Maxim Gorki

 

Kinder der Sonne

Drama in vier Aufzügen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Cover: Aquarell "Sitzender Mensch" von Stephan Werner

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2015

 

ISBN/EAN: 9783958705036

 

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

 

www.nexx-verlag.de

 

Image

Personen

 

Páwel Fjódorowitsch Protássow

 

Lísa, dessen Schwester

 

Jeléna Nikolájewna, Protássows Gattin

 

Dimítrij Sergéjewitsch Wágin

 

Bóris Nikolájewitsch Tschepurnói

 

Melánija, dessen Schwester

 

Nasár Awdéjewitsch

 

Míscha, dessen Sohn

 

Jegór, Schlosser

 

Awdótja, dessen Frau

 

Jákow Tróschin

 

Antónowna, Protássows u. Lísas frühere Kinderfrau

 

Fíma, Dienstmädchen

 

Lúscha

 

Román, Portier

 

Ein Arzt

 

 

Erster Aufzug

Ein altes, herrschaftliches Haus; großes, halbdunkles Zimmer. Links in der Wand ein Fenster und eine Tür, die auf eine Veranda führt.

 

In der Ecke zur linken Seite des Zimmers führt eine Treppe in das obere Stockwerk, wo Lísa wohnt. Im Hintergrund sieht man durch einen Türbogen in das Speisezimmer.

 

Aus der rechten Ecke des Zimmers mündet eine Tür in das Zimmer Jelénas. Bücherschränke, schwere, altertümliche Möbel, auf den Tischen Bücher in wertvollen Ausgaben.

 

Auf einem der Bücherschränke eine weiße Büste. Am Fenster links ein großer runder Tisch, vor dem Protássow sitzt, in einer Broschüre blättert und dabei auf eine kleine Spirituslampe blickt, über der irgendeine Flüssigkeit kocht.

 

Auf der Terrasse unter dem Fenster macht sich Roman zu schaffen, wobei er dumpf und eintönig ein Lied singt. Durch diesen Gesang fühlt sich Protássow belästigt.

 

 

Protássow: Hören Sie mal, Portier!

 

Roman durchs Fenster: Was soll's?

 

Protássow: Wie wäre es, wenn sie fortgingen … ja?

 

Roman: Wohin?

 

Protássow: Na, überhaupt … Sie stören mich …

 

Roman: Der Wirt hat's befohlen … Du musst das ausbessern, hat er gesagt.

 

Antónowna tritt aus dem Speisezimmer heraus: Der Schmutzfink … hierher musst du damit kommen?

 

Protássow: Schweig, Alte!

 

Antónowna: Hast wohl nicht Platz genug in deinen Zimmern?

 

Protássow: Bitte, geh nicht hinein; ich hab dort Alles vollgedampft.

 

Antónowna: Und hier machst du alles voll Kohlen-dunst … Lass mich wenigstens die Tür öffnen.

 

Protássow eifrig: Nicht nötig, nicht nötig! Ach du … Alte! … Ich habe dich doch nicht darum gebeten … Sag du dem Portier, dass er fortgehen soll … er brummt immer so vor sich hin.

 

Antónowna zum Fenster hin: Was treibst du dich hier herum? Mach, dass du fortkommst!

 

Roman: Warum? … Der Wirt hat's befohlen …

 

Antónowna: Schon gut, kannst es auch später machen …

 

Roman: Na, meinetwegen … Entfernt sich brummend.

 

Antónowna mürrisch: Ersticken wirst du noch eines schönen Tages! … Und dabei heißt es, wir haben die Cholera hier … Du willst ein Generalssohn sein und womit beschäftigst du dich? Nur unangenehme Gerüche verbreitest du!

 

Protássow: Warte nur, Alte! … Ich werde auch noch einmal General! ...

 

Antónowna: Du? – Du kommst noch mal auf die Landstraße. Das ganze Haus hast du mit deiner Chemie und deiner Physiognomik verstänkert.

 

Protássow: Nicht mit der Physiognomik, sondern mit der Physik … Im Übrigen lass mich gefälligst in Ruhe …

 

Antónowna: Da … Jegór ist gekommen ...

 

Protássow: Ruf ihn her …

 

Antónowna: Väterchen, sprich du doch mit dem Lumpen und frage ihn, was er anstellt. Warum er gestern seine Frau bis aufs Blut geprügelt hat?

 

Protássow: Gut … ich werde mit ihm sprechen … Lísa steigt, ohne gehört zu werden, die Treppe herab, bleibt vor dem Schrank stehen und öffnet ihn geräuschlos.

 

Antónowna: Sag ihm: Du Jegór, du kriegst es mit mir zu tun, wenn …

 

Protássow: Ich werde ihm schon bange machen, da kannst du ganz unbesorgt sein, aber jetzt geh! …

 

Antónowna: Streng muss man sein. Du sprichst mit allen diesen Leuten, als wären sie Herrschaften …

 

Protássow: Genug, Alte! … Ist Jeléna zu Hause?

 

Antónowna: Noch nicht. Sie ist nach dem Frühstück zu Wágin gegangen und hat sich nicht wieder sehen lassen … Pass mal auf, du wirst noch deine Frau verträumen …

 

Protássow: Lass diese dummen Redensarten, Alte, sonst werd' ich böse.

 

Lísa: Alte, du störst Páwel bei der Arbeit …

 

Protássow: Ach, du bist hier; nun, was gibt's?

 

Lísa: Nichts …

 

Antónowna: Lísonjka, du musst jetzt deine Milch trinken.

 

Lísa: Ich weiß es …

 

Antónowna: Was Jeléna Nikolajewna betrifft, so muss ich doch sagen, ich an ihrer Stelle hätte längst mit einem anderen angebändelt … Die Frau wird von dir vernachlässigt, das ist ganz klar … Den Brei hast du gegessen, die Schale wirfst du nun fort … Kinder sind auch keine da, wie soll eine Frau noch Freude am Leben haben?! Nun, dass sie und …

 

Protássow: Alte! … Ich fange an, böse zu werden … Hinaus! So ein … Waschweib!

 

Antónowna: Nun, nun! Nur nicht gleich so wild … vergiss den Jegór nicht! Entfernt sich. Lísonjka, die Milch steht im Speisezimmer … Hast du deine Tropfen genommen?

 

Lísa: Ja, ja!

 

Antónowna: Nun gut … Geht ins Speisezimmer.

 

Protássow ihr nachblickend: Merkwürdige Alte! Unsterblich wie die Dummheit … und ebenso lästig … Wie steht's mit deiner Gesundheit, Lísa?

 

Lísa: Gut.

 

Protássow: Das ist ja herrlich! Trällernd: Das ist herrlich … das ist schön …

 

Lísa: Weißt du, Recht hat die Alte doch.

 

Protássow: Das bezweifle ich. Die Alten haben selten recht … Die Wahrheit ist bei den Kindern … Sieh mal Lísa, hier habe ich gewöhnliche Hefe …

 

Lísa: Die Alte hat Recht, wenn sie sagt, dass du dich zu wenig um Jeléna kümmerst …

 

Protássow betrübt, milde: Wie ihr mich immer stört, du und die Alte! Ist Jeléna denn stumm? Sie könnte es mir doch selbst sagen … wenn ich irgendwie … wenn ich irgendwie … wenn irgendwas … nicht so ist, wie es sein sollte … und … überhaupt … aber sie schweigt ja! ...Um was handelt es sich? Was ist los? Aus dem Speisezimmer tritt Jegór ins Zimmer. Er ist ein wenig angetrunken. Ah, da ist ja Jegór. Guten Tag, Jegór!

 

Jegór: Wünsch' Ihnen gute Gesundheit!

 

Protássow: Ich will Ihnen sagen, um was es sich handelt, Jegór. Es muss ein kleiner Tiegel angefertigt werden … mit einem starken, kegelförmigen Deckel. Oben muss eine kreisförmige Öffnung angebracht werden, aus der eine Röhre emporsteigt … verstehen Sie?

 

Jegór: Ich verstehe. Das kann man schon machen.

 

Protássow: Ich habe hier eine Zeichnung … wo ist sie gleich? Kommen Sie, bitte, mal her … Geht mit Jegór ins Speisezimmer.

 

An der Veranda-Tür klopft Tschepurnói. Lísa öffnet die Tür.

 

Tschepurnói: Ah, zu Hause? Guten Tag!

 

Lísa: Guten Tag …

 

Tschepurnói rümpft die Nase: Auch der Kollege ist zu Hause, wie ich an diesem Geruch merke …

 

Lísa: Woher kommen sie?

 

Tschepurnói: Ich komme von der Praxis. Dem Hündchen der Frau des Kameral-Hofdirektors hat das Dienstmädchen das Schwänzchen zwischen die Tür geklemmt, und so habe ich denn den Hundeschwanz verbinden müssen, Dafür habe ich drei Goldfüchse erhalten, hier sind sie! Ich wollte Ihnen schon Bonbons kaufen, aber es fiel mir ein: vielleicht ist es nicht ganz schicklich, Ihnen Süßigkeiten für Hundegeld zu kaufen, und – da ließ ich's bleiben.

 

Lísa: Und Sie haben recht daran getan … Nehmen Sie Platz …

 

Tschepurnói: Übrigens herrscht hier ein Geruch – von sehr zweifelhafter Annehmlichkeit. Es kocht schon, Kollege!

 

Protássow im Hereintreten: Es braucht ja gar nicht zu kochen! Was ist denn das?! Warum habt ihr mir's nicht gesagt, meine Herrschaften?

 

Tschepurnói: Ich habe ja gesagt, dass es kocht …

 

Protássow betrübt: Aber verstehen Sie mich doch: es liegt mir durchaus nichts daran, dass es kocht!

 

Jegór kommt heraus.

 

Lísa: Wer hat denn das gewusst, Páwel? …

 

Protássow brummend: Ach … Teufel noch mal … Jetzt muss ich von vorne anfangen.

 

Jegór: Páwel Fjodorowitsch, geben Sie ein Rubelchen …

 

Protássow: Einen Rubel? Aber gleich! Sucht in allen Taschen. Lísa, hast du nichts bei dir?

Lísa: Nein, Antónowna hat Geld ...

 

Tschepurnói: Ich habe auch welches … Hier sind drei!

 

Protássow: Drei Rubel? Bitte, geben Sie her … Hier, Jegór, sind drei – na, stimmt's?

 

Jegór: Gut … Wir werden schon abrechnen … Danke … Empfehle mich …

 

Lísa: Páwel, die Alte hat dich gebeten … ihm zu sagen … Hast du vergessen?

 

Protássow: Was – zu sagen? Ach … ja! Hm … ja! Jegór … Bitte, nehmen Sie Platz! Sehen Sie … vielleicht sagst du es, Lísa: ? … Lísa schüttelt den Kopf. Sehen Sie, Jegór … ich muss Ihnen sagen … das heißt, Antónowna bat mich … es zu tun. Es handelt sich darum, dass Sie … angeblich Ihre Frau prügeln. Entschuldigen Sie, Jegór …

 

Jegór steht auf: Ich prügle sie …

 

Protássow: So? Aber, sehen sie, das ist doch nicht gut … Ich versichere Sie!

 

Jegór drohend: Soll auch nicht gut sein.

 

Protássow: Verstehen sie mich? Warum prügeln sie Ihre Frau? Das ist bestialisch, Jegór … Das müssen sie lassen … Sie sind ein Mensch, Sie sind ein mit Vernunft begabtes Wesen. Sie sind das herrlichste, das erhabenste Wesen auf Erden ...

 

Jegór: Ich?

 

Protássow: Nun, ja!

 

Jegór: Herr! Haben Sie sie auch gefragt, warum ich sie geprügelt habe?

 

Protássow: Nun – begreifen Sie doch: man darf nicht prügeln! Ein Mensch darf den andern nicht schlagen … das ist doch ganz klar, Jegór!

 

Jegór lachend: Ich bin geprügelt worden … und nicht zu knapp … Und wenn ich von meiner Frau sprechen soll … ja, die ist überhaupt kein Mensch, das ist ein Teufel …

 

Protássow: Was für ein Unsinn! Was heißt das »Teufel«?

 

Jegór nachdrücklich: Empfehle mich! Und meine Frau, die prügle ich weiter … bis sie so ist, wie das Gras vor dem Wind, so lange bekommt sie ihre Schläge! Geht ins Speisezimmer.

 

Protássow: So hören sie doch, Jegór! Sie haben selbst gesagt … fort ist er! Scheint es übelgenommen zu haben … Wie dumm das war … Diese Antónowna richtet immer etwas an … Wie albern! Geht betrübt hinter die Portiere.

 

Tschepurnói: Der Kollege hat sehr überzeugend gesprochen!

 

Lísa: Der gute Páwel! … Er ist immer so komisch!

 

Tschepurnói: Wissen sie, ich hätte diesem Jegór mit dem Stock eins aufs Maul geschlagen!

 

Lísa: Boris Nikolájewitsch!

 

Tschepurnói: Nun was …? Ah, entschuldigen Sie, ich war etwas kräftig in meinen Ausdrücken. Übrigens urteilt er einigermaßen logisch: man hat ihn geprügelt, und daraus schließt er, dass auch er prügeln darf! Ich ziehe daraus die weitere Schlussfolgerung: er sollte noch geprügelt werden …

 

Lísa: Ich bitte Sie … Wie können Sie so reden, warum?

 

Tschepurnói: Auf der Basis dieser Logik ist die ganze Kriminaljustiz aufgebaut!

 

Lísa: Sie wissen, wie widerwärtig mir jede Rohheit ist … wie ich sie fürchte, und immer wieder, als ob sie es darauf abgesehen hätten, mich zu reizen, kommen sie mir so! Na, warten Sie … Dieser Schlosser erweckt in mir ein Gefühl der Furcht. Er ist so … finster … und diese riesigen, gekränkten Augen … Mir ist immer, als hätte ich sie schon gesehen … damals, dort, in der Menge …

 

Tschepurnói: Ach, denken Sie nicht daran! Nicht an ihn!

 

Lísa: Kann man denn so etwas vergessen?

 

Tschepurnói: Was nutzt es denn, darüber zu reden?

 

Lísa: Dort, wo Blut vergossen wurde, wachsen keine Blumen mehr.

 

Tschepurnói: Und wie wachsen sie!

 

Lísa steht auf und geht auf und ab: Dort wächst nur der Hass … Wenn ich etwas Rohes höre, etwas Gehässiges, wenn ich etwas Rotes erblicke, erwacht in mir jenes dumpfe Grauen, und ich sehe sie gleich wieder vor mir, diese schwarze, vertierte Menge, diese blutbefleckten Gesichter und die roten Blutlachen im Sand …

 

Tschepurnói: Sie werden sich so lange in die Aufregung hineinreden, bis Sie einen Anfall bekommen …

 

Lísa: Und zu meinen Füßen der junge Mensch mit dem eingeschlagenen Schädel … er versucht fortzukriechen, von seinen Wangen und vom Hals strömt das Blut, er hebt das Haupt zum Himmel … ich sehe sein brechendes Auge, den offenen Mund und die mit Blut befleckten Zähne … sein Kopf fällt mit dem Gesicht auf den Sand, mit dem Gesicht …

 

Tschepurnói tritt an sie heran: Um Gottes Willen! Was fange ich nur mit Ihnen an?

 

Lísa: Erfüllt Sie das nicht mit Entsetzen?

 

Tschepurnói: Kommen Sie … wir wollen in den Garten gehen.

 

Lísa: Nein, sagen Sie … sagen Sie mir: Haben Sie für mein Entsetzen kein Verständnis?

 

Tschepurnói: Natürlich. Ich verstehe es … fühle es!

 

Lísa: Nein … das ist nicht wahr! Verständen Sie mich, so wäre mir leichter ums Herz. Ich möchte diese Last von meiner Seele wälzen, aber – ich finde keine andere Seele, die sie mit mir auch nur teilen wollte, die mich versteht … Nein, keine!

 

Tschepurnói: Meine Liebe! Teuerste! Lassen Sie das! Gehen wir in den Garten … was das hier für ein Geruch ist! Als ob man einen alten Gummischuh in Fastenöl gebraten hätte …

 

Lísa: Ja … der Geruch … mir wird ganz schwindlig …

 

Antónowna tritt aus dem Speisezimmer: Lísonjka, es ist Zeit, die Tropfen einzunehmen, und du hast die Milch noch nicht getrunken!

 

Lísa ins Speisezimmer gehend: Gleich …

 

Tschepurnói: Nun, wie geht's, Antónowna?

 

Antónowna den Tisch aufräumend: Nun … es macht sich … ich kann nicht klagen.

 

Tschepurnói: Das ist ja schön! Und wie steht's mit der Gesundheit?

 

Antónowna: Gott sei Dank …

 

Tschepurnói: Schade. Sonst hätte ich Sie kuriert.

 

Antónowna: Kurieren sie lieber Hunde … Ich bin kein Hündchen …

 

Lísa tritt ein.

 

Tschepurnói: Und ich möchte doch so gern einen guten Menschen kurieren …

 

Lísa: Wollen wir gehen? …

 

Tritt durch die Tür auf die Veranda. Protássow mit einer Retorte in der Hand.

 

Protássow: Alte, kochendes Wasser!

 

Antónowna: Ich hab kein kochendes Wasser …

 

Protássow: Nun, ich bitte dich recht sehr!

 

Antónowna: Warte – das Wasser im Samowar wird gleich kochen … Hast du mit Jegór gesprochen?

 

Protássow: Ja, ja ..

 

Antónowna: Hast du ihm ordentlich zugesetzt?

 

Protássow: Sehr! Weißt du, er hat vor Angst förmlich gezittert: Ich habe ihm gesagt: »Weißt du, guter Freund, ich schicke dich ...«

 

Antónowna: Zum Polizeimeister.

 

Protássow energisch werdend: Nein, nein … nun einerlei! Aber zum Gericht … zum Friedensrichter …

Antónowna: Besser wär's gewesen, ihn mit dem Polizeimeister zu schrecken … Nun, und er?

 

Protássow: Und er … weißt du, was er mir geantwortet hat? »Herr«, hat er gesagt, »du bist ein Narr!«

 

Antónowna ungläubig: Was du sagst?

 

Protássow: Ja, gewiss. »Ein Narr sind Sie«, hat er gesagt … »Stecken sie Ihre Nase nicht in Dinge, die Sie nichts angehen«, hat er gesagt …

 

Antónowna: Das hat er gesagt? Ist das möglich, Väterchen?

 

Protássow: Nein, nein, siehst du, Alte …! Das hat nicht er, das habe ich mir gesagt … Er hat es gedacht, und ich habe es ausgesprochen …

 

Antónowna: Ach, dich soll … Will beleidigt fortgehen.

 

Protássow: Bring du mir selbst kochendes Wasser … Fíma, diese Zierpuppe, bleibt überall hängen, entweder mit den Ärmeln … oder … mit den Röcken.

 

Antónowna: Ihre Fíma hat, wie es scheint, mit dem Sohn des Wirts angebändelt …

 

Protássow: Du bist wohl neidisch auf sie?

 

Antónowna: Puh! Du bist doch der Herr im Haus, du musst ihr sagen, dass sich sowas für ein junges Mädchen nicht schickt!

 

Protássow: Na, Alte, lass gut sein! Allerdings, wenn es nach dir ginge, müsste ich den ganzen Tag herumlaufen und allen Leuten sagen, was gut und was nicht gut ist … Merk es dir: Das ist nicht meines Amtes!

 

Antónowna: Wozu hast du denn dann studiert? Zu welchem Zweck?

 

Melánija durch die Tür, die zur Terrasse führt.

 

Protássow: Nun geh! – Was seh' ich – Melánija Nikolajewna!

 

Melánija: Guten Tag, Páwel Fjodorowitsch!

 

Antónowna: Wer hat denn die Tür nicht geschlossen? Schließt die Tür.

 

Melánija: Sie sehen ja so zufrieden aus!

 

Protássow: Ich freue mich, dass Sie gekommen sind … sonst hätte mich die Alte noch zu Tode genörgelt. Und dann ist mir heute eine interessante Arbeit gelungen …

 

Melánija: Ja? Wie mich das freut! Ich wünschte so sehr, dass Sie berühmt werden …

 

Antónowna mürrisch abgehend: In der Stadt sprechen sie schon alle von ihm … Er ist schon berühmt …

 

Melánija: Ich hoffe, Sie werden noch einmal so eine Art Pastähr werden …

 

Protássow: Hm – darauf kommt es nicht an. Es heißt aber Pasteur … Ist das mein Buch, das Sie da haben? Haben sie es gelesen? Nicht wahr, das ist interessanter als ein Roman?

 

Melánija: Gewiss! Aber diese Zeichen …

 

Protássow: Die Formeln?

 

Melánija: Von Formeln verstehe ich nichts!

 

Protássow: Die muss man ein wenig lernen … Jetzt werde ich Ihnen eine Physiologie der Pflanzen zum Lesen geben … Vor allem aber und mit größter Aufmerksamkeit vertiefen sie sich in das Studium der Chemie! Studieren Sie Chemie und wieder Chemie! Wissen Sie, das ist eine ganz außerordentliche wissenschaftliche Disziplin! Sie ist, im Verhältnis zu anderen Wissenschaften, noch verhältnismäßig wenig entwickelt, aber schon jetzt erscheint sie mir wie das Auge, das alles sieht. Ihr scharfer, kühler Blick dringt sowohl in die Sonnenmasse und in das Dunkel des Erdkörpers wie in die fernsten unsichtbaren Tiefen unseres Herzens, Melánija seufzt in das geheimnisvolle Wachstum des Steines, in das stumme Leben des Baumes. Die Chemie überblickt alles, und während sie überall Harmonie entdeckt, forscht sie hartnäckig nach dem Ursprung des Lebens … und sie wird ihn finden, wird ihn finden! Wenn die Chemie erst dahin gelangt sein wird, die Geheimnisse der Zusammensetzung der Materie zu ergründen, wird sie imstande sein, ein lebendes Wesen in einer Retorte herzustellen.

 

Melánija entzückt: Gott, warum halten Sie keine Vorlesungen?

 

Protássow: Wie kommen Sie darauf?

 

Melánija: Sie müssen durchaus Vorlesungen halten! Sie sprechen so hinreißend … Wenn ich Sie so höre, möchte ich Ihnen die Hände küssen …

 

Protássow betrachtet seine Hände: Das rate ich Ihnen nicht … Wissen Sie … meine Hände sind selten rein … denn ich muss allerhand anfassen.

 

Melánija innig