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Fußnoten

Vgl. Max Rieger, Klinger in der Reife. Briefbuch, Darmstadt 1896, S. 103, in einem Brief an Nicolovius vom 22. September 1807: »Auf den Titeln setzt man zu sämmtliche Werke: geschrieben von 1774 bis zu 1805. – so lange dauerte Teutschland – u ich habe als Teutscher geschrieben, welche unterstrichene Anmerkung aber nicht zu drucken.«

1. April 1777 (vgl. Nachwort S. 175).

Herausgeber des Theater-Journals war Johann Friedrich Reichardt.

Shakespeares Drama The Tempest.

hinkrokirt: (frz.) schnell entworfen, skizziert.

Die 1776 erschienenen Dramen Klingers.

vim inertiae: (lat.) Trägheit.

Im Dramentext: »Unbehaglichkeit«.

Lessing, Emilia Galotti IV,7.

David Borchers (17441807); vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 3, Leipzig 1876, S. 153 f., und Gallerie von Teutschen Schauspielern und Schauspielerinnen nebst Johann Friedrich Schinks Zusätzen und Berichtigungen, mit Einl. und Anm. hrsg. von Richard Maria Werner, Berlin: Verlag der Gesellschaft für Theatergeschichte, 1910 (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte, Bd. 13), S. 16 f. und Register.

Vgl. die unterschiedliche Redeaufteilung im Dramentext S. 31, z. 13.

Christian Wilhelm Opitz (17561810), vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 24, Leipzig 1887, S. 368, Gallerie von Teutschen Schauspielern und Schauspielerinnen (s. Anm. 10), S. 109 und Register.

Wagner verweist auf einen der geistesgeschichtlichen Ursprünge der Geniezeit, das neubelebte Interesse an Petrarca.

Parthie quarree: (frz.) Lustpartie zweier Pärchen.

Illusion: berichtigt aus ›Jullusion‹.

Heinrich Ferdinand Möller (17451798), Schauspieler und Dramatiker; vgl. Gallerie Teutscher Schauspieler und Schauspielerinnen (s. Anm. 10), S. 98 und Register.

Gustav Friedrich Wilhelm Großmann (17441796), Schauspieler und Dramatiker; ebd., S. 55 und Register.

Karl Hellmuth d. Ä. (1740–[?]); ebd., S. 61 und Register.

Kirchhöfer (Vorname und Lebensdaten unbekannt); ebd., S. 318.

Kirchhöfer (Tochter) (17651795); ebd., S. 77 und Register.

Friederike Sophie Seyler (17381789); vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 11, Leipzig 1880, S. 788 f., und Gallerie Teutscher Schauspieler und Schauspielerinnen (s. Anm. 10), S. 122 f. und Register.

Anna Elisabethe Toskani (Lebensdaten unbekannt); Gallerie Teutscher Schauspieler und Schauspielerinnen (s. Anm. 10), S. 153 und Register.

Fiala (gest. 1822); ebd., S. 48 und Register.

Schulz: unbekannter Ballettmeister.

Diese Stelle über Klinger findet sich an hervorgehobener Stelle in den Physiognomischen Fragmenten, am Schluss des Fragments über die Dichter, im Anschluss an die langen Ausführungen über Goethe. Mit der Bemerkung über Klinger und seinem Porträtstich schließt das Dichterkapitel der Physiognomischen Fragmente. – Lavater datierte den Beschluss des 3. Bandes auf den 1. März 1777 (ebd., S. 356), die Vorrede auf den 7. Oktober 1777. Der Band erschien wohl vor dem Druck des Klinger’schen Stückes; die Bemerkung über Klinger beruht jedenfalls nicht auf einer Kenntnis des Stückes, sondern wohl auf einer brieflichen Mitteilung eines Dritten. – Lavaters Klinger-Urteil, das ja auf der physiognomischen Deutung des in seiner Echtheit zuvor angezweifelten Stiches beruht, war von größter Wirkung für eine weitreichende Propagierung des Dramentitels und bot zugleich in seiner unklaren Logik leichten Anlaß für parodistische oder satirische Verwendung.

Emilia Galotti.

Vgl. hier S. 123f.

Bernard Christoph D’Arien (17541793), Hamburger Dramatiker der Zeit.

Die Übereinstimmung in mehreren Einzelheiten macht es wahrscheinlich, dass Heinrich Leopold Wagner diese Rezension bei seinem Bericht über die Frankfurter Aufführung (vgl. S. 103 ff.) vor Augen hatte.

Die Kritik findet sich in den Neuesten Critischen Nachrichten unter der Sparte »Vermischte Nachrichten«.

Das Zitat bildet den Monolog Wilds, der die zentrale Szene III,7 umfasst. Der Text weicht außer für die Sinnänderung der Wendung »Freunde sind wir wieder worden!« (vgl. hier S. 44, Z. 34) nur in Orthographie und Interpunktion von der Vorlage ab.

Juvenal, Satiren 4.

Zu Albrecht Wittenberg (17281803) vgl. Richard Maria Werner, Ludwig Philipp Hahn. Ein Beitrag zur Geschichte der Sturm- und Drangzeit, Straßburg: Trübner, 1877 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Völker, Bd. 22), S. 125141.

Horaz, Satiren 2,5,41. – Furius bespuckt die winterlichen Alpen mit eisgrauem Schnee. –

Abgedruckt ist aus dieser Sammelbesprechung (S. 126134) nur der auf Klingers Stück bezogene Teil. Dass der Rezensent Sturm und Drang als erstes dieser Stücke behandelt, verweist bereits auf seine Vorzugsstellung; die Kritik der übrigen Stücke ist noch weitaus harscher.

Eine abwegige Vermutung; der Name ist einem Shakespeare-Drama willkürlich entlehnt. – Zu dem Berkeley, der im 17. Jahrhundert Gouverneur von Virginia war, vgl. Dictionary of American Biography, hrsg. von Allen Johnson, Bd. 2, London 1929, S. 217 f.

In der Buchausgabe ist hier anschließend eingeschoben: »Die Herren klappern immer mit ihrer Natur und wissen am Ende nicht, was sie wollen.«

»[…] als ein junger Dichter, Namens Thlaps, auf den Einfall kam, Stücke aufs Theater zu bringen, die weder Komödie noch Tragödie noch Posse, sondern eine Art von lebendigen Abderitischen Familiengemählden wären; wo weder Helden noch Narren, sondern gute ehrliche hausgebackne Abderiten auftreten ihren täglichen Stadt- Markt- Haus- und Familien-Geschäften nachgehen und vor einem löblichen Spectatorio gerade so handeln und sprechen sollten, als ob sie auf der Bühne zu Hause und sonst keine Leute in der Welt wären als sie« (Der Teutsche Merkur, Juli 1778, S. 52).

Verbessert aus »Tragöde«.

Die Formulierung greift Wilds Worte zu Beginn des Dramas (I,1) auf.

In der Vorlage »geschichte«.

Klingers Schauspiel Die Zwillinge.

In so fern nemlich, daß wir sie nicht mehr um uns herum suchen, noch fordern; denn zu ihrem eignen Besten giebts so glücklich organisirte Geister, die trotz aller Erfahrung eine gewisse idealische Erhebung, wenn sie sich so nennen läßt, beybehalten, die ihre Besitzer durchs Leben durch gegen den Druck des Schicksals stählt, und sie in Umständen über das gewöhnliche erhebt. Dies ist freylich eine Art von Poesie, die weder Aristoteles noch Batteux definirt haben. [Anm. Klingers.]

Durch die Hinweise auf die früheren Einzelbesprechungen scheint Eschenburg auch der Verfasser dieser Anzeige zu sein. Vgl. seine Rezension der Erstausgabe von Sturm und Drang, hier S. 145. – Unter derselben Sigle »Bk.« erschien die Anzeige des dritten und vierten Teils der Ausgabe von Klingers Theater in der Allgemeinen deutschen Bibliothek, Anhang zum 53. bis 86. Band, Theil 5 (1791), S. 2524 f.

Klingers Kritik an Eschenburg bezog sich später darauf, dass seine Werke nur an dieser Stelle der Beispielsammlung genannt werden und in dem Abschnitt der deutschen Trauerspieldichter nicht einmal sein Name erwähnt wird.

Klingers Titelliste enthält mehrere fehlerhafte Angaben zu der jeweiligen Entstehungszeit, so auch für Sturm und Drang. Es ist unbekannt, ob diese Abweichungen von Klinger absichtlich eingefügt wurden oder sich durch Druckfehler eingeschlichen haben.

Nach einer Angabe auf S. IX der Vorrede entstand diese Auswahl von neun Stücken vor 1792 und befand sich zwei Jahre in den Händen des Verlegers.

In der Vorlage »Koneaden«.

Johann Wolfgang Goethe, Claudine von Villa Bella (1774/75). – Vgl. die Szenenbemerkung zu Anfang dieses Räuber-Singspiels: »Die Musik kündigt einen Wirrwarr, einen fröhlichen Tumult an, einen Zusammenlauf des Volks zu einem festlichen Pompe.« – Der Held Crugantino drückt das jugendliche Gefühl vor der Welt so aus: »wo habt ihr einen Schauplatz des Lebens für mich? Eure bürgerliche Gesellschaft ist mir unerträglich!«

Hier S. 10, Z. 20–22. Mit dem Hinweis auf ebendiese Worte leitet Brüggemann (1926) seine wertvolle Analyse des Dramas ein.

Rieger (1896), Bd. 1, S. 398 unten.

Wie Kurz (1913) S. 96 f., meint.

So May (1933), S. 407.

Rieger (1896), Bd. 1, S. 404.

»Ne cherchés point, jeune artiste, ce que c’est que le Genie. En as-tu: tu le sens en toi-même. N’en as-tu pas: tu ne le connoitras j’amais.« Rousseau Diction. de Musique. p. 360.

Abgedruckt im Goethe-Jahrbuch 9 (1888) S. 10 f. u. ö.

Sammlung neuer Original-Stücke für das deutsche Theater, 2 Bde., Berlin/Leipzig 1777/78.

Louis-Sébastien Mercier, Neuer Versuch über die Schauspielkunst, Leipzig 1776, S. 485.

Johann Wolfgang Goethe, Werke. Weimarer Ausgabe, 4. Abt.: Goethes Briefe, Bd. 2: Frankfurt, Wetzlar, Schweiz (17711775), Weimar 1887 [reprogr. Nachdr., München 1987], S. 201.

Zit. nach: Briefe an Herder von Lavater, Jacobi, Forster u. a., hrsg. von Heinrich Düntzer, Frankfurt a. M. 1858, S. 76 bzw. 105.

Johann Gottfried Herder, Ausgewählte Werke, hrsg. von Bernhard Suphan, Bd. 4, Berlin 1887, S. 426.

Philipp Dietz, Wörterbuch zu Dr. Martin Luthers deutschen Schriften, 2 Bde., Leipzig 187072.

Zit. nach: Robert Hassenkamp, [Rez.], in: Euphorion 3,2 (1896) S. 527540, hier S. 539 [Rezension zu: Franz Waldmann, Lenz in Briefen, Zürich 1894].

So hob der Almanach für deutsche Musen auf das Jahr 1779, S. 100 f., zu Joseph Marius Babos Das Winterquartier in Amerika, ein Originallustspiel in einem Aufzuge, Berlin 1778, lobend hervor, dass es »keines von denen Stücken ist, die sich durch Anspielung auf jetzige Zeitläufte verkaufen wollen«.

Johann Caspar Lavater, Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe, Bd. 4, Leipizig/Winterthur 1778, S. 96.

Ebd., Bd. 3, Leipzig/Wintherthur 1777, S. 223.

Ebd., Bd. 4, Leipizig/Winterthur 1778, S. 132 f.

Jakob Michael Reinhold Lenz, Gesammelte Schriften, hrsg. von Ludwig Tieck, Berlin 1828, Bd. 1, S. VII.

Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, hrsg. von Karl Vorländer, Leipzig 71980, S. 39  f.

Sturm und Drang (1776)

Ein Schauspiel

[(2)] Personen.

WILD.

LA FEU.

BLASIUS.

LORD BERKLEY.

JENNY CAROLINE, seine Tochter.

LADY KATHARINE, die Tante.

LOUISE, Nichte.

SCHIFFCAPITAIN BOYET.

LORD BUSHY.

EIN JUNGER MOHR.

DER WIRTH.

BETTY.

 

Die Scene Amerika.

[(3)] Erster Akt.

Erste Scene.

(Zimmer im Gasthofe.)

Wild. La Feu. Blasius. (treten auf in Reisekleidern.)

 

WILD. Heyda! nun einmal in Tumult und Lermen, daß die Sinnen herumfahren wie Dach-Fahnen beym Sturm. Das wilde Geräusch hat mir schon so viel Wohlseyn entgegen gebrüllt, daß mir’s würklich ein wenig anfängt besser zu werden. So viel Hundert Meilen gereiset um dich in vergessenden Lermen zu bringen – Tolles Herz! du sollst mirs danken! Ha! tobe und spanne dich dann aus, labe dich im Wirrwar! – Wie ists Euch?

[4] BLASIUS. Geh zum Teufel! Kommt meine Donna nach?

LA FEU. Mach dir Illusion Narr! sollt’ mir nicht fehlen, sie von meinem Nagel in mich zu schlürfen, wie einen Tropfen Wasser. Es lebe die Illusion! – Ey! ey, Zauber meiner Phantasie, wandle in den Rosengärten von Phillis Hand geführt –

WILD. Stärk dich Apoll närrischer Junge!

LA FEU. Es soll mir nicht fehlen, das schwarze verrauchte Haus gegen über, mit sammt dem alten Thurm, in ein Feenschloß zu verwandeln. Zauber, Zauber Phantasie! – (lauschend) Welch lieblich, geistige Symphonien treffen mein Ohr? – – Beym Amor! ich will mich in ein alt Weib verlieben, in einem alten, baufälligen Haus wohnen, meinen zarten Leib in stinkenden Mistlachen baden, bloß um meine Phantasie zu scheren. Ist keine alte Hexe da mit der ich scharmiren könnte? Ihre Runzeln sollen mir zu Wellenlinien der Schönheit werden; ihre herausstehende schwarze Zähne, zu marmornen Säulen an Dianens Tempel; ihre herabhangende lederne Zizzen, Helenens Busen übertreffen. Einen so aufzutrocknen, wie mich! – He meine phantastische Göttin! – Wild, ich kann dir sagen, ich hab mich brav ge[5]halten die Tour her. Hab Dinge gesehen, gefühlt, die kein Mund geschmeckt, keine Nase gerochen, kein Aug’ gesehen, kein Geist erschwungen –

WILD. Besonders wenn ich dir die Augen zuband. Ha! Ha!

LA FEU. Zum Orkus! du Ungestüm! – Aber sag’ mir nun auch einmal, wo sind wir in der würklichen Welt jetzt. In London doch?

WILD. Freylich. Merktest du denn nicht daß wir uns einschiften? Du warst ja Seekrank.

LA FEU. Weiß von allem nichts, bin an allem unschuldig? – Lebt denn mein Vater noch? Schick doch einmal zu ihm Wild, und laß ihm sagen, sein Sohn lebe noch. Käme so eben von den Pyrenäischen Gebürgen aus Frießland. Weiter nichts.

WILD. Aus Frießland? –

LA FEU. In welchem Viertel der Stadt sind wir dann?

WILD. In einem Feenschloß la Feu! Siehst du nicht den goldnen Himmel? die Amors und Amouretten? die Damen und Zwerchen?

LA FEU. Bind mir die Augen zu! (Wild bindet ihm zu) Wild! Esel! Wild! Ochse! nicht zu hart! [6] (Wild bindet ihn los) He! Blasius, lieber bißiger, kranker Blasius, wo sind wir?

BLASIUS. Was weiß ich.

WILD. Um euch auf einmal aus dem Traum zu helfen, so wißt; daß ich euch aus Rußland nach Spanien führte, weil ich glaubte, der König fange mit dem Mogol Krieg an. Wie aber die Spanische Nation träge ist, so wars auch hier. Ich packte euch also wieder auf, und nun seyd ihr mitten im Krieg in Amerika. Ha laßt michs nur recht fühlen auf Amerikanischen Boden zu stehn, wo alles neu, alles bedeutend ist. Ich trat ans Land – O! daß ich keine Freude rein fühlen kann!

LA FEU. Krieg und Mord! o meine Gebeine! o meine Schutzgeister! – So gieb mir doch ein Feenmärchen! o weh mir!

BLASIUS. Daß dich der Donner erschlug, toller Wild! was hast du wieder gemacht? Ist Donna Isabella noch? He! willst du reden! meine Donna!

WILD. Ha! Ha! Ha! du wirst ja einmal ordentlich aufgebracht.

BLASIUS. Aufgebracht? Einmal aufgebracht? Du sollst mirs mit deinem Leben bezahlen, Wild! [7] Was? bin wenigstens ein freyer Mensch. Geht Freundschaft so weit, daß du in deinen Rasereyen einen durch die Welt schleppst wie Kuppelhunde? Uns in die Kutsche zu binden, die Pistole vor die Stirn zu halten, immer fort, klitsch! klatsch! In der Kutsche essen, trinken, uns für Rasende auszugeben. In Krieg und Getümmel von meiner Paßion weg, das einzige was mir übrig blieb –

WILD. Du liebst ja nichts Blasius.

BLASIUS. Nein, ich lieb nichts. Ich habs so weit gebracht, nichts zu lieben, und im Augenblick alles zu lieben, und im Augenblick alles zu vergessen. Ich betrüg alle Weiber, dafür betrügen und betrogen mich alle Weiber. Sie haben mich geschunden und zusammen gedrückt, das Gott erbarm! Ich hab’ alle Figuren angenommen. Dort war ich Stutzer, dort Wildfang, dort tölpisch, dort empfindsam, dort Engelländer, und meine größte Conquette machte ich, da ich nichts war. Das war bey Donna Isabella. Um wieder zurück zu kommen – deine Pistolen sind geladen –

WILD. Du bist ein Narr, Blasius, und verstehst keinen Spaß.

[8] BLASIUS. Schöner Spaß dies! Greif zu! ich bin dein Feind den Augenblick.

WILD. Mit dir mich schießen! Sieh, Blasius! ich wünschte jetzt in der Welt nichts als mich herum zu schlagen, um meinem Herzen einen Lieblings-Schmauß zu geben. Aber mit dir? Ha! Ha! (hält ihm die Pistole vor) Sieh ins Mundloch und sag, ob dirs nicht größer vorkommt als ein Thor in London? Sey gescheid Freund! Ich brauch und lieb euch, und ihr mich vielleicht auch. Der Teufel konnte keine größre Narren und Unglücks-Vögel zusammen führen, als uns. Deßwegen müssen wir zusammen bleiben, und auch des Spaßes halben. Unser Unglück kommt aus unserer eigenen Stimmung des Herzens, die Welt hat dabey gethan, aber weniger als wir.

BLASIUS. Toller Kerl! ich bin ja ewig am Bratspieß.

LA FEU. Mich haben sie lebendig geschunden, und mit Pfeffer eingepökelt. – Die Hunde!

WILD. Wir sind nun mitten im Krieg hier, die einzige Glückseligkeit die ich kenne, im Krieg zu seyn. Genießt der Scenen, thut was ihr wollt.

LA FEU. Ich bin nicht fürn Krieg.

BLASIUS. Ich bin für nichts.

[9] WILD. Gott mach’ Euch noch matter! – Es ist mir wieder so taub vorm Sinn. So gar dumpf. Ich will mich über eine Trommel spannen lassen, um eine neue Ausdehnung zu kriegen. Mir ist so weh wieder. O könnte ich in dem Raum dieser Pistole existiren, bis mich eine Hand in die Luft knallte. O Unbestimmtheit! wie weit, wie schief führst du den Menschen!

BLASIUS. Was solls aber hier am Ende noch werden?

WILD. Daß Ihr nichts seht! Um aus der gräßlichen Unbehaglichkeit und Unbestimmtheit zu kommen, mußt’ ich fliehen. Ich meinte die Erde wankte unter mir, so ungewiß waren meine Tritte. Alle gute Menschen, die sich für mich intereßirten, hab ich durch meine Gegenwart geplagt, weil sie mir nicht helfen konnten. –

BLASIUS. Sag lieber nicht wollten.

WILD. Ja, sie wollten. Ich mußte überall die Flucht ergreiffen. Bin alles gewesen. Ward Handlanger um was zu seyn. Lebte auf den Alpen, weidete die Ziegen, lag Tag und Nacht unter dem unendlichen Gewölbe des Himmels, von den Winden gekühlt und von innern Feuer gebrannt. Nirgends Ruh, nirgends Rast. Die [10] Edelsten aus Engelland irren verlohren in der Welt. Ach! und ich finde die Herrliche nicht, die einzige, die da steht. – Seht, so strotze ich voll Kraft und Gesundheit, und kann mich nicht aufreiben. Ich will die Kampagne hier mit machen, als Volontair, da kann sich meine Seele ausrecken, und thun sie mir den Dienst, und schießen mich nieder; gut dann! Ihr nehmet meine Baarschaft, und zieht.

BLASIUS. Hohl mich der Teufel! Dich soll keiner todt schießen, edler Wild.

LA FEU. Sie könntens doch thun.

WILD. Können Sie’s besser mit mir meynen? – Stellt Euch vor, als wir uns einschifften, sah ich in der Ferne den Schiffscapitain auf seinem Schiff.

BLASIUS. Der die feindliche Antipathie auf Dich hat. Ich meyn Du hätt’st ihn in Holland todt geschossen.

WILD. Dreymal schon mit ihm auf Leben und Tod gestanden, und noch läßt er mir keine Ruhe, und nie beleidigte ich den Menschen. Ich gab ihm eine Kugel, und er mir einen Stoß. Es ist grausam wie er mich haßt ohne Ursach. Und ich muß gestehen, ich lieb’ ihn. Es ist ein braver, rauher Mann. Weiß der Himmel, was er mit uns vor hat. Laßt mich eine Stunde allein!

[11] DER WIRTH. Die Zimmer sind bereit Mylords. Sonst was gefällig?

WILD. Wo sind meine Leute?

WIRTH. Haben gessen und schlafen.

WILD. Sie lassen sich wohl seyn.

WIRTH. Und Sie befehlen nichts?

WILD. Den stärksten Punsch, Herr Wirth.

LA FEU. Der fehlt dir noch, Wild.

WILD. Ist der General hier?

WIRTH. Ja, Mylord!

WILD. Was für Fremde sind im Hause? Doch ich mags nicht wissen. (Geht ab.)

BLASIUS. Mich schläfert.

LA FEU. Mich hungert.

BLASIUS. Mach dir Illusion, Narr! – Alle Welt Teufel von meiner Donna weg! (Alle gehen ab.)

Zweyte Scene.

(Lord Berkleys Zimmer.)

Lord Berkley. Miß Caroline.

 

CAROLINE. (Auf einem Clavier in süßer melancholischer Schwermuth phantasirend.)

BERKLEY. (Ein Kartenhaus auf kindische phantastische Art bauend.) So ganz zum Kind zu werden! Alles gol[12]den, alles herrlich und gut! Dieses Schloß bewohnen, Zimmer, Saal, Keller und Stall! – All des bunten, verworrnen, undeutlichen Zeugs! – Ich find an nichts Freude mehr. Glückliche Augenblicke der Kindheit, die ihr rückkehrt! Find an nichts Freude mehr, als an diesen Kartenschloß. Bedeutend Sinnbild meines verworrnen Lebens! Ein Stoß, ein harter Tritt, ein leichtes Windchen, wirft dich zusammen; aber der feste unermüdete Muth des Kindes, der dich wieder aufbaut! Ha! so will ich mich mit ganzer Seel nein verschließen, und denken und fühlen nichts anders, als wie herrlich es ist in dir zu weben und zu seyn. – Lord Bushy! ja mein Seel! ich räumte dir ein Zimmer ein. So unfreundlich du gegen mich warst, sollst du Berkleys bestes Zimmer bewohnen. Ha! es kehrt sich doch immer in mir herum, störrischer Bushy! so oft ich rückdenk. Einen von Haus und Hof vertreiben, blos weil Berkley fetter stund als Bushy – es ist schändlich. Und doch dies Zimmer, ausgemahlt mit meiner Geschichte, steht dir zu Dienst. – Ja wer das zusammen fassen könnte, da mein Herz so klein zu ist – Ha! Ha! Lord Berkley! dir ist wohl, da du wieder zum Kind wirst! – Tochter!

[13] CAROLINE. Mein Vater!

BERKLEY. Kind! Du glaubst nicht wie wohl einem werden kann. Sieh! So eben bau ich Bushys Zimmer. Wie gefällt dirs?

CAROLINE. Recht wohl Mylord! Wahrhaftig, ich wollte seine Magd werden und ihm dienen, Ihrer Ruhe wegen.

BERKLEY. Wo er sich herumtreiben mag, der feindliche Bushy! – Von Haus und Hof! Von Weib und Gut! – Bushy es kann nicht seyn! – Und da mein süßes Kind um alles zu bringen. – Nein, Mylord, wir können nicht zusammen wohnen. (Zerschlägt das Kartenhaus.)

CAROLINE. Mein Vater!

BERKLEY. Wie, Miß? Schäme dich! bist du Berkleys Tochter! Bushy dienen? Bushys Magd? keiner Königin nicht. Ha! das könnte mir in tiefen Schlaf einfallen und mich toll machen. Bushys Magd Miß! Wollen Miß nicht widerrufen? Bushys Magd?

CAROLINE. Nein, Lord! Nur nenne mich Tochter! O, das Wort Miß, ist ein herber Schall für Berkleys Tochter aus Vater Berkleys Mund. (Seine Hand küssend.)

[14] BERKLEY. Hm! gute Jenny! – Lebe unsre Lord- und Mißschaft! – Aber ich kann nicht mit ihm zusammen wohnen. Wahrhaftig, ich käm in Versuchung ihn im Schlaf zu erwürgen. – O, gieb mir kindische Ideen! Ich find an nichts Freude mehr. All meine Lieblingssachen, meine Kupfer, meine Gemählde, meine Blumen, alles ist mir gleichgültig geworden.

CAROLINE. Wenn Sie’s mit der Musik versuchten – vielleicht daß dies –

BERKLEY. Nu! laß doch sehen! –

CAROLINE. (spielt ihm vor.)

BERKLEY. Nein! Nein! o ich bin doch immer der weiche, närrische Kerl, aus dem ein reiner Ton machen kann, was er will. Und curios ist’s Kind, es giebt Töne, die mir ein ganzes, trauriges Gemählde durch einen Klang, aus meinen widrigem Leben vor die Augen stellen; und wiederum welche, die meine Nerven so freudig treffen, daß wie der Ton zum Ohr kommt, eine der Freudens-Scenen aus meinem Leben da steht. Zum Beyspiel, so eben begegnete mir deine Mutter in dem Park zu Yorkshire, und hüpfte so recht freudig aus der dichten Allee, wo seitwärts der Bach sich schlängelt und murmelt, wie du dich [15] erinnern wirst. Ich hört es genau, und so das Fliegen-Gesums im Sommer um einen. Ich wollt sie so eben herzen, und ihr was lustiges erzählen, als du andre Saiten grifst. –

CAROLINE. Bester Vater! o meine Mutter! (die Augen gen Himmel.)

BERKLEY. Ja, so mit naßem Aug hinauf, ich weiß wie das ist. So sah sie oft, und ihr Aug, das redete wie das deinige. O Kind! Und wie du nun die Töne wandeltest, freylich wars Bushy und Hubert. Du siehst also daß das nicht geht. Ich weiß nicht wie’s ist, daß ich just in mir so ganz anders aufgespannt bin.

CAROLINE. Ich weiß was Musik thut, was sie diesem Herzen giebt und nimmt. Sich so in eine Zauber-Idee hineinspielen, und wenn man sich denn umsieht ob er da ist – der! der! aller Töne Innhalt und Wiederklang – der! – Herz! mein Herz! (erschrocken, ihre Augen verbergend.)

BERKLEY. Hm! Hm! Herz mein Herz! – Setz dich zu mir und hilf mein Schloß wiederaufbauen. Siehst du! ich habs weit gebracht Gottlob! zerschlagen und wiederaufbauen! Ha! Ha! – Nu lustig! Nimm du den rechten Flügel und ich den linken. Und wenn der Pallast steht, so wollen wir die [16] bleierne Soldaten nehmen, und du commandirst ein Bataillon und ich eins. Wir schlagen uns herum wie Bushy und Hubert, dann machen wir Complot, greifen das Schloß an, werfen den alten Berkley nakend mit seiner kleinen Jenny und guten Weib heraus. Steckens an – Feuer und Flammen – he Miß!

CAROLINE. (ihre Augen wischend, seine Stirne küßend) Unglückliches Gedächtniß! daß der Himmel ruhige Vergeßenheit auf dein graues Haupt träufelte, alter Berkley! Vater uns mangelt nichts, uns ist wohl. Was ist Bushy, daß der edle Berkley in seinem sechzigsten Jahr seiner denken sollte.

BERKLEY. Ich denk seiner nicht, närrisch Kind! Was kann ich dafür daß mirs immer noch so bitter aufquillt. Ich fühls nur so.

CAROLINE. Das eben.

BERKLEY. Ich will dirs vorposaunen wie er mit deinem Vater umgieng. – Laß mich mit dem Blick! Nun ja, ich wollt ich hätt ihn, er sollte ruhig und friedlich sein Haupt in meinen Schooß legen. Aber hier müßtest du stehen und keinen Schritt weichen, sonst wenn er so vor mir stünde – o Gott! du hast uns wunderbar gebaut, wunderbar unsre Nerven gespannt, wunderbar unser Herz gestimmt!

[17] CAROLINE. Hatte Bushy nicht einen Sohn?

BERKLEY. Freylich. Ich möchte fast sagen einen braven rüstigen, wilden Knaben, wenns Bushys Sohn nicht wäre.

CAROLINE. Hieß er nicht Carl? hatte blaue Augen, braune Haare, und war grösser als alle Knaben seines Alters? Es war ein hübscher, wilder rothwangigter Junge. Er machte immer meinen Ritter und stritt für mich.

BERKLEY. (wild.) Bushy! Bushy!

CAROLINE. Vater! o mein Vater! Ihre böse Stunde kommt. (schmiegt sich an ihn.)

BERKLEY. Geh weg! hatte ich nicht einen Sohn, einen braven, ungestümen, eigensinnigen Jungen, den ich in der schrecklichen Nacht verlohr? Leben gegen Leben wo ich Carl Bushy ertapp! Wär mein Harry da, ich wollte seine Faust eisern machen, sein Herz grimmig, seine Zähne gierig, er sollte mir Welt auf Welt ab traben, biß er Berkley an Bushy gerochen hätte.

CAROLINE. Mylord! schone deiner Tochter.

BERKLEY. (verworren.) Nun da! Laß mich doch was sinnen – ja was – willst du mit, Kind! – Ha ich will auf die Parade. Ich denk der Feind soll in einigen Tagen angreifen, und [18] dann rücken wir aus. Ha! Ha! Ich bin ein grauer, alter Kerl, gieb mir nur Kindheit und närrisch Zeug! Ha! Ha! Es ist toll Miß, und gut, daß heiß, heiß bleibt, und Haß, Haß, wies einem braven Menschen zukommt. Das Alter ist so kalt nicht, das sollen sie mir fühlen. Pack da mein Schloß zusammen, damit mir nichts verdorben wird. Adieu Miß, die Trommel geht. (ab.)

CAROLINE. (ihm nachrufend.) Nur gute Stunden, lieber Vater!

BERKLEY. (kommt hastig zurück.) Das weiß Gott, Miß, es war um Mitternacht, stockfinster, und er überfiel uns. Und wie ich morgens aus starrer Taubheit erwachte, mein Weib und keins meiner Kinder hatte, und ich schrie, winselte, und ächzte in Tönen – in Tönen – he! und so die Hände hub, zum trüben Himmel: Gieb mir meine Kinder! Mach Bushy kinderlos, daß er fühle, was das ist kinderlos! da fand ich dich naß, kalt und erstarrt, hingst an meinen Hals, und schlugen deine zarte Hände und Beine zusammen. Miß Berkley! Ich stund da so trüb und todt in endlosem Schmerz, in endloser Freud eins meiner Kinder gerettet zu haben. Und du strichst mit zitternder Hand über meiner Stirne den kal[19]ten Schweiß hinweg. He! das war ein Augenblick Miß! (fällt ihr um den Hals, herzt sie, bleibt stumm und unbeweglich. Erwachend.) Ja Miß! sieh! es greift mich so an! – Und da ein Bote: Todt deine Lady! Und da ein Bote: Verschwunden dein Harry! – Ja Miß! und dieses Haus sollte Bushy haben! Nein, bey Gott nein! Adieu Kind! weine nicht.

CAROLINE. Nicht weinen? dein Kind nicht weinen? Lord Berkley geh jetzt nicht weg! Hier wirds so eng mein Vater! (die Hand aufs Herz.)

BERKLEY. Nein! Nein! Ich will dir die Tante und Nichte schicken. Berkley ist ein guter Soldat, und wenn er seine Späße getrieben hat, ists ihm gut. Adieu!

CAROLINE. (allein.) Wie wird das all noch werden? o seine Schmerzen nehmen Ausbrüche die mich zittern machen. Krieg da! und meine Thränen und Bitten vermögen nichts. Wohin denn ich? – Ich fürchte – ach des Leidens so viel und noch fürchten. Und ewig dieses Herzens Verlangen? (nach dem Clavier) Nimm mich in deinen Schutz! Nur du verstehst mich, dein Einklang, der Wiederhall meiner geheimen Empfindungen ist mir Trost und Erstattung. Ach jeder Ton, Er! Er! (spielt einige Passagen, endet plötzlich [20] und fährt zusammen.) Ja Er! (in schwermüthigen Träumereyen versinkend.)

Dritte Scene.