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Zum Buch

ZWISCHEN KULTURSCHOCK UND FASZINATION: IN MAROKKO IST DER BEEINDRUCKENDE BERICHT EINER DER BEKANNTESTEN UND ERFOLGREICHSTEN SCHRIFTSTELLERINNEN DES 20. JAHRHUNDERTS.

Im Herbst 1917 reiste Edith Wharton auf Einladung des französischen Generalresidenten durch Marokko. Kurz vor Ausbruch der Regenzeit sehen wir die erfolgreiche Roman- und Reiseschriftstellerin eilig, fast wie in einem Zeitraffer, das Land durchqueren, vom Mittelmeer bis zum Hohen Atlas, vom Atlantik bis nach Fes. Es gab kaum Straßen, keine Hotels.

Wenn sie durch die blühenden Gärten ihrer wohlhabenden Gastgeber spazierte, in deren Palästen ihr „Gläser mit dampfendem Pfefferminztee und Teller mit Gazellen-Hörnern und weißen Zuckerkuchen“ kredenzt wurden, war „jede Minute ein Märchen“. Aber sie sah auch ins „Herz der Finsternis“, wurde Zeugin von archaischen religiösen Ritualen, sah stolze Falkner und Patriarchen, aber auch die verschleierten Haremsfrauen in ihrem „Gefängnis“.

Sie erlebte ein Marokko, das sich noch nicht den Touristen geöffnet hat, für das es nicht einmal einen Reiseführer gab. Vieles ist ihr sehr fremd, aber alles fasziniert sie. Sie gibt sich dem „Zauber des Orients“ hin, aber sie idealisiert nicht und sie verklärt nicht.

DIE KÜHNE REISENDE

Edith Wharton, als Tochter vermögender Eltern 1862 in New York geboren, rebellierte gegen die Zwänge der amerikanischen Upper Class, von denen sie sich schon als junges Mädchen eingeengt fühlte. Sie wollte ihren eigenen Weg gehen, als Schriftstellerin und als Frau. Für ihren berühmtesten Gesellschaftsroman Zeit der Unschuld erhielt sie 1921 den Pulitzerpreis und 1923 die Ehrendoktorwürde der Yale University – beide Male als erste weibliche Preisträgerin.

Sie war schon als Kind zwischen Amerika und Europa gependelt und wurde eine große Reisende und Reiseschriftstellerin: 1904 und 1905 erschienen Bücher über Aufenthalte in Italien, 1906 der Bericht über ihre Frankreichfahrt. 1917 fuhr sie durch Marokko, 1929 schließlich bereiste sie Syrien und Palästina. Die letzten 30 Jahre ihres Lebens verbrachte sie in Frankreich, ein Land, dem sie eng verbunden war.

Sie hinterließ ein Werk von 47 Romanen, Erzählbänden und Reiseberichten.

Ebba D. Drolshagen hat in Frankfurt/Main, Chicago und Oslo studiert und seither zahlreiche Romane und Sachbücher aus dem Englischen und Norwegischen übersetzt. Daneben ist sie Autorin mehrerer Sachbücher, darunter Wie man sich allein auf See einen Zahn zieht (corso 2015) und Gebrauchsanweisung für Norwegen (Piper 2014).

Susanne Gretter studierte Anglistik, Romanistik und Politische Wissenschaft in Tübingen und Berlin. Sie lebt und arbeitet als Verlagslektorin in Berlin. Sie ist die Herausgeberin der Reihe DIE KÜHNE REISENDE.

Edith Wharton

In Marokko

Vom Hohen Atlas nach Fès -
durch Wüsten, Harems und Paläste

Aus dem amerikanischen Englisch
und mit einem Vorwort von
Ebba D. Drolshagen

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Alle Rechte vorbehalten

Titel der Originalausgabe:
In Morocco
Die Übersetzung folgt der Ausgabe von John Beaufoy Publishing Ltd., Oxford 2015 / Charles Scribner’s Sons, New York 1920

© by Edition Erdmann in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden 2016
Lektorat: Susanne Gretter, Berlin
Covergestaltung: Kerstin Göhlich, Wiesbaden
Bildnachweis: Cover: Edith Wharton, S. 4: Portrait of Edith Wharton by A. F. Bradley,
ca. 1900 © culture-images/Lebrecht/Authors
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0536-0

www.verlagshaus-roemerweg.de

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Portrait von Edith Wharton

INHALT

EINLEITUNG

von Ebba D. Drolshagen

VORWORT DER AUTORIN

I

RABAT UND SALÉ

II

VOLUBILIS, MOULAY IDRIS UND MEKNES

III

FÈS

IV

MARRAKESCH

V

HAREMS UND ZEREMONIEN

VI

GENERAL LYAUTEYS ARBEIT IN MAROKKO

VII

KURZER ABRISS DER MAROKKANISCHEN GESCHICHTE

VIII

ANMERKUNGEN ZUR MAROKKANISCHEN ARCHITEKTUR

IX

KONSULTIERTE BÜCHER

EINLEITUNG

Als Edith Wharton 1862 in den New Yorker Geldadel hineingeboren wurde, sollte das Leben einer Frau der High Society so geräuschlos verlaufen, dass sie den Zeitungen nur dreimal Anlass gab, ihren Namen zu drucken: Zur Bekanntgabe ihrer Geburt, ihrer Heirat und ihres Todes. Es scheint, als habe Edith Wharton sich lange um ein solch unsichtbares Leben bemüht, es aber mit fast vierzig Jahren nicht mehr ausgehalten. Sie wollte Geschichten schreiben, das als echten Beruf ausüben und damit erfolgreich sein – ein überaus ungewöhnliches Ziel für eine wohlhabende Erbin und Ehefrau.

Ihr besonderes Erzähltalent stand außer Frage. Schon als Vierjährige, noch bevor sie lesen konnte, begann die kleine Edith Newbold Jones, von überschäumender Fantasie und Fabulierlust getrieben, mit einem Buch in Händen schnell im Zimmer auf und ab zu gehen und dabei laut und in rasendem Tempo selbst ausgedachte Geschichten zu erzählen. Als ein Kind kam, um mit ihr zu spielen, bat sie ihre Mutter, sich um das Mädchen zu kümmern. Sie selbst habe keine Zeit, sie müsse, wie sie es nannte, »erfinden«. Nichts war ihr wichtiger. Ein solches Verhalten war für ein Mädchen recht besorgniserregend.

Natürlich wurden Töchter wie sie nicht auf öffentliche Schulen geschickt, sondern zu Hause unterrichtet, und der Stoff sollte nicht allzu anstrengend sein. Da dieses Pensum dem aufgeweckten Kind nicht genügte, durfte es Bücher aus der väterlichen Bibliothek lesen, allerdings nur »Klassiker, Philosophie, Geschichte und Poesie«. Romane waren ihr, so das strenge Verdikt der Mutter, bis zur Heirat verboten. Dass Edith sich daran hielt, ist erstaunlich, denn als kaum Elfjährige begann sie selbst einen Roman zu schreiben. Ihre Mutter missbilligte das, denn die Schriftstellerei galt, wie Wharton in ihren Memoiren schrieb, »in den Augen unserer provinziellen Gesellschaft immer noch als Mittelding aus schwarzer Magie und körperlicher Lohnarbeit«. Überhaupt galt es als sozialer Abstieg, mit eigener Hände Arbeit Geld zu verdienen, für eine Frau war das skandalös. Dass Edith als Fünfzehnjährige das deutsche Gedicht »Was die Steine erzählen« von Heinrich Karl Brugsch übersetzte, war zwar standesgemäß, dass sie die Übersetzung veröffentlichte und dafür ein Honorar von fünfzig Dollar erhielt, war es indes nicht. Folglich versteckte sie sich hinter einem männlichen Pseudonym.

Mit dreiundzwanzig Jahren, für damalige Verhältnisse recht spät, heiratete sie den wohlhabenden Teddy Wharton, der keiner Erwerbstätigkeit nachging. Die Ehe war ein Arrangement zwischen zwei New Yorker Elite-Familien, Whartons Biographen rätseln sogar, ob es eine Scheinehe gewesen sein könnte. Edith, die ihren Mann zumindest anfangs wohl aufrichtig gern hatte, wurde nach der Heirat sofort krank und depressiv. Das mag auch daran gelegen haben, dass Teddy sich im Grunde für nichts interessierte, trank, zahllose Affären hatte und mit dem Geld seiner Frau spekulierte. In den ersten Jahren reiste das Paar jedes Jahr mehrere Monate durch Italien und Frankreich, mit der Zeit aber lebte es immer häufiger und für immer länger getrennt, was Edith offenbar gut bekam, denn sie erholte sich gesundheitlich – und schrieb. Teddy litt unter einer bipolaren Störung, die damals als Krankheit noch nicht bekannt war. Auch als sein Verhalten bizarr wurde, Edith blieb ihm eine loyale und fürsorgende Ehefrau und schloss eine Scheidung aus. Vermutlich folgte sie der Erkenntnis, die sie dem Protagonisten ihres Romans Age of Innocence (Zeit der Unschuld) in den Mund legt: »Unsere Gesetze sind mit Scheidungen einverstanden, unsere gesellschaftlichen Konventionen nicht«. Erst als Teddy 50 000 Dollar ihres Vermögens verspekuliert und in Boston offen mit einer anderen Frau zusammengelebt hatte und die Ärzte zudem meinten, dass seine Krankheit unheilbar sei, schien es ihr gerechtfertigt, nach achtundzwanzig Ehejahren auch juristisch den Schlussstrich zu ziehen.

Ohne Anleitung oder Hilfe hatte sie sich seit ihrer Kindheit beigebracht, wie man Gedichte und Kurzgeschichten »erfindet«, aber erst in den neunziger Jahren veröffentlichte sie in Magazinen einige kurze Stücke, darunter auch schon Reiseessays. 1897 dann legte sie ein Buch unter eigenem Namen vor, einen Einrichtungsratgeber. Zusammen mit einem Architekten verfasst, war The Decoration of Houses kein dilettierendes Damenbuch, sondern eine seriöse Studie zu Prinzipien der Innenarchitektur. Es bewies Whartons Wille zur Professionalisierung und wurde – zu aller Überraschung – ein großer Erfolg.

1899, sie war siebenunddreißig Jahre alt, erschien der erste Band mit Kurzgeschichten, 1902 mit The Valley of Decision der erste Roman. Davon wurden binnen sechs Monaten 25 000 Exemplare verkauft, was sie zu einer bekannten Schriftstellerin machte. The House of Mirth (Haus der Freude) war 1905 mit 140 000 verkauften Exemplaren im ersten Jahr ihr Durchbruch als Bestsellerautorin. Zeit der Unschuld, ihr in jeder Hinsicht erfolgreichstes Buch, schrieb sie 1920 in nur sechs Monaten; es handelt von der Eleganz, aber auch Stickigkeit und Heuchelei jenes >Old New York<, in dem sie aufgewachsen war und das es bei Erscheinen des Buches schon nicht mehr gab. 1993 verfilmte Martin Scorsese diesen Klassiker der amerikanischen Literatur; die Opulenz und Detailtreue der Dekors und Kostüme sind bis heute legendär.

1866 waren die Jones mit ihrer Tochter für sechs Jahre nach Europa umgesiedelt. Sie lebten in Frankreich und Italien, einige Monate auch in Deutschland und Spanien. Edith lernte fließend Italienisch, Französisch und Deutsch; von einer Spanienreise, die der Vater unbedingt machen wollte, um die Alhambra zu sehen, trug die damals Fünfjährige »eine unheilbare Leidenschaft fürs Unterwegssein« davon. Das blieb eine Konstante ihres Lebens. Sie reiste viel, begleitet von Freunden, Dienstboten und ihren Hunden – und immer mit Grandezza. Schon 1904 fuhr sie, als eine der ersten unter den Reiseschriftstellern überhaupt, mit einem eigenen, chauffeurgelenkten Automobil der Marke Panhard & Levassor durch Italien und Frankreich. »Das Auto«, schrieb sie, »hat dem Reisen die Romantik wiedergegeben« – in den zwanziger Jahren besaß sie nicht weniger als vier Wagen.

Sechzig Mal überquerte sie den Atlantik (beispielsweise mit zwei Hunden, sechs Angestellten und ihrem Auto). Seit 1907 lebte sie überwiegend in Paris, wohin sie 1913, nach ihrer Scheidung, endgültig umzog. Doch der Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte die Aussicht auf ein anregendes Leben mit Pariser Freunden wie Henry James, André Gide und Jean Cocteau zunichte. Wharton engagierte sich sofort mit großem zeitlichem und finanziellem Aufwand in verschiedenen Hilfsorganisationen, sammelte Geld, kümmerte sich um arbeitslos gewordene Näherinnen, um Flüchtlinge und Kriegswaisen. Sie reiste mehrfach an die Westfront und schrieb Artikel, die ihre amerikanischen Landsleute zum Kriegseintritt bewegen sollten.

Dieser Krieg blieb für sie zeitlebens ein Kreuzzug zur Rettung der europäischen Zivilisation, die von Deutschland bedroht wurde. Das ist auch der Hintergrund für einige feindselige Seitenhiebe auf Deutschland in dem Marokko-Buch. Es ist heute fast vergessen, dass eines der wichtigen Streitthemen zwischen Frankreich und Deutschland im Vorfeld des Ersten Weltkriegs die Kontrolle über Marokko war.

1913 fuhr Wharton ein letztes Mal durch Deutschland, 1914 wurden die Deutschen für die Franzosen endgültig zu Barbaren. Wharton teilte diese Meinung, was sie persönlich geschmerzt haben dürfte, denn sie hatte ein enges Verhältnis zu Deutschland. Mit elf Jahren bekam sie eine deutsche Gouvernante, die vierzig Jahre lang bei ihr blieb und ihre Sekretärin und enge Vertraute wurde. Die umfassend gebildete Anna Bahlmann war die Tochter deutscher Einwanderer, von ihr lernte Edith nicht nur Deutsch (und Stricken), sie vermittelte ihr auch die Liebe zu deutscher Literatur, Philosophie und Musik. Walther von der Vogelweide, Heine, Schiller und Gerhard Hauptmann waren Wharton ebenso vertraut wie Schopenhauer, Dürer und Wagner. Goethe verehrte sie so sehr, dass sie ihren Memoiren A Backward Glance das Goethezitat Kein Genuss ist vorübergehend voranstellte.

1917, mitten im Krieg, erhielt sie die äußerst ungewöhnliche Einladung zu einer Marokkoreise. Das war vermutlich auch eine Anerkennung ihres Engagements während des Krieges, für das sie die französische Regierung im Vorjahr bereits zum Ritter der Ehrenlegion ernannt hatte.

Die knapp sechs Wochen im September und Oktober waren eine äußerst willkommene Unterbrechung dieser fordernden und auch deprimierenden Arbeit. »Der kurze Zauber der Reise durch ein Land, das von fremden Reisenden praktisch unberührt und fast ohne Straßen oder Hotels war, war für mich wie ein Sonnenstrahl, der durch Gewitterwolken bricht.«

Wharton hatte lange von einer Marokkoreise geträumt, obwohl, vielleicht tatsächlich weil das Land für westliche Besucher lange nahezu verschlossen gewesen war. Gerade dieses Unerschlossene, das Fehlen einer touristischen Infrastruktur sowie der Umstand, dass die Marokkaner in vielem archaisch, gleichsam in einer anderen Zeit lebten, faszinierte sie. Immer wieder erwähnte sie das »eigenartige Fortbestehen eines mittelalterlichen Lebens, das dem erstaunten Reisenden jetzt begegnet, eines Lebens, das es schon zu Zeiten der Kreuzfahrer, Saladins, ja sogar in den ruhmreichen Tagen des Kalifats von Bagdad gab«.

Ihr Gastgeber war der Generalresident von Französisch-Marokko, Louis-Hubert Lyautey, der 1912 in Marokko einen Aufstand niedergeschlagen und ein französisches Protektorat eingerichtet hatte. In dem Reisebericht erwähnt sie nicht, dass sie nicht allein reiste. Begleitet wurde sie von Walter Berry, einem in Paris lebenden Amerikaner. Der elegante Junggeselle war ihr langjähriger, enger Vertrauter. Die beiden waren ständig zusammen, was selbstverständlich für viele Gerüchte sorgte. Es scheint aber, als habe sie nicht erotische Leidenschaft, sondern eine Seelenverwandtschaft verbunden.

Unter Lyauteys Schutz reisten Berry und sie als VIP durch Marokko. Ihnen standen französische Militärwagen mit Chauffeur zur Verfügung, sie wohnten in Residenzen, Regierungsbeamte und französische Militärs räumten alle Hindernisse aus dem Weg und sorgten dafür, dass sich Türen öffneten, die für Menschen aus dem Westen, von Frauen ganz zu schweigen, an sich fest verriegelt waren. Unter dem privilegierten Schutz und in Begleitung der französischen Machthaber schlenderte Wharton nicht nur unbehelligt durch Basare und besichtigte Ausgrabungsstätten, sondern erlebte in dieser kurzen Zeit eine erstaunliche Vielfalt spektakulärer, exotischer, im Westen kaum erahnter Dinge: Sie wohnte dem Hammelopfer des Sultans und den religiösen Zeremonien in der heiligen Stadt Moulay Idris bei, schaute den tanzenden Knaben der Chleuhs zu, besuchte ein jüdisches Ghetto, sah als einer der ersten Menschen überhaupt die 1917 wiederentdeckten Saadier-Gräber, und war – last but not least – Gast in den Privaträumen großer Paläste und den Harems der Mächtigen.

Sie bereiste ein Land, das kaum jemand privat besucht hatte, und das es, sobald »die Springflut [der Touristen] losgebrochen ist«, nicht mehr lange so geben würde, wie sie es in diesem Kriegsjahr 1917 sah. Für ihre Leser kam zu diesem Versprechen, etwas über das authentische Marokko zu erfahren, auch die Verheißung, einen Blick ins Innere exotischer Paläste werfen zu können: Schließlich verkehrte Wharton in Kreisen, die selbst in Marokko hermetisch abgeriegelt waren. Diese zweifache Insider-Perspektive machte den Bericht sehr attraktiv; sie verkaufte ihn an ein amerikanisches Magazin, das ihn im Sommer 1919 in Fortsetzungen publizierte, erst danach erschien er als Buch.

In ihren Reisebüchern über Italien (1905) und Frankreich (1908) war Wharton die souverän informierte Fremdenführerin, die ihre Leser an Touristenströmen vorbei zu unentdeckten Schönheiten und Sehenswürdigkeiten führen konnte, weil sie die Kunst, Kultur und Mentalität dieser Länder gut kannte. Marokko hingegen war ihr völlig fremd, auch wenn sie sich vor der Reise über das Land, dessen Geschichte, Kunst und Kultur eingehend informiert hatte. Das so Gelernte fasste sie in Kapiteln über die Geschichte und Architektur Marokkos zusammen, manches übernahm sie wörtlich übersetzt aus französischen Quellen. Die Bescheidenheit der Bemerkung aber, dass sich »diese Darstellungen vor allem durch mangelnde Originalität« auszeichnen, ist nicht wirklich angemessen. Diese Informationen über Marokko waren zuvor nur in wissenschaftlichen Werken verfügbar gewesen, verstreut, kaum erhältlich und zudem auf Französisch. Wharton bereitete sie auf und machte sie dem englischsprachigen Publikum zugänglich.

Trotz ihrer Vorbereitungen verstand sie vieles von dem, was sie in Marokko erlebte, nur dank der »bemerkenswerten Experten im Umkreis der französischen Verwaltung sowie den gebildeten und herzlichen Vertretern Frankreichs, Militärangehörige wie Zivilisten«. Dem, was unentschlüsselbar blieb, näherte sie sich, wie viele es angesichts von Fremdem tun: Sie verglich mit Bekanntem und zog Parallelen zu Vertrautem, in Whartons Fall waren das die kultur- und kunsthistorischen Traditionen der Antike und des christlichen Abendlandes. So dachte sie bei einer Szene in Fès an ein Gemälde des Venezianers Carpaccio, die Mauern und Türme von Chellah erinnerten sie an mittelalterliche toskanische Städte. In Moulay Idris, wo sie von einer archaischen und brutalen Zeremonie ebenso fasziniert wie abgestoßen war, nahm sie gedanklich zu den Satyrspielen des antiken Griechenland Zuflucht. Sie beschwor Szenen aus Tausendundeiner Nacht und subsumierte Marokko damit unter ein ebenso vages wie romantisches Orientbild, das spätestens seit dem 19. Jahrhundert in Europa zirkulierte. Auf diese Weise ordnete sie das Gesehene allerdings nicht nur für sich selbst, sie skizzierte damit auch Bilder, dank derer sich ihre Leser etwas vorstellen konnten, was völlig jenseits ihres Erfahrungshorizontes lag.

So verbindet In Marokko zwei unvereinbar scheinende Aspekte, die ihrem Bericht Spannung verleihen und ihn interessant machen: Als erfahrene Reisende und herausragende Schriftstellerin verstand Wharton es, das rätselhaft Fremde nicht als furchterregend oder problematisch darzustellen, sondern als faszinierend und verlockend. Es ist ein literarischer, angenehm zu lesender Text, der nicht in Baedeker-Manier Sehenswürdigkeiten auflistet, sondern persönlich Erlebtes schildert. Das machte das Buch für die Lektüre im heimischen Lesesessel interessant, und es wurde auch, wie sie es erhofft hatte, zum Begleiter früher Marokko-Touristen, die dieses »unbekannte« und »unerforschte« Land selbst kennenlernen wollten.

Zum anderen aber bezeugt das Buch, nicht immer beabsichtigt, wie fremd Wharton in dem Land und seiner Kultur war und blieb – als Christin, als Frau, als westlicher Mensch des frühen 20. Jahrhunderts, der in einer anderen Gesellschaft mit anderen Werten lebte. Sie war zwar, wie der Buchtitel besagt, in Marokko; in den Alltag eines islamischen Landes im Allgemeinen und Marokkos im Besonderen aber drang sie trotz ihrer Privilegien, ihres angelesenen Wissens und der hilfsbereiten Franzosen nicht vor. Um das Land zu verstehen, war die Zeit zu kurz und der kulturelle Abstand zu groß. In ihrem Italien-Buch beteuerte sie: »Eine der größten Freuden auf Reisen ist doch die Suche nach Kontrasten.« Daran herrschte in Marokko kein Mangel, nicht zufällig wimmelt es in ihren Schilderungen von Wörtern wie geheimnisvoll, rätselhaft, mysteriös.

Diese Kontraste, das Gegensätzliche, das (für sie) Unvereinbare blieben für sie die zentralen Rätsel der nordafrikanischen Zivilisation. Mit ihrem geschulten Auge für Details erkannte sie die Einzigartigkeit der islamischen Kunst und bewunderte den Reichtum minutiöser Variationen in den vermeintlich immer gleichen Ausschmückungen. Umso schockierender fand sie die Gleichgültigkeit, mit der die großartigen alten Bauwerke und herausragenden künstlerischen Arbeiten dem Verfall preisgegeben wurden; ihre Verwirrung angesichts Marokkos großer Vergangenheit und seiner, wie sie fand, desolaten Gegenwart durchzieht das Buch wie ein roter Faden: »Ständiger Wandel und bewegungslose Stabilität, barbarische Sitten und sinnliche Kultiviertheit, das Fehlen künstlerischer Originalität und das Talent, entliehene Motive neu anzuordnen, die Geduld und Größe handwerklichen Könnens und die sofortige Vernachlässigung und Degradierung des einmal Erschaffenen.«

An mehreren Stellen betont sie – zu Recht –, dass nicht die Marokkaner, sondern die Franzosen sich um Erhalt und Wiederherstellung des nationalen Erbes kümmerten. Ihre Begeisterung für Lyauteys Errungenschaften, denen sie ein eigenes Kapitel widmete, war fraglos aufrichtig, auch wenn man nicht ausschließen kann, dass sie Marokko auch als modern und sicher preist, um Touristen ins Land zu locken, was zu Frankreichs Nutzen gewesen wäre.

Selbstverständlich verfolgte Lyautey mit der Restaurierung verfallender Bauwerke und der Förderung des heimischen Kunsthandwerks ebenso strikt Frankreichs Interessen wie mit dem massiv vorangetriebenen Bau von Straßen, Häfen und Bahnstrecken, denn erst mit einer modernen Infrastruktur wurde Marokko für Frankreich ein regierbares Land. Ebenso selbstverständlich duldete er bei all dem keinen Widerstand von der Bevölkerung. Dennoch sind Whartons Hymnen auf seine Verwaltung nicht ganz so verblendet, wie es dem heutigen Leser erscheinen mag.

Lyautey setzte sich persönlich für marokkanische Kunstschätze, Bauwerke und den Erhalt arabischer Altstädte ein, von denen einige durch westliche Gedankenlosigkeit oder Anmaßung bereits großen Schaden genommen hatten; er war aufrichtig bemüht, das Land auf eine Weise zu modernisieren, die das marokkanische Volk, seine Kultur und seine religiösen Traditionen respektierte. Dass der gebildete, hochintelligente Europäer Lyautey sich den Marokkanern in nahezu allem überlegen fühlte, Marokko unreif nannte und folglich Dinge sagte wie »Wir müssen es, wie alle Kinder, erwachsen werden lassen«, war damals leider üblich. Wharton, deren unbeirrbar kolonialistischer Blick den gesamten Reisebericht prägt, pflichtete dem bei: »Diese begabten Rassen […] sind immer noch ein Volk im Werden.« Vermutlich konnten Menschen wie Lyautey und Wharton wirklich nicht erkennen, was uns heute selbstverständlich erscheint: dass solche Eingriffe die Europäisierung Marokkos und somit den Untergang jener lebenden Traditionen nach sich ziehen würden, die sie beide an sich schützen wollten.

Doch sobald man aufhört, sich über Whartons europäische Überheblichkeit zu wundern, wird deutlich, was In Marokko einzigartig macht: Whartons echtes Interesse, ihre Neugier, die Poesie ihrer Sprache. Ihr klarer Blick auf den Alltag und die Menschen, auf die Kunst, die Architektur und die Sitten des Landes, die Basare, die Feste, die Ausstattung der Häuser, die sie besuchen durfte. Sie beschrieb die Menschen auf der Straße und in den Salons, die sehr Armen ebenso wie die sehr Reichen, ihre Gesten, ihre Kleidung, vor allem die der Frauen (Wharton selbst war immer äußerst elegant gekleidet). Sie sah das Land nicht mit den Augen eines distanzierten Forschers, Wissenschaftlers, Beamten oder Militärs, nicht mit den Augen eines Mannes, der im Land war, um eine fest umrissene Aufgabe zu erledigen, sondern mit den Augen einer Schriftstellerin und gebildeten Frau, die nicht als Anhängsel eines Mannes, sondern dank eigener Verdienste eingeladen worden war. Ebenso einzigartig ist ihr rasiermesserscharfer Blick auf das Verhältnis der Geschlechter. Sie trank nicht nur mit den Männern Tee, sondern auch mit den Frauen – weil sie, anders als männliche Reisende, Zugang zu Harems hatte.

Die anfängliche Faszination, mit der sie das Leben dieser Frauen beobachtete, wurde im Lauf der Reise zu Erstaunen, ja Entsetzen, ein Wandel, den sie mit einem Spiel von Hell und Dunkel dramaturgisch geschickt inszeniert. Sie besuchte vier Harems, der erste war der des Sultans in Rabat. Dessen Frauen verglich Wharton mit Prinzessinnen aus Tausendundeiner Nacht, sie durften sich zwar nicht in der Öffentlichkeit zeigen, lebten aber immerhin in einem Turmzimmer mit bunten Glasscheiben. Der Weg zum letzten besuchten Harem in Fès hingegen schien durch einen licht- und luftlosen Grubenschacht in ein unterirdisches Labyrinth zu führen, wo sie dann »zwischen den bleichen Frauen in ihrem modernden Gefängnis« saß.

Sie beschrieb präzise, was sie sah, manchmal wird sie sehr drastisch – so, wenn sie den Blick einer eingesperrten zahmen Taube mit den Blicken jener Haremsfrauen gleichsetzt, die sie, Wharton, gerade verlassen hatte. Waren diese Frauen wirklich so unglücklich, wie sie glaubte? Fehlten ihnen Gärten, frische Luft, der Gang über einen Basar, die Lektüre eines Buches? Vielleicht, vielleicht nicht. Die Kluft zwischen ihnen und der Amerikanerin war nicht nur aufgrund von Sprachproblemen unüberbrückbar. Die Marokkanerinnen waren der Gegenpol zu Whartons Freiheits- und Reisedrang, ihrer Weltläufigkeit, ihrer Eigenständigkeit, ihrem Stolz darauf, sich aus den strengen sozialen Normen ihrer Herkunft befreit zu haben. Sie war von keinem Mann abhängig, hatte sogar selbst die Scheidung eingereicht. Sie war keine Oberschichtfrau mehr, für die Nichtstun ebenso Recht wie Pflicht war, sie finanzierte ihren Lebensunterhalt mit disziplinierter Arbeit. Wenn wir aus Whartons Schilderungen etwas mit Sicherheit lernen, dann, was ihr selbst wichtig war.

Dazu gehörte fraglos auch ein Abscheu gegen Unterdrückung. Wharton war offen antisemitisch, doch ihre Beschreibung der Mellah von Sefrou zeugt von Erschütterung über die Lebensbedingungen, die den marokkanischen Juden im Ghetto aufgezwungen wurden. In Moulay Idris fällte sie ein vernichtendes Urteil über die Heuchelei der Mächtigen, die den blutigen Teil des jährlichen Rituals den armen Schwarzen überließen, und auch das Elend eines kleinen, von den tyrannischen Launen seines Herrn abhängigen Sklavenmädchens entging ihr nicht. Dieses Kind wurde zum Anlass für ihr schärfstes Urteil über Marokko: »Hinter dem traurigen Mädchen, das an dem Torbogen lehnte, stand das ganze düstere Elend eines Gesellschaftssystems, das dem Islam wie ein Mühlstein am Halse hängt«.

Zudem machte sie keinen Hehl aus ihrer Verachtung für marokkanische Männer, die sie selbstgefällig, apathisch und despotisch fand; die »farblosen, ereignislosen Leben [der Frauen] sind vom Wohlwollen eines fetten Tyrannen abhängig, feist vom guten Leben und der Macht, selbst fast ebenso schlaff und reglos wie seine Frauen, und daran gewöhnt, ihnen seine Launen aufzuzwingen, seit er als kleiner Bub im kurzen Kittelchen über genau diesen Innenhof rannte«.

Ausgerechnet in dem langen Haremskapitel zieht Wharton keine Vergleiche zu Dingen oder Zuständen, die ihren Lesern vertraut sein müssten. Dabei mag ihr vieles bekannt vorgekommen sein, schließlich hatte sie nicht nur in ihren Romanen klaustrophobische Ehen beschrieben, sie war selbst in einer Gesellschaft und einer Zeit aufgewachsen, die Frauen wie rechtlose Kinder und Eigentum der Männer behandelten, wo der Wert und das Wohlergehen einer Frau von den Launen jenes Mannes abhingen, dessen Nachnamen sie trug. Vielleicht erinnerte der verhätschelte Bub sie an ihre eigenen älteren Brüder, die die Mutter vergötterte und der Tochter unverhohlen vorzog. Vielleicht dachte sie, auf den Haremsdiwanen sitzend, daran, dass sie selbst mit der Volljährigkeit ein Vermögen geerbt hatte, über das sie als Frau nicht verfügen durfte. Es blieb unter der Treuhänderschaft ihrer Brüder, sie bekam nur ihren Teil der Erträge ausbezahlt.

Vielleicht scheute sie vor Vergleichen mit dem amerikanischen oder europäischen Leben zurück, weil sie zu nah an ihrem eigenen Leben gewesen wären. Diese Erklärung würde jedenfalls zu ihrer lebenslangen Praxis passen, die öffentliche und die private Edith Wharton streng zu trennen und über letztere möglichst wenig nach außen dringen zu lassen. Sie vernichtete alle Briefe, die sie erhalten hatte, und bat ihre Briefpartner, die Briefe zu vernichten, die sie von ihr erhalten hatten. Viele wichtige Menschen in ihrem Leben bleiben in ihren Memoiren unerwähnt, über ihre Ehe und über Teddy hatte sie erstaunlich wenig zu sagen, und dass sie mit fünfundvierzig Jahren eine sehr ernste außereheliche Affäre hatte, wurde erst Jahrzehnte nach ihrem Tod bekannt.

Wharton schrieb jeden Tag und war ungeheuer produktiv; obwohl sie erst mit fünfunddreißig Jahren zu publizieren begann, umfasste ihr Gesamtwerk achtundvierzig Bücher – Romane, Novellen, Kurzgeschichten, Gedichte, Reiseberichte, Ratgeber zu Innenarchitektur und Gartengestaltung, zwei Bände Memoiren – und zahllose Zeitungsartikel. Ihre Einkünfte aus dem Schreiben überstiegen schließlich die aus dem ererbten Vermögen, nicht zuletzt, weil sie ihren Wert kannte und mit Verlegern hart verhandelte. Dass sie sich selbst stolz als self-made man bezeichnete, zeigt nicht nur, wie talentiert und tüchtig sie war, sondern auch, wie radikal sich die Gesellschaft zu ihren Lebzeiten gewandelt hatte: Edith Wharton wurde als emanzipierte, erfolgreiche Schriftstellerin bewundert und geehrt. Sie erhielt, als erste Frau, 1924 die Goldmedaille des National Institute of Arts and Letters sowie 1921, ebenfalls als erste Frau, den Pulitzer-Preis, 1923 zeichnete die Yale Universität sie mit der Ehrendoktorwürde aus. Die beiden letztgenannten Auszeichnungen bekam sie für Zeit der Unschuld.

Obwohl sie ihre amerikanische Staatsbürgerschaft nicht aufgab, kehrte sie nach dem Krieg nur einmal für elf Tage in die USA zurück, um 1923 die erwähnte Ehrung der Universität Yale anzunehmen. 1919 kaufte sie ein Haus außerhalb von Paris, die Winter verbrachte sie in einem Anwesen am Mittelmeer bei Toulon. Dass sie in den beiden Häusern zusammen zweiundzwanzig fest angestellte Dienstboten beschäftigte, erlaubt eine Vorstellung von dem Leben, das sie führte. Als sie am 11. August 1937 in ihrem Pariser Haus an den Folgen eines Schlaganfalls starb, hatte sie dreißig Jahre in Frankreich gelebt. Das Land beerdigte sie mit allen Ehren, die einer Kriegsheldin und einem Ritter der Ehrenlegion zustanden. Ihre letzte Ruhe fand sie auf einem Friedhof in Versailles, ihr Grab liegt unweit dem ihres Freundes Walter Berry.

Ebba D. Drolshagen

Literatur

Benstock, Shari: Ich gehe meinen Weg. Das Leben der Edith Wharton. Deutsch von Sabine Schwenk und Kristine Rohrbach. München: Goldmann 1995

Lee, Hermione: Edith Wharton. London: Vintage 2008

Für General Lyautey
Frankreichs Generalresident in Marokko
und für Madame Lyautey
dank deren Freundlichkeit die Reise,
von der ich so lange geträumt hatte,
alles übertraf
was ich mir je erträumt hatte
.

VORWORT DER AUTORIN

I

Am Beginn dieses Buches stand die Feststellung, dass es immer noch keinen Reiseführer für Marokko gibt, und ich hätte gern einen ersten Schritt getan, um diesen Mangel zu beheben.

Die Umstände, unter denen ich reiste, waren zwar voller überraschender und pittoresker Ereignisse, aber für ein eingehendes Studium der besuchten Orte ungeeignet. Die Dauer meiner Reise war durch die herannahende Regenzeit begrenzt, die Autofahrten über die tückischen Wege der spanischen Zone unmöglich macht. Die eigentlich sehr einfache Seereise von Marseille nach Casablanca war 1918 wegen der Wachsamkeit der deutschen U-Boote in der Meerenge von Gibraltar und vor Afrikas Nordwestküste mit erheblichen Unannehmlichkeiten und großem Zeitverlust verbunden. Einmal an Bord des Dampfers, mussten die Passagiere oft (ohne Landgang) sechs oder acht Tage im Hafen ausharren; daher nahmen alle, die unter Zeitdruck waren, und das galt für die meisten am Krieg Beteiligten, den Landweg, um vor den Novemberregen wieder in Tanger zu sein.

Somit hatte ich nur einen Monat, um Marokko vom Mittelmeer bis zum Hohen Atlas und vom Atlantik bis Fès zu besuchen, und selbst wenn ich mit einem fliegenden Teppich unterwegs gewesen wäre, hätte die Vielzahl der Eindrücke genaue Beobachtungen schwierig gemacht.

Das Nächstbeste nach einem fliegenden Teppich, ein Militärfahrzeug, stand jeden Morgen zu meiner Verfügung; aber die Kriegsumstände legten uns Restriktionen auf, und das Bestreben, möglichst wenig Benzin zu verbrauchen, verhinderten oft einen zweiten Besuch, der allein es möglich gemacht hätte, einen fundierten und detaillierten Eindruck zu bekommen.

Diese Nachteile wurden durch den Vorteil mehr als wettgemacht, dass ich diese schnelle Reise in einem für die Geschichte des Landes einzigartigen Moment machen konnte; dem kurzen Moment des Übergangs von seiner im Grunde völligen Unterwerfung unter die europäische Herrschaft, und der rasch nahenden Stunde, wo es sich den Banalitäten und Liebedienereien des modernen Reisens öffnen wird.

Marokko ist in Landschaft und Architektur zu ungewöhnlich, zu schön, zu reichhaltig, vor allem aber viel zu neu, um nicht einen der großen Ströme der Frühjahrsreisen anzuziehen, sobald im Mittelmeer der Personenverkehr wieder aufgenommen wird. Jetzt, wo der Krieg vorüber ist, trennen nur wenige Monate Arbeit am Straßen- und Schienennetz das Land von der großen Welle des »Tourismus«; und wenn diese Springflut einmal losgebrochen ist, wird niemand Moulay Idris und Fès und Marrakesch je wieder so sehen können, wie ich sie gesehen habe.

Trotz der unermüdlichen Bemühungen der gegenwärtigen französischen Verwaltung, die alten Bauwerke Marokkos vor Schaden, die Kunst und das Handwerk des Landes vor der Fäulnis des schlechten europäischen Geschmacks zu bewahren, wird sich der Eindruck von Mysterium und Entlegenheit, der das Land jetzt umfängt, mit der Einführung des »Rundreisefahrscheins« verflüchtigen. Binnen weniger Jahre wird man über Marokkos Vergangenheit sehr viel mehr wissen, aber sie wird für den Reisenden viel weniger sichtbar sein als heute. Ausgrabungen werden neue Spuren