Informationen zum Buch

Geheimnisvolle Morde in Kanadas Wildnis.

Nach traumatischen Erlebnissen als Entwicklungshelfer in Nigeria ist es für Amanda und Phil nicht leicht, zu Hause in Kanada wieder Fuß zu fassen. Daher wollen sie sich beide einige Zeit in die unberührte Natur Neufundlands zurückziehen. Doch Phil erscheint nicht zum vereinbarten Treffpunkt. Er und sein Sohn Tyler sind spurlos verschwunden. Eine Leiche wird an Land gespült, ein Mann ermordet aufgefunden. Amanda muss all ihre Kraft und ihren Erfindungsreichtum einsetzen, um bei der Suche nach Phil und Tyler zu überleben.

Barbara Fradkin

Die Toten in den Klippen

Ein Kanada-Krimi

Aus dem Englischen
von Bela Wohl

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

Anmerkungen

Über Barbara Fradkin

Impressum

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …

1. Kapitel

Erst als Land in Sicht kam, begann sich Amanda ernsthaft Gedanken zu machen. Schemenhaft tauchte Neufundland aus dem frühen Morgennebel auf, eine Silhouette aus zerklüfteten Felsen, gekrönt von der verschwommenen weißen Spitze eines Leuchtturms. Die MS Highlanders hatte zehn Decks, und Amanda stand auf dem obersten, ihrem Lieblingsplatz. Der kraftvolle Motor des Fährschiffs pulsierte tief unter ihr, Gischt spritzte aus der eiskalten See. Sie streckte ihr Mobiltelefon weit über die Reling und hielt schützend die Hand davor. Endlich registrierte es ein Signal – aus Port aux Basques, der nächstgelegenen Stadt.

Immer noch keine Nachricht. Kein einziges Wort von Phil. Normalerweise hätte sie das nicht sonderlich frustriert. Er konnte tagelang spurlos verschwinden, war wie vom Erdboden verschluckt und tauchte dann plötzlich beschwingt und gut gelaunt wieder auf, als wäre nichts gewesen. Sogar meine Frau nennt mich Mr. Unzuverlässig, hatte er ihr mit einem Augenzwinkern gestanden.

Doch diesmal lagen die Dinge anders. Zum einen war dieser Campingausflug seine Idee gewesen: Als er sie bat, mitzukommen, hatte Amanda gespürt, dass in seiner Aufregung etwas beinahe Manisches mitschwang. Du brauchst das, hatte er gesagt. Wir brauchen das. Nichts heilt eine verletzte Seele besser als die Natur, die unberührte Wildnis. Sie war davon nicht unbedingt überzeugt, doch so deutlich hatte Phil bislang noch nie zugegeben, dass es ihm nicht gut ging.

Zum anderen hatte er versprochen, sich um die komplette Planung zu kümmern. Neufundland war sein zweites Zuhause geworden, und er wollte ihr stolz seine Schönheiten zeigen. Amanda brauchte nichts weiter zu tun, als sich mit Motorrad und Schlafsack auf der Felseninsel einzufinden, während er die perfekte Reiseroute auskundschaftete. Stell dir vor, meilenweit zerklüftete Küsten, tosende Brandung, Wind im Gesicht und die Schreie der Meeresvögel. Nach dem langen freudlosen Jahr, in dem sie versucht hatte, die in Afrika erlebten Schrecken zu verarbeiten, klang das wie die Verheißung des Paradieses.

Das Problem war nur: Er hatte ihr nie mitgeteilt, wo dieses Paradies genau lag. Und jetzt, da sie gleich an der Südspitze der Insel von Bord gehen würde, hatte sie keine Ahnung, wo sie ihn treffen sollte. Neufundlands Küstenverlauf glich einer zehntausend Kilometer langen Berg-und-Tal-Bahn mit unzähligen Buchten und urwüchsigen Landzungen, die meisten davon völlig unberührt. Es gab Inseln, die reine Vogelschutzgebiete waren, und unbekannte, bisher unerforschte Waldgebiete im Landesinneren. In den Meeren wimmelte es von Walen, Delphinen, Seehunden und Eisbären, in den Wäldern von Elchen und Bären. Die perfekte Reiseroute – das konnte überall sein.

Amanda hatte die Natur von klein auf geliebt. Schon als Kind fühlte sie sich eingeengt in den blitzblanken Wohnbezirken, die sich halbmondförmig rings um Ottawa aneinanderreihten, und flüchtete so oft wie möglich zu den Seen und Wäldern in der Umgebung, sehr zum Erstaunen ihrer Eltern, die ihren Urlaub am liebsten auf einer Weinreise durch die Toskana verbrachten. Während ihrer Entsendung in die heißen, wüstenartigen Klimazonen verschiedener Entwicklungsländer war es die Wildnis, die Amanda, wenn sie an zu Hause dachte, am meisten vermisste: das satte Grün des Waldbodens, das melodische Zwitschern der Vögel und das Rauschen der Bäche, die über Felsen hinabstürzten.

Die Einsamkeit.

Im September, hatte Phil ihr versprochen, träfe man in Neufundland nur selten auf Menschen. Schon gar nicht auf maskierte Plünderer mit Macheten oder selbstgebastelten Bomben. Nicht einmal auf viele Touristen. Wir werden die Zeltplätze und Buchten ganz für uns allein haben.

Die Fähre wühlte sich durch den schmalen Kanal Richtung Anlegeplatz, vorbei an den Wellenbrechern und pastellfarbenen Häuschen, die vereinzelt am verlassenen Ufer standen. Die Passagiere umklammerten mit müdem Blick ihre Kopfkissen und das zusammengerollte Bettzeug und begaben sich über die Treppen zu den Parkdecks hinunter. Wo steckst du?, schrieb Amanda in einer letzten SMS, bevor sie ihr Mobiltelefon in die Jacke steckte und sich aufmachte Richtung Hundezwinger. Ohrenbetäubendes Gebell empfing sie, als die Tiere aufwachten und ihre Besitzer erblickten. Im ersten Moment hörte sie Kaylees Bellen nicht aus dem allgemeinen Tumult heraus und spürte sofort das vertraute Gefühl aufsteigender Panik. Deine Hündin ist in Sicherheit, redete sie sich gut zu. Du weißt, dass ihr nichts passiert ist. Die Überfahrt hat nur sieben Stunden gedauert, und sie hatte reichlich Wasser.

Trotzdem war Amanda überrascht von der Heftigkeit der Erleichterung, die sie durchströmte, als Kaylees schrilles Fiepen den Lärm noch vergrößerte. Beim Näherkommen loderte Kaylees Fell feuerrot auf, während sie sich, vor Freude am ganzen Körper bebend, gegen das Tor des Zwingers warf. Amanda öffnete die Tür, ging auf die Knie und presste das Gesicht in ihre lange seidige Mähne.

»Tut mir leid, mein roter Kürbis«, flüsterte sie. »Nie wieder, versprochen.«

Kaylee zerrte an der Leine, als sie zu Amandas zweitem heißgeliebten Schatz hinuntergingen, ihrem nagelneuen Feuerstuhl. Amanda hatte fast ihr gesamtes erwachsenes Leben in der Dritten Welt verbracht und fühlte sich auf zwei Rädern wesentlich wohler als auf vier. Sie liebte die Leichtigkeit, Beweglichkeit und erregende Geschwindigkeit von Motorrädern. Im Vorgriff auf die Reise hatte sie ihre kleinere Maschine verkauft und sich die Kawasaki geleistet, das neueste Modell samt Anhänger, doch sie hatte noch nicht den passenden Namen dafür gefunden. Vorläufig nannte sie sie Schatten, das klang vertraulich und beschwörend. Sie besaß tatsächlich eine Art eigenen Schatten – den kleinen, speziell angefertigten Anhänger für Kaylee – und erschien Amanda zudem gelegentlich wie eine äußere Entsprechung ihres Innersten. Sie gab ihr die Freiheit, unbegrenzte Räume zu durchstreifen, mit dem Wind um die Wette zu jagen, jeglicher Laune zu folgen, die sie trieb.

Kaylee sprang eifrig auf ihren Platz im Anhänger, hechelte und schaute erwartungsvoll in die Runde. Während Amanda sie anschnallte und die Gurte und Seile löste, die das Motorrad sicherten, musste sie angesichts der erstaunten Blicke aus den Fahrzeugen ringsum lächeln. Wahrscheinlich sah man das hier nicht alle Tage: einen roten Hund auf einem lindgrünen Motorrad.

Amanda war fast fünfunddreißig, wirkte jedoch in ihrer Schaffelljacke, den Lederstiefeln und dem roten Helm gerade mal wie fünfzehn. Durch Not und Elend war sie innerlich gealtert, doch ihre zarten Sommersprossen und das lange kastanienbraune Haar ließen sie wesentlich jünger erscheinen. Als Amanda bemerkte, dass der Junge in dem Kleinbus nebenan Kaylee ehrfurchtsvoll anstarrte, zwinkerte sie ihm zu.

»Sie freut sich auf Neufundland. Du auch?«

Er nickte. »Was für ein Hund ist das denn?«

»Ein Nova Scotia Duck Tolling Retriever, kurz: Toller. Vierzig Pfund reine Energie. Hast du auch einen Hund?«

Er blickte kurz zu seinem Vater hinüber und schüttelte dann den Kopf. »Wie heißt sie?«

»Kaylee. Da sie aus einer Zucht in Nova Scotia stammt, sollte sie auch einen schönen gälischen Namen bekommen. Weißt du, was Ceilidh bedeutet?«

Erneutes Kopfschütteln.

»Es bedeutet Fest. Ein Beisammensein mit Tanz, Gesang und Musik. Genau das ist sie, ein Fest.« Amanda kraulte Kaylees Ohren. »Willst du sie mal streicheln?«

Der Junge schaute wieder zu seinem Vater. Die beiden saßen allein im Kleinbus, Vater und Sohn auf Urlaubsreise. Der Mann sah aus, als sei er tagelang nicht zum Schlafen oder Rasieren gekommen, brachte jedoch ein mattes Lächeln zustande. Als der Sohn die Wagentür öffnete, wurden die Fahrzeuge ringsum gestartet und setzten sich in Bewegung. Der Junge schloss seine Tür wieder und winkte Kaylee schüchtern zu.

Die lange Wagenkolonne schlängelte sich über das Schiffsdeck hinaus an Land, das noch immer in dichtem Nebel lag. Amanda konnte lediglich eine verschwommene Reihe roter Lichter erkennen, die auf der einzigen Landstraße nach Norden vorrückten, ins Innere der Provinz. Schilder und Orientierungspunkte tauchten aus dem Dunst auf, unverhofft und viel zu spät, um sie zu entziffern. Wie gern hätte Amanda sich gegen den Wind gelegt und Gas gegeben, entschied sich jedoch aus Sicherheitsgründen dagegen.

Sie brauchte schnellstens ein anständiges Frühstück und, was noch wichtiger war, Kaffee; als ihre Hoffnungen schon schwinden wollten, fiel ihr Blick auf die Leuchtreklame einer Irving-Tankstelle und Raststätte. Sie parkte, fütterte Kaylee und gönnte ihr einen kurzen Spaziergang, bevor sie sie draußen festband und das Lokal betrat. Der Raum wirkte hell und geschäftig, als wäre die Hälfte der Schiffspassagiere hier eingekehrt, aber Amanda fand einen kleinen Tisch am Fenster, von wo aus sie Kaylee im Auge behalten konnte. Sofort stand die Kellnerin neben ihr und füllte ihre Kaffeetasse. Eine Frau mit Erfahrung, dachte Amanda und lächelte dankbar. Nach dem ersten Schluck zog sie ihr Handy heraus. Keine Antwort auf ihre Nachrichten. Mr. Unzuverlässig, in der Tat.

Sie suchte seine Festnetznummer in Grand Falls heraus und wappnete sich. Phil hatte ihr gebeichtet, dass es zwischen ihm und seiner Frau kriselte, und Amanda wusste nicht genau, wie Sheri zu diesem Ausflug stand – oder zu ihr. Er hatte ihr versichert, dass Sheri die Reise unterstützte, dass sie sogar ihre Idee gewesen war. Alles nur, um mich loszuwerden, hatte er gescherzt. Sie kann nicht mitkommen, sie muss unterrichten, aber sie weiß, wie sehr ich diese Auszeit brauche.

Amanda hoffte, dass das stimmte. Trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere waren die beiden Frauen früher Freundinnen gewesen, aber das war vor Afrika, und Amanda wusste, wie unversöhnlich Sheri manchmal sein konnte. Machte sie Amanda immer noch dafür verantwortlich, dass Phil sich entschieden hatte, dorthin zu gehen?

Es waren fast zwei Jahre vergangen, seit Amanda zuletzt mit ihr gesprochen hatte, doch die lange Zeit spielte keine Rolle mehr, sobald Sheri den Hörer abnahm. Dieselbe lebhafte, sachliche Stimme mit dem kaum merklichen Neufundland-Akzent.

»Hi, Sheri, hier ist Amanda Doucette. Wie geht’s dir?«

Eine Pause, ein deutlich kühlerer Tonfall. Als hätte jemand ein Vakuum im Raum erzeugt. »Amanda. Ganz schön lange her. Zurück in Kanada, für immer, wie ich höre.«

»Richtig. Ich bin gerade in Port aux Basques angekommen.« Sie schwieg und lauschte in die Stille. Spürte die Kälte durch den Äther. Also nicht verziehen. »Ist Phil da?«

»Wie könnte er? Er ist doch bei dir.«

»Nein. Ich sollte ihn treffen, aber ich weiß nicht, wo.«

»Tja, er ist schon weg. Er wird dich vermutlich anrufen, wenn er den Zeitpunkt für gekommen hält.«

Verwirrt fragte Amanda: »Wann ist er losgefahren?«

»Vor zwei Tagen. Ich bin überrascht, dass du noch nichts von ihm gehört hast. Na ja, nicht wirklich überrascht, aber …«

»Hat er gesagt, wohin er wollte?«

Wieder entstand eine lange Pause. Sheris Stimme klang jetzt weniger kalt, eher unsicher. »Er … Wir … Ich war nicht zu Hause, als sie aufbrachen. Genau genommen hat er sich nicht verabschiedet.«

»Sie? Wer ist denn bei ihm?«

»Na, Tyler, unser Sohn. Er fährt doch mit euch.« Erneutes Schweigen. Dann kurzes Durchatmen. »Oder nicht?«

Jetzt war Amanda durchaus etwas beunruhigt. Zuerst Phils manische Aufregung wegen ihres Ausflugs, dann tagelange Funkstille. Was hatte er vor? »Ganz bestimmt ist alles ein Missverständnis«, zwang sie sich zu antworten. »Du kennst doch Phil.«

»Allerdings.«

Amanda redete schnell weiter. »Wahrscheinlich meldet er sich jeden Augenblick. Bis dahin mache ich mich auf den Weg zu dir.«

»Warum?«

In der bedrückenden Stille suchte Amanda nach Worten. »Falls er zurückkommt. Zumindest könnten wir herausfinden, wohin Mr. Unzuverlässig verschwunden ist.« Sie beendete das Gespräch, bevor Sheri Einwände erheben konnte, und sah hinaus, um sich zu vergewissern, dass Kaylee noch da war. Der Morgennebel lichtete sich und löste sich in bleichen, gespenstischen Schwaden von den feuchtglänzenden Klippen. Also konnte sie Grand Falls bis zum Nachmittag erreichen. Was sie bezweckte oder welcher Empfang sie erwartete, wusste sie nicht genau.

Ihr Versuch, am Telefon unbeschwert zu klingen, konnte niemanden täuschen, schon gar nicht Sheri, die am besten wusste, wie nah Phil manchmal an den Rand des Abgrunds stolperte. Tatsächlich hatte sie ihn in zwölf gemeinsamen Jahren mehr als einmal im letzten Moment zurückgerissen.

Am Ende hörte Amanda genau das in Sheris Stimme: Sie war sauer und hatte die Nase voll – aber sie hatte auch Angst.

2. Kapitel

Als die kahle Tundra auf der Südspitze den Canyons im Tal des Humber River wich, spürte Amanda deutlich die Anziehungskraft dieser extremen, gnadenlosen Landschaft. Im Lauf der Jahrhunderte hatte sie zahllose Entdeckungsreisende auf Steilhänge und in dunkle, geheimnisvolle Wälder gelockt, doch die Stürme waren zu heftig und der Boden zu karg, so dass sich nur die Unerschrockensten hier ansiedelten. Schon der erste Nordostwind wehte die meisten ins Meer und ließ lediglich eine Handvoll starrköpfiger, eigenwilliger Fischer zurück, die in den geschützten Buchten Zuflucht suchten.

Doch gerade die Ursprünglichkeit der Natur machte für Amanda den Reiz aus. Sie war auf der Suche nach einem neuen Ansatzpunkt, nach etwas Reinem, Zeitlosem, das über die Kämpfe und Grausamkeiten der Menschen hinausging – nach einem Gefühl von Ehrfurcht und Inspiration, das sie aus dem Sumpf ihres Lebens hinausheben und ihr helfen könnte, wieder über den Tellerrand zu blicken.

Denn sie wusste, dass sie nicht nach Afrika zurückkehren konnte.

Amanda legte sich gegen den Wind und spürte das Dröhnen des Motors, während sie die leere Landstraße entlangraste. Die Maschine fraß mühelos Kilometer um Kilometer, so dass ihre Gedanken sich erneut Phil zuwenden konnten. Sie hatte ihn fast ein Jahr lang nicht gesehen, seit damals, als sie es geschafft hatten, die Hauptstadt von Nigeria zu erreichen. Genau wie sie war er damals nur noch ein verwahrloster Schatten seiner selbst gewesen, abgemagert vor Hunger und Angst, mit hohlen blauen Augen über dem verfilzten schwarzen Bart. Amanda hatte drei Stunden in der Badewanne des Hotels gelegen, um sich den Schmerz und den Schmutz vom Körper zu waschen. Phil hatte das gar nicht erst versucht. Er wollte nur noch nach Hause.

Sein Zuhause, das war im Augenblick Grand Falls, Neufundland, wo Sheri vor ihrem Studium gelebt hatte und wo sie und ihr gemeinsamer Sohn auf ihn warteten. Tyler war in glücklicheren Zeiten geboren, als sie alle drei für das Kinderhilfswerk in Kambodscha arbeiteten. Sheri hatte sich klugerweise geweigert, ihrem Kind die instabilen Verhältnisse in Westafrika zuzumuten, und war stattdessen nach Hause gefahren, um bis zu Phils Rückkehr bei ihren Eltern zu wohnen.

Nigeria war eigentlich nur als kurzer Job gedacht; höchstens vier Monate sollten sie die Dörfer im Norden dabei unterstützen, den Zustrom von Flüchtlingen zu bewältigen, die sich vor Boko Haram in Sicherheit bringen wollten. Doch dann eskalierte die Gewalt, ihre Ablösung traf nie ein, die Entsendung verlängerte sich auf neun Monate. Trotz Sheris wiederholten Beschwörungen, nach Hause zu kommen, war Phil mit Amanda dortgeblieben. Das notdürftig errichtete Flüchtlingslager in Nordnigeria erschien ihm eindeutig realer und unterstützungsbedürftiger als die gemütliche kanadische Kleinstadt, die er kaum kannte.

Seit seiner Heimkehr hatte er Amanda unregelmäßig E-Mails geschickt – knappe Zwei- oder Dreizeiler über seinen letzten Aushilfsjob oder die Reparaturen an dem kleinen Haus, das sie von Sheris Lehrergehalt gekauft hatten. Seine bewusst optimistischen Nachrichten berührten flüchtig die Oberfläche seines Alltags und überspielten mit ihrer Heiterkeit seine frustrierende Arbeitssituation, die unausgefüllten Stunden und die noch nicht verheilten Wunden aus Afrika.

In welcher Gemütsverfassung war er eigentlich?, fragte sich Amanda nun, da die nachmittäglichen Schatten länger wurden und die menschenleeren Schwarzfichtenwälder sich schier endlos hinzogen. Phil hatte nie viel über sich gesprochen, er erzählte höchstens mal einen Witz oder eine erfundene Geschichte. Sogar jetzt hatte er die geplante Reise als großes Abenteuer verbrämt und nicht als die heilsame Wallfahrt, um die es, wie sie wusste, im Grunde ging. Nicht nur für sie, sondern für ihn. Ich komme klar, hatte er immer gesagt. Wir Kanadier haben kein Recht, uns zu beklagen. Im Gegensatz zu den Menschen, die unserer Hilfe bedürfen, haben wir eine warme, sichere Heimat, in die wir zurückkehren können.

Aber Wärme und Sicherheit waren nicht von einem äußeren Ort abhängig, sondern von der inneren Einstellung.

Unerwartet tauchte Grand Falls zwischen den menschenleeren Hügelketten im Inland auf. Anders als die chaotisch wuchernden Fischerdörfer, die die felsigen Meeresbuchten wie Seepocken säumten, war Grand Falls als Standort für die Zellstoff- und Papierindustrie erbaut worden: eine planmäßig angelegte, wohlhabende Stadt. Aber laut Phil hatte die Schließung der Papierfabrik nach einhundert Jahren ihre Spuren hinterlassen. Noch suchte man verzweifelt nach einer neuen Bestimmung und einer neuen Quelle für Arbeitsplätze. Er konnte von Glück reden, dass er in den Weihnachtsferien und beim Festival zur Wintersonnenwende bisher immer Gelegenheitsjobs gefunden hatte.

Amanda wusste, dass es Phil nicht ums Geld ging; für die erlebten Schrecken hatten sie beide eine bescheidene Abfindung aus der Vorsorgekasse der Nichtregierungsorganisation erhalten. Phil brauchte einen Grund, um morgens aufzustehen, und ein Ziel, das er verfolgen konnte – möglichst anspruchslos und simpel. Amanda hatte das letzte Jahr dazu genutzt, sich auf Körper und Seele zu konzentrieren – Yoga, Meditation und ein strenges Fitnessprogramm. All das sollte ihr wieder ein Gefühl von Kontrolle vermitteln. Manchmal funktionierte es sogar.

Das Haus von Phil und Sheri, ein kleiner Bungalow in einem älteren Viertel, lag in der Nähe des Exploits River. Die mit Schindeln verkleidete Hauswand war leuchtendgelb gestrichen, lila Astern und weiße Zwergrosen drängten sich bis an den mit Schieferplatten ausgelegten Weg, der zur überdachten Veranda führte, und ergänzten das große handgemalte Willkommensschild an der Haustür. Phils Heim versprühte einen Optimismus, der völlig im Widerspruch zu den ausgetretenen Treppenstufen und der abblätternden Farbe der Fassade stand. Genau wie Phil machte es das Beste aus mageren Zeiten.

Dankbar knatterte Amanda auf den Kiesweg, der seitlich am Haus entlangführte. Dort parkte ein weißer Chevrolet Cavalier. Die Haustür flog auf, während sie noch mit steifen Gliedern vom Motorrad stieg. Im Eingang erschien Sheri, die Lippen zu einem schmalen roten Strich zusammengekniffen.

»Irgendwas Neues?«, fragte sie, bevor Amanda auch nur Hallo sagen konnte, und machte damit jegliche Hoffnung zunichte. Amanda musterte Sheri unauffällig. Sie waren beide nie sonderlich modebewusst gewesen; dort, wo sie früher arbeiteten, ging es eher um Zweckmäßigkeit und Verfügbarkeit von Kleidung als um den Stil. Doch die Frau, die jetzt vor ihr stand, hatte sich offensichtlich aufgemöbelt. Die überschüssigen Pfunde nach der Schwangerschaft waren verschwunden, ihr kurvenreicher Körper steckte in enganliegenden Jeans und einem roten Longpullover. Das ehemals lange braune Haar trug sie modisch auf Schulterlänge geschnitten und mit rötlichen Strähnen. An ihren Ohren schaukelten übergroße goldene Reifen im Sonnenlicht.

Amanda riss sich den Helm vom Kopf, fuhr vergeblich mit der Hand durch die staubigen, zerzausten Haare und spürte die Strapazen der gerade überstandenen stundenlangen, schweißtreibenden Fahrt inmitten einer Abgaswolke. Sie schüttelte den Kopf.

»Phil, dieser Mistkerl!«, rief Sheri. »Was zum Teufel hat er überhaupt vor?«

»Vielleicht ist ja alles nur ein Missverständnis. Der Handyempfang hier bei euch ist auch nicht gerade zuverlässig.«

Sheri wollte etwas erwidern, unterließ es jedoch. Sie hielt eine Hand über die Augen und blinzelte in die Sonne. Ihr unruhiger Blick huschte die Straße entlang, bevor er an Amandas Motorrad hängenblieb, wo Kaylee eifrig ihre Schnauze in den Maschendraht der Anhängertür bohrte. Zum ersten Mal erhellte ein Lächeln Sheris angespannte Züge.

»Was in Gottes Namen ist denn das?«

»Meine Hündin.«

»Ach, um Himmels …« Geschmeidig wie eine Katze sprang Sheri von der Veranda und lief mit großen Schritten hin, um sie zu befreien. »Wie siehst du denn aus!«

Kaylee sprang heraus und begrüßte sie wie eine lange verschollene Freundin. »Ein Hund im Anhänger. Das hat es noch nicht gegeben, nicht mal bei dir, Amanda Doucette«, sagte sie und musste gegen ihren Willen lachen. »Ach, dann kommt mal rein, ich setze Wasser auf. Tee?« Auf der Treppe hielt sie inne. »Oder lieber was Stärkeres?«

»Was Stärkeres wäre himmlisch!« Amandas ganzer Körper schmerzte. Sie griff in ihre Packtasche. »Ich hab Wein mitgebracht.«

Das Innere des Hauses war klein und mit einfachen, offensichtlich gebrauchten Möbeln eingerichtet, doch die Vorhänge und Kissenbezüge waren aus den billigen, farbenfroh bedruckten Stoffen genäht, die man überall auf den Straßenmärkten in Asien und Afrika kaufen konnte. Die Nachmittagssonne, die durchs Erkerfenster schien, ließ die Rot- und Goldtöne feurig aufleuchten. Amanda folgte Sheri in die Küche und füllte Kaylees Trinknapf, während Sheri den Wein öffnete.

»Danke für den guten Tropfen«, sagte sie. »Bei mir im Kühlschrank steht nur noch eine halbvolle Flasche Blaubeerwein. Ich habe nie viel Alkohol im Haus, weil Phil …« Sie unterbrach sich, wandte sich rasch ab und holte Gläser.

Amanda ließ sich ihre Überraschung nicht anmerken. Phil hatte nie viel getrunken, obwohl es in den Kreisen der Entwicklungshelfer keineswegs an Gelegenheiten mangelte. Sie sank in einen Schaukelstuhl im Wohnzimmer und nahm dankbar einen Schluck Wein. Sheri trat ans Fenster und starrte hinaus. Zum tausendsten Mal, vermutete Amanda.

Sie sprach das Thema behutsam an. »Was macht Phil denn so, Sheri?«

Sheri fuhr herum. »Ich dachte, er wollte mit dir zelten fahren.«

»Ja, wollte er. Und mir die Wale und Eisberge zeigen. Er war sehr stolz auf eure Insel. Seine zweite Heimat.«

Sheri atmete laut hörbar aus. Abschätzig und ungeduldig. »Wohin wollt ihr beide denn fahren?«

»Das ist es ja. Er hat Informationen gesammelt, hat die spektakulärsten Orte rausgesucht und die offenen Zeltplätze, zu denen ich den Hund mitnehmen kann. Er hat mir nur noch nicht gesagt, wo wir uns treffen.«

Sheri kniff die Augen zusammen, und Amanda konnte beinahe zusehen, wie sie ihre Gedanken zu lesen versuchte. »Wale und Eisberge. Davon gibt es in Neufundland jede Menge. Das könnte überall sein, von der Halbinsel Avalon bei St. John’s bis Gros Morne an der Westküste. Sogar Twillingate in der Notre-Dame-Bucht oben im Norden« – sie deutete in die Richtung –, »das liegt am nächsten.«

»Ich glaube, er wollte in die Wildnis. Auf keinen Fall an einen Touristenort.«

»Dann entfällt Avalon. Aber die meiste Zeit des Jahres ist die weitläufige Halbinsel menschenleer. Zahllose Felsen und Strände, man braucht nur zu wählen.«

Amanda trank noch einen kleinen Schluck Wein, der ihr nach der langen Fahrt bereits zu Kopf stieg. Sheri, fiel ihr auf, hatte ihr Glas schon fast geleert. »Hat er Andeutungen gemacht? Orte genannt, die er unbedingt sehen wollte?«

Statt einer Antwort wandte sich Sheri vom Fenster ab. »Du musst hungrig sein nach der Reise. Ich habe noch ein paar Kekse im Schrank.«

Amanda folgte ihr in die Küche. »Hat er denn überhaupt nicht über den Ausflug gesprochen?«

Sheris Rücken wirkte verkrampft, während sie die Regale durchstöberte. »Nein, hat er nicht. Das ging nur ihn und dich etwas an. Er wusste, dass ich nicht gerade begeistert war, und sagte nur, er müsste das tun. Du und er, ihr müsstet das tun.«

Wieder war Amanda sehr überrascht. »Tut mir leid, ich dachte … Mir hat er gesagt, das Ganze sei deine Idee gewesen.«

»Ach, tatsächlich?«

Amanda suchte nach einem Ausweg aus der peinlichen Lage. »Er hat es für mich getan, Sheri. Er wollte mir helfen, die schreckliche Zeit in Nigeria zu überwinden. Er dachte, deine Insel – seine Insel – könnte mir neuen Auftrieb geben. Das ist alles. Ich würde niemals …«

Sheri gab ein gekünsteltes Stöhnen von sich. »Seit wann hast du dabei Hilfe nötig?«

»Zu Hause bin ich einfach nicht weitergekommen. Ich kann nicht in mein früheres Leben zurück und an vorderster Front stehen, weiß aber auch nicht, was ich stattdessen tun soll.«

»Und da dachtest du, ein paar Wale und Eisberge mit meinem Mann würden das für dich regeln?«

Da waren sie endlich. Zwischen sie hingeworfen wie ein Sack voll stinkendem Abfall. Vorwürfe und Verbitterung. Die unausgesprochene Eifersucht. Amanda wollte sagen: Phil und ich waren schon viele Jahre befreundet, schon seit dem Aufbaustudium, und wir haben eine Menge zusammen durchgemacht, aber er hat sich für dich entschieden, weißt du noch? Ohne den kleinsten Vorbehalt oder Zweifel. Aber das würde nicht genügen.

Sheri hatte fast die ganze Schachtel Gebäck auf einen Teller gestapelt, bevor Amanda sie mit einer Handbewegung stoppte. »Sheri, Phil liebt dich. Hat dich immer geliebt. Du warst sein Halt während dieser entsetzlichen Zeit. Aber Nigeria war nicht wie andere Auslandseinsätze. Man kann das nicht einfach so hinter sich lassen. Ich suchte einen Weg, um alles zu verarbeiten, und Phil ging es genauso.«

Sheri brachte ein kurzes Nicken zustande, starrte auf den Teller mit Keksen und stieß schließlich einen tiefen Seufzer aus. Dann brachen die Worte aus ihr heraus, als hätten sie sich monatelang in ihr aufgestaut. »Ja, verdammt noch mal. Das ist mir klar. Ich habe mich das ganze letzte Jahr über bemüht, geduldig zu sein. Eine stabile, glückliche Familie aufrechtzuerhalten, Tyler und auch Phil zuliebe. Aber er hat diese verfluchte unüberwindliche Mauer aufgebaut und mich ausgeschlossen. Es ist alles in Butter, sagte er, ich brauche nur ein bisschen Zeit, ein bisschen Abstand. Nörgle nicht an mir herum. Gottverdammt! Ich bin keine unselbständige Ehefrau, das weißt du, Amanda. Er sagte, dass ich ihn nicht verstehe, aber ich verstand ihn nur zu gut. Ich habe schließlich nicht mein ganzes Leben auf dieser wohlbehüteten kleinen Insel verbracht. Wir haben uns im Senegal kennengelernt, während unserer Arbeit mit Aids-Waisen, Himmelherrgott!«

»Nigeria war anders.«

»Das wusste er von Anfang an! Er hat sich entschieden, dorthin zu gehen, obwohl ich dagegen war. Er hat sich entschieden …«

»Die Helfer haben sich scharenweise von dort zurückgezogen. Er wusste, dass er gebraucht wurde.«

»Brauchten Tyler und ich ihn etwa nicht? Und jetzt zahlen wir den Preis dafür!«

Nicht so wie die entführten Schuljungen, dachte Amanda. Die Wut brodelte in letzter Zeit immer ganz nah unter der Oberfläche, und jetzt spürte sie, wie sie in ihr aufwallte und ihre schwache, brüchige Selbstkontrolle zu überwältigen drohte. Sie unterdrückte sie. »Ich weiß. Auch Phil zahlt dafür«, war alles, was sie sagte.

Sheri packte den Teller und stakste steif zurück ins Wohnzimmer. »Was glaubst du, warum ich mich so bemüht habe? Ich weiß, dass er ein guter Kerl ist. Sein einziger Fehler ist sein übertriebenes Mitgefühl. Wenn Menschen leiden, kann er sich einfach nicht abgrenzen.« Zu Amandas Erstaunen schossen ihr Tränen in die Augen. Sheri war lebenserfahren und belastbar und fing nur selten an zu weinen.

Amanda wurde weicher. »Also, was ist passiert, Sheri? Worum geht es hier wirklich?«

An Sheris Wimpern hingen Tränen. Sie antwortete lange nicht. Atmete einmal tief durch. Zweimal. »Ich habe ihn betrogen«, flüsterte sie.

Amanda sagte nichts. Wartete.

»Ich wollte das nicht. Ich brauchte … einen Freund. Am Anfang wollte ich ihn eigentlich Tyler zuliebe. Diesen Freund. Er war Tylers Hockeytrainer und hat ihn unter seine Fittiche genommen, während Phil im Ausland war. Irgendwann gingen wir nach dem Spiel zusammen Pizza essen, dann hat er ein paar Sachen hier im Haus repariert. Letztes Jahr, in diesem schrecklichen Winter, hat er den Schnee weggeschaufelt.« Sheri verstummte. Mit zitternden Fingern hob sie ihr Weinglas an die Lippen und trank es in einem Zug leer. Wieder mäßigte Amanda die Wut, die in ihr aufstieg.

»Es ist nichts passiert. Ich meine, damals. Als Phil nach Hause kam, zog der Mann sich zurück. Aber Tyler … Phil war stundenlang irgendwo draußen, ging angeln, fuhr mit seinem Geländefahrrad herum, keine Ahnung, was er trieb.«

»Du brauchst mir das nicht alles erzählen, Sheri. Ich verstehe schon.«

Sheri musste den Unterton in ihrer Stimme gehört haben, denn sie warf ihr einen Blick zu und wurde rot. »Nein, du verstehst gar nichts! Ich wollte nicht, dass es passiert! Ich weiß, das klingt wie eine Floskel, aber ich liebe Phil. Er ist Tylers Vater. Tyler braucht ihn, nicht irgendeinen Hockeytrainer! Aber der Phil, der zurückgekehrt war, war ein Fremder. Er hat uns beide von sich weggestoßen. Tyler hat nicht verstanden, warum mein Freund nichts mehr mit ihm unternahm und warum sein Vater ihn ignorierte. Dieser gleichgültige, grüblerische Mr. Unzuverlässig hat meinem Sohn wehgetan.«

Tu nicht so, als hättest du das für Tyler gemacht, wollte Amanda sagen, doch sie hielt den Mund. »Die Arbeit als Entwicklungshelfer ist ein Härtetest für jede Beziehung«, rang sie sich unter Aufbietung ihrer äußersten Selbstkontrolle ab.

»Du kannst dir nicht vorstellen, wie hilflos ich mich fühlte«, sagte Sheri. Dann hielt sie inne, schien über ihre Worte nachzudenken und errötete. »Entschuldige bitte, vermutlich kannst du das.«

»Ja.«

»Ich weiß, dass meine Probleme im Vergleich zu Phils und deinen banal erscheinen. Das sind sie auch! Aber … aber …« Völlig ratlos hob sie beide Hände.

»Okay, also was ist passiert? Du fängst an, dich mit dem Kerl zu treffen, und Phil hat es herausgefunden?«

Sheri schob das Kinn vor. Sie war immer eine Kämpferin gewesen und hasste es, in die Enge getrieben zu werden. Amanda provozierte sie zum Widerspruch. »Nein. Letztendlich habe ich begriffen, dass ich Phil nicht helfen konnte, wenn er mich nicht ließ, aber ich konnte meinem Sohn helfen. Also sagte ich Phil, dass ich ihn verlasse.«

»Wann?«

»Vor einer Woche. Ich sagte ihm, ich hätte jemanden kennengelernt. Ich dachte, das würde ihn vielleicht aufrütteln. Er wollte wissen, wen, aber das habe ich nicht verraten.«

»Und wie hat er …?« Den Rest des Satzes ließ Amanda unausgesprochen im Raum stehen, sie war zu aufgebracht, um weiterzureden. Vor ihr tauchte ein Bild auf: Phil in Nigeria, auf der Flucht und am Ende seiner Kräfte.

»Er verschwand für vier Tage irgendwo dort draußen, und als er zurückkam, sagte er, ich hätte recht. Er habe sich verhalten wie ein Mistkerl und sei froh, dass ich jemanden gefunden hätte, der mich besser behandelte. Doch er wolle Tyler nach wie vor ein guter Vater sein und hoffe deshalb, der Vater-Sohn-Ausflug sei noch aktuell.«

Amanda spürte einen Anflug von Angst. Von Tyler war nie die Rede gewesen. Sie und Phil ahnten, welche Dämonen auf ihrer Reise ans Licht kommen mochten, welche unkontrollierbaren Wutanfälle und Weinkrämpfe, welche heilsamen Herausforderungen Wind, Klippen und Meer für sie bereithielten. Dieses Abenteuer war nichts für ein Kind.

Doch jetzt hatte Phil sie links liegenlassen und war mit seinem Sohn abgehauen, nachdem er Sheri einen Haufen Lügen aufgetischt hatte über Verzeihung, Verständnis und väterliche Sorge. Amanda kannte Phil. Er hatte Sheri immer geliebt, und während der finstersten Zeit in Nigeria hatte er sich an die Erinnerung an sie geklammert wie ein Ertrinkender. Danach ignorierte er die Empfehlungen der Berater und die Einsatznachbesprechung und wollte nur noch so schnell wie möglich nach Hause, zu ihr.

Fünf Tage, um das alles zu verarbeiten, um seine Wut und Verzweiflung in den Griff zu kriegen und einen Zustand versöhnlicher Gelassenheit zu erreichen?

Ausgeschlossen.

Instinktiv schnipste sie mit den Fingern und rief ihre Hündin zu sich, um ihr weiches warmes Fell zu kraulen. Kaylee spürte ihre Verwirrung und beschnüffelte und leckte ihre Hand. Amanda atmete tief durch, distanzierte sich von ihrer Angst und besann sich auf ihren gesunden Menschenverstand.

»Was hat er an Ausrüstung eingepackt?«

»Campingsachen – Zelt, Schlafsäcke, Kochgeschirr, Schwimmwesten.«

»Ein Boot? Kajaks?«

Sheri schüttelte den Kopf. »Die sind noch hinten im Hof. Er sagte, ihr würdet mieten, was ihr braucht.«

»Navigationsausrüstung? Satellitentelefon, Personen-Ortungsbaken, GPS?«

»Du kennst doch Phil. Er mag es lieber altmodisch.«

»Hat er wenigstens sein Handy dabei? Ich habe ihm mehrere SMS geschickt, aber keine Antwort erhalten.«

Sheri zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er es bei sich, aber ausgeschaltet. Das macht er immer, wenn er mit niemandem sprechen will.«

Amanda zog ihr Mobiltelefon heraus. »Wir sollten mal hier im Haus suchen. Falls es an ist, hören wir das Klingeln. Eventuell finden wir noch andere Hinweise.« Sie gab Phils Nummer ein und lauschte auf ein Signal, während sie durch Küche und Essbereich in das kleine Arbeitszimmer ging. Das Haus wirkte gepflegt und war mit zahlreichen Kunstgegenständen dekoriert, die sie auf ihren Reisen gesammelt hatten, aber nirgendwo lagen Landkarten oder Reiseführer herum, die irgendwelche Anhaltspunkte boten. Als Phils fröhliche Mailbox-Ansage ansprang, wählte Amanda erneut.

»Stört es dich, wenn ich oben im Schlafzimmer nachsehe? Es klingelt, ist also eingeschaltet. Möglicherweise hat er es liegenlassen.«

Sheri machte eine zustimmende Handbewegung. »Nach deinem Anruf heute Morgen habe ich hier alles auf den Kopf gestellt, aber bitteschön. Phil schläft im Gästezimmer, seit er aus Nigeria zurück ist. Er hat Schlafprobleme, wacht häufig auf und liest dann oder schaut Fernsehen. Angeblich will er mich nicht stören.«

Amanda nickte. Die endlosen Nächte waren immer am schlimmsten, dann füllte der unruhige Geist die Dunkelheit mit Feuerbildern, Schreien und permanenten, jämmerlichen Selbstzweifeln. Sie stieg die Treppe hinauf und lauschte auf ein Telefonsignal. Kaylee lief vor ihr her, wie Amanda es ihr beigebracht hatte – eine beruhigende Vergewisserung, dass von vorn keine Gefahr drohte. In Phils kleinem Zimmer herrschte Chaos: Das Bett war zerwühlt, Schubladen standen offen, Kleidungsstücke lagen überall verstreut. Auf Phils Schreibtisch stapelten sich Papiere, sein Laptop war geöffnet.

Sheri trat hinter sie. »Ich hab’s probiert«, sagte sie. »Aber er muss sein Passwort geändert haben. Früher hieß es einfach nur ›Passwort‹.«

Beide Frauen mussten spontan grinsen. Das sah Phil ähnlich: immer ungeduldig und unbekümmert.

»Darf ich ihn mitnehmen?«, fragte Amanda. »Ich versuche später, es herauszufinden.«

Sheri stimmte achselzuckend zu, Amanda schloss den Laptop und klemmte ihn sich unter den Arm. Sie warf einen prüfenden Blick durch das Zimmer, entdeckte jedoch keine verräterischen Karten oder Broschüren, und die einzigen Bücher im Regal waren zerlesene Thriller und Studienunterlagen über Globale Entwicklung.

Ein Handy hörte sie auch nicht klingeln.

Sie gingen wieder die Treppe hinunter. »Lass uns im Schuppen nachsehen.«

Genau wie das Haus wirkte auch der Hof dahinter sauber und gepflegt. Der frisch gemähte Rasen leuchtete sattgrün, die Stauden waren getrimmt und mit Stroh bedeckt. Die Gladiolen trugen dicke Knospen, violette Astern und Kapuzinerkresse wuchsen üppig über die Beete hinaus. Phils Kajaks und sein kleines Fischerboot aus Aluminium lagerten auf Gestellen neben dem Gartenhäuschen.

So unzuverlässig Phil auch mit Menschen umging, die Dinge um sich herum hatte er immer ausgesprochen pfleglich behandelt, so als hätte er zumindest über diesen Bereich die Kontrolle. Amanda öffnete die Tür zum Schuppen. Gartengeräte und Fahrräder lehnten an den Wänden, Vorräte und allerlei Werkzeug füllten die Regale. Von den Balken über ihr hingen Hockey- und Ski-Ausrüstungen und warteten auf den Winter. In einer Ecke sah sie einen Rasenmäher und eine Schneefräse, in einer anderen einen Stapel Winterreifen.

Durchweg typische Gerätschaften eines Mittelklasse-Hausbesitzers. Ihr fiel nichts Ungewöhnliches auf. Phil besaß einen ganzen Schrank voll Angelzubehör, aber weder Gewehre noch eine Jagdausrüstung. Er war im ländlichen Manitoba aufgewachsen, seine Familie ging traditionsgemäß jedes Jahr auf Enten- und Rotwildjagd, doch seit er in Übersee zum ersten Mal gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Stämmen erlebt hatte, lehnte er jede Art von Waffen ab.

Aber das war vor Nigeria.

Amanda wandte sich an Sheri, die seine Angelruten-Sammlung überprüfte. »Hat Phil eine Pistole?«

Sheri schüttelte den Kopf. »Er hasst Waffen heute noch mehr als früher. Mein … mein Freund wollte Tyler letzten Herbst zur Elchjagd mitnehmen – das ist in Neufundland fast so etwas wie ein Initiationsritus –, aber Phil regte sich furchtbar auf.« Sie unterbrach sich und befühlte die langen schlanken Ruten. »Er hat zwei seiner Lachsangeln mitgenommen und seine Watstiefel und -hosen. Das hilft uns nicht wirklich weiter, denn Lachsgewässer gibt es überall.«

»Es ist trotzdem gut«, erwiderte Amanda. »Es zeigt, dass er sich immerhin noch an einen Plan hält.«

Amandas Handy hatte erneut Phils Mailbox erreicht, sie wählte ein drittes Mal seine Nummer. Aus der entferntesten Ecke des Schuppens drang der gedämpfte Klang eines Trompetensignals. Beide Frauen eilten zu einem Stapel von Gerätschaften neben dem Angelschrank. Sie schleuderten eine Abdeckplane beiseite, förderten einen Sack Kunstdünger zutage und begannen den Reifenstapel wegzuschieben. Die Trompetentöne wurde lauter. Schließlich fand Amanda das Telefon, halb versteckt unter den Reifen.

Das Display war übervoll mit Anzeigen, die meisten kündigten SMS und Mailbox-Nachrichten von Sheri und Amanda an, keine davon war geöffnet, geschweige denn beantwortet worden.

Sheri reckte den Hals über Amandas Schulter, um besser sehen zu können. Beim Anblick der ungelesenen Mitteilungen fluchte sie.

»Na toll! Also hat er nicht mal ein Telefon dabei!«

Amanda hockte noch immer in der Ecke und sah sich im Schuppen um. Wie war das Handy eigentlich unter dem Reifenstapel gelandet? Man musste eine Plane, einen Sack Dünger und vier schwere Reifen bewegen, um es dort zu verstecken. Das ergab keinen Sinn. Hätte Phil das Telefon beim Zusammenstellen der Angelausrüstung einfach abgelegt oder wäre es ihm aus der Tasche gefallen, hätten sie es, gut sichtbar, auf der Abdeckplane gefunden und nicht darunter.

Hatte er es absichtlich versteckt? Aber warum sollte er sich so viel Mühe machen? Wenn er das Handy loswerden wollte, damit niemand ihn erreichen oder aufspüren konnte, warum hatte er es dann nicht unterwegs in einen Müllcontainer geworfen?

Amanda versuchte, Phils komplizierten Gedankengang nachzuvollziehen. Er hatte sich seines Telefons entledigt, aber statt es wegzuschmeißen, ließ er es unmittelbar in Hörweite des Hauses zurück. Hatte er das mit Bedacht getan? Hatte er gewusst, dass man es mit ein wenig Einfallsreichtum und Detektivarbeit entdecken würde? Rechnete er vielleicht sogar damit? Rechnete er mit der Verwirrung und Besorgnis, die diese Entdeckung auslösen würde?

Amandas Finger fühlten sich plötzlich ganz kraftlos an. Wollte er, dass Sheri es fand und begriff, dass er sich entschieden hatte, sämtliche Brücken hinter sich abzubrechen? Wollte er ihr mitteilen, dass sie ihn nicht mehr erreichen konnte? Und nicht mehr retten?

Die ultimative Rache.

Amanda erhob sich abrupt und stieß beim Umdrehen mit Sheri zusammen. »Ich denke, du solltest die Polizei verständigen.«

3. Kapitel

Zu Amandas Überraschung zuckte Sheri zurück. Dann beugte sie sich vor und beäugte den Fundort des Handys genauer. »Vielleicht ist es ihm runtergefallen und dorthin gerutscht.«

»Dann hätte er danach gesucht.«

»Vielleicht fiel es ihm aus der Hosentasche, als er sein Angelzeug holte, und er hat es erst nach der Abreise bemerkt. Typisch Phil. Mr. Unzuverlässig, du weißt doch?«

»Aber er hat bestimmt eine Checkliste. Sein jahrelanges Training …«

Sheri biss die Zähne zusammen und wandte sich zum Gehen. »Er wäre stinksauer, wenn ich seinetwegen die Polizei riefe. Selbst wenn er das Telefon absichtlich hiergelassen hat, na und? Er braucht einfach Abstand und Zeit für sich. Wir leben in einer Kleinstadt, die Leute haben spitze Zungen und ein gutes Gedächtnis. Es fällt ihm schon schwer genug, sich anzupassen, auch ohne dass jeder gleich über ihn Bescheid weiß. Er wird zurückkommen, sobald er wieder zu sich selbst gefunden hat.«

Amanda zögerte. Sie wollte Sheri keine Angst einjagen, indem sie voreilig Alarm schlug, doch dass sie die unangenehmeren Möglichkeiten nicht wahrhaben wollte, irritierte sie. »Ich bin da nicht so sicher. Er läuft schon lange ziemlich hart an der Kante, ich glaube nicht, dass er noch klar denken kann. Gott weiß, was er tut, wenn die Verzweiflung überhandnimmt.«

Sie gingen über den Rasen zurück zum Haus, als Sheri sich umdrehte und Amanda direkt ins Gesicht schaute. »Er würde Tyler niemals weh tun.«

Trotz ihrer Worte sah Amanda die Unsicherheit in ihren Augen. Sie antwortete nicht. Verzweifelte Menschen haben ihren Kindern schon immer weh getan – manchmal aus den Tiefen einer Depression heraus, die so finster ist, dass sie glauben, ihre Kinder vor einer hoffnungslosen Welt retten zu müssen, manchmal aus dem rachsüchtigen Wunsch heraus, ihren Partner zu verletzen, indem sie ihm das Liebste wegnehmen. »Was, wenn er sich selber weh tut? Hat er je darüber gesprochen, Schluss zu machen?«

Sheri zog hörbar die Luft ein. Sie stiefelte ins Haus und überprüfte einmal mehr Telefon und Straße. Ihr Kiefer arbeitete. »Es gab eine Zeit, letzten Winter, da bat er mich, alle Äxte und Messer zu verstecken. Ich wusste nicht genau, ob er mich schützen wollte oder sich selbst.«

»Hat er sich Hilfe gesucht?«

»Um Hilfe bitten? Phil? Davon abgesehen, welche Art von Hilfe kann man hier in Grand Falls schon bekommen? Fallen hier Traumatherapeuten vom Himmel oder was?«

Amanda trat neben sie und legte ihr sanft eine Hand auf den Arm. »Ich weiß, es ist beängstigend, aber wir müssen es in Betracht ziehen. Vielleicht geht es ja genau darum. Er sagte, er verzeihe dir, und versteckte sein Handy so, dass du es früher oder später finden würdest, allerdings erst, wenn er schon zu weit weg und nicht mehr aufzuhalten wäre. Ich wette, wenn wir es durchsuchen oder das Passwort für seinen Laptop entschlüsseln, finden wir eine Nachricht.«

Sheris Kinn zitterte. Sie riss Amanda das Mobiltelefon aus der Hand und wollte die Links anklicken. Wieder scheiterte sie am Passwort und schüttelte frustriert den Kopf. »Gottverdammtes Nigeria! Dort ist er so paranoid geworden! Nigeria hat einen wunderbaren, fürsorglichen, vertrauensvollen Mann verschlungen und mir ein Wrack zurückgeschickt. Aber Phil ist stark. Er ist ein Kämpfer. Selbst wenn er hart an der Kante ist, wird er Tyler nicht im Stich lassen. Er hat zu viele Kinder leiden sehen …«

»Aber würde er dich im Stich lassen?«

Sheri zuckte zusammen.

»Bitte ruf die Polizei, Sheri.«

Sie wich ihrem Blick aus und ging hinüber zum Fenster, als brauche sie Abstand zwischen sich und Amandas Drängen. »Ich muss nachdenken. Lass mich seine Familie anrufen und fragen, ob sie etwas von ihm gehört haben. Vielleicht hatte er das Bedürfnis, nach Hause zu fahren. Wir können noch vielen Möglichkeiten nachgehen, bevor wir Alarm schlagen.«

Es kostete Amanda Mühe, sich zurückzuhalten. Jede Faser ihres Körpers schrie Gefahr, doch vielleicht reagierte sie übertrieben. Sie konnte sich nicht mehr auf ihr eigenes Alarmsystem verlassen; es hatte einmal im entscheidenden Moment versagt, und seitdem heulten seine Sirenen schon beim kleinsten Anzeichen von Unheil.

»Okay, gute Idee. Ich gehe mit Kaylee Gassi, bevor sie meutert; wenn ich zurück bin, machen wir Bestandsaufnahme.«

Der Spaziergang durch das beschauliche grüne Wohnviertel wirkte beruhigend und verschaffte Amanda Zeit, ihre Ängste zu besänftigen. Sie war überrascht, dass Sheri nicht längst Kontakt zu Phils Familie in Manitoba aufgenommen hatte, offensichtlich ein naheliegender Schritt für eine besorgte Ehefrau, aber vielleicht waren die Familienbande nicht gerade eng. Wenn man den Großteil seines Erwachsenenlebens in turbulenten fernen Ländern verbringt, kann sich ein beschauliches, wohlhabendes Zuhause wie ein verdammt fremder Ort anfühlen.

Wie immer musste Amanda über Kaylees unbändige Begeisterung für alles Neue, ob Mensch oder Grasfläche, lächeln, und als sie mit dem Hund eine halbe Stunde später um die letzte Ecke bog, fühlte sie sich beinahe entspannt. Sie hoffte, in Sheris Einfahrt würde ein Streifenwagen stehen, doch stattdessen parkte hinter ihrem Motorrad ein staubiger roter Pick-up.

Als sie zum Eingang hinaufstieg, hörte sie von drinnen gedämpftes Gemurmel, das beim Knarren der Haustür augenblicklich verstummte. Sheri setzte Teewasser auf. An der Küchentheke lehnte ein schlanker Mann in Jeans und schwarzem T-Shirt. Sein grauer Igelschnitt und die breiten Schultern verrieten sofort den ehemaligen Polizeiausbilder. Noch bevor Sheri etwas sagen konnte, richtete er sich auf und reichte ihr selbstbewusst die Hand.

»Du musst Amanda sein. Ich bin Jason Maloney von der RCMP1 in Grand Falls.«

Sein Händedruck war herzlich und ermutigend, seine Haut rau und von Wind und Wetter gegerbt wie sein Gesicht. »Das ist ja ’ne hübsche kleine Kawa da draußen.«

Er lächelte neckisch, und Amanda errötete gegen ihren Willen. Bevor sie nach Phil fragen konnte, stürmte Kaylee herein und wuselte um seine langen Beine.

»Hey, alter Junge!« Er bückte sich und kraulte gedankenverloren ihr Fell. Sein Verhalten wirkte zwanglos, fast wie zu Hause. Nicht im Geringsten wie das eines Polizisten, der einer Vermisstenmeldung nachgeht. Amandas sechster Sinn erwachte.

»Er ist eine Sie. Kaylee. Was gibt’s Neues von Phil?«

Maloney richtete sich kerzengerade auf, als wolle er Haltung annehmen.

»Corporal Maloney ist der Meinung, wir sollten die Sache diskret behandeln …«, begann Sheri.

Maloney unterbrach sie. »Inoffiziell. Zunächst einmal. Phil ist mein Freund und macht gerade eine schwere Zeit durch. Es bringt nichts, ihm die Meute auf den Hals zu hetzen.«