Guten Abend, kleiner Schatz

Weit, weit weg im fernen Zauberwald steht ein großer, alter Nussbaum. Hoch oben in seinem Stamm gibt es eine Höhle. Hier hat die kleine Gutenacht-Fee Maluna Mondschein ihr Nest. Es ist das kuscheligste Feennest, das du dir vorstellen kannst. Dort gibt es ein winziges Himmelbett mit tausend weißen Glitzerkissen, eine kleine … oh, warte mal … Gerade fällt mir ein, dass du ja vielleicht noch gar nicht weißt, wo der geheimnisvolle Zauberwald überhaupt ist? Gut, dann erkläre ich dir den Weg dorthin. Ganz von Anfang an und direkt von da aus, wo du gerade bist.

Der geheimnisvolle Zauberwald ist wirklich ziemlich weit weg und liegt sehr gut verborgen. Guck mal aus dem Fenster, endlos in die fernste Ferne, so weit, wie dein Auge sehen kann. Von dort aus muss man das Gleiche noch mal machen und dann noch mal. Und schon ist man im Zauberwald.

Doch dieser Wald ist natürlich kein ganz normaler Wald, so wie bei euch vielleicht einer um die Ecke ist. Sonst wäre es ja schließlich auch kein Zauberwald. Zwar gibt es darin all die Tiere, die du kennst: Kaninchen, Mäuse, Rehe, Blindschleichen, Käfer, Spechte und noch allerlei andere Waldtiere, die man bei kaum einem Spaziergang je zu Gesicht bekommt. Aber es leben dort eben auch Wesen, wie du sie noch niemals gesehen hast. Die kleine Hexe Ranunkel Krakelei zum Beispiel. Oder Foxtrott Fuchs, der kleine Bär, der kleine Zauberer und der kleine Drache. Der übrigens gar nicht sooo klein ist, wenn man’s genau nimmt. Stehst du erst mal unter dem prächtigen Nussbaum auf dem Feenhügel, hast du einen wunderbaren Ausblick über den ganzen Zauberwald. Siehst du die kunterbunten Postluftballons, den Bröselfelsen, den Kleinbirnbrückenwinkel und das Reich der Schwestern Rosarot? Und schau nur, dort ist der See, in dem Nike, das Seefräulein, mit ihren Goldfischen Pommes und Fritz und noch vielen anderen Wassertieren um die Wette schwimmt.

Und wenn du dich jetzt ganz leise umdrehst und am mächtigen Stamm des Nussbaums entlang nach oben blickst, entdeckst du einen kleinen Vorsprung. Das ist Maluna Mondscheins Landepilz. Dahinter, guck, ist eine winzige Haustür zu sehen. Nur ganz wenige Menschen dürfen überhaupt wissen, wo Maluna ihr geheimes Feennest hat. Jetzt gehörst du auch dazu. Aber pscht!!!, nicht weitersagen, versprochen?

 

Und nun machen wir es einfach wie immer. Wir klopfen an das Türchen und statten Maluna Mondschein einen Besuch ab. Denn ich finde, es gibt fast nichts Schöneres auf der Welt, als sich mit der kleinen Gutenacht-Fee zu treffen und ihren Geschichten zu lauschen, findest du nicht auch?

Gut, also los geht’s.

Haben wir noch was vergessen?

Aber ja, du musst dich richtig mummelkuschelig zudecken und es dir gemütlich und bequem machen. Denn ich habe irgendwie das Gefühl, dass Maluna uns dieses Mal nicht nur Gutenacht-Geschichten erzählt, sondern gute Nachtgeschichten. Dunkel und geheimnisvoll, verstehst du? Schließlich ist die kleine Zauberwald-Fee genau dann wach, wenn wir schlafen. Und das ist eben nachts. Und wer Maluna kennt, der weiß, dass es mit ihr nie langweilig wird, ob nun die Sonne vom Himmel strahlt oder der Mond durch die nachtschwarzen Tannen scheint. Und genau solche Geschichten hören wir uns jetzt an.

Wenn wir Malunas Feennest finden. Mensch, Mensch, Mensch, ganz schön dunkel im Dunkeln …

Kapitel 1

Maluna erwartet Besuch

Ui, ich hoffe, ich habe dir eben nicht zu viel versprochen. Es ist nachts doch dunkler, als ich dachte. Sollte nicht eigentlich Vollmond sein? Sieht mir eher aus wie Vollmilch, was da vom Himmel schlubbert.

Auweia, hups! Ach, du Schreck, da stand ja ein Baum! Oh, aber guck mal, leuchtet da nicht ein kleines Laternchen im Baum? Doch, ich glaube, wir haben es geschafft!

»Klopf, klopf, klopf … Maluna, huhu, Fe-heee, willst du wissen, was ich rausgefunden habe?«

»Nein!«, ruft Maluna von innen. Dann öffnet sie die Tür einen Spaltbreit.

»Äh, nicht? Jetzt bin ich aber enttäuscht.«

»Naaa guuut, bevor du platzt, spuck’s aus.« Maluna tritt einen Schritt zurück, um uns vorbeizulassen. Dabei sieht sie immer wieder ungeduldig auf ihre unsichtbare Armbanduhr.

»Kannst du ausnahmsweise mal wenig Sätze und kaum Buchstaben verwenden, denn ich habe heute überhaupt keine Zeit für deine dussligen Menschenwelt-Sachen.«

»Hep, hjiiiep (das ist mein Luftschnappen), also, Maluna! Dusslige Menschenwelt-Sachen! Darf ich dich daran erinnern, dass meine dussligen Menschenwelt-Tipps dir andauernd aus der Patsche helfen? Ohne sie wärst du schon längst …«

»Tee?«, unterbricht uns die kleine Gutenacht-Fee und wirft sich in ihren Sessel.

Und weil das wie ein echt anständiges Friedensangebot klingt, sind wir mal nicht weiter eingeschnappt und nehmen gerne eine Tasse. Wow, es ist überhaupt das allererste Mal, dass wir von Maluna zum Tee eingeladen werden. Und gibt es zum Tee nicht immer diese leckeren …

»Schokoplätzchen?«, fragt Maluna und reicht uns die Dose rüber.

»Maluna? Geht’s dir gut? Du hast auf ANHIEB die Dose gefunden? Irgendwas stimmt doch nicht mit dir, überhaupt, wenn ich mir dich so ansehe …«

»Was genau wolltest du mir denn erzählen?«, lenkt Maluna ab und zwirbelt ihre Stimmungssträhne zwischen den Fingern. Sie leuchtet. Nein, sie strahlt. Mhm, auch falsch. Jetzt weiß ich es. Sie blinkt!!! Wie diese Weihnachtslichterschlangen, in denen ununterbrochen ein kleiner Blitz hin und her flitzt, hoch, rubbeldubbelwubbel, runter, rubbeldubbelwubbel, hoch, und so weiter, du weißt schon.

»Maluna, deine Stimmungssträhne ist …«

»NERVÖS«, raunzt Maluna und springt wieder auf. Aus der Küche schleppt sie eine große Kanne Tee herbei und schüttet uns ein wenig in eine Tasse. »So, jetzt hast du Tee. Du durftest reinkommen. Jetzt sag, was du zu sagen hast, und dann machst du einen Abflug, klaro?«

Abgang, wennschon.

»Pff!« Maluna sieht wieder auf die Uhr. »WAS IST DENN JETZT

Ich muss fieberhaft überlegen, denn ich habe schon längst vergessen, was ich ihr erzählen wollte. Viel spannender ist doch die Frage, weshalb Maluna und ihre Stimmungssträhne so nervös sind. Ach, komm, fragen wir einfach.

»Du, Malunaleinchenmeinchen, Herzchen, Süße, warum biste denn so nervös?«

»Du, Menschleinmeinchen, Herzchen, Süße, das geht dich gar nix an«, erwidert Maluna und hüpft von Fenster zu Fenster.

»Ziemlich dunkel draußen, was, Maluna?« Und mit einem Mal fällt mir auch wieder ein, was ich mitzuteilen hatte: »Also. Wenn man bei Nacht durch den Zauberwald läuft, sieht man fast so viele Farben wie tagsüber. Weil dunkel ist ja nicht nur dunkel. Es gibt nachtschwarz, nachtblau, tiefblau, rabenschwarz, schwarzblau, kohleschwarz, braunblau, dunkelgrau, ultramaringrünblauschwarzgraudunkel … Maluna? Hörst du mir überhaupt zu?«

»Was?« Maluna sieht uns an, als hätte sie ganz vergessen, dass sie uns eben zum Tee eingeladen hat. »Mensch«, sagt sie und tippt dabei ungeduldig mit der Fußspitze auf den Boden, »leider, leider musst du jetzt dringend endlich gehen. Ich erwarte nämlich Besuch.«

»Aber WIR sind doch dein Besuch.«

»Ja. Nein. Doch. Anders halt. Auf Wiedersehen, da ist die Tür, tschüs, bis nächstes Mal, Abgang, Abmarsch, Abflug, raus, raus, raus!« Maluna lächelt entschuldigend und gleichzeitig streng und zeigt zur Tür.

Na, das war ja wohl eindeutig. »Darf ich wenigstens meinen Tee noch austrinken?«

Die kleine Gutenacht-Fee verdreht die Augen. Pluidilumm, pluidilamm, flitzt das Lichtlein ihre Strähne entlang. »Wenn’s sein muss«, grummelt sie.

»Ich beeile mich auch.«

Schließlich ist in der winzigen Tasse nicht mehr als ein einziger Tropfen tiefdunkelrabenschwarzen Tees. Dass Schwarztee sooo schwarz sein kann …? Komisch. Doch aufgepasst, nur für den Fall, dass irgendjemand es vergessen hat: Wir sind ja hier im Zauberwald und nicht in irgendeinem langweiligen Café. Oh nein, Malunas Teetropfen ist natürlich kein ganz normaler Tee. Um ehrlich zu sein, ist es sogar ein ziemlich spezieller. Und der hat es in sich.

Wie ich gerade bemerke. Denn ganz offensichtlich bin ich es selber, die vergessen hat, dass Zauberwaldschwarztee und Menschenweltschwarztee überhaupt nicht ein und dasselbe sind.

Sobald der erste Tropfen von Malunas Tee nämlich meine Zunge benetzt, wird sie eiskalt. Urplötzlich fühlt sie sich an, als ob man beim Schneeschlecken aus Versehen an ein Metall geraten ist und daran festklebt.

»Ichrrr chrann gi Chunge nich mea bewegn.«

Der Tee muss unbedingt raus aus dem Mund. Schlucken oder ausspucken, bloß weg damit von der eingefrorenen Zunge. Vielleicht nützt Kopfschütteln etwas, dann kann der Tee selbst entscheiden, wohin er fließen will. Er entscheidet sich für Malunas Fußboden.

»Oje, jetzt habe ich alles vollgekleckert.«