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Dörte Müller

Lotte und Marie reisen nach Amerika


Für Jean


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Alle fahren in den Urlaub, nur wir nicht!

 

Who is who?

 

 

  

Lotte Lohmeier ist acht Jahre alt. Sie hat eine fünf Jahre ältere Schwester und lebt mit ihrer Familie am Rande eines kleinen Dorfes in einem Forsthaus. Ihre weiteste Reise war bisher ein Urlaub bei den Großeltern, die eine Autostunde entfernt wohnen. Ihre beste Freundin Marie Maibohm hat sie beim Spielen auf der Straße kennen gelernt. Lotte ist sehr mutig und immer auf der suche nach Abenteuern. Manchmal ist sie etwas altklug, doch sie trägt ihr Herz auf dem rechten Fleck.

 

Marie Maibohm ist mit ihren neun Jahren die Jüngste von acht Geschwistern. Sie muss immer die Sachen der großen Kinder auftragen und sich gegen die vorlauten Brüder durchsetzen. Aber die Brüder beschützen sie auch vor den frechen Jungen im Dorf und in der Schule. Lottes Mutter schenkt Marie oft Spielsachen und Kleidungsstücke. Marie ist ständiger Gast im Forsthaus und fast wie eine Schwester für Lotte.

Im Gegensatz zu Lotte ist Marie eher still und zurückhaltend. Sie ist ängstlich und versteckt sich gerne hinter anderen. Wie gut, dass ihr Onkel Kurt ihr bei allen möglichen Problemen hilft und immer ein offenes Ohr für sie hat.

 

Amanda Highsmith ist Lottes nach Amerika ausgewanderte Tante. Sie hat vor vielen Jahren als Au – pair in Chicago gearbeitet und während dieser Zeit ihren Mann Paul kennen gelernt. Sie haben den zehnjährigen Sohn Patrick, der gar nicht begeistert über die Ankunft von Marie und Lotte ist.

Tante Amanda arbeitet als Kinderärztin in einer kleinen Praxis in Oak Park. Ihre Arbeit bedeutet ihr sehr viel. Onkel Paul ist Chefarzt in einem Krankenhaus in der Nähe. Kein Wunder, dass sich alle Gespräche beim Abendessen immer um Medizin drehen.

 

Patrick Highsmith ist Lottes zehnjähriger Cousin. Er spielt Basketball und ist verrückt nach Computerspielen. Außerdem sieht er sehr gut aus und ist ein echter Mädchenschwarm. Da seine Eltern immer von morgens bis abends gearbeitet haben, wurde er von Au – pair Mädchen großgezogen. Er hat sich sehr auf die Sommerferien gefreut, weil er dachte, dass er endlich viel Zeit mit seiner Mutter verbringen könnte.

   

 

 

 

 

 

 Es war ein heißer Tag Ende Juni. Die Sonne strahlte von einem knallblauen Himmel und nur wenige Schäfchenwolken zogen in einer leichten Sommerbrise dahin. Der klapprige Eiswagen war gerade durch die Siedlung des kleinen Dorfes am Harzrand geknattert und die Kinder saßen auf der Mauer vor Stahls Grundstück und leckten ein Eis.

„Nur noch drei Tage Schule – dann sind Sommerferien und wir fahren an die Nordsee!“, freute sich die zehnjährige Pia.

„Wir fliegen nach Madrid!“, erzählte Paulchen Kaiser. Seine Mutter war Spanierin und darum hatte er sehr viel Verwandtschaft in der spanischen Hauptstadt. „ Im Juli nach Madrid zu fliegen – das würde mir im Leben nicht einfallen!“, sagte Mona, Pias große Schwester, verächtlich. „Da ist es so heiß und ihr seid noch nicht einmal am Meer!“ „Na und?“, verteidigte die achtjährige Lotte Lohmeier ihren Nachbarn. „In Madrid gibt es tausend Sachen zu sehen und zu erleben – außerdem sind dort viele tolle Parks!“ Paulchen nickte zustimmend. Schon oft hatte er Lotte von Madrid vorgeschwärmt und ihr viele Fotos gezeigt. Lotte war immer ganz begeistert gewesen und hatte stets ein offenes Ohr für ihn gehabt. Seit einiger Zeit war Paulchen heimlich in sie verliebt und daher freute er sich natürlich besonders, dass sie ihn jetzt so verteidigte. Lotte tat ihm Leid. Wie er gehört hatte, fuhr sie dieses Jahr gar nicht weg. Ihr Vater war Förster und die Familie besaß diesen einzigartigen Schweißhund Barth von der Silberhütte. Barth musste in den Sommerferien eine wichtige Schweißhundprüfung ablegen und Lottes Mutter hatte deshalb den alljährlichen Ostseeurlaub in Scharbeutz kurzerhand abgesagt. Lotte war noch immer ganz traurig und ihr graute davor, den ganzen Sommer im Schwimmbad verbringen zu müssen. Wenigstens war sie nicht die Einzige, die nicht in den Urlaub fuhr. Ihre beste Freundin Marie Maibohm war die Jüngste von acht Kindern und die Familie hatte nie Geld für eine Reise übrig. Marie freute sich insgeheim, dass Lotte auch zu Hause bleiben würde. Dann wäre sie wenigstens nicht so allein und hätte jeden Tag jemanden zum Spielen.

Außerdem war es im Schwimmbad immer gut, wenn man mit einer Freundin dort auftauchte, denn der freche Christoph Iwen ärgerte besonders gerne die Mädchen, die alleine zum Schwimmen gefahren waren.

 

Marie und Lotte hockten wie zwei Trauerklöße auf der Mauer.

 

 

Selbst das Vanilleeis konnte sie heute nicht so recht aufheitern. Immer und immer wieder erzählten die anderen Kinder mit Begeisterung von ihren Urlaubsplänen. Antonia Wolkenburg schwärmte gerade von ihrem bevorstehenden Urlaub an der englischen Südküste und Biggy Mettmann berichtete mit glühenden Wangen von dem katholischen Zeltlager am Weißensee, an dem sie dieses Jahr wieder einmal teilnehmen würde.

„Warum macht ihr das nicht auch?“, fragte Paulchen die beiden Freundinnen Lotte und Marie. „Fahrt doch mit den Pfadfindern oder mit der Kirche weg!“ „Unsere Eltern erlauben das nicht!“, sagte Lotte traurig. „Wir sind noch zu jung für so etwas!“ „Aber das ist doch Quatsch!“, ereiferte sich Mona. „Ich war sieben, als ich das erste Mal alleine auf einem Ponyhof Urlaub gemacht habe!“ Lotte zuckte nur mit den Schultern. In Wirklichkeit hätten die Eltern ihr so etwas schon erlaubt, doch Lotte wollte nicht so gerne. Wenn gar kein Erwachsener dabei war, dann war ihr schon etwas mulmig zu Mute. Und außerdem hatte Marie kein Geld und ohne Marie wollte sie schon gar nicht fahren.

 

Schließlich war es sechs Uhr geworden und Lotte brachte Marie nach Hause. Das machten die Freundinnen immer so, es war ein Ritual. Sie brachten sich gegenseitig nach Hause, obwohl der Weg nur fünf Minuten dauerte. Erst brachte Lotte Marie nach Hause und dann Marie Lotte. Je nach dem, wie viel sie sich noch zu erzählen hatten, wurde die Prozedur entsprechend oft wiederholt. Auch an diesem Abend konnten sie sich nur schwer trennen.

 

„Mir graut schon davor, wenn die Schule wieder anfängt und wir diesen doofen Aufsatz über die Sommerferien schreiben müssen!“, stöhnte Lotte. „Alle anderen schreiben dann so tolle Geschichten und ich schreibe nur einen Satz: Ich war im Schwimmbad.“ Marie lachte. „Lotte, du bist viel zu verwöhnt. Diesen Satz schreibe ich jedes Jahr!“ Lotte sah ihre Freundin von der Seite an. Das stimmte. Marie war noch nie weg gefahren. „Tut mir leid!“, sagte Lotte daher schnell. Die Mädchen waren vor Lottes Haus angekommen und Marie verabschiedete sich.

 

„Bis morgen!“, rief sie.„Ja, bis morgen!“, sagte Lotte und winkte der Freundin hinter her. Pia Stahl sah aus ihrem geöffneten Kinderzimmerfenster. „Lotte, ich schreibe dir eine Karte von der Nordsee!“ Lotte nickte nur. Pia ging ihr gewaltig auf die Nerven mit der blöden Nordsee. „Meinetwegen kannst du im Watt versinken!“, murmelte Lotte vor sich hin.

„Was hast du gesagt?“, fragte Pia neugierig. „Ich glaube, deine Füße stinken!“, rief Lotte Pia zu. Pia lachte lauthals. „Hahaha! Lotte, du bist so witzig!“ Lotte lachte ebenfalls.

„Bring mir ein Kilo Watt mit!“, sagte sie. Pia sah sie fragend an. „Hä? Kilowatt?“

 

Lotte ging ins Haus und lief die Treppe hoch in ihr Zimmer. Dann machte sie einen traurigen Eintrag in ihr Tagebuch. Sie fand sogar eine gute Überschrift: Alle fahren in den Urlaub – nur wir nicht.

 

Lotte schrieb und schrieb. Sie bemerkte gar nicht, dass sie plötzlich schon auf der letzten Seite war. „Ich brauche ein neues Tagebuch!“, murmelte sie und schüttelte ihre Hand aus. „Und eine neue Hand!“ , fügte sie in Gedanken schmunzelnd hinzu.

 

Plötzlich kratzte etwas an ihrer Kinderzimmertür. Es war Barth, der treue Schweißhund. „Komm herein, Barth!“, rief Lotte fröhlich. Dann kraulte sie ihren treuen Gefährten sanft hinter den Schlappohren.

 

 

„Schade, dass du diese verflixte Schweißhundprüfung machen musst!“, seufzte Lotte. Der Hund nickte, trottete langsam davon und legte sich wieder in sein großes Körbchen.