Christian Lunzer - Peter Hiess

Der Fall Marguerite Steinheil

Die Mätresse des Präsidenten

 

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Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95616-554-2

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Inhalt

Die Mätresse des Präsidenten

Quellen

Lust auf mehr?

Mütter, Töchter, Ehefrauen

Gift & Galle

Auf Messers Schneide

Weibliche Tugenden

Mörderische Arbeitsmarktverwaltung

Mord am Arbeitsplatz

Arbeitsplatz und Ausbildung

Die Autoren

Der Verlag

Impressum

 

Die Mätresse des Präsidenten

Paris, am späten Nachmittag des 16. Februar 1899: Vor den großen Fenstern des Präsidentenpalasts an den Champs-Élysées war es bereits dunkel geworden. Es war still in dem weitläufigen Gebäude; die Beamten waren alle schon vor einer halben Stunde nach Hause gegangen. Plötzlich ertönten schrille Schreie einer Frauenstimme aus dem Geheimkabinett des Präsidenten. Jean Noget, der Sekretär, der wie üblich die Schäferstündchen seines Chefs bewachte, fuhr aus seinem Sessel auf und lief durch den schmalen Korridor zu dem »La chambre bleue« genannten Zimmer, das nur durch eine verdeckte Tapetentür von den offiziellen Amtsräumen getrennt war. Er fand Félix Faure, den Präsidenten der französischen Republik, leblos auf der Chaiselongue vor dem Kamin, nackt und mit noch deutlich sichtbaren Zeichen sexueller Erregung. Halb über ihm, halb auf dem Boden lag eine noch immer schreiende nackte Frau, die sich verzweifelt von der in ihrem üppigen blonden Haar verkrallten Hand des Politikers zu befreien versuchte.

Monsieur Noget reagierte rasch. Ein leichter Schlag in das Gesicht der Frau ließ sie verblüfft verstummen. Er warf ihr einige der am Boden verstreuten Kleidungsstücke hin und wandte sich dann dem Präsidenten zu. Dieser lag auf dem Rücken und sein Kopf hing über den Rand des Liegebettes hinab. Faures Mund stand offen, die Augen blickten starr zur Decke; weder Puls noch Augenreflex waren festzustellen. Den Präsident hatte der Tod ereilt – offenbar während des Geschlechtsakts mit seiner Mätresse Marguerite Steinheil.

Zuallererst, das war Noget klar, musste die Dame verschwinden. Er führte sie zu einer geheimen Seitentreppe, die durch einen Nebeneingang des Palasts in die stille Rue du Colisée mündete. Dort wartete eine verdeckte Droschke – dieselbe, die die Frau erst vor wenig mehr als einer halben Stunde hergebracht hatte. Höchste Eile war vonnöten, da Madame Faure jeden Augenblick aus der Präsidentenwohnung über den Amtsräumen herunterkommen konnte. Als der Sekretär wieder im Zimmer angelangt war, brachte er zunächst die Leiche in eine weniger verfängliche Position, ließ dann das von der Dame vergessene Spitzenkorsett verschwinden und schaffte die zwei Champagnergläser fort. Dann benachrichtigte er die Dienerschaft, rief nach einem Arzt und überbrachte die traurige Nachricht schließlich Mme. Faure, die sich in ihre Privaträume zurückgezogen und Gott sei Dank nichts von den Vorgängen bemerkt hatte. Der Arzt bestätigte den Tod durch Herzschlag um etwa 18.30 Uhr, doch die Öffentlichkeit erfuhr erst um 23 Uhr von Kabinettschef La Galle offiziell vom Ableben des Präsidenten. Dabei wurde als Todeszeitpunkt 22 Uhr angegeben. Damit sollte Mme. Steinheil die Möglichkeit eines Alibis gegeben werden. Es war anzunehmen, dass sie um diese Zeit längst zu Hause angekommen war.