Cover

Wolfgang Zdral

Tartufo

Ein Tier-Krimi

Edel Elements




Das Buch

Das Trüffelschwein Leonardo blickt nicht ohne Stolz auf eine lange Ahnenreihe herausragender Trüffelsucher zurück. Seinem Padrone, dem Trüffelhändler Matteo Gobetti, hat er großen Reichtum beschert, und so kommt es oft, dass dieser Leonardo einlädt, gemeinsam bei erlesenem Rotwein und Pasta den kulinarischen Freuden zu frönen. Bis Matteo eines Tages tot aufgefunden wird. Leonardo – nicht nur stilsicher, sondern auch raffiniert – hat schnell seine eigene Mordtheorie und traut seiner Riechnase mehr als dem grobschlächtigen Commissario Grifone. Ein kriminalistischer Hochgenuss voller Esprit und Charme!

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Natürlich war es ein Unfall. Jedenfalls überwiegend. Kein Schwein wäre so einfältig, die Sache auf diese Weise zu erledigen. Wenn sich allerdings die Gelegenheit so offensichtlich bot ... Das Laub. Die Feuchtigkeit, weil es in der Nacht geregnet hatte. Sicher auch der Rotwein vom Vorabend. Matteo war noch betrunken, als es passierte. Zwei Flaschen Barolo, Jahrgang 01. Kein Wunder also. Nein, nein, es war schon eher ein Unfall. Der Hang. Die Wurzel. Gewiss hat sich mein Freund selbst ... Jeder hätte die Sache so gesehen und sie abgehakt. Als Unfall. Aber so schnell wollte der Commissario aus Turin seine Dienstreise aufs Land nicht beenden. Hat den Toten gesehen und sofort umgeschaltet. Seine Stimme dröhnte durch den Wald, einzelne Wörter wie »Ermittlungen«, »Verhöre«, »Untersuchung« drangen zu mir durch.

Noch immer konnte ich kaum glauben, was geschehen war. Es kam mir vor, als ob jemand meinen Kopf unter Wasser drückte. Mein Bewusstsein war wie in Fetzen gerissen. Matteo tot. Mein Freund. Mein Partner und Wohltäter. Der einzige Mensch, der mich je verstanden hatte. Der mehr in mir sah als alle anderen. Noch am gestrigen Abend hatte ich neben ihm ein Fläschchen geleert. Alles war wie immer gewesen. Er war ins Bett getorkelt, ich auf meine Couch geplumpst. Zuerst dachte ich mir nicht viel, als er mir heute mein Frühstück nicht brachte. Sollte er doch schlafen so lange er Lust hatte. Doch dann die Schreie von draußen. Der Nachbar schlug mit der Faust an die Haustür und weckte alle mit seinen Rufen: »Matteo ... Matteo Gobetti ... Er liegt am Birkenwäldchen ... am Bach ... Ich habe ihn ... er ... er rührt sich nicht mehr.«

Ich war sofort losgerannt, und nun stand ich am Fuße des Hangs, etwas abseits vom Geschehen, von einem Hartriegelstrauch verborgen. Zwei Stunden waren seit der Unglücksmeldung vergangen. In das Schiefergrau des Morgenhimmels versuchten sich hellere Wolken zu drängen, bislang vergebens. Noch immer prasselten die Tropfen ungleichmäßig wie aus einem kaputten Rasensprenger auf das Gelände nieder, als könnte sich das Wasser nicht entscheiden, als Sprühnebel oder als Regen auf die Erde zu fallen. Am Boden roch es nach Vergorenem, Verwesendem, nach modernden Pflanzen, nach fauligen Beeren und Pilzen. Der Wind zerzauste die Wipfel der Birken, trieb die Temperatur nach unten, viel zu kalt für einen Oktober im Piemont. Blätter torkelten über der Stelle, wo Matteo lag, und bedeckten den Körper.

Die Polizei hatte die Gegend mit Plastikband abgesperrt. Ein Mann in Nylonblouson, Anglerhut und Jeans fotografierte die Fundstelle von allen Seiten. Ein Kollege, vielleicht vierzig Jahre alt, mit sorgfältig gestutzten Haaren, dirigierte die Polizisten. Er trug einen offenen Stoffmantel, darunter einen Anzug und ein weißes Hemd mit Krawatte. Schlammspritzer sprenkelten das Leder seiner Schnürschuhe. Der Aufzug wirkte, als habe sich der Mann von einem Opernball in den Wald verirrt. Aus den Gesprächen der Beamten war zu entnehmen, dass der Capo auf den Namen Grifone hörte, Commissario Grifone natürlich. Einmal fiel auch sein Vorname, Taddeo.

Bevor er in die Knie ging, hob Grifone seinen Mantel an, um den Saum nicht zu beschmutzen – er hatte offenbar eine gute Kinderstube. Vorsichtig, die Hände mit Gummihandschuhen geschützt, untersuchte der Commissario die Leiche. Matteo Gobetti lag auf dem Bauch, die Arme weggestreckt, als habe er in letzter Sekunde den Aufprall abfedern wollen. Die Füße waren seltsam verdreht, ein Schuh fehlte, ein Hosenbein war hochgerutscht und gab den Blick auf die Socke und einen weißen Unterschenkel frei. An der rechten Schulter zog sich ein Riss durch die Jacke. Der Kopf war zur Seite gedreht, die Augen halb geöffnet, mit einem Blick, der Erstaunen und Schrecken gleichzeitig ausdrückte. Das Haar klebte am Hinterkopf. Aus der Entfernung sah ich, dass eine Mischung aus Blut und Schmutz wie ein Rinnsal quer über Matteos Wange lief. Der Wind wehte den Geruch zu mir herüber: Blut. Getrocknetes Blut, aufgeweicht vom Regen, das feine Aroma war unverkennbar. Süßlich und würzig. Matteo musste beim Sturz mit dem Kopf auf eine Kante, einen Stein aufgeschlagen sein. Der Tod war gewiss nur eine Sache von Sekunden gewesen.

Grifone tastete die Taschen des Leichnams ab, untersuchte den Inhalt. »Ein Taschentuch, Centmünzen, ein Stück beschriebenes Papier, ein Schlüsselbund mit vier Schlüsseln«, zählte der Commissario auf und stopfte alles in eine Cellophantüte. »Viel hatte er nicht gerade dabei.« Er streifte die Handschuhe ab und wandte sich zu seinem Assistenten. »Fabris, haben Sie noch was gefunden?« Der Angesprochene schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe alles in der Umgebung abgesucht. Nichts zu entdecken.«

Der Körper lag auf einer offenen Fläche von etwa zehn Meter Länge und sechs Meter Breite. Rechts verlief ein Feldweg, der nach einem Kilometer in die Landstraße mündete. Links ein Hügel, auf dem Birken und einige verkümmerte Buchen wuchsen. Vor langer Zeit war ein Teil des Hangs ins Rutschen gekommen, das Erdreich war wie eine Lawine nach unten gesackt und hatte eine acht Meter hohe, senkrecht abfallende Wunde in der Erde hinterlassen, aus der Steine, Kies und Sand herausquollen. Von dieser Steilwand war Matteo offenbar hinabgestürzt. Auf dem Weg, der oben am Rand entlangführte, genügte ein falscher Schritt, und man fiel unweigerlich in die Tiefe. Matteo kannte diese Stelle bestens, er war schon Dutzende Male dort spazieren gegangen – auch nachts, wenn er nach seinen Gelagen frische Luft brauchte. Er musste wohl sehr benebelt gewesen sein. Sonst hätte er den Pfad nicht verfehlt.

Ich kümmerte mich nicht um das Absperrband und ging auf den Toten zu, um Abschied zu nehmen von meinem väterlichen Freund. Ciao Matteo! Arrivederci in einem anderen Leben. Du wirst mir fehlen. Ein Glas, nein, eine Flasche auf dein Wohl! Versprochen. Wehmut und Trauer überschwemmten mein Herz.

Ich weiß nicht, wie lange ich da schon gestanden hatte und erfolglos versuchte, aus dem Anblick der leblosen Gestalt am Boden und den ungewohnten Gerüchen, die von ihr ausgingen, das geliebte Bild Matteos in meinem Kopf zusammenzusetzen. Vielleicht nur Sekunden. Ein Aufschrei riss mich aus meinen Gedanken. »Dieses Vieh! Was ... was ist das für ein Vieh?« Die Stimme des Commissario überschlug sich vor Hysterie. Er hob beide Arme und drehte mir die Handflächen entgegen, als wollte er mich wie eine böse Erscheinung durch die Macht seiner Geste abwehren. Ich roch den Angstschweiß, der mittlerweile die Körperlotion des Kriminalbeamten überdeckte, eine unselige Mischung aus Nelkenöl und Sandelholzessenzen mit etwas Bergamotte und Moschus. Eigentlich gehörte jemand mit solchen Ausdünstungen sofort verhaftet. Aus Erfahrung wusste ich, dass Menschen in unerwarteten Situationen schnell nervös wurden. Deshalb machte ich lediglich zwei weite Ausfallschritte auf den Commissario zu und ließ aus meinem Hals ein Warngrunzen in meiner tiefsten Basstonlage ertönen. Grifone stolperte rückwärts, als hätte er einen Magenschwinger erhalten. Seine Reaktion war jedoch anders als erwartet: Er wich zurück, schob Mantel und Sakko beiseite und tastete nach etwas an seinem Rücken. In einer ruckartigen Bewegung zog der Beamte eine Pistole hervor, offenbar trug er einen Halfter überm Hintern. Der Mann hatte sich wohl Fernsehhelden der Achtzigerjahre zum Vorbild genommen. Er versuchte, auf mich zu zielen und gleichzeitig den Schlitten der Waffe zurückzuziehen, um durchzuladen. Doch dafür zitterten seine Hände zu stark.

»Ich knalle dieses Monstrum ab. Das ist ja gemeingefährlich.« Noch immer nestelte der Commissario an seiner Pistole. »Hier mitten im Wald laufen tollwütige Schweine herum! Schweine! Vorsicht – die sind bösartig und aggressiv!«

»Keine Sorge, Dottore, ich kenne das Tier, bleiben Sie ganz ruhig!«, rief ein schlaksiger Jüngling, hochgewachsen, der das Geschehen am Rande der Absperrung beobachtet hatte. Erst als er näher kam, sah ich die eingefallenen Wangen und die flackernden Augen, und erst jetzt erkannte ich ihn. Es war Vito Scarazzo, der Sohn des Nachbarn. »Das ist das Trüffelschwein von Matteo Gobetti. Schauen Sie, sehen Sie sich das Fell an, sehen Sie es? Es ist rund um die Brust weiß. Jeder in der Gegend kennt das Tier. Der Keiler läuft immer frei herum. Völlig harmlos. Sie können Ihre Waffe wieder wegstecken.« Vito legte die Hand beschwichtigend auf Grifones Oberarm. »Außerdem ist das Tier äußerst wertvoll. Eines der letzten Trüffelsucherschweine. Matteo hat damit ’ne Menge Geld gemacht. Wäre doch schade, die Goldader zu Schinken zu verarbeiten.«

»Schaffen Sie mir diese ... diese Sau aus den Augen.« Grifone schlug seinen Mantel zurück und verstaute die Pistole wieder im Halfter. »Trüffelschwein hin oder her – diese Ausgeburt an Hässlichkeit zertrampelt alle Spuren am Tatort. Das kann ich nicht dulden. Wir haben hier wichtige Ermittlungen.«

Mir blieb die Luft weg. Dieser Schnösel aus Turin. Kommt her und spielt den großen Zampano. Wer ist denn hier hässlich? Ich kehrte ihm den Rücken zu, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und trabte in die Büsche.

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Es stimmt: Ich bin ein Schwein. Ein echtes, lebendiges Schwein.

Mein Name ist Leonardo.

Ich bin aber kein gewöhnliches Schwein, wie es in den Ställen der Bauernhöfe zu finden ist oder in den Schulbüchern der Erstklässler, eines mit putzigem rosa Schnäuzchen, putzigem Ringelschwänzchen und putzigem Grunzen. Am liebsten möchte ich es in die Welt hinausrufen: Der Letzte unserer Familie, unserer Dynastie, bin ich. Doch davon haben Menschen, diese Banausen, die sich für erhabene Geschöpfe halten, keine Ahnung. Ich wundere mich wirklich, wie wenig die über uns Schweine wissen. Die Wahrheit über mich sieht so aus: Ich entstamme einer Kreuzung aus Wildschwein und Cinta Senese, einer Rasse, die in früheren Jahrhunderten in der Toskana ihre Heimat hatte. Meine Ahnentafel reicht bis ins 14. Jahrhundert zurück – alle meine Vorfahren waren begnadete Trifolai. Meine Ururgroßmutter Lucrezia beispielsweise arbeitete am Hofe bei Cosimo de’ Medici in Florenz, bis sie an einem vergifteten Pilz starb. Großvater Januarius wurde vom obersten Magistrat Sienas als der Große Friedensstifter gefeiert, weil er durch seine Entdeckung ergiebiger Trüffelfelder den Grundstock für den späteren Wohlstand der Stadt gelegt hatte. Im Rathaus, im Saal des Friedens, ist seitdem im Mittelpunkt des Gemäldes »Die Auswirkungen der guten Regierung auf die Stadt« mein Onkel zu sehen. Seine Wahl zum zweiten Bürgermeister verhinderten jedoch neidische Bürger, die einen Präzedenzfall fürchteten, wenn ein Schwein an die Macht käme. Cousin Tiberius ging in die Geschichtsbücher als Held der Seeschlacht von Lepanto ein, er war persönlicher Begleiter des Befehlshabers Don Juan d’Austria an Bord des Kommandoschiffs, wo er wegen seiner Kurzsichtigkeit versehentlich an eine Kanone stieß. Dadurch löste sich ein Schuss und versenkte die Admiralsgaleere des türkischen Befehlshabers Ali Pascha. Mein Cousin Catull II. war Chefsucher in der Familie des Malers Tizian und stand Modell für dessen berühmtes Fresco »Tanz der Schweine um das Goldene Kalb« an der Außenmauer des Handelshofes Fondaco dei Tedeschi am Canal Grande in Venedig. Tante Arelia lebte bei den Capulets in Verona, bis sie eine heimliche Affäre mit einem Wildschwein namens Dante begann und mit ihm nach Turin durchbrannte. So landeten meine Vorfahren im Piemont.

Aber was weiß der Commissario schon davon. Der hält Lepanto wahrscheinlich für einen mexikanischen Kanincheneintopf. Seine Vorfahren in der Steinzeit lebten noch von der Jagd, bis wir Schweine ihnen mit unserem Graben in der Erde zeigten, wie man Furchen zieht. Immer und immer wieder haben wir es ihnen vorgemacht, dieser himmelstürmenden Spezies, von der damals wahrlich niemand gedacht hätte, dass sie mal so hoch hinaus käme. Geschlagene hundert Jahre hat’s gedauert, bis diese Träumer endlich das Prinzip kapiert hatten und nach dem Vorbild unserer Wühlschnauzen einen Pflug bauten. Das war der Anfang des Ackerbaus für die Menschenrasse, zugleich der Beginn ihrer Entwicklung hin zum Homo sapiens. Aber Dank? Wenigstens eine Erwähnung der Schweine in den Geschichtsbüchern? Nichts! Ohne uns würden Typen wie dieser Grifone noch mit Steinschleuder und Lendenschurz herumlaufen. Immerhin haben wir über Jahrhunderte als diskrete Helfer der Menschen gearbeitet. Genug geklagt, mit Matteo hatte ich doch eine gute Zeit.

Der Regen hatte aufgehört. Ich machte mich auf den Weg zurück in meine Heimat, zum Hof der Gobetti. Vom Unfall hatte ich genug gesehen. Meine Hufe sanken beim Gehen ein, das Wasser am Boden verdampfte zu Nebelwatte, auf der Zunge lag eine leicht saure Melange von Gras, Moos und Erde. Ich nahm den Umweg über das Maisfeld, um Cleopatra Bericht zu erstatten. Meiner lieben Cleopatra. Welchen Duft sie wohl heute trug, la bella donna? Als Trüffelschwein bei unseren Nachbarn Delvecchio verfügte sie über ein weitläufiges Revier mit den herrlichsten Aromen. Die Ländereien des Weinbauern grenzten an die unseren.

Armer Matteo, auf diese Weise den Tod zu finden. Seltsam war nur, dass er seinen Wanderstock und die Taschenlampe nicht dabeihatte. Nun ja, der Alkohol. Immer wieder drängte sich das Bild von seinem Leichnam in mein Gedächtnis. Nicht, dass mir der Anblick von Toten fremd wäre. Nur zu gut erinnerte ich mich an die vielen Artgenossen, die als Mastschweine ein erbärmliches Schicksal erfuhren, zuerst eingepfercht in dreckige Ställe und schließlich beim Schlachter endend. Arme Seelen. Für immer verloren – die Menschen haben ihnen längst das Hirn weggezüchtet. Wer von den Zweibeinern denkt bei Cotoletta alla valdostana oder Grillhaxe schon an das Martyrium der Tiere? Matteo rührte nie Schweinernes an. Zugegeben, ich bin stolz darauf, dass sich in unserer Familie nie jemand zu Sklavendiensten erniedrigte, eingesperrt war oder sich als Speiselieferant hergegeben hat. Lieber sterben, als die Freiheit verlieren.

Aber ein toter Artgenosse ist eine andere Erfahrung als ein toter Menschenfreund. Ich erinnere mich noch, wie mich Matteo zur ersten Trüffeljagd mitnahm. Er hatte einen Hanfstrick um meinen Hals geknotet, gab fünf Meter Leine zu. »Los geht’s.« Mit einem Ruck zog Matteo in die Richtung, die er einschlagen wollte. Das Seil spannte sich. Ich blieb stehen. Er riss nochmals am Strick. Ich blieb stehen. »Verfluchtes Schwein, bewegst du dich endlich?« Mein sogenannter Gebieter stemmte sich mit beiden Beinen gegen den Boden und legte sein ganzes Körpergewicht nach hinten. Genauso gut hätte er versuchen können, einen Traktor wegzuschieben – ein Schwein wie ich ist nun mal wesentlich schwerer als ein Mensch. Ich schüttelte mich, der Strick verlor Spannung, der Padrone reagierte zu langsam, bekam Übergewicht und fiel hin. Ziemlich verdutzt richtete er sich wieder auf, klopfte sich den Staub von der Hose und kam auf mich zu. »Nun gut, ich hab’s kapiert.« Er tätschelte meinen Rücken. »Du willst keine Leine? Dann kriegst du auch keine. Ist mir recht.«

Er holte sein Pilzmesser aus der Tasche, klappte es auf und schnitt das Seil durch. Es versteht sich von selbst, dass ich Matteo am selben Tag zu einer besonders üppigen Trüffelfundstelle führte. Seit jener Stunde laufe ich frei herum. Hatte nie einen Stall, und es gab auch keinen eingezäunten Bereich.

Es war der Beginn einer wunderbaren Beziehung. Matteo wusste wohl, was er von mir erwarten durfte. Hatte er doch früher bereits mit meiner Mutter Penelope zusammengearbeitet, so wie sein Vater mit meinem Großvater ein Duo gebildet hatte. Die weißen Trüffel waren es gewesen, die den Grundstock für den Reichtum der Gobetti gelegt hatten. Matteo wollte nicht wie alle anderen in der Gegend Wein auf seinen Hügeln anbauen. Ein paar Maisfelder, einen Gemüsegarten, eine Wiese, das war alles, was er nach dem Tod seiner Frau Isabella bewirtschaftete. Warum sollte er auch mehr beackern? Er konnte es sich leisten: Meine Funde machten uns im Laufe der Jahre zu den besten Trifolai des Piemonts und ihn zum Millionär. Ich entdeckte nicht nur besonders aromatische, sondern auch außergewöhnlich große Trüffel – und vor allem: viele. Gobettis Ware erzielte Spitzenpreise, bis zu zehntausend Euro fürs Kilo des besten Tartufo bianco d’Alba. Mein privater Rekord ist übrigens ein einskommazwei Kilogramm schwerer Tuber magnatum pico, die Rarität erzielte auf einer Auktion in Grinzane Cavour den Liebhaberpreis von fünfundneunzigtausend Euro. Besondere Stücke wie dieses wurden schon immer gehandelt wie Rauschgift. Nicht umsonst sind die weißen Trüffel das teuerste Lebensmittel der Welt. Vielleicht weil viele glauben, Tartufi enthielten verborgene Inhaltsstoffe, die Frauen liebeshungrig und Männer ausdauernd machten. Schon die Babylonier lutschten vor der Hochzeitsnacht einen rohen Trüffel. Der ägyptische Pharao Cheops konnte ohne die erotisierende Speise nicht mehr leben und ließ die Schlauchpilze von überall her importieren, eine Handvoll im Tausch gegen fünf Sklaven. Der Arzt Galenus verschrieb im zweiten Jahrhundert seinen Patienten den Pilz der Gattung Tuber magnatum, weil er »der Wollust zuträglich« sei. Ich persönlich habe davon noch nichts gemerkt. Aber die Dinger schmecken saugut.

Fairerweise muss ich hinzufügen, dass unser Erfolg nicht meinen Künsten allein zuzuschreiben ist. Was die wenigsten wussten: Matteo hatte eine Trüffelkarte. Ein abgegriffenes Stück Pergament, seit zweihundert Jahren in Familienbesitz. Ich kenne sonst keinen, der über einen solchen Schatz verfügt – verewigtes Wissen um die besten Fundstellen. Das Geheimnis des Erfolgs ist nämlich, systematisch die guten Plätze abzuernten, aber natürlich in Begleitung eines fähigen Suchgefährten. Nicht mit einem der jetzt in Mode gekommenen Trüffelhunde. Die bringen nur Zufallsfunde zustande, und was sie dann zutage fördern, sind mickrige Pilzchen, Erdmurmeln, kaum der Rede wert, die höchstens noch für Saucen taugen. Aber was will man von den Kötern mehr erwarten? Leider versuchen die Behörden, die Trüffelschweine mit Verboten arbeitslos zu machen – ein Erfolg der Hundemafia. Aber Matteo besaß eine jahrhundertealte Erlaubnis, die den Gobetti das »ewige Recht« einräumte, mit Schweinen auf die Suche zu gehen. Und ich mit meinem unbeirrbaren Gespür geleitete Matteo zu allen ertragreichen Plätzen in der näheren Umgebung, die wir zu Fuß ablaufen konnten. Dafür brauchte ich keinen Plan. Waren die Jagdgründe weiter entfernt, leistete die Karte unschätzbare Dienste. Sie führte direkt zu den unterirdischen Diamantgruben.

Unsere Touren liefen immer nach dem gleichen Schema ab. Vorher studierte Matteo die Karte und legte ein Ziel fest. Dann ging’s los. Er hatte extra für mich einen Motorroller umgebaut. Die Vespa hatte bereits sein Vater benutzt. Früher muss die Farbe cremeweiß gewesen sein. Inzwischen war der Lack grau geworden und an vielen Stellen abgeblättert, dort breiteten sich Rostnester aus. Unzählige Dellen und Kratzer kündeten von Begegnungen der Karosserie mit Pfosten, Steinen und Sträuchern. Der Motor hatte notorisch Asthma und stieß aus Protest immer erst eine Rauchwolke aus, bevor er warm lief. Die Vespa verfügte über einen Seitenwagen. Eine Art Minicabrio in Eiform für eine Person, mit eigenem Reifen und fest mit dem Roller verschraubt. Um mir mehr Platz zu verschaffen, hatte Matteo die Windschutzscheibe abmontiert und oben und an der Seite das Blech weggeschnitten. Jetzt konnte ich allein in den Wagen hüpfen und mich setzen. So dürfte sich Kaiser Augustus gefühlt haben, wenn er in seinem Triumphwagen durch Rom rollte. Ich muss es wissen: Einer meiner Ahnen, Lukullus Quintus, war als Sparschwein in Diensten des römischen Kaisers gewesen und hatte durch seine genauen Prognosen zu erwartender Staatseinnahmen hohes Ansehen gewonnen. Um mich vor dem Fahrtwind zu schützen, setzte mir Matteo eine alte Fliegerbrille auf, die er auf dem Speicher gefunden hatte. Und dann Vollgas. Was bei der Klappermühle allenfalls siebzig Stundenkilometer bedeutete.

Am liebsten fuhr Matteo frühmorgens, vor Sonnenaufgang. Manchmal knatterten wir eine Stunde über abgelegene Straßen, bogen in Feldwege ein, suchten uns eine Spur zwischen den Bäumen. Den Rest bewältigten wir zu Fuß. Mein Partner leuchtete mit der Taschenlampe den Boden vor uns ab. Die Karte zeigte die Fundstelle auf hundert oder zweihundert Meter genau an, der Rest war mein Job. Ich hob den Kopf und sog die Luft ein. Der Geruch der Eichen und Buchen streifte die Sensoren in meiner Nase. Dazwischen nahm ich Aromen wahr, die der Wind zu mir hertrug. Den beizenden Schweiß eines Hirsches. Die leicht muffigen Ausdünstungen einer Eule. Tannennadeln. Fichtennadeln. Die Fäulnis eines umgestürzten Baumes. Die Reste von Pommes frites mit Ketchup, die jemand im Wald weggeworfen hatte. So sensibilisiert, marschierte ich voran, meinem Instinkt folgend, den Rüssel wenige Zentimeter über dem Boden. Wie ein Minensucher registrierte ich jedes Detail unter der Oberfläche. Das Höhlensystem einer Maus. Den getrockneten Kot eines Fuchses. Regenwürmer. Eicheln, die zu faulen begonnen hatten. Die Wurzeln eines Heidelbeerstrauchs. Dazwischen die Zusammensetzung des Humus, Feuchtigkeitsgrad, Kalkboden, Lehmboden, saures Milieu, Phosphate, Feldspat, Bakterien.

Und dann, auf etwa fünf Meter Entfernung, registrierte ich einen ganz andersartigen Duft. Schwach zuerst. Mehr Ahnung als Gewissheit. Ich näherte mich der Quelle der Aromen. Noch fünf Schritte. Etwas schlug in meiner Nase an. Unter mir die Wirbel einer einzigartigen Witterung: Trüffel. Weiße Trüffel. Jeder, der riechen kann, weiß: zu Recht die teuersten der Welt. Besser als die schwarze Konkurrenz aus Umbrien oder dem französischen Périgord. Wissenschaftler können in Genlabors Babys im Reagenzglas erzeugen, aber noch immer ist es ihnen nicht gelungen, diese Pilze zu züchten. Raffinierterweise verbergen sich die Trüffel auch noch tief in der Erde. Nichts am Boden weist darauf hin, dass hier eine Kostbarkeit schlummert. Das ist für mich die schönste Befriedigung: Die Natur versteckt ihr größtes Geheimnis vor dem Menschen. Der schafft es trotz Computer und modernster Technik nicht, die Natur zu besiegen und ihr das Kostbarste zu entreißen. Deshalb braucht man Experten wie mich – das tut gut zu wissen. Auch wenn die Arbeit immer schwieriger wird, da die Funde in der Gegend Jahr für Jahr zurückgehen – das Abholzen der Wälder, Kunstdünger, der Dreck in der Luft sorgen zuverlässig dafür.

Zuletzt waren Matteo und ich vorgestern losgefahren, zu einer Stelle südlich von Novello. Wir durchsuchten ein Waldstück am Rande eines Hügels, bis wir auf eine Gruppe Linden stießen. Ich ortete eine Stelle beim Wurzelwerk, scharrte mit den Hufen die oberste Erdschicht beiseite. Ein Gefühl, wie wenn sich nach der Ouvertüre der Vorhang hebt und das Orchester mit voller Lautstärke loslegt – eine Symphonie der Eindrücke. Sinnlichkeit. Erotik. Verzauberung. Harmonie. Drama. Süße. Das Leben. Ein Versprechen von Paradies, duftend und eindringlich.

»Hast du was entdeckt, Partner?«

Matteo kam näher, nahm sein Sapet in die Hand. Zur Bestätigung gab ich ein warmes Grunzen von mir.

»Lass mal sehen!«

Vorsichtig trug er den Boden mit der Breithacke Zentimeter um Zentimeter ab. Nach dreißig Zentimetern blieb das Sapet an etwas hängen. Matteo legte das Werkzeug beiseite, arbeitete nun mit seinem Klappmesser. Zehn Minuten später hatte er eine Gruppe weißer Trüffel freigelegt. Mit einem Pinsel reinigte er die bräunliche Oberfläche der Pilze, als staubte er ein Gemälde von Rembrandt ab. Er setzte die Messerklinge, die sich an der Spitze verjüngte, an der Unterseite der Tartufi an und trennte sie mit einer kurzen Bewegung aus dem Handgelenk vom Untergrund. Matteo wog die Pilze in seiner Hand.

»Guter Fang, Partner. Etwa vierhundertfunfzig Gramm, würde ich sagen. Das hat sich gelohnt.« Er bettete die Trüffel in einen Weidenkorb, der mit Baumwolltüchern ausgelegt war. »Ich glaube, das ist genug für heute. Fahren wir heim.«

Zu Hause gab es für mich die übliche Belohnung: ein Fläschchen Barolo. Matteo bezog seine Vorräte von einem Weinbauern, bei dem er Wein gegen Trüffel tauschte. Er und ich zogen den samtigen Rotwein aus dem gleichnamigen Ort südwestlich von Alba der regionalen Konkurrenz aus Barbaresco vor. Dazu kochte Matteo immer ein Menü, das er selbstverständlich mit mir, seinem Partner, teilte. Mal eine Minestrone mit Tomaten, Karotten und einer Prise Parmesan. Mal Agnolotti, gefüllte Teigtaschen mit Salbeibutter. Oder Spaghetti mit Zucchinisahnesauce, bestreut mit frisch gezupftem Basilikum. Als Nachtisch nahm ich gern Amarettinikekse. Oder Zabaione.

Beim Gedanken an solche Leckereien lief mir das Wasser im Mund zusammen. Matteo, ich vermisse dich. Ich ging am Rand des Feldes entlang und bog nach rechts ab, wo sich ein Stück Wildnis aus kniehohem Gras, Steinen und Disteln ausbreitete. Dahinter kündigte sich schon der Geruch von reifen Weintrauben an. Ein Hügel tat sich vor mir auf. In exakten Linien wie eine Armee beim Appell reihten sich die Rebstöcke der Delvecchio, die Abstände dazwischen bildeten einen natürlichen Hohlweg. Ein Geräusch, ein Schmatzen, wies mir die Richtung. Ich bewegte mich auf die Senke am Fuße des Hügels zu.

»Hallo, chéri. Rieche ich da einen ungewaschenen Eber?«

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Zwei Rebstöcke knickten unter meinem Gewicht um. Da stand sie vor mir, Weintrauben kauend. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich sie sah. Die üppigen Rundungen ihres Körpers, ihre anmutigen Beine, der wohlgeformte Rüssel. Cleopatra, meine Aurora. Meine allerliebste Freundin. Ihre Backen bildeten beim Essen zwei reizvolle Grübchen, das Glitzern ihrer Augen konnte einen schwach werden lassen. Sie roch nach Klee und Thymian.

»Neues Parfum?«

Cleopatra hob den Kopf. »Schön, dass du das bemerkst, mein Lieber. Ich habe eine neue Stelle im Wald entdeckt. Ganz junge Pflänzchen. Sehr ergiebig. Magst du es?«

Ich fuhr mit dem Rüssel ihren wohlgeformten Körper entlang, verweilte bei ihren Hängeohren, knabberte zart daran. »Besser als Tiramisu mit Kirschlikör.«

»Lass das, du Ferkel.« Sie schüttelte unwillig den Kopf. »Weg da. Mir ist nicht zum Flirten zumute. Dass du immer nur an das eine denkst. Außerdem hast du heute wohl deine Morgentoilette vernachlässigt. Du müffelst wie ein Hund.«

»Ich hatte keine Zeit zum Waschen. Es ist was Schlimmes passiert.« Ausführlich berichtete ich ihr von den Ereignissen der vergangenen Stunden. Cleopatra schaute mich eine Weile stumm an. Dann rieb sie ihren Körper an meinem.

»Das muss ein schlimmer Schlag für dich sein. Ich weiß, wie sehr du an ihm gehangen hast. Er war ein ungewöhnlicher Mensch. Sehr sensibel. Wenn auch nicht so einfühlsam wie ein Schwein. Aber daraus kann man ihm keinen Vorwurf machen.«

»Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Aufwachen, und alles wäre wie immer. Es geht mir nicht in den Kopf, wie das passieren konnte.«

»Unfälle geschehen. Menschen töten. Menschen sterben. C’est la vie.« Ihre Stimme klang tröstend.

»Du hast recht. Ich sollte mir weniger Gedanken machen.«

»Mein Ururgroßvater mütterlicherseits, du weißt schon, der aus Bordeaux, pflegte zu sagen: ›Das Beste, was du von Menschen erwarten kannst, sind drei Mahlzeiten am Tag.‹« Sie setzte wieder ihren Du-erinnerst-dich-doch-Blick auf. Ich ahnte, was jetzt kam – endlose Geschichten von ihren adligen Vorfahren.

»Lass uns schauen, ob wir die anderen finden.« Hoffentlich lenkte sie das ab. Ich war wirklich nicht in der Stimmung, mir schon wieder ihre edle Herkunft unter den Rüssel reiben zu lassen. Sie hieß nämlich mit vollem Namen Cleopatra Contessa de la Rosa. Obwohl das blaue Blut seit Generationen in Italien durch die Adern ihrer Vorfahren floss, bestand sie darauf, in Wahrheit französische Gene zu haben. Ihre Familie legte großen Wert auf Reinrassigkeit. Über Jahrhunderte hatten sie es geschafft, sich nur innerhalb ihrer Rasse fortzupflanzen. Cleopatra führte ihre Wurzeln direkt auf die südfranzösischen Gascon-Schweine zurück, ihr Stammbaum ließ sich bis ins neunte Jahrhundert nachweisen. Im Familienbuch des Grafen Guillaume aus dem Jahr 876 findet sich eine Abbildung von D’Artagnan dem Ersten, genannt der Borstige, dem Begründer der Dynastie, und seinem Wappen mit der stilisierten Rose. Nach dem Großen Schweine-Erbfolgekrieg war der Clan gezwungen gewesen, ins Périgord zu fliehen – zugleich markierte das den Einstieg ins Trüffelgeschäft. Dort lebten sie vierhundert Jahre lang in Frieden und Wohlstand. Bis fanatische Bußprediger mit dem Aufruf zu Keuschheit und Armut und mit dem Schlachtruf »Speckschwarten sind Sünde« eine große Anhängerschar um sich sammelten. Unruhen brachen aus. Mord und Totschlag waren an der Tagesordnung. Tausende fielen der Nacht der langen Hauer zum Opfer. Die Familie musste erneut ihre Sachen packen. Sie floh über die Grenze nach Italien und blieb schließlich im Piemont hängen.

»Komm, gehen wir.« Ich stupste Cleopatra an. »Vielleicht haben wir Glück, und die beiden Freibeuter sind am Treffpunkt.«

Wir trabten eine Zeit lang nebeneinander her, ohne ein Wort zu wechseln. Der Himmel zwängte sein Blau durch die Wolken. Der Wind hatte an Kraft verloren. Langsam erwärmte sich die Luft. Wir erreichten den Wald südlich der Weinberge. Es dauerte, bis wir uns an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Schließlich tauchte unser Ziel vor uns auf: eine Senke, umrahmt von Fichtenschösslingen. Von außen war das Versteck wegen des dichten Bewuchses nicht zu entdecken. Wir drängten uns zwischen den Bäumen durch. Nichts. Der Platz, fast kreisförmig, vier Meter im Durchmesser, war leer. Der Moosteppich lud zum Rasten ein.

»Niemand da.«

»Wahrscheinlich machen sie irgendwo ein Nickerchen«, sagte Cleopatra.

Gerade hatte ich eine Stelle erschnuppert, wo ich mich niederlassen wollte, als das Geräusch herunterfallender Zweige und das Knacken von Ästen zu uns drang. Der Boden vibrierte leicht. Eine Lokomotive schien durch den Wald zu rauschen.

»Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht trödeln«, tönte es vor uns.

»Nun hetz mich nicht. Ich war mit meinen philosophischen Meditationsübungen noch nicht fertig.«

»Keine Ausreden, langsam könntest du Schöngeist mal aufwachen.«

»Ich übe Nachsicht mit dir, mein Guter. Wie ich kürzlich in ›Der Wille zur Pracht‹ gelesen habe, neigen manche Schweinecharaktere mehr zu Äußerlichkeiten. Du denkst ja bloß...«

»Pass auf, was du sagst, sonst verarbeite ich deinen Rüssel zu Frikadellen – Freundschaft hin oder her.«

»Genau was ich meine. Du, du ...« Ein Rumpeln, gefolgt von einem Quieken. Zwei graue Leiber auf Verfolgungsjagd. Sie schossen direkt auf uns zu.

Hannibal und Diogenes im Anmarsch. Vor mir stoppten zwei Prachtexemplare der Gattung Sus Scrofa, des gemeinen Wildschweins. Hannibal war der Größere der beiden, seine Borsten zeigten in verschiedene Richtungen, die Eckzähne standen bedrohlich weit ab. Eine kahle Stelle an der Schulter und ein fehlendes Stück am linken Ohr zeugten von alten Kämpfen mit Nebenbuhlern. Die Gegner hatten es nicht überlebt. In seinem Hinterbein steckte knapp unter der Haut ein Stück Blei, das sich erfühlen ließ, wenn man mit der Schnauze darüberfuhr – ein Andenken an das Gewehr eines Jägers, das Hannibal wie einen Orden trug. Sein Gefährte Diogenes hatte einen schmalen, keilförmig zulaufenden Kopf. Vom Scheitel über den Rücken zog sich ein schwarzer Streifen durch das Fell. Die breite Stirn verlieh ihm den Ausdruck eines Denkers, was er regelmäßig durch geistreiche Sprüche zu unterstreichen suchte. Beide waren im wahrsten Sinne des Wortes wild, lebten frei im Wald, mieden Menschen und hatten mit Trüffeln nichts im Sinn.

»Habt ihr euch wieder beruhigt?« Cleopatra machte es sich auf dem Moos bequem und lud uns mit einer Kopfbewegung ein, ebenfalls Platz zu nehmen. Hannibal krachte neben ihr auf den Boden. »Diogenes ist und bleibt ein Neunmalklug«, sagte Hannibal. Sein Freund ließ sich auf der anderen Seite nieder, um Cleopatra zwischen sich und Hannibal zu wissen. »Er gönnt mir meine Mußestunden nicht«, sagte Diogenes. »Wo doch jedes vernünftige Tier weiß: Im Schlaf und beim Essen kommen die besten Ideen.«

Ich gesellte mich zu ihnen auf den Boden. »Wie geht’s deiner Frau?«

»Ach, hör bloß auf damit!« Hannibal sah missmutig in die Runde. Seine Stimme klang zerknirscht. »Messalina liegt mir ständig in den Ohren, ich solle nach einer neuen Behausung Ausschau halten, tiefer im Wald. Wo wir jetzt leben, ist es ihr zu unruhig. Zu viele Menschen unterwegs. Außerdem will sie immer, dass ich auf die Kleinen aufpasse. Stellt euch vor: ich! Wo ich doch sonst genug zu tun habe.«

»Ja, fressen und Streit suchen«, warf Diogenes ein. »Bei ihm fragt man sich, wozu sich Philosophen so viele Gedanken über die Weisheit der Schweine gemacht haben.«

»Du als Junggeselle kannst da gar nicht mitreden«, antwortete Hannibal, »nur in deiner Kuhle zu liegen und über die Welt nachzudenken, macht den Magen nicht voll.«

»Nun hört endlich auf zu streiten!« Cleopatra schüttelte sich. »Habt ihr schon gehört, was dem armen Matteo widerfahren ist?«

»Deinem Partner? Ist eure Ehe am Ende? Liebt er dich nicht mehr? Hast du ihm den Laufpass gegeben?« Hannibal bebte vor Kichern.

Mir war gar nicht nach Witzen zumute. Noch immer verursachte der Gedanke an Matteo stechenden Schmerz in meiner Brust. Ich berichtete von den Vorgängen und dem Fundort der Leiche. Es blieb eine Zeit lang still. Diogenes legte seine Stirn in Falten. »Ich mag mich täuschen, aber ich glaube, ich habe Matteo heute Nacht gesehen – besser gesagt, gerochen.«

Ich sprang auf. »Du bist ihm begegnet? Wann war das?«

»Es mag gegen ein oder zwei Uhr nachts gewesen sein. Ich war gerade auf dem Heimweg, hatte nämlich ein wenig die Zeit vergessen ...«

»Typisch!«, warf Hannibal ein.

»Lass ihn doch mal weitererzählen!«

»Also, ich kam gerade am Birkenwäldchen vorbei, als ich am Bach eine menschliche Stimme hörte. Zuerst dachte ich mir nichts dabei und wollte schon einen großen Bogen machen, schließlich wollte ich mir nicht den Pelz verbrennen, da wurde die Stimme lauter. Sie klang nach Ärger. Ich pirschte mich heran. Meiner Witterung nach war es Matteo. Ich hatte ihn ja schon öfter mit Leonardo zusammen gesehen.«

»Und was hat er gesagt?«

»Das habe ich nicht verstanden. Dazu stand er zu weit weg. Aber eines war klar: Er sprach mit jemand.«

»Da war noch ein anderer Mensch?«

»Natürlich. Den oder die konnte ich aber nicht erschnuppern. Matteos Alkoholfahne hat alles überdeckt. In der Dunkelheit war nichts zu erkennen. Die beiden stritten miteinander. Die andere Person wollte offenbar etwas von Matteo haben. Daraufhin folgte wieder ein erbitterter Wortwechsel. Plötzlich fing Matteo zu schreien an. Ich glaube, er stieß eine Drohung aus.«

»Und dann? Was passierte dann?«

»Die Diskussion schwelte in erregtem Tonfall noch eine Weile weiter. Dann war es still. Ich habe mir nichts weiter gedacht und bin meiner Wege gezogen. Menschen streiten nun mal gern über alles Mögliche.«

»Dann warst du der Letzte, der Matteo lebend geschnuppert hat. Kurz darauf muss er auf dem Weg unglücklich ausgerutscht und den Hang hinuntergestürzt sein.« Der Bericht von Diogenes hatte mich munter gemacht.

»Meinst du wirklich, es war ein Unfall?« Hannibal schaute mich an, Zweifel schimmerte in seinen Augen.

»Was ... was meinst du damit?«

Cleopatra stand ebenfalls auf und reckte sich. »Ist doch klar!«

4

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Ich marschierte quer über die Felder nach Hause. Die Sonne wärmte meinen Rücken, vom Wind war kaum noch etwas zu spüren. Ein Bussard kreiste am Himmel, die Fliegen schwärmten aus, in der Ferne war das heisere Geschrei der Krähen zu hören. Von Cleopatra, Hannibal und Diogenes hatte ich mich verabschiedet. Ich wollte allein sein, beim Gehen die Beklemmung loswerden, die bleischwer auf mir lastete, sobald ich an Matteo dachte. Hatten meine Freunde recht? War er am Ende gar ermordet worden? Wer hätte meinen Partner umbringen sollen? Einen Grund konnte ich mir nicht vorstellen. Matteo war zu allen freundlich gewesen, hatte keine Feinde gehabt. Wertsachen trug er nie bei sich. Ich erinnerte mich auch sonst an nichts Kostbares in seinem Besitz. Keine goldene Uhr, keine Ringe mit seltenen Steinen. Keine größeren Mengen Bargeld. Zumindest habe ich nie etwas herumliegen sehen. Er schien sich aus den sprudelnden Einnahmen seines Trüffelverkaufs nicht viel zu machen. Das meiste gab er sofort wieder für Essen und Trinken aus.

Andererseits hatte die Polizei bei der Leiche fast keine persönlichen Gegenstände gefunden. Das war seltsam. Hatte er vergessen, Taschenlampe, Messer und Wanderstock mitzunehmen, als er von zu Hause aufgebrochen war? Matteo bewegte sich sehr sicher – selbst wenn er etwas getrunken hatte. Bei unseren Streifzügen durch die Wälder stapfte er durchs Unterholz, als wandelte er auf einer Teerstraße, ohne zu stolpern. Nie habe ich ihn hinfallen sehen. Und nun hatte er den feuchten Untergrund nicht bemerkt und war einfach wie auf einer Eisbahn ausgerutscht und in die Tiefe gestürzt? Was machte er mitten in der Nacht dort? Offensichtlich hatte er jemanden getroffen. War es eine Verabredung gewesen – oder Zufall? Das alles kam mir seltsam vor.

Ich umrundete die eingezäunte Kleewiese, auf der Kühe weideten, und sah den Hof der Gobetti vor mir liegen. Meine Heimat. Die alte Maria fegte den Vorplatz. Wie immer war sie ganz in Schwarz gekleidet, mit einem knöchellangen Rock, einer Schürze, einer verwaschenen Bluse und einem Kopftuch, unter dem ein paar silberne Haarsträhnen hervorlugten. Sie ging ein wenig gebückt, als laste ihr Leben schwer auf ihr, den rechten Fuß zog sie beim Gehen leicht nach. Ihre von der Gicht gekrümmten Hände konnten den Besenstiel nur mit Mühe halten. Maria hatte schon immer als Haushaltshilfe bei den Gobetti gearbeitet, war Matteos Kindermädchen gewesen. Mittlerweile war sie vierundsiebzig Jahre alt. Als Matteo sie mit sechzig in den Ruhestand verabschieden wollte, hatte sie nur geantwortet: »Ich bin doch noch keine alte Frau. Mein Zuhause ist hier. Basta!« Damit war das Thema vorerst erledigt. Als Matteo ihr mit siebzig Jahren jede Arbeit verbot, war die einzige Antwort: »Willst du mich ins Grab bringen?« Dabei bekreuzigte sie sich und murmelte: »Ich weiß selbst, was mir guttut.«

Das Anwesen war in der Form eines dreitraktigen Bauernhauses gebaut, in der Mitte das Hauptgebäude, in dem Matteo und ich wohnten. Links schloss sich im rechten Winkel die Halle an. Sie diente als Garage und Lagerplatz, dort befand sich auch der Stall. Der Anbau rechts schmiegte sich ebenfalls im rechten Winkel ans Haupthaus. Dort hatte Matteos Sohn Paolo mit seiner Frau Eleonora sein Heim. Im Erdgeschoss war ein Zimmer für Maria reserviert. Die Fassaden leuchteten in der Farbe reifer Birnen, Efeu rankte an der Vorderseite bis ins Obergeschoss hinauf. Obwohl Matteo dem Haus regelmäßige Reparaturen hatte angedeihen lassen, Fenster und Dach erneuert worden waren, wirkte das Gut doch etwas vernachlässigt, jeder Stein zeigte die Patina des neunzehnten Jahrhunderts.

»Schwein, wage bloß nicht, über meinen frisch gekehrten Platz zu laufen.« Maria kam auf mich zu, den Besen wie einen Baseballschläger schwingend. Obwohl ich bezweifele, dass sie wusste, was Baseball ist. Denn sie interessierte sich eigentlich nur für die Kirchenblätter, die der Pfarrer ihr nach der Sonntagsmesse in die Hand drückte. Oder für Groschenromane, auf deren Titelblättern verwegen aussehende Männer eine Jungfrau in ihren muskulösen Armen hielten. Ich machte einen Bogen um Maria. Selbst auf die Entfernung drang ihr etwas strenger Geruch in meine Nase. Es war kein Schweiß, sie schwitzte nie bei der Arbeit, das Geheimnis verbarg sich vielmehr unter ihren Kleidern, wie meine Sensoren längst festgestellt hatten: Körperpuder. Talkum mit Rosmarin. Sicher gab es solchen Puder schon seit mindestens hundert Jahren.

Ich wählte den Eingang durch den Stall, um zu meinem Zimmer zu gelangen. Aus dem Stall führte ein zweiter Ausgang zur Hinterseite des Gebäudes. Den benutzte ich gern, um unbemerkt zu entschlüpfen. Am Übergang von der Halle zum Haupthaus hatte Matteo eine zweiteilige Tür angebracht. Der obere Teil konnte mit einem Haken geschlossen werden und hielt im Winter die Wärme im Haus. Der untere Flügel war einzig an zwei Scharnieren befestigt und schwang nach beiden Seiten auf. So brauchte ich die Tür nur kurz anzustoßen, um von drinnen nach draußen zu gelangen – oder umgekehrt.

Mein Reich war ein abgetrennter Raum, etwa sechs Meter lang und fünf Meter breit. Er grenzte direkt an die Wohnküche des Haupthauses, die ich durch eine Tür betreten konnte. Die Hölzer der Tür hatten sich verzogen, durch die Ritzen drang Licht. Das Schloss rastete nicht richtig ein. Schon vor Jahren war der Schlüssel verloren gegangen. Hinter der Wohnküche befand sich ein Flur mit einer Toilette, dahinter die Eingangstür. Vom Flur führte eine Eichentreppe in den Vorratskeller und in den ersten Stock. Dort hatte Matteo sein Schlafzimmer. In den anderen Räumen im Obergeschoss hatten einst die Kinder gewohnt, jetzt war alles vollgestopft mit ausrangierten Stühlen, Stehlampen, Truhen, abgewetzten Lederkoffern und Bilderrahmen ohne Glas.

Ein Rundblick in meinem Salon sagte mir, dass noch niemand an mein Essen gedacht hatte. Auf dem japanischen Bänkchen mit Kirschholz-Intarsien stand wie gewohnt mein Speisegedeck: drei Schüsseln aus alter Keramik, bemalt mit neckischen Weinranken. Aber leer. Kein Wasser oder Rotwein in der linken Schale, wie es mir Matteo immer angerichtet hatte. Kein Hauptgericht in der mittleren Schale. Auch das rechte Gefäß, sonst mit Süßem gefüllt – leer. Ich konnte nachempfinden, dass ein Todesfall die Menschen durcheinanderbrachte, aber musste ich deswegen gleich verhungern? Sollte ich mir etwa wie ein gewöhnliches Hausschwein Eicheln aus dem Wald holen? Aus dem Bach trinken wie ein Hund? Matteo wäre eine solche Nachlässigkeit nie passiert. Er dachte immer an mein Wohlergehen. Frustriert ließ ich mich auf mein Sofa fallen, legte den Kopf auf die Lehne, stieß einige Seufzer aus. Das Möbel mit dem grünen Samtbezug hatte mein Partner auf dem Flohmarkt gefunden. Er hatte die Holzfüße abgeschnitten, damit ich ohne Mühe zum Schlafen darauf Platz nehmen konnte. Durch das Fenster zeichneten die Sonnenstrahlen Muster auf den Perserteppich vor mir. Ich entdeckte einige Staubflocken im Gegenlicht. Machte hier denn niemand sauber? Wo blieb Maria? Ich erhob mich, scharrte den Staub mit meinen Hufen weg und trottete zum Holzregal an der Wand gegenüber.

Jetzt brauchte ich eine Stärkung, um Abstand zu den jüngsten Ereignissen zu bekommen. Vor mir lagerten in fünf Reihen, ordentlich in der Waagerechten ausgerichtet, meine privaten Weinvorräte. Hauptsächlich Barolo. Ein paar Flaschen Barbaresco aus Neire. Weißwein der Cortese-Traube aus Gavi. Normalerweise goss mir Matteo den Roten direkt in die Schüssel, wenn er das Menü zubereitet hatte und servierte. Es war immer dasselbe Ritual: Abends kochte er ein Essen, lud manchmal Paolo und Eleonora oder Maria dazu. Meistens jedoch blieb er allein mit mir. Er hatte sich das nach dem überraschenden Tod seiner Frau angewöhnt. Das tägliche Kochen und der Rotwein schienen ihm Trost zu spenden und die Erinnerungen wach zu halten. Die Wohnküche neben meinem Zimmer wurde sein eigentlicher Aufenthaltsraum, sein privates Fürstentum, in dem er allein bestimmte. Ohne das Gemeckere seines Sohnes. Zuerst deckte Matteo den langen Küchentisch aus Wurzelholz, holte Silberbesteck aus der Anrichte, dazu eine frische Serviette aus einer offenen Lackschatulle, die auf der Kommode stand. Maria schimpfte und bekreuzigte sich danach, wenn sie den Leinenstoff bügelte. Dabei murmelte sie etwas wie »unnötiger Luxus« und »ein Papiertaschentuch tut’s auch«. Eine Stunde oder länger verbrachte Matteo mit Wasser aufsetzen, Gemüse putzen, Zwiebeln schneiden und Kräuter zupfen. Die Portionen teilte er reichlich ein, er wusste, welche Mengen ich vertilgen konnte. Den Abend beschloss er mit Selbstgesprächen und Rätselaufgaben aus Zeitschriften. Oder er legte Schallplatten mit Verdi-Opern auf, von dem altertümlichen Plattenspieler wollte er sich nicht trennen, obwohl er zu Weihnachten ein modernes Gerät geschenkt bekommen hatte. Er hatte es an Paolo weitergegeben. Da er grundsätzlich die Verbindungstür zu meinem Raum offen ließ, genoss ich Verdi mit ihm zusammen. Obwohl mir lieber war, wenn Matteo den Fernseher einschaltete, da sah ich etwas von der Welt. Den Abend beendeten wir mit einem Grappa oder einem Glas Rotwein. Matteo kam dann zu mir, füllte meine Schüssel ein letztes Mal nach und hob sein Glas: »Salute, mein Freund.«

Irgendwann hatte er eingesehen, dass es meinen Bedürfnissen entgegenkam, wenn ich zusätzlich für den spontanen Durst eine Notration in Reichweite hatte. Die Flaschen trugen kein Etikett, mein Partner tauschte sie direkt bei den Weinbauern gleich nach der Abfüllung, bevor sie in den Handel gelangten. Nur Kreidekreuze kennzeichneten die Bouteillen. Ein Kreuz bedeutete Trinkwein für jeden Tag, ein leichter Barbaresco mit dem Aroma von Heidelbeeren und Zimt beispielsweise. Zwei Kreuze waren für bessere Tropfen reserviert. Die edlen Kreszenzen trugen drei Kreuze, etwa ein 89er Barolo, für mich einer der ausgewogensten Weine, besser noch als der 97er. Heute war ein Dreikreuzetag. Vorsichtig fasste ich die Flasche mit der Schnauze am Hals und stellte sie vor dem Sofa ab. Das Problem mit dem Korken hatte Matteo genial gelöst: Der Korken war nur halb hineingedreht, gerade fest genug, damit das kostbare Nass nicht auslaufen konnte. Ich hielt die Flasche zwischen meinen Hufen und zog den Korken mit den Zähnen heraus, ganz behutsam, als wollte ich ein rohes Ei transportieren. Jetzt den Hals mit den Lippen umfassen, die Flasche hochheben, den Kopf nach hinten legen – und fließen lassen. Ich lehnte mich genüsslich zurück. Der Barolo zauberte auf meinen Geschmacksnerven ein Duett von Kirsche und Pfirsich, darunter mischte sich die Würze des Eichenfasses, eine Spur von Zimt schob sich aberwitzig in den Vordergrund. So lange wie möglich zögerte ich den Höhepunkt, das Runterschlucken, hinaus, blieb danach einige Sekunden völlig regungslos, um den Nachhall der Aromen in meinem Mund wie ein fernes Echo nachklingen zu lassen. War das Amore? Musste man sich so das Himmelreich vorstellen? Esus, der Heilige Schweinevater, der unsichtbar über uns wachte, hatte die Weinrebe sicher auf die Erde gebracht, um uns Schweine glücklich zu machen. Ein großzügiges Geschenk. Verehrt seist du, Esus! Mein Hirn fühlte sich himmlisch träge an. Danke. Der Wein, der gute. Wein, ja Wein ...

Ein Geräusch weckte mich auf. In der Wohnküche unterhielt sich jemand.

»Ich kann es immer noch nicht fassen, dass so was Schreckliches geschehen ist. Furchtbar. Einfach furchtbar.« Ein Schluchzen. »Matteo – gestern habe ich mich noch mit ihm über das Fenster neben unserem Eingang unterhalten, das gerichtet werden muss. Matteo war wie immer. Versprach, sich um die Sache zu kümmern.« Es war Eleonoras Stimme, erstickt von Tränen.

»Ich fühle mich genauso entsetzlich. Es ist unbegreiflich.« Das klang nach ihrem Ehemann Paolo. Die Worte flossen ruhig und gelassen aus seinem Mund. »Ein Schock.«

»Was sollen wir bloß machen?«

»Das Leben geht weiter.«

Stille. Das Klappern einer Tasse.

»Aber ohne Matteo können wir doch gar nicht ...« Ein Japsen in Eleonoras Stimme.

»Lass mich mal machen. Ich lege mir einen Plan zurecht.«

»Gibt’s was Neues von der Polizei?«