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STAR TREK

DEEP SPACE NINE

MISSTRAUEN

UNA McCORMACK

Based on
Star Trek: Deep Space Nine
created by Gene Roddenberry

Ins Deutsche übertragen von
Christian Humberg

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Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – DEEP SPACE NINE: MISSTRAUEN wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.

Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Christian Humberg; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Andrea Bottlinger und Gisela Schell; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Buchrücken Artwork: Cliff Nielsen; Cover Artwork: Doug Drexler; Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.

Titel der Originalausgabe: STAR TREK – DEEP SPACE NINE: THE MISSING

German translation copyright © 2017 by Amigo Grafik GbR.

Original English language edition copyright © 2015 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

™ & © 2017 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc.

This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.

Print ISBN 978-3-95981-174-3 (Januar 2017) · E-Book ISBN 978-3-95981-262-7 (Januar 2017)

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Für Verity, mein kleines Runabout.
Und für Matthew, Deep Space Dad.
In Liebe, euer Mutterschiff

Inhalt

Historische Anmerkung

Teil Eins
Alte Frauen sollten Entdecker werden

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Teil Zwei
Lasst ab von der Forschung

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Teil Drei
Der Tod ist ihr Hobby

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Danksagung

Historische Anmerkung

Diese Geschichte spielt Ende November 2385, nachdem die Andorianerin Kellessar zh’Tarash Präsidentin der Föderation wurde (STAR TREK – THE FALL »Königreiche des Friedens«).

Teil Eins

Alte Frauen sollten Entdecker werden

Kapitel Eins

Logbuch des Captains, persönlicher Eintrag.

Es ist schon lange meine Absicht, einige allgemeine Gedanken zur Natur und zum Nutzen des Entdeckens festzuhalten, insbesondere mit Blick auf Erstkontakt-Missionen. Und dieser Moment ist wie dafür geschaffen, meine Überlegungen zu strukturieren: nicht nur, weil Beverly noch immer fort, sondern auch, weil der Krieg endlich vorüber ist und ich mir eine Sternenflotte wünsche, die wieder zu ihrer primären Aufgabe der friedlichen Forschung zurückkehrt. Ich hege die Hoffnung, dass die folgenden Reflexionen jenen Lesern von gewissem Nutzen sind, die sich auf ähnliche Reisen begeben möchten, wie sie schon zur Freude und zur Aufgabe meines eigenen Lebens wurden.

Worin liegt der Zweck des Entdeckens? Warum suchen wir? Was zieht uns in die Fremde und lässt uns die beträchtlichen Annehmlichkeiten unserer Heimatwelten aufgeben? Was entfremdet uns von uns selbst, auf dass wir inmitten der Sterne eine neue, eine zeitweilige Heimat finden?

Für viele meiner Kollegen ist es natürlich der Reiz der wissenschaftlichen Forschung. Als Erster eine neue Spezies zu dokumentieren, eine neue Sprache zu hören oder die alten Ruinen einer Zivilisation zu erblicken, die unterging, lange bevor das Leben aus den Erdozeanen kroch. Auch besitzt das Unbekannte selbst eine gewisse Faszination: man kartografiert nicht nur die entlegensten Winkel des Alls, sondern auch die des Wissens. Und dann ist da die Herausforderung des Ganzen – nicht nur die logistische, etwa ein Schiff wie die Enterprise mit Personal zu befüllen und zu befehligen, sondern auch jene, die man an sich selbst stellt. Die Konfrontation mit dem Unbekannten. Die Fähigkeit, ihm nicht mit Furcht, sondern mit Neugier, Empathie und Demut zu begegnen.

Viel zu lange schon hat der Krieg uns von diesem Zweck abgebracht. Vom Streben nach Wissen zum Wohle anderer und vom Streben nach Erkenntnis zu unserem eigenen Wohl. Wollen wir hoffen, dass der Friede uns in ein neues Zeitalter der Entdeckungen führt …

Doktor Katherine Pulaski wusste, dass die Leute sie nicht mochten, und es kümmerte sie nicht. Sie führte ein gutes Leben – eines, das sie liebte, voller Reisen, Abenteuer und einer Handvoll wunderbarer Freunde, die ihre Zeit nicht über Gebühr beanspruchten. Außerdem hatte sie ihren Beruf, dem sie leidenschaftlich verfallen und der zur größten Liebe ihres Lebens geworden war. Freunde, Liebhaber, Ehemänner – sie alle kamen und gingen, doch der Beruf war immer da; ein Begleiter, eine Herausforderung, ein Quell von Bestätigung und Stolz. Sie war Expertin auf mehreren Gebieten, und insbesondere ihre Errungenschaften in der genomischen Therapie hatten die Leben vieler Personen merklich verbessert. Sie war erfolgreich und gefragt, und sie hatte niemals ihre Ideale oder Ansichten verleugnen müssen, um weiterzukommen. Also warum, verdammt noch mal, sollte es sie kümmern, wenn andere sie für mürrisch und schwierig hielten? Genau das war sie ja schließlich – das wusste sie, das liebte sie, und der ganze Rest konnte ihr herzlich schnurz sein.

Und nun durfte Katherine Pulaski sogar mit einem Raumschiff spielen. Es war der Lohn vieler, vieler Stunden, in denen sie die Entscheider im Rosalind-Franklin-Institut für biomedizinische Forschung bearbeitet hatte, bis diese gehofft hatten, dass sie endlich aufhörte, wenn sie ihr gaben, was sie haben wollte. (Die Methode war altbewährt und fehlerlos.) Das Schiff hieß Athene Donald (nach einer Wissenschaftlerin, die Pulaski schon lange bewunderte) und war, wie sie jedem, der fragte (und einigen mehr) nur zu gern erzählte, ein ziviles Forschungs- und Wissenschaftsschiff. Diese waren in den vergangenen Jahren zur Seltenheit verkommen. Doch ihres würde nach guter alter Sitte (denn Pulaski war sowohl gut als auch alt) mitsamt seiner Besatzung von Forschern und Wissenschaftlern in unbekannten Raum vorstoßen und erkunden, was dort draußen wartete.

Pulaski hatte keine Zeit vergeudet, ein Team zusammenzustellen. Aktuell war die Athene Donald auf dem Weg nach Deep Space 9, um ein paar letzte Nachzügler an Bord zu nehmen, bevor die eigentliche Jungfernfahrt begann. Pulaski hatte genau die Besatzung bekommen, die sie wollte. Forschungsleiterin (und de facto Erster Offizier) des Schiffes war ihre alte Freundin Maurita Tanj – eine vereinigte Trill. Pulaski und Tanj kannten einander seit der Akademie, als Pulaski (selbstverständlich äußerst widerwillig) von ihren Beratern dazu ermuntert worden war, gemeinsam mit einer Studentin der Abteilung für Xenosoziologie eine interdisziplinäre Studie durchzuführen. Pulaski hatte Sozialwissenschaften für ziemliche Zeitverschwendung gehalten (und nicht einmal die jahrzehntelange Freundschaft mit Tanj hatte allzu viel daran geändert), aber Tanj – eine Spezialistin für Interspezies-Gruppendynamik – hatte von Anfang an gewusst, wie sie mit ihrer schwierigen Studienpartnerin umgehen musste. Ihr gemeinsames Projekt (Pflegestrategien für Patienten aus fünf unterschiedlichen Speziesgruppen) bekam in dem Jahr gleich mehrere akademische Auszeichnungen, und die stets ergebnisorientiert denkende Pulaski war fortan überzeugt gewesen, dass Tanjs Talente durchaus gewissen Wert besaßen. Tanj wiederum fand die bissige Ehrlichkeit der Menschenfrau erfrischend und akzeptierte Pulaski so, wie sie war. So wurden sie Freundinnen, und Pulaski wusste genau, dass Maurita Tanj die Person war, die die Athene Donald zu einem Erfolg machen würde. (Und wer wollte schon einen Misserfolg? Nicht Kitty Pulaski!) Die Trill konnte mit Leuten umgehen; nicht nur mit Katherine Pulaski (stets ein Bonus), sondern auch mit der sehr speziellen Besatzung, die sie zusammengestellt hatten.

Das große Verkaufsargument der Athene Donald – der Grund, aus dem sich die Typen vom Institut anfangs so vehement geweigert hatten, ihr das Schiff zu geben, und weswegen sie schließlich doch den Wert der Mission erkannten (mit ein wenig Schmiere aus Pulaskis Argumentationsölkännchen namens Tanj) – war ihre Vielvölkerbesatzung.

So weit, so gut. Doch die Föderation bestand schon per Definition aus vielen Spezies, daher hatten viele ihrer Schiffe eine Vielvölkerbesatzung. Die Athene Donald war noch einen Schritt weiter gegangen. Pulaski hatte Kollegen von Ferenginar und aus dem Klingonischen Reich eingeladen. Mehrere Cardassianerinnen hantierten in der Datenanalyse mit Zahlen.

Und das war noch nicht alles. Pulaskis Ziel war eine wahre Vielvölkerbesatzung gewesen – und sie hatte sie bekommen (mit mehr Tanj-Hilfe als sie vielleicht ahnte). Mehrere Romulaner hatten eingewilligt, sich für sie in obskuren Ecken der temporalen Warpphysik zu verdingen. Doch die Kirsche auf dem Sahnehäubchen namens Athene Donald war die Person, die das Genprogramm leitete. Ihr Name lautete Metiger Ter Yai-A, und sie war die erste Tzenkethi, der je gestattet worden war (übrigens von beiden Regierungen), an Bord eines Föderationsschiffes zu reisen. Pulaski hatte ihre Akte gelesen und sie haben wollen; nicht allein aufgrund von Metigers Kenntnissen, sondern auch wegen der Signalwirkung, die ihre Anwesenheit haben würde.

»Der Wissenschaft«, so hatte Katherine Pulaski den Ausschuss des Rosalind-Franklin-Instituts in ihrer Präsentation informiert (recht aggressiv und ohne erkennbare Ironie), »wird gelingen, woran die Diplomatie scheitert.«

»Dieses Projekt wird das erste seiner Art sein«, hatte Tanj erklärt (besonnener und mit einem Blick für die Reaktionen der Ausschussmitglieder). »Das erste, das es mit dem Frieden zwischen dem Khitomer-Abkommen und dem Typhon-Pakt wirklich ernst meint. Die letzten Jahre waren von Spannungen und Konflikten geprägt – das muss nicht sein. Es ist an der Zeit, dies aufzugeben und die wissenschaftliche Forschung sowie die Erkundung des Weltalls wieder ins Zentrum dessen zu stellen, wofür die Föderation steht. Wir müssen denen die Hand reichen, denen wir zuvor mit Skepsis begegnet sind. Der Friede mit den Klingonen war eine gewaltige Leistung. Wir können sie wiederholen – mit den Romulanern, mit den Tzenkethi –, wenn wir uns nur anstrengen. Betrachten Sie die Athene Donald …« Und hier hatten Tanjs Augen gefunkelt, denn dies war für sie das Herz des Projektes, der Grund ihrer Teilnahme. »… als Labor nicht nur für wissenschaftliche Forschung, sondern auch zur Entwicklung von Strategien, dank derer alle beteiligten Spezies fortan in Frieden miteinander und in gegenseitigem Respekt leben werden.«

Der Ausschuss war begeistert gewesen, und Pulaski dankte ihren Glückssternen dafür, dass Maurita Tanj stets auszudrücken vermochte, was sie selbst nur mit schroffer Ungeduld kommunizierte. Sie hatten ihr Schiff bekommen und auch ihre Tzenkethi.

»Was halten wir von Metiger?«, wandte sich Pulaski an Tanj, als die Athene Donald sich Deep Space 9 näherte.

Doktor Maurita Tanj sah von ihren Unterlagen auf. »Sie ist eine herausragende Wissenschaftlerin. Verschlossen, versteht sich, aber mir hat sie sich in den vergangenen Tagen schon ein- oder zweimal geöffnet.«

»Ach ja?« Pulaskis Augen funkelten vor Faszination. Jeder wollte mehr über die rätselhafte Tzenkethi und deren Heimatwelt erfahren. »Was hat sie dir erzählt?«

»Nicht viel«, gestand Tanj. »Ein paar Bemerkungen hier und da, wie ihre Forschungsprojekte organisiert sind. Sie war überrascht, aber nicht enttäuscht, wie selbstverständlich wir alle unser Wissen miteinander teilen. Nichts, was ich mir nicht schon gedacht hatte, also. Aber ich erkenne, dass sie sich uns allmählich öffnet.«

»Bist du zufrieden mit dem bisherigen Verlauf?«, fragte Pulaski nervös.

Tanj breitete die Arme aus, als wolle sie ihr schönes neues Schiff und das Versprechen, das es enthielt, an sich drücken. »Sieh dich um. Wie könnte ich unzufrieden sein? Wir tun wieder, wofür wir da sind, und wir sind mutiger denn je. Jeder sollte zufrieden sein.«

Pulaski lächelte. »Wollen wir es hoffen.«

»Katherine Pulaski kommt? Zu uns

Ro Laren wich beinahe einen Schritt zurück. Eigentlich kannte sie ihre leitende Medizinerin nur als ruhigen Fels in der Brandung. »Ist das ein Problem?«

Sie standen in der medizinischen Abteilung, einem hellen und geräumigen Sektor, bei dem keine Mühen (und Kosten – es fiel Ro gelegentlich noch schwer, in Föderationsstandards zu denken) für Ausrüstung und Personal gespart worden waren. Bestes Beispiel dafür war die aktuelle Chefmedizinerin: Doktor Beverly Crusher zählte zu den bekanntesten und respektiertesten leitenden medizinischen Offizieren in der Sternenflotte. Sie war auf DS9 gekommen, nachdem der vorherige leitende medizinische Offizier Julian Bashir dafür verurteilt worden war, geheime Daten über das Shedai-Metagenom beim Kampf gegen die andorianische Fortpflanzungskrise verwendet zu haben. Ro wusste nicht, wie lange Crusher bleiben würde; die Ärztin hatte einen Gatten und ein Kind daheim auf der Enterprise. Doch Ro freute sich über ihre Anwesenheit. Und ganz bestimmt wollte sie ihren leitenden medizinischen Offizier nicht unzufrieden sehen.

»Ein Problem? Nun, das nicht«, gestand Crusher. »Zumindest hoffe ich es.«

»Willst du mir das vielleicht erklären? Hat es irgendetwas mit ihrer Rolle in Julians Eskapaden zu tun? Falls uns Ärger ins Haus steht, sollte ich wissen …«

»Ärger …« Crusher runzelte die Stirn. »Nein, sie bedeutet keinen Ärger. Sie ist eher … schwierig.«

»Ist das alles?« Ro lachte. »Mit schwierig kann ich umgehen. Die Leute halten mich auch für schwierig, und ich komme mit mir klar.«

»Schwierig ist aber nicht gleich schwierig. Pulaski ist brillant, gar keine Frage. Eine begnadete Forscherin.«

»Was ist ihr Spezialgebiet?«

»Nun ja«, sagte Crusher. »Bashirs Interesse weckte sie aufgrund ihrer Kenntnisse im Bereich der Genomtherapie. Aber sie hat an viel mehr gearbeitet. Sie ist eine Meisterin des statistischen Modells, beispielsweise, und da bekam ich schon auf der Akademie immer Kopfschmerzen. Und sie hat an diversen Aufsätzen zu diversen Themenfeldern mitgeschrieben.«

»Mehrere Spezialgebiete?« Ro war beeindruckt. »Sie muss einen äußerst klugen Verstand besitzen.«

»Den hat sie«, bestätigte Crusher. Ihr professioneller Respekt schien nicht unter dem zu leiden, was auch immer die beiden Frauen an Persönlichem trennte. Das mochte helfen, die kommenden Tage zu überstehen, vermutete Ro. Professionell statt persönlich. »Sie ist auch eine exzellente Ärztin«, fügte Crusher an.

»Wo liegt dann das Problem?«

Crusher dachte kurz nach. »Sie ist eine exzellente Ärztin, wenn man sich nicht um Umgangsformen schert.«

Ro begann zu lächeln. »Ah. So langsam verstehe ich.«

»Dann lass mich deutlicher werden. Katherine Pulaski dreht sich um sich selbst, hat immer schlechte Laune und ist beseelt von einer schon unhöflichen Offenheit. Kurz gesagt, ist sie eine verdammte Plage.«

»Ich mag diese Frau sekündlich mehr«, sagte Ro.

»Das steht dir frei«, sagte Crusher. »Und wenn sie hier ist, darfst du auch gern in ihrem Kielwasser baden.«

»Aber da steckt noch mehr dahinter, hm? Komm schon, Beverly. Erzähl mir die ganze Geschichte.«

»Wenn du’s unbedingt wissen willst. Ich lasse persönliche Antipathie nur sehr ungern in meine Arbeit einfließen. Daher wäre ich dir sehr verbunden, wenn kein Wort hiervon diesen Raum verlässt, in Ordnung? Einfach gesagt, kann ich Pulaski nicht leiden. Sie hatte eine Weile meinen Posten auf der Enterprise inne und verhielt sich Data gegenüber äußerst gedankenlos. Das habe ich ihr nie ganz verziehen.«

Ro pfiff leise. »Du magst sie wirklich nicht.«

»Ganz und gar nicht. Jean-Luc erträgt sie genauso wenig. Sie ist Gift für seinen Blutdruck.«

Nun musste sich Ro ein Grinsen verkneifen. Die Vorstellung des sonst so besonnenen Captains der Enterprise, wie er von seiner leitenden Medizinerin – einer Frau – in den Wahnsinn getrieben wurde, war schlicht zu amüsant. Doch Beverlys offenkundige Wut bremste sie, bevor sie entsprechend nachhaken konnte. »Was ist zwischen Data und Pulaski passiert?«

»Sie hat Data als Kuriosum gesehen, das untersucht und erforscht werden sollte. Aber Data ist eine Person. Es gab einen fürchterlichen Streit darüber, Beweise mussten erbracht werden. Und ich glaube, Pulaski hat nie ganz begriffen, worum es eigentlich ging. Meinem Eindruck nach hätte sie Data liebend gern aufgemacht wie eine Konservenbüchse, als wäre er bloß ein Versuchsobjekt.« Crusher atmete kurz durch. »Das ist schwer zu verzeihen, und doch bewundere ich ihren Verstand. Ich würde alles geben, auch nur ein Viertel der Brillanz und der Entschlossenheit zu besitzen, die sie in ihren Projekten an den Tag legt. Warum kommt sie zu uns?«

»Sie gehört zur Besatzung eines zivilen wissenschaftlichen Forschungsschiffs, das in unbekannten Raum unterwegs ist. Die Athene Donald

Crusher nickte. »Ja, von der Mission habe ich gehört. Früher hätte ich mich auch noch für so etwas gemeldet.« Ihre Lippen zuckten belustigt. »Und Katherine Pulaski reist jetzt also in unerforschtes Gebiet? Ich hoffe, das Unbekannte ist gut vorbereitet.«

»Das mit Data tut mir leid«, sagte Ro, »aber du weißt hoffentlich, dass du mir diese Frau gerade immer sympathischer werden lässt. Schlecht gelaunt, brillant, treibt jeden in den Wahnsinn. Genau so eine Frau will ich auch sein, wenn ich groß bin.«

»Hmm. Warte mal, bis du ihr begegnest.«

»Darauf freue ich mich schon sehr«, sagte Ro. »Und sie ist auch nicht das einzige Gesicht aus der Vergangenheit, das in den nächsten Tagen hier vorbeischaut. Wir erwarten einen Besuch von Odo, dem ehemaligen Sicherheitschef.«

»Dem Wechselbalg?«

Ro hob warnend einen Finger. »Ich glaube, inzwischen sagt man Gründer.«

»Ja, ja, natürlich …« Crusher errötete. »Schon verstanden. Und warum kommt er hierher?«

»Viel weiß ich noch nicht«, sagte Ro. »Nur, dass es irgendetwas mit Cardassianern zu tun hat.«

»Cardassianer?«, murmelte Crusher. »Du meine Güte.«

»Ich weiß«, sagte Ro. »Cardassianer. Es gibt immer Cardassianer. Sie sind eine Art Konstante in diesem Universum.«

Ein bisschen Frieden, dachte Ro. Sie war unterwegs in ihr Büro zum Treffen mit Odo. Die neue Station war kaum ein Jahr alt und bereits Schauplatz zu vieler Krisen und Dramen geworden. Ro sehnte sich danach, einen Ort zu leiten, der ganz normal war. Sie wollte sich nicht langweilen – vor Langeweile (und dem dazugehörigen Papierkram) durfte sie das Universum sehr gern bewahren –, aber sie wünschte sich ein bisschen Zeit, um ihre neue Station zu genießen. Ein, zwei Tage, in denen alles nach Plan verlief und die Besatzung mal nicht unter galaktischen Machtspielchen und Mordversuchen litt …

Ro riss sich zusammen. Der Schreck über den Tod von Präsidentin Nanietta Bacco hier auf DS9 saß noch immer tief. Er hatte sie alle schwer getroffen, insbesondere ihren Sicherheitschef Jefferson Blackmer, unter dessen wachsamen Auge der Mord geschehen war. Auch das war ein guter Grund, sich eine Pause zu ersehnen. Die Besatzung würde lernen, dass sie gut zusammenarbeitete, und ein bisschen Selbstvertrauen zurückgewinnen. Sie hatten nicht gerade einen idealen Start hingelegt. Aber das würde sich bald ändern.

Die Tür zu Ros Büro glitt auf. Odo erwartete sie bereits, und Ro trat ihm grüßend entgegen. Was immer den einstigen Sicherheitschef von DS9 von Bajor hergebracht hatte – Ro konnte nur hoffen, dass seine Mission ihr nicht zu viele Komplikationen bereitete.

Odo erhob sich aus seinem Sessel und nickte knapp, aber nicht unfreundlich. Dann sah er sich um. »Sehr beeindruckend.« Seine Stimme war eine Art Knurren, die eines Mannes, der Situationen gern einen Stempel der Autorität aufdrückte. »Ganz anders als die alte.«

Ro nahm lächelnd Platz, und auch er setzte sich wieder. »Trotzdem fehlt mir die alte Station irgendwie«, sagte sie. »Sie besaß einen … sagen wir, eigenwilligen Charme.«

Odo schnaubte. »Zu eigenwillig, wenn Sie mich fragen.«

Beeindruckt hob sie die Braue. Er hatte geschnaubt! Gründer konnten spöttisch sein? Allmählich wurde ihr dieser so humorlos wirkende Mann mit dem unfertigen Gesicht richtig sympathisch. »Seien Sie willkommen, Constable«, sagte sie.

Doch er hob die Hand. »Odo genügt. Ich bin nicht länger ein Constable. Ich bin einfach Odo.« Nun klang er deutlich sanfter.

»Na, jedenfalls bin ich froh, Sie hier willkommen heißen zu dürfen. Obwohl es mich auch überrascht. Von allen ehemaligen Mitarbeitern wurden Sie mir als derjenige beschrieben, dessen Besuch am unwahrscheinlichsten wäre.«

»Mein guter Ruf eilt mir voraus«, sagte Odo, und Ro hätte schwören können, dass ein Funkeln in seinem Blick lag. Konnten Gründeraugen funkeln?

»Ich wäre eine Närrin, die Gerüchteküche zu ignorieren«, sagte Ro.

»Heißt der Koch zufällig Quark?« Odo sprach den Namen aus, als habe er einen unangenehmen Beigeschmack.

Doch Ro lachte. Ihr Ferengi-Freund hatte ihr schon viele unpassende Geschichten erzählt, und nun kamen sie ihr wieder in den Sinn. »Quark tratscht ständig. Wie Sie bestimmt wissen.«

Erneut ein Schnauben. »Und da liegt er, wie ich schmerzvoll eingestehen muss, vollkommen richtig. Ich … Nun, sagen wir, ich habe die Stille genutzt, um meine Vergangenheit Revue passieren zu lassen und meine Zukunft zu bedenken.«

»Soweit ich weiß, ist das Kloster von Trishella wunderschön«, sagte Ro. »Balsam für die Seele.«

Odos Miene blieb ausdruckslos, doch ein tiefes Grummeln drang aus seinem Rachen. (Hat er überhaupt einen Rachen?) »Also hat Quark mich im Auge behalten. Den Gefallen werde ich ihm erwidern.«

»Nur zu«, sagte Ro. »Aber verraten Sie mir doch eins: Was bringt Sie aus Ihrer …« Sie suchte nach dem richtigen Wort.

»Aus meinem Einsiedlerdasein?«, schlug Odo seufzend vor. »Ein Gefallen für eine alte Freundin.«

»Eine alte cardassianische Freundin?«

Odo betrachtete sie ausdruckslos. »Wäre das ein Problem, Captain?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Ro. »Noch haben Sie mir nichts über diese Freundin erzählt.«

Wieder das tiefe Grummeln. »Diese alte Freundin …«, sagte er, »Und lassen Sie sich nicht beirren: Sie ist eine Freundin. Diese Freundin kam wegen ihres Sohnes zu mir. Er war Glinn des Zweiten Ordens am Ende des Dominion-Krieges.«

»Der Zweite Orden …« Ro dachte kurz nach. »Die kämpften an der romulanischen Front, richtig?«

»Korrekt. Als der Krieg endete, wurden die dort postierten Cardassianer von den Romulanern gefangen genommen. Die meisten sind seitdem nach Hause zurückgekehrt, aber nicht alle. Auch der Sohn meiner Freundin nicht.«

»Er wird immer noch von den Romulanern gefangen gehalten?« Ro war entsetzt. »Das ist zehn Jahre her!«

»Sie sehen also, warum ich helfen möchte. Hier geschieht Unrecht, Captain. Und ich mag kein Unrecht. Nicht einmal bei Cardassianern.« Der letzte Satz hatte einen schelmischen Unterton.

Ro, die bei Cardassianern auch gern mal ein Auge der ausgleichenden Gerechtigkeit zugedrückt hätte, musste ihm zustimmen. Zehn Jahre waren eine lange Zeit für einen Kriegsgefangenen.

»Laut meiner Freundin – sie heißt übrigens Mhevita Pa’Dan – gelte ich als so etwas wie ein Friedenswächter«, sagte Odo. »Sie glaubt, meine Einmischung könnte die Romulaner zu einer Art Lösung antreiben. Idealerweise bestünde diese aus der Freilassung ihres Sohnes und der anderen Gefangenen. Aber schon ein Gespräch als solches wäre ein guter Anfang.«

»Und ich vermute, sie wünschen sich DS9«, folgerte Ro, »als neutralen Boden für diese Verhandlungen. Darf ich jetzt stündlich mit der Ankunft eines romulanischen Repräsentanten rechnen?«

»Das nicht. Wir haben niemanden, mit dem wir verhandeln könnten. Wie Mhevita mir sagt, schweigen sich die Romulaner diesbezüglich aus. Und das mit Nachdruck.«

»Dann weiß ich nicht, wie ich helfen kann«, bedauerte Ro. »Mir scheint, diese Angelegenheit müssen die Cardassianer und Romulaner unter sich klären. Ihre Freundin sollte sich an ihre Regierung wenden …«

»Das erweist sich ebenfalls als wenig hilfreich. Auch deswegen kommen wir nun zu Ihnen. Sie sind nicht nur hochrangige Sternenflottenoffizierin, sondern auch Bajoranerin. Wenn eine Bajoranerin sich für cardassianische Kriegsgefangene starkmacht, dann signalisiert das den Romulanern vielleicht, dass es Zeit wird, alte Feindseligkeiten hinter sich zu lassen und diese Leute heimzuschicken.«

»Interessanter Ansatz«, sagte Ro. »Und ich mag das dahinterstehende Prinzip. Aber ich weiß nicht, ob ich mich gern in anderer Leute Angelegenheiten einmischen würde. Und meine Vorgesetzten könnten die Idee ebenfalls nicht sonderlich …«

»Ehrlich gesagt«, unterbrach Odo sie und klang dabei, wie sie bemerkte, wenigstens ein bisschen beschämt, »war ich schon so frei, Ihre Vorgesetzten im Sternenflottenkommando zu informieren. Sie finden, dass es nicht schadet, wenn Sie mich unterstützen. Es sei ein gutes Zeichen für die Allianz zwischen Cardassianern und Föderation und könne vielleicht sogar neue Diskurse mit den Romulanern eröffnen.« Er hielt kurz inne. »Ich glaube, Ihre Vorgesetzten wären schon froh, wenn sich die Eiseskälte in den diplomatischen Beziehungen zu Romulus in leichtes Tauwetter verwandelte. Jeder Anlass zu Gesprächen ist ihnen willkommen.«

Und jeder Anlass, die Romulaner zu nerven. Aber nicht nur die. »Sie haben mit meinen Vorgesetzten gesprochen?«, fragte Ro mit Kälte in der Stimme.

Eine kleine Pause folgte.

»Vielleicht sollten Sie Ihre neuen Nachrichten abrufen«, sagte Odo höflich.

Ro tat es und fand eine freundliche Notiz der Mächtigen, laut der sie Odo bitte alle erdenkliche Unterstützung gewähren sollte.

»Ich bedaure, hinter Ihrem Rücken gehandelt zu haben …«

Nun war es an ihr, zu knurren.

»… aber ich konnte nicht riskieren, dass Sie ablehnen. Ich will Mhevita helfen. Es ist eine sehr gute Sache, Captain. Wollen Sie sich nicht wenigstens mal mit ihr treffen? Sie ist hier auf der Station. Hören Sie sich an, was sie zu sagen hat.«

Ro seufzte. Hatte sie überhaupt eine Wahl? Befehl war Befehl. »Selbstverständlich.«

Odo brummte zufrieden. »Danke, Captain.«

»Hmmm.« Ros Blick fiel auf die nächste Nachricht. Sie stammte von einem Commander Peter Alden vom Sternenflottengeheimdienst. Er sei auf dem Weg und bat um ein baldiges Treffen mit ihr. Wieder seufzte sie. Wenn die Cardassianer eine Konstante des Universums waren, dann war der Sternenflottengeheimdienst auch eine. Und beide hatten sehr wenig mit dem bisschen Frieden gemeinsam, den sie so ersehnte.

Kapitel Zwei

Logbuch des Captains, persönlicher Eintrag. Man hört viel Lob über geborene Anführer – Personen, die vom Schicksal für die Spitze ausersehen scheinen –, und meist hört man es aus den Mündern jener, die selbst gern an solcher Position stünden. Doch ein kluger Captain weiß, dass er oder sie ohne Besatzung nichts wert ist, und er beschäftigt sich ausgiebig mit der Frage, wie ein effektives und harmonisches Team gefunden und gehalten werden kann. Ein gutes Team ist mehr als die Summe individueller Spezialgebiete und Erfahrungen – so viel liegt gewiss auf der Hand. Doch gibt es Mittel, ein effektives und harmonisches Team zu garantieren? Gibt es, kurz gesagt, eine »Wissenschaft« bei der Zusammenstellung von Besatzungen?

Ich gestehe, dass mich Zweifel plagen. Eine »Wissenschaft« von Charakteren – geht das? Intuition und Erfahrung sind für mich immer wichtig, wenn ich entscheiden muss, welche Personen am besten zu mir passen. Dem Leser und der Leserin meiner Notizen hilft diese Auskunft allerdings wenig, sucht er oder sie doch gewiss nach praktischeren Lektionen!

Wer sich sozialen Wissenschaften öffnet, verliert sich mitunter recht schnell in einem Wust von nicht selten einander widersprechenden Abhandlungen. Es gibt allerdings Ausnahmen, und an dieser Stelle möchte ich Doktor Maurita Tanjs Arbeiten nennen, insbesondere ihr Buch Das Diversitäts-Paradoxon. Es mag populärwissenschaftlich anmuten, vermittelt aber solide die Grundlagen der entsprechenden Forschung und bietet zahlreiche praktische Ratschläge.

Ein Schiff wie die Enterprise ist ein Füllhorn von Fallstudien – es ist gewissermaßen eine Art Labor –, doch nur für Spezies von Föderationswelten. Nun, da wir uns langsam dem Frieden nähern, würde mich interessieren, ob eine Besatzung gebildet werden könnte, die aus Vertretern unterschiedlichster Mächte besteht. Wie passen romulanische Besatzungsmitglieder auf ein Föderationsschiff, wie cardassianische – und eines Tages vielleicht sogar Tzenkethi? Im Fazit ihrer jüngsten Veröffentlichung (»Der Schlüssel zum Erfolg in Multi-Spezies-Teams«) deutet Tanj an, dass auch sie in diese Richtung denkt. Ich werde etwaige Folgetexte ihrerseits mit großem Interesse studieren.

Corazame – inzwischen hatte sie keinen anderen Namen mehr. Einstmals war sie Corazame Ret Ata-E gewesen und Teil eines sechsköpfigen Teams, das auf Ab-Tzenketh, der Heimatwelt der Tzenkethi, die Regierungsbüros nahe der großen Lagune reinigte. Gesellschaftlicher Bodensatz. Hätte sie jemand gefragt (was niemand je für nötig gehalten hatte), so hätte Corazame den Sinn ihrer Existenz damit erklärt, jedwede Aufgabe, die der Autarch ihr zuwies, wohlfeil zu erfüllen – dankbar und bedenkenlos. Sie hätte abgestritten, den Nutzen der Büros zu kennen, durch welche sie Tag für Tag ging – es war ja nicht ihr Nutzen.

Doch selbst damals – als Corazame nie in Erwägung zog, ihre atemberaubende, komplexe, betörende Welt zu verlassen – hatte sie gewusst, dass das Universum groß war. Jeden Tag hatte sie den Rücken krumm gemacht, um die Wände und Böden des Außenministeriums zu säubern, wo Corazames Vorgesetzte politische Entscheidungen trafen, die die Welten außerhalb der Reichweite des Autarchen betrafen. Und sie hatte sich nicht helfen können. Denn selbst wenn man sich stets die Ohren zuhielt oder Lieder sang, um die Gespräche anderer zu übertönen; selbst wenn Vorgesetzte mitunter in einen Dialekt verfielen, den man nicht beherrschen sollte (und doch beherrschte) – man hörte sie. Mehr noch: Man begriff mindestens Teile dessen, was man da hörte, auch wenn man sich noch so sehr wehrte. All dies machte Corazame Ret Ata-E interessant für die neuen Freunde, die sie seit Verlassen ihrer Heimat gefunden hatte. Die Freunde gehörten zum Sternenflottengeheimdienst und konnten gar nicht genug von Corazames Volk und Planet erfahren.

Corazame … aber nennen wir sie doch Cory; diesen Namen verwendet sie selbst, seit sie im Föderationsraum weilt, und wenn wir schon in ihre privatesten Gedanken schauen, sollten wir ihr vielleicht diesen Respekt erweisen. Cory hatte nie beabsichtigt, Ab-Tzenketh zu verlassen, und ganz gewiss hatte sie sich ihre Zukunft nie inmitten von Feinden ihres Volkes vorgestellt. Noch vor einem Jahr war Cory jeden Tag zur Arbeit gependelt, still und unauffällig. In den Pausen hatte sie ebenso still und unauffällig ihre Kollegin Mayazan Ret Ata-E beobachtet, an der ihr neugieriger Verstand einen Narren gefressen hatte. Im stillen und unauffälligen Gespräch mit anderen Arbeitspartnern hatte sie erfahren, dass jeder sich um Mayazan – Maymi – Sorgen machte, unterliefen Maymi doch viele Fehler … Sie stellte merkwürdige Fragen, bewegte sich seltsam. Sie war ein einziges Rätsel.

Die dazugehörige Lösung hatte Cory überrascht. Mayazan Ret Ata-E war gar keine aufgewertete EE-Dienerin, die sich an die Pflichten ihrer neuen Funktion zu gewöhnen versuchte. Sie war Neta Efheny, eine cardassianische Spionin, und horchte das Außenministerium für ihre Vorgesetzten auf Prime aus. So verzaubert war Efheny von der Schönheit Ab-Tzenkeths und den Segnungen eines bedenkenfreien Lebens gewesen, dass sie, als die Zeit ihrer Rückkehr nahte, entschied, dort zu bleiben und Cory an ihrer Stelle flüchten zu lassen. Dadurch rettete Maymi – Efheny – ihre Freundin Cory zweifellos vor den Vollstreckern, doch sie zwang das Mädchen auch in eine fremde und Furcht einflößend neue Welt. Natürlich hatte Cory geahnt, dass es dort draußen fremde Welten gab (das entsprechende Wissen war auf Ab-Tzenketh limitiert und jemandem von Corys sozialem Stand nicht verfügbar). Und natürlich hatte sie gewusst, dass fremde Wesen diese Welten bevölkern mussten – doch abstraktes Wissen war nicht praktische Erfahrung, und was Cory seit ihrem Aufbruch von Ab-Tzenketh gesehen hatte, überstieg ihre kühnsten Vorstellungen. Es gab mehr fremde Welten, als sie je vermutet hätte, und nicht alle waren ihr – oder einander – freundlich gesinnt. Es hatte Kriege gegeben, Kämpfe und Ereignisse, die sie nicht verstand und vermutlich nie ganz begreifen würde. War das Dominion nun identisch mit den Borg oder nicht? Warum galten Vulkanier als gut und Romulaner als böse? Stimmte es wirklich, dass ein Trill zwei Personen gleichzeitig sein konnte? Gab es noch mehr Spezies, die sie nicht kannte? Wie viele? Wo waren sie? Würde sie sie alle verstehen und lernen müssen, ihnen wohlfeil zu dienen? Denn noch hatte sie den Glauben nicht ganz abschütteln können, für den Dienst bestimmt zu sein. Noch nicht. Egal, was Peter Alden sagte. (Oder vielleicht wegen Peter Alden?)

Commander Alden hatte zu den Ersten gehört, die mit der so plötzlich ins Exil geratenen Cory sprachen. Sie war verängstigt gewesen, hatten all die Gesten und Signale, die ihr so vertraut gewesen waren, doch auf einmal keinen Wert mehr besessen. Sie hatte nicht gewusst, wie sie den Fremden sonst mitteilen konnte, dass sie ihnen dienen würde und keine Bedrohung war.

Alden – Peteh – war freundlich gewesen. Er hatte ihre Hand gehalten, bis sie sich beruhigte, und obwohl seine stahlgrauen Augen sie an einen Vollstrecker erinnerten, hatte Cory ihm geglaubt, als er sagte, sie könne ihm vertrauen.

Seit jenem Tag wich sie nicht von Commander Peter Aldens Seite. Sie folgte ihm in seine Heimat (Erde, so viel verstand sie), begegnete seinen Kollegen (vom Sternenflottengeheimdienst, das verstand sie erst recht) und beantwortete Fragen (höfliche; es gab keinen Zwang, kein Gefühl von Drohung und Bestrafung) zu ihrer Herkunft und Lebensart. Anfangs hatte Cory ganz freimütig Auskunft gegeben – wohlfeil und ohne Skepsis. Dann aber, eines Abends, setzte Alden eine Saat des Zweifels in ihren Geist.

Er hatte sie in eine große Stadt mitgenommen, die er London nannte. Er war sichtlich stolz auf sie, doch Cory fand sie langweilig und ziemlich verdreckt. Es gab keine glänzenden Korallenbauten, keine lieblichen Gesänge zur Beruhigung der Seele, und ganz gewiss keine große Lagune, breit und tief wie ihre Liebe. Stattdessen gab es Dissonanz, Hektik, Vielfalt und Gelächter. Alden nahm sie mit ins Theater, das sie verblüffte, und zum Abendessen, was ihr gefiel. Es war scharf und würzig und – das Allerbeste – salzig. Als er begriff, dass Cory nicht allzu viel von Die Herzogin von Amalfi gehalten hatte, lehnte Alden sich in seinem Sitz zurück und sagte: »Sie müssen nicht immer so offen sein, wissen Sie? Sie dürfen auch Geheimnisse haben.«

Anfangs verstand Cory nicht. Hatte sie zu viel über das Stück gesprochen? Es hatte hübsch ausgesehen und herrlich geklungen, doch die Handlung war dümmlich gewesen. Erst dann verstand sie, dass er ihre Unterhaltungen mit seinen Kollegen meinte. Sie begann eine beruhigende Geste und bremste sich wieder. Peteh hasste es, wenn sie das tat.

»Diese Dienerin …«, sagte sie, doch er runzelte missbilligend die Stirn, also versuchte sie es neu. »Ich … dachte, das sei Ihr Wunsch.«

Ungeduldig stach er in sein Essen. »Ich möchte, dass Sie tun, was immer Sie wünschen, Cory. Werden Sie sich Ihres Wertes bewusst. Sie liefern ihnen alles auf dem Präsentierteller. Sie verraten alles, ohne sich zu fragen, was das für Sie bedeutet. Was sie für Sie tun könnten.«

Sie war verwirrt. Es waren doch seine Freunde, oder etwa nicht? Warum sollte sie ihnen nicht alles erzählen? Sie hatten nach ihrer Heimatwelt gefragt, und Cory liebte Ab-Tzenketh: seine reichen Farben und die sanfte Konstanz des Alltags, den sie dort gelebt hatte. Traurig besah sie sich die graue Stadt, in die ihr Freund sie gebracht hatte.

»Ich weiß, dass Sie dort sicher waren«, sagte Alden. »Und ich weiß, dass Sie nicht freiwillig fortgegangen sind. Aber jetzt sind Sie frei. Sie können tun, was immer Ihnen gefällt.«

Sie wusste nichts zu erwidern. Sie wollte ihn erfreuen, ihm für die Güte danken, die er ihr während des schweren vergangenen Jahres erwiesen hatte. Seine Arbeit, das wusste sie, bestand darin, so viel er konnte über Ab-Tzenketh zu erfahren, und sie war verblüfft gewesen, wie wenig er und seine Kollegen bisher gewusst hatten. Sie hielt die Hand an ihre Brust und tippte langsam mit den Fingern dagegen. Ohne darüber nachzudenken, senkte sie den Glanz ihrer Haut auf ein respektableres Level.

»Sie müssen sich nicht von anderen ausnutzen lassen«, sagte Alden. Dann griff er nach ihrer Hand und, sanft und doch bestimmt, hielt sie davon ab, weiterzutippen. »Und bitte lassen Sie das. Sie müssen auch das nicht tun. Es gibt hier niemandem, dem Sie dienen müssten.« Er hob ihre Hand. »Ich möchte Ihren Glanz sehen, Cory.«

Dieses Gespräch hatte sie lange beschäftigt. Anfangs wusste sie nicht damit umzugehen. Es war klar, dass er und seine Freunde die Berichte über ihre Welt hören wollten – ja, hören mussten. Doch nun sagte er, sie brauche sie gar nicht zu liefern, dürfe es sogar nicht? Entsprach das noch dem Willen seiner Vorgesetzten? Oder wurde Peteh, der doch immer so gefasst und beherrscht und sicher auftrat, ebenfalls von Selbstzweifeln geplagt? Cory wagte es nicht, ihn zu fragen, doch die Zweifel blieben.

Monate vergingen. Eines Tages nahm Alden sie mit auf kurze Reisen durch die Föderation: zur Erde, natürlich, seiner Heimat, aber auch auf andere Welten. Einige dieser Ausflüge dienten ihrer Bildung, andere folgten einem weniger eindeutigen Zweck und führten abermals dazu, dass sie Fragen zu ihrer Welt und ihrem Volk beantwortete. Doch nach jener Unterhaltung in London folgte Cory wieder der Strategie, die ihr schon als Ret Ata-E so herrlich dienlich gewesen war: Sie verhielt sich ihrem Status entsprechend und wusste nicht mehr, als angemessen für sie war.

»Ich fürchte, diese Dienerin … ich weiß das nicht«, sagte sie manchmal zu ihren Befragern, natürlich mit Bedauern in der Stimme. »Diese diente bloß als … ich war bloß Reinigungskraft.« Die Strategie erwies sich als gut. Sie fanden es amüsant, dass Aldens großer Fang nur wusste, wie man Böden schrubbte, und befragten sie nicht weiter.

Eine Weile genoss Cory die Reisen, doch nach einigen Monaten wusste sie, dass der Schmerz, der sie überall begleitete, nicht länger ignoriert werden konnte. Sie vermisste ihre Heimat, und all die neuen Welten steigerten ihre Sehnsucht noch. Alden sagte, sie sei frei. Fühlte sich Freiheit so an? Würde sie sich stets so verloren, so traurig vorkommen?

Ein neuer Tag, eine neue Reise. Alden hatte ihr gesagt, dass ihr Ziel ein Ort mit dem Namen Deep Space 9 war. Sie hatte seiner Beschreibung gelauscht und dienstbeflissen die Akten studiert, die er ihr gab, doch all die seltsamen Orte verschwammen in ihrem Geist inzwischen zu einem. Dennoch versuchte sie, sich wenigstens so viel wie möglich über das Schiff zu merken, auf dem sie reisten. Sie vermutete, diese Informationen mochten ihr dienlich sein, falls sie je wieder nach Ab-Tzenketh zurückfand …

Zuhause. Würde sie es noch einmal sehen? Würde sie es wagen, zurückzukehren? Nie hatte sie gehört, dass jemand ihres Standes derart dramatisch, derart schändlich über die Stränge geschlagen hatte. Gab es dafür Präzedenzen? Wie würde ihr geschehen, falls sie heimkehrte? Ob ihr Wissen über die Föderation ausreichte, sie vor der Rekonstruktion zu bewahren? Würde man einen Teil von ihr behalten wollen, um zu erfahren, was sie wusste? Oder käme die Strafe für ihre unerhörte Tat vor allem anderen?

»Cory?« Alden saß neben ihr. »Alles in Ordnung?«

Sie drehte sich zu ihm. Er war groß und schlank, hatte dunkles Haar und diese stahlgrauen Augen, deren Blick sie noch immer manchmal fürchtete.

»Ich bin … in Ordnung.«

Er lächelte. »Na, Sie klingen jedenfalls so. Aber Ihre Hautfärbung … Na ja, normalerweise bedeutet sie, dass Sie traurig sind.«

»Ich denke an daheim«, meinte sie schlicht.

»Ah«, sagte er und sah aus dem Fenster, an dem sie saß, hinaus in die Leere des Alls.

Sie hob die Hand an die Brust – doch seine Hand folgte, um die ihre zu bremsen. (Und nicht zum ersten Mal fragte sich Cory, ob er das Recht dazu besaß, ihre Gefühlskommunikation zu unterbinden, weil sie ihm missfiel.)

»Nicht«, hielt Alden sie sanft auf. »Sie sind jetzt frei. Sie müssen niemandem gefallen.«

Außer Ihnen, dachte Cory.

»Nicht einmal mir«, sagte er.

Vorsichtig zog sie die Hand zurück. »Peteh«, sagte sie und bremste sich.

»Bitte sagen Sie mir, was Sie bekümmert.« Er sah sie an, ehrlich, aufrichtig. Konnte sie sich ihm öffnen?

»Sie wissen, dass diese Dienerin … dass ich Ihnen für all die Chancen dankbar bin, die Sie mir gegeben haben.« Sie merkte, wie er seine Verwirrung überspielte, und fuhr schnell fort. »Aber ich vermisse meine Heimat.« Das brachte einen mitleidigen Ausdruck in seine Augen. »Ich weiß, wie sehr Sie meine Gesellschaft verachten …«

»Cory, es ist viel komplexer als das …«

»Bitte, Peteh. Lassen Sie mich ausreden. Ich weiß, dass sie allem widerspricht, was Ihnen wichtig ist.«

Er hörte genau zu, teilnahmsvoll. Er war kein böser Mann. Er wollte, dass sie glücklich war. Doch wie konnte sie das sein?

»Aber sie machte mich zu mir«, fuhr sie fort. »Sie war alles, was ich im Leben kannte – bis zum vorigen Jahr. Für das ich dankbar bin

Einen Moment lang dachte er stumm nach. Dann, ganz direkt: »Möchten Sie nach Hause?«

Ihre Haut wurde trauerdunkler. »Ginge ich heim, würden sie mich vernichten. Ich habe Ihnen fast alles erzählt, was ich weiß.«