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Über dieses Buch:

Verzweifelt sucht das Waisenkind Fanny Hill eine Möglichkeit, allein in London zu überleben. Von der Kupplerin Madame Brown wird das junge Mädchen zur Prostitution genötigt. Ihr einziger Lichtblick ist der reiche Geschäftsmann Karl, der ihr ein besseres Leben an seiner Seite verspricht. Doch er ist gezwungen, sie zu verlassen. Vor die Wahl gestellt, zu verhungern oder weiter anzuschaffen, entscheidet sich Fanny für das Bordell – und lernt als Edelhure und Mätresse zahlreicher wohlhabender Männer ihre erotische Arbeit zu lieben. Und doch bleibt der Traum von einem anderen Leben: Wird ihr das beträchtliche Erbe eines älteren Kunden helfen, sich ein Dasein als ehrbare Frau aufzubauen? Kann sie doch noch an Karls Seite glücklich werden?

1749 erstmals veröffentlicht, löste das lange verbotene Buch einen moralischen Eklat aus und erregt bis heute die Gemüter seiner Leser.

Über den Autor:

John Cleland wurde 1709 in London geboren. Als Angestellter der Ostindien-Kompanie verbrachte er einige Zeit in Bombay, wo erste Teile von Fanny Hill entstanden. Nach dem Tod seines Vaters verschuldete er sich so stark, dass er inhaftiert wurde. Ein Verleger bot ihm im Tausch gegen seinen erotischen Roman genügend Geld an, um das Gefängnis verlassen zu können. In zwei Teilen erschien daraufhin der Briefroman Fanny Hill, der ihn jedoch wieder vor Gericht brachte. Statt einer Verurteilung erhielt er eine Verwarnung und eine jährliche Pension gegen die Auflage, keine erotischen Romane mehr zu schreiben. Cleland starb 1789 in London, sein bekanntestes Werk ist bis heute Fanny Hill.

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eBook-Neuausgabe Februar 2015

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Copyright © der überarbeiteten Originalausgabe 1991 Helmut Werner

Copyright © der vorliegenden überarbeiteten Ausgabe 2015 venusbooks GmbH, München

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Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Kiselev Andrey Valerevich

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95885-289-1

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John Cleland

Fanny Hill

Erotischer Roman

venusbooks

Einleitung

Dieser zweibändige hocherotische Roman in Briefform, der von dem ehemaligen englischen Kolonialbeamten John Cleland (1709–1789) 1749 unter dem Titel „Fanny Hill. Memoirs of am Woman of Pleasure“ (zu Deutsch: „Fanny Hill. Memoiren eines Freudenmädchens“) veröffentlicht wurde, gehört zu den Klassikern der erotischen Weltliteratur und ist fast schon zu einem Synonym für diese Literaturgattung geworden. Seit seinem Erscheinen sorgt dieses Buch für Skandale und beschäftigte noch im 20. Jahrhundert die Gerichte in Amerika und Europa. Direkt nach Erscheinen des Buches versuchten sowohl kirchliche als auch staatliche Stellen, dieses Werk zu unterdrücken, so daß der Autor noch zu Lebzeiten eine bereinigte Fassung herausgab. Ungekürzt und unzensiert erschien „Fanny Hill“ erstmals während der „Pornowelle“, die in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts in Amerika und Europa einsetzte. Die vorliegende deutsche Ausgabe beruht auf einem Privatdruck aus den 30er Jahren, der nur unter der Hand verbreitet werden durfte.  

In dem Roman wird geschildert, wie das Landmädchen Fanny Hill zu einer bekannten Lebedame aufsteigt, im Londoner Rotlichtmilieu Karriere macht und zuletzt in einem Edelbordell tätig ist. Die detaillierten Schilderungen des Londoner Nachtlebens erwecken den Anschein, als ob der Autor ein genaues Bild der Lebenswelt zeichnen will. Wenn man den Roman aber in dieser Hinsicht überprüft, ist festzustellen, daß Cleland die negativen Seiten der Prostitution sorgfältig auslässt. Der Vergleich zu glaubwürdigen Quellen aus dieser Zeit, die das erbärmliche Leben der Prostituierten schildern, legt den Schluß nahe, daß dieser Roman den Leser in eine erotische Traumwelt versetzen will.

Als Beweis für das literarische Niveau wird angeführt, daß der Autor in den zahlreichen, sehr detaillierten Beschreibungen von sexuellen Handlungen und Szenen anstößige Wörter vermeidet. Hierdurch unterscheidet er sich von der flachen Pornografie, die es auch zu dieser Zeit durchaus gab. Diese Tendenz wird durch geistreiche, sogar philosophische Bemerkungen gesteigert, die vom Autor in das Werk eingeflochten wurden. Nicht zu Unrecht hat man aus diesem Grund über Cleland gesagt, er verbinde die physische mit der psychischen Liebe. Dementsprechend stellt die Titelheldin am Ende fest, Erotik habe nur dann einen Reiz, wenn sie mit Liebe verbunden sei.

Helmut Werner

Erster Band

Madame!

Ich setze mich nieder, um Ihnen einen unleugbaren Beweis zu geben, daß mir Ihr Wunsch strengster Befehl ist. Ich werde also (so unangenehm das Geschäft auch sein mag) all die ärgerlichen Abschnitte meines Lebens einer neuen Betrachtung würdigen, eines Lebens, von dem ich mich endlich losgerissen habe, um zu dem Genuß der Seligkeit zu gelangen, welche man nur im Besitz von Liebe, Gesundheit und Glück erwarten kann. Noch bin ich blühend jung, und noch ist es nicht zu spät, eine Muße, wie sie mir unter bequemen Umständen und großem Überfluß gestattet ist, zur Aufbauung eines von Natur nicht ganz zu verachtenden Verstandes zu verwenden, der mich, auch mitten in dem Wirbel der zügellosesten Vergnügungen, mehr von Charakter und Sitten der Welt erfahren ließ, als man bei Frauenzimmern von meiner unglückseligen Lebensart gewöhnt ist. Denn sie halten jeden ernsthaften Gedanken für ihren ärgsten Feind, der entweder so fern als möglich zu halten oder ohne Barmherzigkeit zu vertilgen ist.

Weil ich vor allen langen unnötigen Vorreden einen unbezwinglichen Abscheu habe, will ich hier gelinde mit Ihnen umgehen, und, statt mich lange zu entschuldigen, Sie nur vorbereiten, den zügellosen Teil meines Lebens ebenso frei beschrieben zu sehen, wie ich ihn geführt habe.

Wahrheit, unverstellte, nackte Wahrheit ist meine Losung. Ich werde mir nicht die Mühe nehmen, ihr eine Hülle umzutun, sondern Umstände und Situationen so malen, wie sie mir tatsächlich begegnet sind, und mich nicht darum kümmern, ob ich die Gesetze der Wohlanständigkeiten übertrete, die nie für solch schrankenlos vertraute Beziehungen wie die unsrigen gemacht waren. Und Sie haben zuviel Verstand, zuviel Kenntnis von den Urbildern selbst, als daß Sie aus Scheinheiligkeit oder aus Charakter bei ihren Schilderungen die Nase rümpfen wollten. Leute der höchsten Gesellschaft, von bestem und tonangebendem Geschmack machen sich kein Gewissen daraus, ihre Arbeitsstuben mit nackten Figuren zu zieren, obwohl sie dieselben aus lauter Rücksicht auf gemeine Vorurteile für keinen anständigen Schmuck ihrer Vorzimmer halten würden.

Dies vorangeschickt – und es ist reichlich genug – fange ich nun geradewegs meine persönliche Geschichte an.

Mein Mädchenname ist Franziska Hill. Ich ward geboren in einem Dörfchen in Lancashire, nahe bei Liverpool, von sehr armen, aber, wie ich aufrichtig glaube, grundehrlichen Eltern.

Mein Vater hatte sich eine Lähmung zugezogen, die ihn unfähig machte, die beschwerlicheren Arten grober Bauernarbeit zu leisten, und verschaffte sich durch Netzemachen ein kümmerliches Auskommen, wozu meine Mutter auch ihren geringen Teil beitrug; sie hielt eine kleine Schule für die Mädchen ihrer Nachbarschaft. Sie hatte viele Kinder, aber keines lebte sonderlich lange außer mir, die ich von Natur durchaus gesunden Leibes war. Meine Erziehung war bis über das vierzehnte Jahr hinaus nicht anders als sehr niedrig und schlecht. Lesen oder vielmehr Buchstabieren, unleserliches Kritzeln und ein bißchen gemeine Näherei machten ihr Lehrsystem aus. Die ganze Grundlage meiner Tugend war nichts anderes als völlige Unkenntnis des Lasters und die furchtsame Scheu, die unserm Geschlecht in den frühen Abschnitten des Lebens so gemein ist, da die Gegenstände uns mehr durch ihre Neuheit als durch sonst etwas Unruhe oder Schrecken verursachen. Aber dieses ist eine Furcht, von welcher wir Mädchen oft auf Kosten der Unschuld befreit werden, wenn wir nach und nach anfangen, die Mannspersonen nicht mehr als Raubtiere anzusehen, die uns fressen wollen.

Meine Mutter hatte ihre Zeit so gänzlich unter ihre Schülerinnen und ihre kleinen häuslichen Angelegenheiten verteilt, daß ihr wenig zu meinem Unterrichte übrigblieb, und weil ihre eigene Unschuld nichts Böses kannte, so kam ihr auch nicht der Gedanke, mich dagegen zu verwahren.

Ich war in mein fünfzehntes Jahr getreten, als mir das größte Unglück widerfuhr: der Verlust meiner guten, zärtlichen Eltern, welche wenige Tage nacheinander von den Pocken hingerafft wurden. Mein Vater starb zuerst; sein Tod beschleunigte den meiner Mutter. Ich blieb zurück als unglückliche, freundlose Waise, denn mein Vater hatte sich nur zufälligerweise am Ort niedergelassen (er war eigentlich aus der Provinz Kent gebürtig). Die grausame Krankheit, die für sie tödlich war, hatte mich zwar auch befallen, aber unter so gelinden und günstigen Umständen, daß ich bald außer Gefahr war und ganz ohne Narben davonkam, was ich allerdings damals noch nicht zu schätzen wußte. Ich will hier die Schilderung von dem Schmerz und dem Kummer übergehen, den ich bei dieser traurigen Gelegenheit natürlicherweise fühlen mußte. Ein wenig Zeit und die Unerfahrenheit meiner Jugend zerstreuten nur zu bald meine Gedanken über diesen unersetzlichen Verlust. Nichts aber trug mehr dazu bei, mich endlich ganz gleichgültig dagegen zu machen als der Plan, der mir unmittelbar in den Kopf gesetzt wurde: nach London zu gehen und mich dort nach einem Dienst umzusehen, worin mir ein junges Frauenzimmer, mit Namen Esther Davis, mit Rat und Tat beizustehen versprach. Die Person war aus der Stadt gekommen, ihre Freunde zu besuchen, und wollte, nach einem Aufenthalt von wenigen Tagen, wieder in ihre Stellung zurück.

Da ich nun im Dorfe keine lebende Seele hatte, die sich meiner hätte annehmen und einige Einwendung gegen meinen Vorsatz hätte machen können, ja, die Frau, die nach meiner Eltern Tod für mich sorgte, mich vielmehr aufmunterte, ihn auszuführen, kam ich bald zu dem festen Entschluß, den Flug in die weite Welt zu wagen und nach London zu reisen, um dort mein Glück zu machen, eine Phrase übrigens, die mehr Abenteurer beiderlei Geschlechts vom Lande verdorben als glücklich gemacht hat.

Zudem flößte mir Esther Davis nicht wenig Mut und Entschlossenheit, mit ihr zu reisen, dadurch ein, daß sie meine kindische Neugier nach den schönen Sachen, die in London zu sehen wären, rege machte. Es wären da zum Beispiel prächtige Denkmäler, Löwen, der König, die königliche Familie, schöne Komödien und Opern, kurz alle die Ergötzlichkeiten, die an die Sphäre ihres Lebens grenzten, und deren umständliche Schilderung mir vollends das Köpfchen verdrehte.

Ich muß noch immer lachen, wenn ich an die unschuldige Bewunderung denke, womit wir armen Mädchen, deren ganzer Sonntagsputz in groben Hemden und schlechten Wollröcken bestand, nicht ohne Neid Esthers Staat betrachteten, ihr Kleid von verschabtem Atlas, ihre mit schmalen Tressen besetzten Hauben, ihre Flitterbänder und gestickten Schuhe! Dieses alles, bildeten wir uns ein, wachse in London, und es hatte einen großen Einfluß auf meine Entschließung, mein Heil auch dort zu versuchen. Indessen war der Gedanke, die Gesellschaft einer künftigen Städterin um sich zu haben, der ganze elende Beweggrund für Esther, während meiner Reise zur Stadt meine Aufsicht auf sich zu nehmen. Sie sagte mir, um mit ihren eigenen Worten zu reden: Es hätten schon viele Mädchen vom Lande sich und ihre Verwandtschaft auf ihre ganze Lebenszeit glücklich gemacht; manche, die sich ehrlich und tugendhaft gehalten hätten, wären bei ihren Herren so wohl gelitten, daß sie sie geheiratet hätten und ihnen Kutschen hielten, so daß sie nun erstaunlich vornehm und glücklich lebten, ja einige wären wohl gar Herzoginnen geworden: das wäre alles eitel Glück, und sie wüßte nicht, warum es mich nicht ebenso gut treffen könnte wie eine andere. Das und andere feine Geschichten solcher Art machten mich bald bereit, die vielversprechende Reise zu unternehmen und den Ort zu verlassen, der zwar meine Geburtsstätte war, in dem ich aber keine Verwandten mehr hatte, die ich ungerne hätte verlassen müssen, ja, er war mir sogar unerträglich, weil sich selbst in dem Hause meiner einzigen Freundin, von welcher ich noch einige Sorgfalt und Hilfe erwarten konnte, die zärtlichste Behandlung in eine kalte mitleidige Grimasse gegen mich verwandelt hatte. Sie war jedoch so gefällig und billig gegen mich, daß sie die paar Habseligkeiten, die mir nach Abzug der Schulden und Leichenkosten übriggeblieben waren, zu Gelde machte und mir bei meiner Abreise mein ganzes Vermögen in die Hände gab. Es bestand in einer sehr dürftigen Garderobe, die sich in eine bequem zu tragende Schachtel packen ließ, und in acht Guineen und siebzehn Schillingen Silbermünze, welche ich in einem Beutel mit einem Springschlosse aufbewahrte. Das war ein größerer Schatz, als ich jemals beisammen gesehen hatte, und ich konnte nicht begreifen, wie es möglich sein sollte, ihn durchzubringen. Ich war in der Tat, wie ich mich im Besitz einer so unermeßlichen Summe sah, so sehr vom Vergnügen eingenommen, daß ich wenig Aufmerksamkeit auf die Menge guter Ratschläge hatte, die mir mit auf den Weg gegeben wurden.

Wir saßen nun in der Landkutsche. Aber ich übergehe lieber die unbedeutende Szene des Abschiednehmens, wobei ich, halb vor Betrübnis, halb vor Freude, einige Tränen vergoß; und aus eben dem Grunde der Unbeträchtlichkeit übergehe ich auch alles, was mir unterwegs begegnete, die gierigen Blicke, die der Kutscher mir zuwarf, die Pläne, die von einigen Passagieren auf mich gemacht und durch die wachsame Aufsicht Esthers vereitelt wurden, welche – um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – mütterliche Sorge um mich trug, aber auch zugleich mir ihren Schutz ziemlich hoch berechnete, indem ich alle Reisekosten für sie bezahlen mußte. Dieses tat ich nicht nur mit dem größten Vergnügen, sondern ich glaubte ihr auch noch obendrein sehr verbunden sein zu müssen. Sie ließ sich's wirklich sehr angelegen sein, daß wir nicht übervorteilt und betrogen wurden und daß wir uns so sparsam als möglich durchhalfen; Verschwendung war ihr Fehler nicht.

Es war sehr spät an einem Sonnabend, da wir in unserm langsamen, obgleich zuletzt mit sechs Pferden bespannten Fuhrwerke die Stadt erreichten. Als wir durch die großen Straßen fuhren, die zu unserm Gasthof führten, setzte mich das Rasseln der Kutschen, der Lärm und das Gedränge der Fußgänger, kurz, der neue Anblick so vieler Läden und Häuser zugleich in Verwunderung und Erstaunen.

Aber stellen Sie sich meine Verlegenheit und Bestürzung vor: Als wir nun in dem Gasthofe abgestiegen waren und unsere Bagage abgeladen und übernommen hatten, geschah es, daß meine Reisegefährtin und Beschützerin Esther Davis, welche mir die ganze Reise hindurch mit der äußersten Zärtlichkeit begegnet war und mich durch keinerlei Hinweis auf den betäubenden Schlag, der mich treffen sollte, vorbereitet hatte, geschah es, sage ich, daß meine einzige Bekannte und Freundin an diesem fremden Orte plötzlich eine fremde und kaltsinnige Miene gegen mich annahm, als wenn sie befürchtete, ich möchte ihr zur Last werden.

Anstatt also mir fernerhin ihren Beistand und ihre Beflissenheit zu bieten, worauf ich mich so ganz verlassen und deren ich niemals mehr benötigt hatte als jetzt, glaubte sie, wie es schien, ihrer Pflicht Genüge geleistet zu haben, daß sie mich glücklich ans Ende meiner Reise gebracht hätte. Ohne in ihrem Betragen gegen mich etwas Unnatürliches oder Sonderbares zu finden, fing sie an, mich zum Abschied zu umarmen, indessen ich so bestürzt und niedergeschlagen war, daß ich weder Verstand noch Sinne zusammenretten konnte, um ihr zu verstehen zu geben, was ich von ihrer Erfahrung und Kenntnis des Ortes, wohin sie mich gebracht hätte, für einen lehrreichen Unterricht erhofft und erwartet hätte. Wie ich so betäubt und stumm dastand (was sie ohne Zweifel keiner andern Ursache zuschrieb, als daß mir ihr Abschied sehr naheging), verschaffte sie mir allein eine geringe Erleichterung durch folgende Anrede: Weil wir nun gesund und wohl in London angekommen wären, und sie gezwungen wäre, in ihre Stellung zu gehen, so wollte sie mir den Rat geben, um alles in der Welt ja auch bald eine anzunehmen – ich dürfte nicht fürchten, keine zu bekommen – es gäbe ihrer mehr als Pfarrkirchen – sie wolle mir raten, in ein Vermittlungs-Comptoir zu gehen – wenn sie hören würde, daß etwas zu machen wäre, so wollte sie mich aufsuchen und es mich wissen lassen – unterdessen sollte ich ein eigenes Logis nehmen und ihr zu wissen tun, wo ich wäre – sie wünsche mir viel Glück und hoffe, daß ich mich immer ehrlich halten und keine Schande auf meine Anverwandtschaft bringen würde. Hiermit nahm sie von mir Abschied und überließ mich meinem guten Glück und meinen trüben Gedanken.

Da ich mich nun ganz einsam, verlassen und freundlos befand, fing ich an, die harte Trennung aufs Bitterste zu fühlen, welche sich in einem kleinen Zimmer des Gasthofs abgespielt hatte, und sie hatte kaum den Rücken gewandt, als der Schmerz, den ich in meiner Hilflosigkeit empfand, in eine Tränenflut ausbrach, worin mein beklommenes Herz eine unendliche Erleichterung fand, ob ich gleich immer voll Erstaunen und Verwirrung nicht wußte, was anfangen.

Meine Verlegenheit wurde noch größer, als ein Kellner kam und mich ganz kurz fragte, was zu meinen Diensten stände, worauf ich in aller Unschuld antwortete: Nichts, aber ich wünschte, er möchte mir sagen, wo ich diese Nacht ein Lager bekommen könnte. Er sagte, er wolle gehen und mit seiner Frau reden, welche denn auch sogleich kam und mir, ohne sich im mindesten um meine traurige Lage zu bekümmern, ganz trocken sagte, ich könnte für einen Schilling ein Bett haben, und, weil sie glaubte, daß ich einige Freunde in der Stadt hätte (hier entschlüpfte mir vergebens ein tiefer Seufzer), so könnte ich denn am nächsten Morgen weiter für mich sorgen. Es ist fast unglaublich, was für elende Trostgründe das menschliche Gemüt in seinen größten Kümmernissen ergreift. Die bloße Gewißheit eines Nachtlagers war nicht imstande, mich in meiner Angst zu beruhigen; und da ich mich schämte, der Wirtin zu gestehen, daß ich in der Stadt keine Freunde hätte, an die ich mich wenden könnte, so nahm ich mir vor, gleich am nächsten Morgen in ein Vermittlungs-Comptoir zu gehen, wofür ich eine von Esther auf die Umseite eines Gassenhauers geschriebene Adresse hatte. Hier dachte ich Mitteilung von irgendeiner Stelle zu bekommen, zu der sich etwa so ein Landmädchen wie ich schicken möchte und wo ich mir forthelfen könnte, ehe mein kleines Kapital aufgezehrt wäre. Was meine Herkunft und mein Betragen betraf, hatte mir Esther sehr oft gesagt, sollte ich mich nur auf sie verlassen, sie wollte schon darüber Auskunft geben. So betroffen ich auch über die Trennung war, so hörte ich doch nicht gänzlich auf, Vertrauen auf sie zu setzen, und fing in meiner Gutherzigkeit an zu denken, daß ihr Verfahren nichts Sonderbares gehabt, und ich es bloß aus Mangel an Welterfahrung in einem falschen Licht betrachtet hätte.

Den nächsten Morgen also putzte ich mich so nett und sauber, als es nur meine bäuerische Kleidung erlaubte, und nachdem ich der Wirtin meine Schachtel zur sorgfältigsten Verwahrung übergeben hatte, ging ich aus und kam, ohne mich unterwegs durch irgend etwas länger aufhalten zu lassen, als man von einem Landmädchen erwarten darf, das kaum fünfzehn Jahre alt war und jedes Schild und jeden Laden begaffen mußte, endlich in das gewünschte Vermittlungs-Comptoir.

Es wurde von einer ältlichen Person verwaltet, welche da saß, um ihre Kundschaft zu empfangen. Vor ihr lagen ein großes, dickes Buch und viele ausgebreitete Papiere mit Anweisungen auf Dienstplätze.

Auf diese wichtige Person ging ich also zu, ohne meine Augen aufzuschlagen oder jemand von den um mich stehenden Leuten anzuschauen, welche in gleicher Absicht hingekommen waren, und nachdem ich ihr einen sehr tiefen Knicks gemacht hatte, stammelte ich ihr mit vieler Mühe mein Anliegen vor.

Als mich die gestrenge Frau mit der ganzen Ernsthaftigkeit und Gravität eines kleinen Staatsministers ausgehorcht und mit einem Blick auf meine Figur gesehen hatte, was an mir war, gab sie mir keine eigentliche Antwort, sondern verlangte vorläufig nur den üblichen Handschilling, bei dessen Empfang sie mir sagte: Dienstplätze für junge Mädchen wären außerordentlich selten, besonders da ich ihr für harte Arbeit zu schwach gebaut vorkäme; sie wollte aber doch ihr Buch durchgehen und sehen, was für mich zu tun wäre, unterdessen sollte ich ein wenig warten, bis sie einige andere Kunden abgefertigt hätte.

Hierauf trat ich ein wenig zurück, herzlich bestürzt über eine Erklärung, welche mich in einer marternden Ungewißheit ließ, die für meine Lage nicht gut im Einklang stehen wollte.

Ich faßte aber bald Mut, suchte meine unleidlichen Gedanken zu zerstreuen, richtete den Kopf ein wenig auf und ließ meine Augen im Zimmer rund umhergehen, wo sie den Blicken einer Dame (denn dafür hielt ich sie in meiner großen Unschuld) begegneten, welche in einem Winkel saß. Sie trug einen samtenen Umhang (nota bene: mitten im Sommer), keine Haube, war dick und fett, von kupfernem Gesicht und mochte wenigstem fünfzig Jahre alt sein.

Sie betrachtete mich, als wenn sie mich mit den Augen verschlingen wollte, vom Kopf bis zu den Füßen, ohne sich im mindesten an die Verwirrung und Schamröte zu kehren, in welche mich ihre starren Blicke versetzten, und welche ohne Zweifel die stärkste Empfehlung für sie waren und ihr den deutlichsten Beweis gaben, daß ich für ihre Absicht geeignet wäre.

Nach einer kurzen Zeit, in welcher sie mein Gesicht, Person und ganze Gestalt auf das genaueste untersucht hatte (wobei ich mich meinerseits bemühte, die Untersuchung für mich vorteilhaft zu machen, indem ich mich zwang, den Kopf recht gerade zu halten und die besten Mienen anzunehmen), ging sie auf mich zu und fragte mich mit sehr gezwungener Sittsamkeit: »Süßes Herzchen, suchst du einen Dienst?«

Antwort: »Ja, wenn Sie erlauben« (mit einem Knicks bis auf den Boden).

Hierauf sagte sie mir, sie wäre selbst hergekommen, um sich nach einem Dienstmädchen umzusehen – ich könnte unter ihrer Anweisung vielleicht dazu brauchbar werden – sie hielte mein Gesicht für eine hinreichende Empfehlung – London wäre ein schlimmer, gottloser Ort – sie hoffte, ich würde gut zu ziehen sein und mich vor böser Gesellschaft hüten. Kurz, sie sagte mir alles, woran nur eine alte, ausgelernte Praktikenmacherin in der Stadt denken konnte, und mehr als nötig war, ein einfältiges, unerfahrenes Landmädchen zu fangen, welches sich fürchtete, Landstreicherin und Gassenbettlerin zu werden und daher bei dem ersten Anerbieten eines Obdachs gern mit beiden Händen zugriff, besonders, da es von einer so ansehnlichen vornehmen Dame geschah, für welche meine schmeichelnde Einbildung meine gegenwärtige Gebieterin ansah. So wurde ich denn in Dienst genommen unter den Augen der ehrlichen Vermittlerin, deren schlaues Lächeln und Achselzucken ich zwar wohl bemerkte, aber in meiner Einfalt als Zeichen ihrer Freude über meine baldige Versorgung auslegte. Allein die beiden verstanden einander sehr gut, wie ich später erfahren habe, denn es war ein Markt, wo Madame Brown (meine Gebieterin) sehr oft auf frische Ware zum Gebrauch ihrer Kunden und zu ihrem eigenen Vorteile ausging.

Madame war indessen so vergnügt über ihren Kauf, daß sie mich (wie ich vermute, in der Besorgnis, ich möchte durch eine Warnung oder sonst einen Zufall ihren Händen entwischen) auf das sorgfältigste in einer Kutsche zu meinem Gasthofe begleitete, wo sie selbst meine Schachtel abforderte, welche ihr, weil ich ja dabei war, ohne die mindeste Schwierigkeit oder anderweitige Erklärung gegeben wurde.

Als dies geschehen war, ließ sie den Kutscher zu einem Laden am Kirchhof St. Paul fahren, wo sie ein Paar Handschuhe kaufte, welche sie mir gab. Von dort aus gab sie dann dem Kutscher Befehl, nach ihrem Hause in der * * * Straße zu fahren. Hier stiegen wir ab, nachdem sie mich unterwegs ganz aufgeheitert und mit angenehmen, verfänglichen Vorstellungen unterhalten hatte, ohne eine einzige Silbe verlauten zu lassen, aus welcher ich anderes hätte schließen können, als daß ich durch ein besonderes Glück in die Hände der gütigsten Frau, ich will nicht sagen, Freundin, gefallen wäre, die man nur in der dienstbaren Welt hätte finden können. Daher trat ich in ihr Haus voller Frohlocken und guter Erwartung und nahm mir vor, sobald ich ein wenig eingerichtet sein würde, Esther von meinem seltenen Glücke Nachricht zu geben.

Sie können sich denken, daß die hohe Meinung von meiner Versorgung nicht verringert wurde durch den Anblick eines sehr schönen Wohnzimmers, in welches ich geführt wurde, und welches nach meiner Meinung prächtig ausmöbliert war, weil ich ja niemals bessere Zimmer als die ordinären Wirtsstuben an der Landstraße gesehen hatte. Es waren darin zwei in vergoldete Rahmen gefaßte Spiegel und ein Silberschrank, in welchem einige Gefäße zur Schau gestellt waren, die mich nicht nur blendeten, sondern auch zugleich völlig überzeugten, daß ich in eine sehr angesehene Familie gekommen sein müßte.

Nun fing meine Gebieterin an, ihre Rolle zu spielen, indem sie mir sagte: ich sollte guten Muts sein und frei mit ihr umgehen lernen; sie hätte mich nicht als eine gemeine Hausmagd genommen, sondern als eine Art Gesellschaftsjungfer für sie, und wenn ich ein gutes Mädchen sein würde, so wollte sie mehr für mich tun als zwanzig Mütter. Auf dieses alles antwortete ich nur mit den tiefsten und ungeschicktesten Komplimenten und ein paar einsilbigen Worten, als da sind: ja! nein! freilich! Jetzt klingelte meine Frau, und es trat eine dicke, starke Magd herein, die uns ins Haus gelassen hatte.

»Hier, Martha«, sagte Madame Brown, »habe ich soeben dieses junge Frauenzimmer in meinen Dienst genommen, um acht auf mein weißes Zeug zu haben; führe sie also hinauf und zeige ihr ihr Zimmer; ich befehle dir, daß du ihr mit ebenso vieler Achtung begegnest als mir selbst, denn sie gefällt mir ausnehmend wohl, und ich weiß nicht, was ich ihr nur zu Gefallen tun soll.«

Martha, eine verschmitzte, leichtfertige Dirne, welche zu dergleichen listigen Verführungen abgerichtet war, wußte nun, was sie zu tun hatte. Sie machte mir einen halben Knicks, bat mich, mit ihr hinaufzugehen, und zeigte mir ein nettes Zimmer, zwei Treppen hoch, hinten hinaus, in welchem ein schönes Bett stand, worin ich, wie sie mir sagte, nebst einer Mamsell Muhme von ihrer Frau schlafen sollte, welche zu mir gewiß recht gut sein würde. Hierauf brach sie in gezwungene Lobeserhebungen ihrer guten, lieben Frau aus und versicherte mir, welch Glück ich gehabt, daß ich in ihre Hände gekommen wäre – ich hätte keine bessere Frau bekommen können – nebst anderen ähnlichen handgreiflichen Aufschneidereien, welche jeden andern Menschen hätten einen Verdacht in den Kopf setzen müssen, nur nicht einer in der Welt ganz unerfahrenen, einfältigen Närrin, die jedes Wort in seinem buchstäblichen Sinne nahm. Martha sah auch gar bald ein, mit was für einem scharfsinnigen Geschöpfe sie es zu tun hatte und richtete sich bei ihrem Einschwatzen auch ganz genau darnach, so daß sie mich mit meinem Käfig zufrieden und gegen die Lockspeise blind machte. Mitten unter diesen falschen Vorspiegelungen von der Beschaffenheit meines zukünftigen Dienstes wurden wir wieder hinuntergeklingelt. Ich wurde wieder in eben dasselbe Zimmer geführt, wo ein Tisch für drei Personen gedeckt war. Meine Frau hatte nur einen ihrer Günstlinge bei sich, eine merkwürdige Hauptperson ihres Hauses, deren Geschäft darin bestand, solche junge Fohlen, wie ich war, abzurichten. In dieser Absicht wurde sie mir als Schlafgenossin beigesellt. Um ihr mehr Ansehen zu geben, bekam sie von der ehrwürdigen Präsidentin dieses Kollegiums den Titel einer Muhme.

Zunächst mußte ich mich hier einer neuen Besichtigung unterwerfen, welche mit dem ganzen Beifall der Jungfer Phöbe Ayres endigte (so hieß meine erwählte Aufpasserin, deren Sorgfalt und Unterweisung ich auf das nachdrücklichste empfohlen wurde).

Nun wurde das Mittagessen aufgetragen, und Madame Brown zwang mich (ihrem Plane gemäß, mich als ihre Gesellschafterin zu behandeln), mich mit Ihro Wohlgeboren an die Tafel zu setzen, so sehr ich auch in aller Untertänigkeit und Verwirrung dagegen protestierte; denn mein bißchen Lebensart erstreckte sich just so weit, daß ich einsehen mußte, es schickte sich nicht wohl, mich ohne alle Umstände hinzusetzen.

Bei Tische wurde die Unterredung hauptsächlich von den beiden Damen geführt, in zweideutigen Ausdrücken fortgesetzt und zuweilen durch gütige Versicherungen gegen mich unterbrochen, die alle dahin abzielten, meine Zufriedenheit mit meinen gegenwärtigen Umständen fest und dauerhaft zu machen, denn vermehren konnten sie sie nicht, so töricht und unwissend war ich damals.

Es wurde auch verabredet, daß ich mich einige Tage verborgen halten und nicht sehen lassen sollte, bis man mir würde solche Kleider angeschafft haben, die sich zu dem Charakter einer Gesellschaftsjungfer bei meiner Frau, der mir zugedacht war, schickten. Sie machten dabei die Anmerkung, daß von den ersten Eindrücken meiner Figur viel abhinge. Die Aussicht, meine bäuerische Kleidung mit Londoner Pracht zu vertauschen, ließ mich, wie sie wohl vermutet, die Bedingung, gleichsam eingesperrt zu sein, gern erfüllen. Allein die wahre Absicht der Madame Brown war, daß ich mich von niemand sehen oder sprechen lassen sollte, weder von ihren Kunden noch von ihren Mädchen, bis sie guten Markt für meine Jungfernschaft geschaffen haben würde, welche ich offensichtlich in ihren Dienst mitgebracht hatte.

Um in meiner Hauptgeschichte fortfahren zu können, übergehe ich hier alle die unbeträchtlichen Kleinigkeiten, die mich bis zur Schlafenszeit über die Aussichten eines gemächlichen angenehmen Dienstes bei diesen guten Leuten immer vergnügter machten.

Nach dem Abendessen, als die Magd, welche uns in unser Schlafzimmer geleuchtet hatte, schon gegangen war, bemerkte Miß Phöbe ein sittsames Zaudern an mir, weil ich mich weder auskleiden noch im Hemde vor ihr ins Bett steigen wollte; sie ging daher auf mich zu, fing an, mein Halstuch aufzureißen und meine Kleider zu lösen. Sie machte mich also beherzt, mich selbst auszukleiden, und da ich mich schämte, bis aufs Hemd nackend vor ihr zu stehen, so suchte ich ihr geschwind aus den Augen zu kommen, indem ich ins Bett kroch. Phöbe lachte und legte sich bald hernach zu mir. Sie war ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt, nach ihrer eigenen, aber höchst verdächtigen Aussage, denn allem Ansehen nach mochte sie wenigstens zehn ganze Jahre unterschlagen haben, abgerechnet die Verwüstung, die lange Buhlerei und warme Bäder ihrem Körper gebracht und sie frühzeitig in die Notwendigkeit versetzt hatten, in die Personen von ihrer Lebensart endlich kommen, nämlich Wollust zu lehren, anstatt zu empfinden.

Dieses teure Werkzeug meiner Frau hatte sich kaum niedergelegt, als sie nach ihrer Gewohnheit, keine Gelegenheit zur Ausschweifung und Üppigkeit unbenutzt vorübergehen zu lassen, an mich rückte, mich umarmte und aufs Feurigste küßte. Dies kam mir neu und seltsam vor, aber da ich es für bloße Freundschaftsbezeugungen hielt, die man, wie ich dachte, nach der Londoner Mode so auszudrücken pflegte, so ließ ich es auch an mir nicht fehlen, sondern erwiderte ihre Küsse und Umarmungen mit aller Inbrunst, deren nur meine vollkommene Unschuld fähig war.

Dadurch wurde sie noch kühner und verlieh ihren Händen eine außerordentliche Freiheit, welche nun auf meinem ganzen Körper herumwanderten, mich betasteten, drückten und mich mehr und mehr erhitzten; die ungewohnten Empfindungen setzten mich mehr in Erstaunen als daß sie mich hätten beunruhigen oder beleidigen sollen.

Die schmeichelhaften Lobsprüche, die sie bei diesem Angriffe mit untermischte, trugen auch nicht wenig dazu bei, mich ganz gelassen in einem passiven Zustande zu erhalten. Da ich nichts Böses kannte, fürchtete ich auch nichts, besonders von einer Person, die mir allen Zweifel an ihrer Weibschaft genommen hatte, da sie meine Hände ein paar dicke, große Brüste betasten ließ, die ganz schlapp herunterhingen und einen ziemlich hinlänglichen Beweis von ihrem Geschlechte geben konnte, zum mindesten mir, die ich noch keine anderen Vergleiche angestellt hatte.

Ich lag nun so zahm und willig da, als sie es nur wünschen konnte, derweilen ihre Kühnheit keine anderen Bewegungen in mir erregte, als ein mir ganz fremdes, nie gefühltes Vergnügen: Ein jeder Teil meines Körpers war den freien ungezähmten Griffen ihrer Hände ausgesetzt, welche gleich einem Lauffeuer auf demselben herumschweiften und alles erhitzten, wohin sie kamen.

Meine Brüste (wenn es kein zu kühner Ausdruck ist, zwei harte, feste, emporstrebende Hügelchen, die just anfingen, sich zu zeigen und dem Gefühle empfindbar zu werden, so zu nennen) beschäftigten ihre Hände eine Zeitlang, bis sie endlich auf der glatten Strecke weiter hinunterrutschten, wo sie nachgerade die sanften, weichen, seidenartigen Haare fühlen konnten, welche, kaum einige Monate zuvor hervorgesprossen, den anmutigen Berg dieser Teile besetzten und einen angenehmen Schatten über den lieblichen Ort des ausgesuchtesten, feinsten Gefühls zu verbreiten versprachen, welcher bis auf diesen Augenblick der Sitz der unempfindlichsten Unschuld gewesen war. Ihre Finger spielten und verwickelten sich in die jungen Sprößlinge dieses Mooses, welches die Natur sowohl zum Nutzen als zur Zierde bestimmt hat.

Aber nicht zufrieden mit den Außenwerken griff sie nun auch den Hauptplatz an. Da ging es an ein Kneifen, Winden, Drehen, Bohren, bis sie endlich einen Finger hineinbrachte. Wäre sie nicht in so unmerklichem Grade allmählich zu Werke gegangen und hätte sie mich nicht dadurch so sehr erhitzt, daß meine Schamhaftigkeit nicht mehr imstande war, sich zu widersetzen, so würde ich aus dem Bette gesprungen sein und um Hilfe gegen einen so seltsamen Angriff geschrien haben.

Stattdessen hatten ihre geilen Berührungen ein Feuer in mir angefacht, das durch alle meine Adern schwärmte, besonders aber sich in dem von der Natur dazu bestimmten Mittelpunkte festsetzte, wo nun zum ersten Mal fremde Hände beschäftigt waren, die Lippen zu betasten, zu drücken und zu pressen, dann wieder zu öffnen und einen Finger dazwischenzustecken, bis ein Ach! ihr zu verstehen gab, daß sie mir Schmerzen verursache, und die enge, undurchbrochene Passage ihr nicht weiter einzudringen erlaube.

Unterdessen hatte das schmachtende Strecken und Dehnen meiner Glieder, mein Ächzen und starkes Herzpochen diese erfahrene geile Hexe überzeugt, daß ich über ihr Verfahren mehr vergnügt als beleidigt war, wobei sie immer mit Küssen und Ausrufungen abwechselte, als: »Oh! Was für ein bezauberndes Geschöpf du bist! – Wie glücklich wird der Mann sein, der dich am ersten zur Frau macht! – Oh! Wenn ich doch um deinetwillen eine Mannsperson wäre!«, nebst anderen dergleichen abgebrochenen Reden, die sie durch milde und doch so geile Küsse unterbrach, wie ich sie nie von dem andern Geschlechte empfing.

Ich war verwirrt, betäubt und ganz außer mir; eine so neue Empfindung war für mich zu viel; meine erhitzten und empörten Sinne waren in einem Aufruhr, der mir alle Freiheit zu denken raubte; Tränen der Lust strömten aus meinen Augen und löschten einigermaßen das Feuer, das in mir wütete.

Phöbe selbst, die durchtriebene, abgefeimte Phöbe, welcher alle nur erdenklichen Arten der Wollust bekannt und geläufig waren, fand, wie es scheint, in dieser Ausübung ihrer Kunst, junge Mädchen abzurichten, die Befriedigung eines gewissen Geschmacks, für welchen sich kein Grund angeben läßt. Nicht, als wenn sie die Mannspersonen gehaßt oder wohl gar ihr eigenes Geschlecht vorgezogen hätte; aber wenn ihr solche Gelegenheit, wie diese war, kam, so bewog sie ein nach der üblichen Art gesättigter Genuß, vielleicht auch ein geheimer Zug, Vergnügungen mitzunehmen, wo sie sie nur finden konnte, ohne Unterschied des Geschlechts. In dieser Absicht, da sie nun versichert war, daß sie mich durch ihr Betasten zu ihrem Vorhaben hinlänglich erhitzt hatte, rollte sie die Bettdecke sachte hinunter, und ich sah mich nun nackend ausgestreckt, mein Hemd bis an den Hals aufgeschlagen, indessen ich weder Vermögen noch Bewußtsein genug hatte, es zu verhindern; selbst meine glühende Röte drückte mehr Verlangen als Scham aus, derweilen das Licht, welches sie die ganze Zeit über gewißlich nicht ohne Absicht hatte brennen lassen, seinen vollen Schein auf meinen ganzen Körper warf.

»Nein«, sagte Phöbe, »du mußt nicht denken, mein süßes Mädchen, daß du alle diese Schätze vor mir verbergen darfst. Meine Augen müssen ihr Fest ebenso wohl haben als meine Hände. Ich möchte diesen aufschwellenden Busen mit meinen Blicken verschlingen – laß mich ihn küssen – ich habe ihn noch nicht genug gesehen – laß mich ihn noch einmal küssen – was für ein festes, sanftes, weißes Fleisch – wie fein geformt! – und dann diese niedliche weiche Wolle! Oh, laß mich den kleinen allerliebsten Reiz sehen! Es ist zu viel – ich kann es nicht länger aushalten, ich muß, ich muß.«

Hier nahm sie meine Hand und zog sie, wohin Sie leicht vermuten werden; aber was für ein Unterschied in dem Zustande ebendesselben Dinges! Ein großer Wulst von buschigem krausen Haar bezeichnete das ausgewachsene vollständige Weib. Die Öffnung, wohin sie meine Hand zog, nahm dieselbe leicht in sich auf, und sobald sie mich darin fühlte, bewegte sie sich mit einer so heftigen Weise hin und wider, daß ich meine Hand ganz feucht und schleimig zurückzog, als Phöbe augenblicklich ganz gelassen wurde und nach zwei oder drei Seufzern und einem Kusse, der ihre ganze Seele durch ihre Lippen auszuhauchen schien, die Bettdecke wieder über uns hinzog.

Was sie für ein Vergnügen dabei gefunden hatte, kann ich nicht sagen, aber dies weiß ich, daß ich in derselben Nacht die ersten Funken der entbrennenden Natur empfunden und die ersten Begriffe von Befleckung gesammelt habe, und daß die Bekanntschaft und der geheime Umgang mit dem schlimmeren Teil unseres Geschlechts für die Unschuld oft ebenso gefährlich ist wie alle Verführungen des andern Geschlechts.

Als Phöbe sich wieder in ruhigem Zustande befand, von welchem ich weit entfernt war, forschte sie mich nach allen Umständen aus, die sie notwendig wissen mußte, um die Absichten meiner tugendhaften Gebieterin darnach zu regeln. Nach meinen einfältigen, offenherzigen, unverstellten Antworten konnte sie sich nichts anderes als den erwünschtesten Erfolg versprechen, denn von meiner Unwissenheit, Willfährigkeit und meinem warmen Temperamente ließ sich alles erwarten.

Nach einem ziemlich langen Gespräche ließ mich meine Schlafgesellin ruhen, und ich schlief aus bloßer Mattigkeit, in die ich durch die heftigen Gemütsbewegungen gesetzt worden war, sogleich ein, als die Natur (welche zu sehr in Aufbrausen und Gärung gebracht worden war, als daß sie sich ohne irgendein niederschlagendes Mittel hätte setzen können) mich mit einem der angenehmen Träume erquickte, die uns beinahe ebenso sehr entzücken, als wenn sie sich bei offenen Augen realisieren.

Des andern Tags früh um zehn Uhr erwachte ich, vollkommen frisch und munter; Phöbe war schon vor mir auf und fragte mich auf die gefälligste Art: wie ich mich befände, wie ich geschlafen hätte und ob ich zum Frühstücke bereit wäre? Dabei vermied sie auf das sorgfältigste die Verwirrung, in welcher sie mich sah, wenn ich sie anblickte, durch eine Anspielung auf die Bettszene der vergangenen Nacht zu vermehren. Ich sagte ihr, wenn sie erlaube, so wolle ich aufstehen und jede Arbeit anfangen, die sie mir gütigst auftragen würde. Sie lächelte nur. Gleich darauf brachte die Magd das Teezeug, und ich hatte kaum meine Kleider angelegt, als meine Gebieterin angewatschelt kam. Ich erwartete nichts anderes, als meines späten Aufstehens wegen zur Rede gestellt oder gar gescholten zu werden; allein ich wurde durch ihre Komplimente über mein heiteres, munteres Gesicht auf das Angenehmste enttäuscht. Sie sagte mir, ich wäre eine Schönheitsknospe, und die schönen vornehmen Herren würden mich ungemein bewundern. Meine Antworten auf dieses alles waren, wie ich Ihnen versichern kann, meiner geringen Lebensart angemessen: sie waren so einfältig und pinselhaft, als sie es nur wünschen konnte, und sie gefielen ihr ohne Zweifel unendlich mehr, als wenn sie einen Beweis gegeben hätten, daß ich durch Erziehung und Welterfahrung aufgeklärt gewesen wäre. Wir frühstückten, und das Teegeschirr war kaum weggetragen, als zwei Bündel weißes Zeug und Kleidersachen hereingebracht wurden, kurz, alles, was erforderlich war, um mich vollkommen auszustaffieren, wie sie es ausdrückten.

Stellen Sie sich vor, Madame, wie mein eitles Herz vor Freude hüpfte, als ich den weißen Glanztaffet mit silbernen Blumen sah, der zwar blank gescheuert war, aber bei mir für nagelneu passierte, die Haube mit Brüsseler Spitzen, gestickte Schuhe und dementsprechend das übrige: lauter Staat aus zweiter Hand, welcher durch die geschäftige Sorgfalt der guten Madame Brown nach dem Erfordernis der Umstände eiligst herbeigeschafft worden war. Denn sie hatte schon einen Kunden für mich im Hause, von welchem meine Reize gemustert werden sollten, und dieser hatte sich nicht nur, wie gewöhnlich, das vorläufige Besehen, sondern auch zugleich die unmittelbar darauffolgende Übergabe ausbedungen, falls ich ihm gefallen sollte. Er hatte die kluge Anmerkung gemacht: an einem solchen Orte wie diesem stünde es sehr mißlich um eine so zerbrechliche Ware wie eine Jungfernschaft.

Die Sorge, mich zu kleiden und zur Schau auszuputzen, wurde nun Phöben überlassen, welche dieses Geschäft in jeder Hinsicht sehr wohl verrichtete, nur nicht zur Befriedigung meiner Ungeduld, mich bald angekleidet zu sehen. Als es geschehen war, und ich mich im Spiegel besah, konnte ich – dazu war ich zu sehr ein Kind der unverstellten Natur – meine kindische Freude über den Tausch nicht verbergen, einen Tausch, welcher, die Wahrheit zu gestehen, zu meinem Nachteile ausfiel, denn meine reichliche, einfache, bäuerische Kleidung hatte mir weit besser gestanden als der ungereimte, übel passende Flitterstaat, in welchem ich mich nicht recht zu bewegen wußte.

Indessen bestärkten mich Phöbens schmeichelhafte Lobsprüche (in welchen sie mir auch mitunter zu verstehen gab, wieviel ich ihrem Ankleiden zu verdanken hätte) in der Eitelkeit, die ich nun zum ersten Male in meinem Leben von meiner Person empfand. Wie ich ohne alle Überhebung sagen kann, war ich damals erträglich genug, um eine Neigung für mich zu rechtfertigen. Es möchte hier vielleicht nicht ganz unschicklich sein, Ihnen ein kleines Bild von mir zu geben.

Ich war groß, doch nicht allzu groß für mein Alter, welches, wie ich schon sagte, kaum fünfzehn Jahre betrug, von einer vollkommen geraden, schlanken, leichten und freien Gestalt, welche nicht durch Schnürbrüste verbildet worden war. Mein Haar, welches glänzend schwarzbraun und weich wie Seide war, floß in natürlichen Locken an meinem Halse herab und hob die weiße Farbe meiner sanften Haut. Mein Gesicht war fast zu rot, obgleich es feine Züge hatte, und sein Umriß ein rundliches Oval, ausgenommen, wo ein Grübchen im Kinn eine kleine Abweichung verursachte, welche aber keine üble Wirkung machte. Meine Augen waren so schwarz, als man sich dieselben denken kann, mehr schmachtend als funkelnd, außer bei gewissen Gelegenheiten, wo sie, wie man mir sagte, ziemlich blitzten. Meine Zähne, welche ich immer gut zu halten suchte, waren klein, ebenmäßig und weiß. Mein Busen war fein erhoben; man fand damals eher das Versprechen als den wirklichen Wuchs zweier runder, fester Brüste, welche bald hernach ihr Versprechen wahr machten. Kurz, alle Teile der Schönheit, die man am meisten sucht, hatte ich. Meine Eitelkeit braucht nicht an das entscheidende Urteil unserer obersten Richter, der Mannspersonen, zu appellieren, welche sich alle, soviel ich mich zu erinnern weiß, zu meinem Vorteil erklärt haben; ich habe sogar unter meinem Geschlechte einige getroffen, die mir gern Gerechtigkeit widerfahren ließen, und andere, die mich noch unverdächtiger lobten, indem sie sich bemühten, mir nur in gewissen Punkten keinen Vorzug einzuräumen, wo ich mich in Hinsicht auf Person und Gestalt vielleicht nur zufälligerweise gut ausgenommen hatte. – Dies ist, ich muß es gestehen, zu viel, zu starkes Eigenlob. Allein würde ich nicht gegen die Natur und gegen meine Gestalt, denen ich soviel Vergnügen und Glück schulde, undankbar sein, wenn ich aus affektierter Bescheidenheit solch schätzbare Gaben unerwähnt gelassen hätte?

Ich war also geputzt, aber es kam mir im geringsten nicht in den Sinn, daß all dieser schöne Anzug nichts mehr wäre als eine Decke für ein Schlachtopfer, und ich schrieb aus lauter Unschuld alles der reinen Freundschaft und Gütigkeit der lieben, guten Madame Brown zu. Diese hatte, was ich zu berichten vergessen habe, unter dem Vorwande, mein Geld in Sicherheit zu bringen, ohne den mindesten Anstand den ganzen Plunder (so nenne ich ihn jetzt), der mir nach Abgang meiner Reisekosten übriggeblieben war, von mir genommen.

Nach einer kurzen Zeit, welche vor dem Spiegel in halber Selbstbewunderung auf das Angenehmste zugebracht wurde, holte man mich in das Wohnzimmer hinunter, wo mich die alte Dame begrüßte und mir zu den neuen Kleidern gratulierte, von welchen sie sich nicht schämte zu sagen, daß sie mir so gut stünden, als hätte ich in meinem ganzen Leben nie minder vornehme getragen. Aber was konnte sie auch nicht alles sagen, was ich nicht anzunehmen einfältig genug gewesen wäre? Sie präsentierte mich zugleich einem ihrer Anverwandten, wenigstens mußte ich ihn dafür gelten lassen, einem ältlichen Herrn, welcher bei meinem Eintritte in das Zimmer auf mich zuging, mich, nachdem ich ihm einen Knicks gemacht hatte, grüßte, und beleidigt schien, weil ich ihm nur meine Backen hingereicht hatte, ein Versehen, welches, wenn anders es eines war, er unmittelbar gut zu machen suchte, indem er seine Lippen mit einer Inbrunst auf die meinigen heftete, für welche ich wenig geneigt war, ihm zu danken nach den Eindrücken, die seine Gestalt auf mich gemacht hatte, eine Gestalt, die nicht unausstehlicher oder scheußlicher sein konnte; unangenehm und häßlich wären zu artige Ausdrücke, um einen rechten Begriff davon zu geben.