das Vertrauen, um welches Sie sich bemühen, wieder herzustellen.«18 Das Verfahren endete mit einer achtmonatigen bedingten Gefängnisstrafe für Dieter Bührle sowie einer Buße von 20 000 Franken. Drei seiner Mitarbeiter erhielten bedingte Freiheitsstrafen zwischen 15 und 18 Monaten. (Siehe auch »Antikommunistisch und amoralisch«.)

Dieter Bührle war nun vorbestraft, aber sein Delikt war eigentlich Teil eines von gewissen Wirtschafts- und Finanzkreisen durchaus tolerierten Geschäftsgebarens. So befürwortete beispielsweise die Swiss South African Association, der neben Ernst Schmidheiny, Alfred Schindler und Georg Sulzer auch Dieter Bührle angehörte, die Lieferung von Waffen an das südafrikanische Apartheidregime. Und 1972, im Kampf gegen die Waffenausfuhrverbots-Initiative, war Bührle schon wieder salonfähig. Es gelang ihm sogar, Leute wie den bekannten SP-Politiker Walther Bringolf in sein Boot zu holen. Er schloss mit ihm, im Hinblick auf den Kampf gegen die Initiative, einen geheim gehaltenen, mit monatlich 1500 Franken honorierten Beratervertrag ab. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Bringolf, der in seinen jungen Jahren während des Ersten Weltkriegs als Gründer eines armeekritischen Soldatenbundes und als Chef der Schaffhauser Kommunisten noch für eine generelle Abrüstung plädierte, sich nun für den Kampf gegen die Waffenausfuhrverbots-Initiative einspannen ließ.19

Der 1973 in Oerlikon-Bührle Holding umorganisierte und immer mehr im Ausland verankerte Konzern stand trotzdem weiterhin im Ruf, im internationalen Waffenhandel nicht ganz stubenrein vorzugehen. Zudem musste die WO im Waffengeschäft mit dem Bund nicht wenige Niederlagen einstecken (zum Beispiel Lenkwaffensystem für die Fliegerabwehr oder die Panzerabwehrrakete Mosquito). Umstritten war dann auch der Entscheid des Bundes von 1984, den Bührle-Konzern als Generalunternehmer für die Produktion von Panzern (Leopard II in Lizenz) einzusetzen.20 Die Ära Bührle ging jedoch dem Ende entgegen. 1990 trat Dieter Bührle vom Präsidium des Konzerns zurück, worauf der langsame Ausverkauf des Unternehmens einsetzte. Oerlikon-Bührle wird schließlich im Jahre 2000 in Unaxis umbenannt.

Waffen und Kunst

Auf einer berühmten Fotografie von 1953 sitzt Emil Bührle auf einem kleinen Empire-Stuhl, umgeben von seinen Bildern (siehe erste Seite Bildteil und Cover). Eine Wand im Vordergrund ist vom Boden bis zur Decke mit berühmten Kunstwerken bedeckt; ein Durchgang führt den Blick weiter ins dahinterliegende Zimmer, wo, hinter dem Stuhl mit Bührle, dessen Kopf einrahmend, Edgar Degas’ Madame Camus au piano (1869) zu sehen ist. Der Durchgang von einem Zimmer zum andern umrahmt Bührle insgesamt so, dass er selber wie eine Figur in einem Gemälde, mit ernstem und verschleiertem Blick, erscheint. Dazu passt die Bemerkung von Oskar Kokoschka, dem einzigen Maler, zu dem Bührle persönlichen Kontakt hatte: »Er war ein einsamer Mann.«21

Die Dichotomie von Kanonen und Kunst oder allgemeiner, von Kapital und Ethos führt unmittelbar zu der Frage, welchem Geist ein Mäzenatentum wie das von Bührle verpflichtet ist. Ging es um eine Gegen- oder Fluchtwelt, um den Versuch, schmutziges Geld zu kaschieren, oder schlicht um gesellschaftliches Prestige? Nun, Kunstmäzenatentum ist bei Unternehmern und Bankiers oft anzutreffen.22 Dass Bührle, mit seinem Studium der Kunstgeschichte, sich auch in dieser Sparte zu beweisen versuchte, ist eigentlich nicht erstaunlich. Seine eigene Begründung war eher anmaßend. Der wirkliche Unternehmer, meinte er, sei mit dem Künstler verwandt: »Nur schafft er nicht mit der Feder, dem Pinsel oder dem Meißel, er schafft mit der Realität.«23

Doch Bührle schuf nicht nur eine große Kunstsammlung, sondern 1943 auch eine Stiftung zur Förderung des Schweizer Schrifttums und ein Jahr danach die Goethe-Stiftung für Kunst und Wissenschaft. Zuvor hatte er mithilfe von Bundesrat Etter versucht, im Schweizerischen Schriftsteller-Verein eine Stiftung zu organisieren. Dieser wies jedoch das Angebot zurück.24 Später kam noch, unter der Ägide seiner Tochter, die Unterstützung der Luzerner Festspiele hinzu. Man muss von einem in der Schweiz in diesem Umfang unüblichen Mäzenatentum, einer eigentlichen Kulturoffensive sprechen. Dass die Bührles diese Ausgaben auch zur Steueroptimierung einsetzten, gehört zu den Gepflogenheiten dieses Unternehmertums (siehe »Der Steueroptimierer«.)

Gewiss, mit seiner Kulturoffensive konnte Bührle einige Persönlichkeiten an Bord holen. Doch geht man beispielsweise die Namen des Stiftungsrates seiner Goethe-Stiftung für Kunst und Wissenschaft durch, fällt die weltanschauliche Schlagseite der Mitglieder auf. Giuseppe Zoppi, Literaturprofessor an der ETH, war in erster Linie bekannt als Verfasser von kitschiger Heimatliteratur. Max Gertsch, Autor von historischen Schauspielen, zeichnete sich durch seine Kritik des Schauspielhauses aus. Auch der junge Star der Zürcher Germanistik und Bewunderer Heideggers, Emil Staiger, bewegte sich politisch am rechten Rand.25 Das von Bührle gewählte gesellschaftliche Umfeld hatte auch in diesem Bereich eine rechte Schlagseite.

Epilog – ein rechtschaffener Richter oder ein Raphael?

Bührles Mäzenatentum weckt ein in der Gesellschaft nicht selten auftretendes Misstrauen in Bezug auf die Rolle der Kunst im republikanischen Staatswesen. So notierte beispielsweise schon 1788 der bekannte Zürcher Gelehrte und Staatsmann Hans Konrad Escher von der Linth anlässlich einer Reise nach Rom in sein Tagebuch: »Wir dürfen uns nicht durch Kunstliebhabereien einschläfern lassen. Bei uns darf der Menschenfreund noch frei und zufrieden den Menschen und Bürger im wirklichen Leben betrachten, und ein rechtschaffener Richter ist für die Gesellschaft nützlicher als selbst ein Raphael. […] Wir sollen für das Wohl unserer Mitbürger arbeiten, und dabei muss die Kunst, die doch immer mit einem gewissen Grad von Schwäche und Weichlichkeit der Sitten verbunden ist, in den Hintergrund treten.«26 Ähnlich argumentierte ein freisinniger Ständerat 1865 bezüglich der künstlerischen Ausstattung des Bundeshauses. »Der beste Schmuck für das Bundesratshaus«, meinte er, »bleiben immer weise Gesetze und ein Wirken im Geiste der Bundesverfassung.«27

Bührles Kunstsammlung und seine Bemühungen, kulturelle Institutionen zu fördern, wurden von der Öffentlichkeit in ähnlichem Sinne kritisch aufgenommen. Die Tatsache, dass sein Mäzenatentum eben gerade nicht auf Rechtschaffenheit beruhte, schien einem Teil des Publikums Grund genug, die Kunst- und Kulturstiftungen abzulehnen.

Wir sollten dabei jedoch nicht übersehen, dass die Bührle-WO-Geschichte in weitem Maße auch die Geschichte des listenreichen, seit über einem Jahrhundert gepflegten Doppelspiels der Eidgenossenschaft ist. Schon im Ersten Weltkrieg stellte sich das Land als Hort von Frieden und Humanität dar, ließ aber gleichzeitig die Rüstungsindustrie für den Export von Kriegsmaterial auf Hochtouren laufen. Die Neutralität, rhetorisch überhöht und zu einem Dogma hochstilisiert, diente als Schild zur Abdeckung einer Handelspolitik, die in keiner Weise den Geist der Neutralität respektierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg postulierte das Eidgenössische Politische Departement gar eine schlaue Formel: Sogenannt »technische« Verträge galten als neutralitätskonform, während »politische« Verträge die Neutralität verletzten. Dabei lag es im Ermessen des Bundesrates, Verträge der einen oder der anderen Kategorie zuzuordnen. So wurde etwa der Marshall-Plan, dem die Schweiz 1948 beitrat, als »technisch« qualifiziert, obwohl jedermann bewusst war, dass es neben dem wirtschaftlichen Aufbau Europas auch um den politischen Kampf gegen den Kommunismus ging.28

Die Lebenshaltung von Bührle, Vater und Sohn, entsprach in weitem Maße dieser eidgenössischen Ambivalenz. Neben dem erfolgreichen Unternehmertum und der Kunstförderung wurde eine Geschäftspraxis gepflegt, die oft den Rahmen der Legalität sprengte. Escher von der Linths »rechtschaffener Richter« musste nicht selten einer opportunistischen Realpolitik weichen.