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Carla Phaedra

Mit Rotkäppchen allein wäre ich fertig geworden...


Für meine Familie


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Titel

Carla Phaedra

 

 

Mit Rotkäppchen allein wäre ich fertiggeworden…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Coverbild ist von Carmen Janosch - Herzlichen Dank!

 

Die Personen über die ich schreibe, entspringen meiner Phantasie - Ähnlichkeiten mit anderen lebenden Personen sind schön, aber rein zufällig.

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Das größte Abenteuer meines Lebens???

Gut - auf die Aufregung hätte ich schon verzichten kön-nen. Aber wie heißt es doch so schön:

 

Sich selbst zu überraschen ist,

was das Leben lebenswert macht.

 

Sorry, ich bin jetzt zu faul, um nach der Quelle zu suchen, ich meine Oscar Wilde, aber da ich ja hier nicht meinen Doktor bauen will, kann ich bestimmt drauf verzichten.

Keine Ahnung warum...

War es Neugier, Einsamkeit, Langeweile? Rotwein, Ramazzotti???

Irgendwas wird es schon gewesen sein.

Ich, Ina Nowak, habe auf eine Kontaktanzeige geantwortet.

Ehrlich gesagt - mich hat da ein Teufelchen geritten – waren es fünf (und auch nur deshalb, weil die Zeitung an diesem Sonntag nicht mehr hergab).

Fünf Typen, die nicht im besten Alter sind und keine schlanke Frau um die zwanzig mit den 3 H's suchen, für alles was zu zweit mehr Spaß macht (Igitt, wenn ich mir das bloß vorstelle).

Okay, das ist eine andere Sache.

Also ich habe fünf Anzeigen von Männern in meinem Alter gefunden, die keine Frau mit Herz, Hirn und Humor suchen, obwohl ich wirklich genug von allem hätte, ganz ehrlich!!!

Das mit dem Humor ist ja auch so eine Sache...

Meinen die wirklich echten Humor (also, wenn man trotzdem lacht) oder wollen die eine süße Naive, die sich über jeden Mist, den sie von sich geben, kringelig lacht.

Moment - ein bisschen Geduld - ich komme schon noch zum Punkt.

Aber bei den fünf Anzeigen, die ich ausgewählt habe, hatte ich einfach das Gefühl, dass die genau mich suchen. Ja! Mich!

Bei mir ist das außerdem so, dass Herz und Hirn sich meist nicht grün sind, also quasi konkurrieren und der Humor ist sowas wie der Ringrichter, oder der Moderator oder Reporter – sucht euch was aus. Ich weiß es selbst nicht so genau. Mir ist auf jeden Fall diese Geschichte mit den 3 H's zu platt.

Egal. Ich war einfach mutig und habe einen launigen Brief verfasst, den ich fünfmal ausgedruckt an die verschiedenen Chiffrenummern der Zeitung adressiert und auch umgehend eingeworfen habe. Bevor ich es mir wieder anders überlegen konnte.

Irgendwie habe ich zurzeit einfach das Bedürfnis an meinem selbst gewählten Singledasein etwas zu ändern.

Ja, ich weiß... ich habe mich immer über die An-zeigen lustig gemacht, aber aus momentaner Sicht, in meinem Alter habe ich einfach keine andere Idee. Leute um die 40 tummeln sich abends nicht mehr ständig in Kneipen und Discos. Und die, die man dort trifft...sorry no way.

Dann habe ich auch schon diverse Sprachkurse der Volkshochschule besucht. Da war auch nichts Passen-des dabei. Meine beiden besten Freundinnen sind glück-lich verheiratet, bzw. mit jemanden zusammen und kennen auch keine interessanten Singles in meinem Alter, also zumindest nicht dass ich wüsste...

Wie gesagt, an dem Sonntag habe ich einfach mal was anderes ausprobiert. Ich habe mir eine spezielle e-Mail Adresse eingerichtet: mr.right-gesuchtatfreenet.de und fand mich dabei ziemlich originell.

Außerdem kann ich ja nicht einfach Hinz und Kunz meine Kontaktdaten geben. Was, wenn einer komisch ist???

Ich habe also an fünf Männer um die 40 geschrieben, dass mich ihre Anzeige angesprochen hat und ich sie am liebsten ohne viel Hin- und Hergeschreibe persönlich kennen lernen möchte. Bei Interesse sollen sie sich zwecks Termin unter genannten Adresse melden.

Zwei Tage später, also Dienstag hatte ich die erste Mail vom gepflegten Enddreißiger mit gutem Job, dem gute Gespräche wichtig waren und der eine Frau finden möchte, die auch seine beste Freundin werden soll. Das hat mich total angesprochen, weil ich davon überzeugt bin, dass Freundschaft beständiger ist, als Verliebtheit. Thomas wollte sich mit mir gleich am Freitagnachmittag in Stuttgart bei Starbucks treffen. Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh wollte direkt vor dem Eingang auf mich warten.

Fand ich ganz in Ordnung, ich liebe Kaffeespezialitäten. Und so intim muss das ja beim ersten Treffen nicht sein.

Bereits Mittwoch bekam ich die zweite Rückmel-dung von Martin, einem Mittvierziger der Tiere mag und am liebsten draussen in der Natur ist. Er sucht eine Frau mit den gleichen Interessen.

Martin möchte mich unbedingt kennenlernen, da er aber diesen Samstag in den Urlaub (Trekking, hört sich gut an) fliegt, hat er mich um ein Treffen am Flughafen gebeten. Finde ich auch nicht bedenklich, dort gibt es auch nette Cafés.

Ich habe gerade die Antwort gesendet, als ein weiterer Posteingang gemeldet wird.

Gemeldet hat sich Udo. Bäriger Typ, dem Freundschaft wichtig ist. Allerdings hat er einen seltsamen Vorschlag. Machen wir uns einen gemütlichen Nachmittag im Biergarten „Paulaner“. Bring eine Freundin mit, ich habe einen Kumpel, vielleicht mögen die sich auch? Wird bestimmt lustig.

Scherzkeks. Ne! Ich hab dem geschrieben, dass ich keine Freundin habe und daher verzichte.

Der hat sich bis heute nicht mehr gemeldet. Na ja Frauen ohne Freundinnen sind vielleicht auch abschreckend, weil anstrengend!

Für Freitag habe ich im Büro, ich arbeite in einer Werbeagentur als Texterin, angekündigt, dass ich einen Termin habe und deshalb den Nachmittag frei nehme.

Genug Zeit mich ein bisschen aufzubrezeln.

Meine neue Designerjeans aus dem Schnäppchenmarkt und eine großgemusterte bunte lässige Bluse, damit fühle ich mich wohl, was mir extrem wichtig ist.

Das wenigstens habe ich in den letzten zwanzig Jahren gelernt, dass man sich nicht unnatürlich auftakelt und sich dann die ganze Zeit Gedanken über sein Styling macht!!! Das ist extrem anstrengend, man kann sich auf gar nichts konzentrieren, wenn man ständig an einem zu kurzen Rock rumzerrt oder aufpassen muss, dass man sich die Beine nicht bricht in den Highheels.

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Als ich von der Haltestelle Stadtmitte zu Starbucks gehe, sehe ich schon von weitem einen attraktiven Mann vor dem Eingang stehen. Nett denke ich, wie ich ihn da so stehen sehe - kurz mache ich mir Gedanken, dass ich doch lieber ein Kostümchen mit kurzem Rock und schicken Pumps angezogen hätte - und gehe ein wenig schneller, damit er nicht so lange dort rumstehen muss.

Ich bleibe direkt vor ihm stehen, strahle ihn an.

„Hi bist du Thomas?“

„Ja hallo und du bist???“

„Ich bin Ina. Freut mich Dich kennenzulernen.

Wartest du schon lange?“

„Nein und wenn, dann hab ich es nicht bemerkt. Ich finde es total interessant, Leute zu beobachten. Gehen wir rein, ich glaub da hinten ist auch noch ein Tisch am Fenster frei.“

Sein Lächeln gefällt mir. Wir ergattern einen freien Tisch und Thomas besorgt uns leckeren Cappuccino mit weißer Schokolade. Habe ich schon gesagt, dass ich auf Kaffeespezialitäten steh???

Ich bin total neugierig und will sofort wissen, weshalb ein Typ wie Thomas eine Bekanntschaftsanzeige inseriert. (Ja ich weiß... auf der einen Seite zu blöd einen anzusprechen, aber dann gleich ohne blabla zum Punkt kommen. Tja so bin ich halt. Liegt vielleicht am Alter, dass man nicht mehr so auf smalltalk steht oder sich so toll wie möglich verkaufen will.)

Er sieht mich überrascht an, obwohl - mir kommt's ein bisschen gespielt vor, aber da irre ich mich vielleicht.

„Na ja, du siehst gut aus, wenn ich dich so anschaue, kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass es dir an Gelegenheiten mangelt, Frauen zu treffen.“

„Dito“ gibt er mit charmantem Lächeln zurück.

„Danke, aber ich finde es echt schwer Männer in meinem Alter kennenzulernen. In der Regel sind die mehr oder weniger glücklich verheiratet, haben Kinder, ein Häuschen. Wie sieht's aus. Irgendwelche Altlasten?“

„Ähh.“

Sieht irgendwie ein bisschen geplättet aus, der Gute.

„Nein. Ich hätte schon gerne Kinder oder ein Häuschen im Grünen irgendwann. Ich meine immer, dass ich noch nicht so weit bin, ich habe noch so viel vor im Leben. Ich war so lange mit meiner Ausbildung beschäftigt und jetzt bin ich in endlich in der Lage zu reisen und so. Viele meiner Freunde haben Familie und wollten das auch alles genauso. Die sind auch glücklich. Aber ich habe momentan noch andere Pläne. Und du?“

„Also konkrete Pläne hab ich nicht. Kinder? Keine Ahnung, bei Frauen ist das natürlich was anderes, biologische Uhr und so. Aber ich glaube ich verzweifel nicht, wenn es nicht sein sollte. Ich mag mein Leben so, wie es momentan ist.“ (Also meistens, aber so genau gehen wir mal nicht ins Detail.)

Während ich so ins Reden komme, merke ich wie der immer wieder aus dem Fenster guckt. Gut, das hat er ja gesagt, dass er gerne Leute beobachtet, aber hallo, ich sitze hier und erzähle gerade.

Das nervt mich ehrlich gesagt. Deshalb habe ich keine Skrupel mein Handy aus der Tasche zu ziehen, ein bestürztes Gesicht zu machen und sage dann zu Thomas.

„Ach du meine Güte!!! Du das ist mir jetzt echt unangenehm, aber ich hab grad 'ne sms bekommen, dass meine Freundin einen Unfall hatte und sie keinen findet, der ihren Sohn vom Kindergarten abholt. Ich kann da wirklich nicht mehr entspannt hier sitzen, während die im Krankenhaus ist und nicht weiter weiß!!!“

Thomas macht ein mitfühlendes Gesicht und meint:

„Das ist doch klar, mach, dass du weg kommst, ich melde mich einfach nochmal. War aber schön, dass wir uns schon mal getroffen haben.“

„Das ist echt total nett von dir. Okay wir hören dann voneinander. Mach's gut bis dahin.“

Als ich wieder im Auto sitze, kann ich gar nicht fassen, dass ich

 

  1. tatsächlich auf Kontaktanzeigen geantwortet habe
  2. zu einem Date gegangen bin und
  3. die Sache eben beendet habe und wie!!!

 

Ich schüttele den Kopf über mich selber, weil ich mir kurzzeitig selbst zu diesem Date gratuliert habe, weil der Typ gut aussah, was relativ ist, weil: (sorry ich steh auf Listen)

 

  1. Solarium gebräunt (falsch, es muss so ein Gesichtssolarium sein, weil seine Hände nicht so extrem braun sind)
  2. Strähnchen im Haar (bei Männern komisch, vor allem wenn sie schon so alt sind...)
  3. Keine Ahnung mir fällt bestimmt noch was ein.

 

Ich hake die Sache relativ schnell ab und bin schon gespannt auf morgen. Zu Hause mache ich mir eine Kanne Tee und fahre mein Notebook hoch. Und siehe da... Thomas auf nimmer Wiedersehen – ich habe heute zwei neue Nachrichten erhalten. Es haben sich also alle gemeldet!

Dann wollen wir mal schauen:

Karsten möchte sich nächsten Freitagnachmittag so ge-gen fünf mit mir treffen. Er kennt eine gemütliche Kneipe, das Stella's.

Mir soll's recht sein. Ich war da noch nie. Der Ort ist weit genug von meinem sonstigen Revier entfernt.

Und zu guter Letzt lese ich die Nachricht von Alexander, der sich gerne mit mir im Biergarten „Paulaner“ treffen möchte. Da war doch was. Womöglich ein Kumpel vom bärigen Udo???

Was soll's. Ich sage zu und klappe dann mein Notebook wieder zu. Wo habe ich eigentlich die Zeitungsanzeigen hingesteckt. Ich weiß schon gar nicht mehr was die so im Einzelnen geschrieben haben. Ich weiß nur, dass mich die 5 angesprochen haben.

Mein Gewissen meldet sich: ich habe meinen besten Freundinnen bisher mit keinem Ton von der ganzen Sache erzählt und hoffe, dass sie nicht sauer sind, wenn sie das erfahren, vor allem, wenn sie ständig als Ausreden herhalten müssen, um so ein Treffen schnell zu beenden.

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Samstagmorgen. Ich bin auf dem Weg zum Flughafen und - nur nebenbei - mit den Nerven am Ende. Ich habe mich nur dreimal umgezogen, um jetzt den Naturfreund Martin in legerer Freizeitkleidung im Café in Abflughalle 3 zu treffen. 11.00 Uhr hatten wir ausgemacht, bzw. hat Martin so vorgeschlagen, sein Flieger geht um 12.30 oder so. Ich bin spät dran, außerdem ist ziemlich viel Verkehr. Hoffentlich finde ich wenigsten schnell einen Parkplatz.

Als ich in die Abflughalle drei stürze ist es 11.07. Na gut das ist noch im Rahmen. Auf eine tolle Frau wartet Mann doch gerne, oder???

Das Café entdecke ich sofort, allerdings sehe ich keinen Mann in meinem Alter, der auf jemanden (also mich) wartet.

Ich gehe also einfach mal langsam Richtung Theke und schaue mich unauffällig um, komme mir ein bisschen wir Miss Undercover vor.

Beim Beobachten der herumeilenden Reisenden, bemer-ke ich einen Mann, der aus dem Zeitschriftenkiosk eilt und direkt auf mich zustürmt.

Für meinen Geschmack ist er zu bieder angezogen und ich erwische mich selbst dabei, wie mein Blick hastig zu seinen Füßen eilt, um zu checken, ob er Strümpfe in seinen Tevasandalen trägt.

Ganz so schlimm ist es nicht, aber die Sportschuhe, die er trägt, waren im letzten Jahrhundert modern. Irgendwas kommt mir an dem Typen suspekt vor, aber ich komm nicht drauf...

 

„Hallo ich bin der Martin.“ sagt er freundlich und nur ein wenig außer Puste. „Ich glaube du wartest auf mich.“

Ich nicke (wieso eigentlich? Ich hätte doch einfach sagen können, dass ich schon blöder angemacht worden bin) Vielleicht habe ich auch nix gesagt, weil ich gar nicht zu Wort gekommen bin.

„Ich hatte schon Angst, dass ich dich verpasse, weil ich da drüben in dem Laden so lange an der Kasse gestanden bin.“

Der Typ verschwendet keine Zeit, denke ich so. Wahrscheinlich hat er unser Treffen so gelegt, damit ihm nicht langweilig wird, während er auf seinen Flug wartet. Man muss ja immer lange genug vorher einchecken.

Während mir dieser Gedanke flüchtig durch den Kopf geht, spricht Martin schon weiter.

„Ich finde es toll, dass du das einrichten konntest heute. Damit überbrücke ich toll die Zeit zwischen Check-in und Abflug.“ Er lächelt mich unschuldig an und bemerkt gar nicht, dass mein freundlicher Gesichtsausdruck kurz vor dem Entgleisen ist!

Gerade überlege ich was ich dem jetzt gleich an den Kopf schmeiße. Als eine ältere Dame an den Tisch eilt:

„Martin, ich find keinen Reiseführer für Palma!“

„Oh, Mama ich hab doch gesagt, dass ich gleich wieder da bin. Entschuldige, darf ich dir meine Mutter vorstellen. Wir haben noch nach einem Reiseführer für Mallorca gesucht.“

Ich stehe auf, um die kleine Vorstellungsrunde zu beenden.

„Na dann will ich nicht weiter stören. Sorry, dafür bin ich mir echt zu schade. Von Muttersöhnchen stand nichts in der Anzeige.“

Dann fege ich aus der Abflughalle, stocksauer, blind vor Wut, keine Ahnung was, ich finde einfach keine Worte dafür.

Kaum im Auto, hab ich mein Handy am Ohr und schreie auch, sobald Sam abgehoben hat.

„Das glaubst du einfach nicht, verdammter Mist, ich bin in zwanzig Minuten bei dir und ich will mich mit irgendwas ersäufen!!!

„Ina, was ist los, wo bist Du?“

Aber ich schmeiß das Telefon auf den Beifahrersitz und lege den Rückwärtsgang ein. Ich wollte immer schon mal wissen, wie das ist, wenn es dir einen Schalter im Hirn umlegt. Okay fühlt sich irgendwie geil an. So eine Wut, so einen Zorn kenne ich nicht.

Ich atme einmal tief durch und zwinge mich den Schalter wieder auf normal zu kippen, weil Autofahren...

Keine halbe Stunde später sitze ich bei einer meiner besten Freundinnen auf dem Sofa. Sie hat Mann und Sohn auf den Spielplatz geschickt, aber im Moment bin ich einfach nicht in der Lage, deshalb ein schlechtes Gewissen zu bekommen.

Noch weigert sich Sammy mir was Hochprozentiges zu geben. Sie sitzt mir gegenüber und schaut mich streng an. Und ich fange an zu beichten.

„Stell dir vor was ich gemacht habe...

Ich habe letzten Sonntag Zeitungsanzeigen ausgewählt und fünf Männern geschrieben.“

„Das ist nicht dein Ernst?!?“

„Oh doch. Ich habe sogar schon zwei getroffen, einem habe ich abgesagt.“

„Anzeigen in unserem schönen Stadtanzeiger? Da muss ich doch mal schauen, ob ich den noch habe.“

Sammy steht auf und öffnet den alten Bauernschrank, der in der Ecke steht. Mit unserer Dublin-Weekend -Whiskey-Flasche (für einen ganz besonderen Anlass!!!) und einem Glas kommt sie zurück.

Sie schenkt mir großzügig ein, gibt einen ordentlichen Schuss Wasser dazu und fordert mich auf, weiter zu erzählen, während sie einen Zeitungsstapel in der Ecke durchgeht.

„Schade ich glaub die hat Robert grad mit zum Altpapiercontainer genommen.“

Bei der ganzen Aktion habe ich nicht einen Augen-blick daran gedacht, dass meine Tageszeitung der Arbeitgeber von Samantha und Robert ist. Sammy ist ja grad beurlaubt.

Ich nehme einen großen Schluck. Schmeckt irgendwie noch gar nicht, aber das wird bestimmt noch.

„Ich habe mich gestern in der City mit einem netten Mann getroffen, bei Starbucks. So auf den ersten Blick sah der super aus und war auch ganz nett. Solange er erzählt hat. Als ich mal zwei Sätze am Stück gesagt habe, hat er aus dem Fenster geschaut.“

Sammy zieht belustigt die goldenen Augenbrauen nach oben.

„Ja ich fand das auch daneben und habe dann einfach gesagt, ich hätte eine sms bekommen, dass meine Freundin einen Unfall hatte und ich ihr unbedingt helfen muss. Das hat er eingesehen, wahrscheinlich war er froh, dass es vorbei war.“

„Klar, weil du so stinklangweilig bist, oder was?“ Sammy hat den Kerl schon gefressen, das tut mir gut und ich erzähle ihr auch, dass mich das nicht wirklich juckt, weil Gesichtsbräuner und Strähnchen...

„Also du meinst, der sitzt samstags vor der Sportschau und hat so ein Bräunungsgerät vor sich?“ will Sam wissen.

„Keine Ahnung, der hat mir ehrlich gesagt nicht nach Sportschau ausgesehen, eher nach Modeschau. Weißt du, wenn ich so im Nachhinein überlege - der hatte teure Designerteile an, aber solche, die ihre Labels in Augenhöhe auf der Brust tragen.“

„Wahrscheinlich zupft er sich die Augenbrauen und trägt nach der Bräunung eine schonende Maske auf.“ Sammy hört sich fast ein bisschen angewidert an.

„Find mich blöd oder nicht, aber ein echter Kerl hat eine gute Farbe, weil er Samstags mit seinem Freunden zum Kicken oder Biken geht und zur Pflege kann er sehr gerne den dabei abbekommenen Dreck im Gesicht rumschmieren.“

Insgeheim beschließe ich, dass ich bei weiteren Männer-Angel-Versuchen in ferner Zukunft doch Sam als Beraterin benötige, ich lasse mich schon ganz gerne blenden.

Ich erzähle weiter, dass ich abends zwei weitere Verabredungen ausgemacht habe und sich also alle Männer, die ich angeschrieben habe, bei mir gemeldet haben.

Sam schaut mich grinsend an und meint: „Herzlichen Glückwunsch auch.“

Aber für ihren Sarkasmus bin ich nicht empfänglich heute und fahre daher fort.

Den nächsten habe ich gerade am Flughafen getroffen. Ich war das Unterhaltungsprogramm zwischen Check-in und Abflug! Und das fand er nicht einmal komisch, fast genauso hat er das gesagt.“

„Verstehe, warum du so sauer bist. Hoffentlich hast du ihm richtig in die Eier getreten.“

„Warte, das Beste kommt noch!!! Er hat seine Mutter im Buch-Shop abgestellt, damit sie nach einem Reiseführer sucht, während er kurz mit mir einen Kaffee trinkt. Aarrr! Wenn ich bloß dran denke, könnte ich explodieren. Ich hab nicht viel gesagt, als Mutti an unseren Tisch kam und ihrem Baby sagte, dass sie kein passendes Buch finden kann. Ich bin einfach aufgestanden und hab gesagt, dass ich nicht auf Muttersöhnchen stehe.“

Ich leere mein Glas und schenke einfach noch mal nach.

Sammy kommt um den Tisch herum, nimmt mir das Glas aus der Hand und mich ganz fest in die Arme.

Und endlich bekomme ich wieder ein bisschen Luft. Ich fange an zu heulen. Kein leises leidendes Weinen. Nein ein lautes zorniges Heulen, mit Zischen und Fauchen und ich bin minutenlang nicht in der Lage aufzuhören, während sich der Film des Erlebten nochmal in meinem Kopf abspielt.

Dieser Bauerntrampel Martin, was bildet sich der überhaupt ein. Und überhaupt mit der Mutti nach Mallorca fliegen. Und auf einmal weiß ich auch, was mich bei seinem Anblick so stutzig gemacht hat. Ich fand ihn ein bisschen konservativ angezogen... Genau! er war angezogen, als hätte eine ältere Dame (nämlich seine Mutti) die Kleidung ausgesucht.

Das war es.

Die Jeans, das Hemd, alles okay und so, aber vom Stil oder vom ganzen Design her, hätte das ebenso gut ein 70jähriger tragen können (oder ein 12jähriger).

„Mann zum Glück ist der so doof. Stell dir mal vor du merkst das erst, nachdem du schon ein halbes Jahr mit so einem gehst?“ schniefe ich Samantha ins Ohr.

„Ich finde auch... wenn man es so betrachtet, hast du echt richtig Glück gehabt. Und die Story an sich, warte mal ab, mit ein bisschen Abstand, ist die zum Brüllen.“

Ich merke schon, dass Sam sich echt beherrschen muss. Eigentlich findet sie das ganze zum Schreien komisch, vor allem nachdem sie sich jetzt überzeugt hat, dass es mir gut geht.

„Ich fass es nicht, dass du dich das getraut hast! Auf eine Anzeige antworten, es gibt friendscout.de, schau doch dort mal rein.“

„Keine Ahnung was Sonntag mit mir los war, die Anzeigen haben mich spontan angesprochen, da hab ich einen Brief verfasst und eine neutrale e-mail-Adresse angelegt, die ich dann für die Antworten angegeben hab. Ich wollte nicht so viel hin- und herschreiben, lieber relativ schnell einen persönlichen Eindruck von den Typen. Ich verbuche es mal als Erfahrung ab.“

„Wann sind die anderen Treffen?“

„Nächsten Freitag. Im Stella's. Kennst du das? Und am Samstag im Paulaner-Biergarten in der Stadtmitte.“

„Straffes Programm, meine Liebe. Wann hättest du uns das erzählt?“

„Keine Ahnung, ich finde das ganze selber so unglaublich, ich fühle mich, als hätte ich zwei Identitäten.“

„Du bist verrückt. Aber das ist ja nichts Neues.“ Sammy boxt mir liebevoll in den Oberarm.

Sie hat ja recht und was die zwei Identitäten angeht... Ich bin auf jeden Fall zwei. Was mich an das Buch Wer bin ich und wenn ja wie viele erinnert, das ich mir in der großen Hoffnung gekauft habe, irgendwelche Anhaltspunkte in genau dieser Sache zu erhalten. Oh Mann so verarscht bin ich mir schon lange nicht mehr vorgekommen. Da habe ich mich wirklich durch gequält. Eine große Zitatensammlung aller großer Philosophen aber nichts zum Thema Wie viele bin ich?

Wahrscheinlich bin ich einfach zu blöd dafür. Obwohl ich hab einfach gedacht, ich bin auf einen Blender reingefallen.