Das Buch

Mias Plan, innerhalb eines Jahres eine Million Dollar aufzutreiben, droht zu scheitern: Sie muss ihrem Kunden für September absagen, denn ihr Vater ringt mit dem Tod. Sie bräuchte mehr denn je Wes' Hilfe, doch der ist spurlos verschwunden. Blaine Pintero, dem sie das Geld schuldet, bietet ihr einen Ausweg an: Er erlässt Mia die restlichen Zahlungen, wenn sie eine Nacht mit ihm verbringt. Das kommt für Mia nicht in Frage. Doch Blaine hat sie in der Hand ...

Die Autorin

Audrey Carlan schreibt mit Leidenschaft heiße Unterhaltung. Ihre Romane veröffentlichte sie zunächst als Selfpublisherin und begeisterte damit eine immer größere Fangemeinde, bis der Verlag Waterhouse Press sie unter Vertrag nahm.

Ihre Serie »Calendar Girl« stürmte die Bestsellerlisten von USA Today und der New York Times und wird als das neue »Shades of Grey« gehandelt. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Kalifornien.

Homepage der Autorin: www.audreycarlan.com

AUDREY CARLAN

357556.jpg

September



Aus dem Amerikanischen von
Friederike Ails

Verlagsqualität Ullsteinbuchverlage

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:

www.ullstein-buchverlage.de


Verlagsqualität Ullsteinbuchverlage

Wir wählen unsere Bücher sorgfältig aus, lektorieren sie gründlich mit Autoren und Übersetzern und produzieren sie in bester Qualität.


Hinweis zu Urheberrechten


Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.

Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.


ISBN 978-3-8437-1359-7


Deutsche Erstausgabe im Ullstein Taschenbuch

1. Auflage Oktober 2016

© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016

© 2015 Waterhouse Press, LLC

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

The Calendar GirlSeptember (Waterhouse Press)

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Titelabbildung: © FinePic®, München

Buchgestaltung: Axel Raidt

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

357736.jpg

Karen Roma

Der September ist dir gewidmet, meine australische Freundin. Deine Rezensionen sind immer ehrlich, egal ob dich die Geschichte gepackt hat oder nicht. Und du gibst mir immer wieder aufs Neue eine Chance. Letztlich glaube ich, dass mich die konstruktive Kritik noch härter arbeiten und nach mehr streben lässt. Deinetwegen werde ich immer besser.

Danke, mein Engel.

357768.jpg

Kapitel 1

Weiße Wände. Nichts als weiße Wände mit gerissener, abgeplatzter Farbe und schäbigen Deckenplatten, auf denen rostfarbene Flecken zu sehen waren. Ich blinzelte mehrmals, hob den Kopf, bewegte ihn hin und her, vor und zurück. Der Knoten in meiner Schulter hatte die Größe des Mount Everest und befand sich dort seit fast einer Woche.

»Es tut mir leid, Liebes. Es geht ihm immer noch nicht besser.«

»Mia, wir sind für Sie da.«

»Wir beten weiter für ein Wunder.«

»Die Chancen Ihres Vaters sind sehr gering, fürchte ich.«

»Benachrichtigen Sie bitte den Rest der Familie.«

»Sprechen Sie mit ihm. Verabschieden Sie sich.«

Gesprächsfetzen schwirrten unablässig durch meinen Kopf, Bruchstücke von Beileidsbekundungen und von den Antworten des Arztes, und wiederholten sich wie eine altmodische Schallplatte. Ich hob den Arm mit der Nadel immer wieder an, setzte ihn ab und wartete darauf, dass die Melodie von vorn begann.

Mit übermüdeten Augen starrte ich den einzigen Mann an, der mich immer geliebt hatte. Von meinem ersten Atemzug an, als er mir Baseballspielen beigebracht und mich in meiner Schulzeit begleitet hatte, die ganze Zeit über, bis meine Mom uns verließ und er zusammengebrochen war. Selbst als sein Gesicht schon knallrot und seine Sprache lallend geworden war und seine Augen stumpf und grau blickten, liebte er mich noch, und ich verließ mich darauf, dass diese Liebe uns zusammenhalten würde. Und meistens tat sie das auch.

Ich saß neben seinem Bett, hielt seine Hand und hoffte, dass mein warmer Händedruck bis in sein Bewusstsein dringen und ihn auffordern würde, weiterzukämpfen. Für seine Töchter zu kämpfen. Für mich, sein Fleisch und Blut, zu kämpfen. Die letzten fünfzehn Jahre hatte ich damit verbracht, für ihn zu kämpfen, für Maddy, und jetzt war er an der Reihe. Da zu sein. Hart daran zu arbeiten, zu uns zurückzukehren. Wir mochten nichts Besonderes sein, lediglich zwei junge Frauen auf der Suche nach dem richtigen Weg, aber wir gehörten zu ihm, und tief in meinem Inneren musste ich daran glauben, dass wir den Kampf wert waren, denn sonst würden wir ihn verlieren … für immer.

Die neue Schwester der Morgenschicht kam leichtfüßig ins Zimmer. Sie machte kaum ein Geräusch, als sie Pops’ Werte überprüfte und etwas auf seine Karteikarte schrieb, ehe sie mir ein mitfühlendes Lächeln zuwarf. Etwas anderes hatte ich die letzten Tage über kaum erhalten. Mitleid, traurige Blicke, vorsichtige Beileidsbekundungen. Ich sah zu Maddy hinüber, die sich in Embryohaltung schlafend auf dem kleinen Sofa zusammengerollt hatte. Genau wie ich hatte sie sich geweigert, für mehr als eine hastige Dusche und frische Klamotten das Zimmer zu verlassen. Wenn unser Dad seinen letzten Atemzug tat, wollten wir bei ihm sein.

Wir hatten noch immer nicht über das gesprochen, was unübersehbar zwischen uns im Raum stand. Die Sache, die so schwer auf meiner Brust lastete, dass sie mir bestimmt schon ein paar Rippen gebrochen hatte. Ich konnte kaum atmen, weil ich wusste, wie sehr Maddy litt. Die Neuigkeit, dass Jackson Cunningham ihr richtiger Vater war, war ein Schlag gewesen, der uns beide heftig erwischt hatte. Es fühlte sich an, als wären wir mit den Köpfen zusammengestoßen. Seit wir es wussten, schlichen wir umeinander herum und drifteten immer weiter auseinander. Ich hielt es kaum aus. Ich brauchte Maddy jetzt, mehr als je zuvor, und doch schien sie mir zu entgleiten, schien sich nicht bewusst darüber zu sein, was sie mir bedeutete. Das war schlimm, aber noch schlimmer war, dass unsere Mutter uns so etwas angetan hatte.

Das einzig Gute an der Sache war Maxwell. Er hatte uns mit seinem Privatjet hierhergeschickt und rief jeden Tag an. Er hatte uns für den nächsten Monat sogar ein Hotel in Gehweite von der Rehaklinik besorgt. Unser neuer Bruder hatte an alles gedacht, und Geld spielte keine Rolle. Plötzlich bekamen wir die besten Ärzte – Scharen von Leuten tauchten auf, um nach unserem Vater zu sehen und gemeinsam über seinen Werten zu brüten. Sie überprüften nicht nur seinen neurologischen Zustand, sondern suchten nach weiteren Hinweisen, um sicherzugehen, dass er nicht hirntot war. Sie überlegten, ob er in der Lage sein würde, die körperlichen Auswirkungen der außer Kontrolle geratenen Virusinfektion zu überstehen, bei der er nicht nur einen, sondern gleich zwei Herzstillstände erlitten hatte. Schuld daran waren die allergischen Anfälle, mit denen er auf die Medikation reagiert hatte.

Einige der Ärzte fürchteten das Schlimmste. Bevor die Spezialisten eintrafen, hatte die Rehaklinik unseren Vater bereits abgeschrieben. Man sagte uns, es gäbe nichts mehr, was wir für ihn tun konnten, und empfahl uns, die lebenserhaltenden Maßnahmen einstellen zu lassen.

Lebenserhaltend.

Die Geräte abschalten, die ihn am Leben hielten. Ich konnte das nicht. Wäre ich in einer ähnlichen Lage, würde Pops mich aufgeben, die Geräte anhalten, die mich mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff versorgten? Eher würde die Hölle zufrieren. Dieser Mann würde über mir stehen, mein Herz massieren und mich nonstop beatmen, wenn er mich damit auch nur eine Minute länger am Leben halten könnte. Ich musste das Gleiche auch für ihn tun.

»Guten Morgen, Ms Saunders«, sagte Dr. McHottie, als er Pops’ Klemmbrett vom Fußende des Bettes nahm und einen Blick darauf warf. Eine Zeitlang machte er sich Notizen, überprüfte etwas, blätterte vor und zurück und wiederholte das Ganze.

Ich stand auf, reckte die Arme über den Kopf und dehnte mich etwas, in dem Versuch, den ständigen Rückenschmerz zu bekämpfen, der sich nach einer Woche auf einem Plastikstuhl eingestellt hatte. Mein Rücken protestierte, und ich stöhnte auf. Dr. McHottie schüttelte den Kopf und warf mir einen Blick über den Rand seiner schwarzen Hornbrille zu. Seine dunklen lockigen Haare waren kurz geschnitten und glänzten. Sie wirkten feucht, und dem frischen Irish-Spring-Duft nach zu urteilen, kam er direkt aus der Dusche. Der wunderbar seifige Geruch erinnerte mich daran, dass ich langsam zu miefen begann. Ich hatte das Krankenhaus schon zwei Tage lang nicht verlassen. Kein Deo der Welt konnte den Gestank überdecken, der unter meinen Armen vor sich hin gärte.

»Morgen, Doc. Wie lautet die Prognose? Endlich besser?« Ich wollte nicht allzu hoffnungsfroh klingen, denn die letzte Woche über hatte er fast jeden Tag das Gesicht verzogen und einfach den Kopf geschüttelt. Heute jedoch war etwas anders. Ich wusste auf einmal, dass das Blatt sich wendete.

Der schicke, junge Doktor trat auf meine Seite des Bettes und legte mir eine Hand auf die Schulter. Er drückte sie, und ich versuchte, mir ein Seufzen zu verkneifen. Der sanfte Druck meiner verspannten Schulter tat unglaublich gut. Ich war so angespannt, dass auch die kleinste Berührung sich wie ein weltbewegendes Ereignis anfühlte. »Den Aufzeichnungen zufolge hat die Lunge Ihres Vaters im Laufe der Nacht begonnen, gegen die Geräte anzuarbeiten. Das könnte ein positives Anzeichen dafür sein, dass er wieder in der Lage sein könnte, selbständig zu atmen, aber ich möchte den Tag nicht vor dem Abend loben.«

Mir fehlten die Worte, um meine Dankbarkeit für diesen leisen Hoffnungsschimmer auszudrücken. Ich warf mich an seine Brust und schlang die Arme um ihn. Ich legte alles in diese Umarmung, drückte ihn, als hinge mein Leben davon ab. Es schien ihn nicht zu stören. Er erwiderte die Umarmung sogar. Er legte die Arme um mich und zog mich an sich. Eine Weile standen wir da, eine am Boden zerstörte Frau und ein Fachmann der Medizin, ein Heiler. Ich schmiegte mich an diesen Mann und betete zu Gott, er möge ihm die Fähigkeit geben, meinen Dad zu retten, ob er es verdiente oder nicht. Ich musste einfach daran glauben, dass jeder eine zweite Chance bekam. Wenn er es überlebte, würde Pops mir sicher zustimmen. Vielleicht war dies endlich der nötige Weckruf, damit er begriff, dass sein Leben tatsächlich lebenswert war.

Ein Handyklingeln sprengte die Euphorie, meinen einzigen positiven Moment in nahezu der gesamten Woche. Ich fuhr zusammen und blickte in die himmelblauen Augen von Dr. McHottie. »Entschuldigung, es ist einfach etwas viel …«, fing ich an, aber er fiel mir ins Wort.

»Mia, entschuldigen Sie sich nie dafür, eine Umarmung zu brauchen. Sie sind bestimmt eine starke junge Frau, aber jeder braucht mal eine Schulter zum Anlehnen. Wir beten weiter für ein Wunder. Ich komme in ein paar Stunden wieder und sehe nach ihm.«

Ich nickte und drehte mich um. Dort saß Maddy mit ihrem Handy am Ohr.

»Äh, ja, sie ist hier, Tantchen.« Maddy hielt das Handy und strich sich gleichzeitig die vom Schlaf verwuschelten blonden Haare aus dem Gesicht. Sie sah genau so aus, wie ich mich fühlte, aber wenn es einen Spiegel in der Nähe gegeben hätte, hätte mir vermutlich eher ein Zombie aus Die Nacht der lebenden Toten entgegengeblickt.

Ich stieß einen langen Atemzug aus und hob das Handy ans Ohr. »Hallo?«

»Was zum Teufel ist los? Du gehst nichts ans Telefon, bist nicht am Flughafen aufgetaucht und erst recht nicht in Tucson, Arizona, wo Kunde Nummer neun dich erwartet hat!«

Ich versuchte, eine Antwort zu formulieren, aber ich brachte nichts heraus. Ich sollte mich entschuldigen, irgendwas sagen, aber es war mir einfach egal. »Millie …«

»Komm mir nicht mit Millie. Du steckst bis zum Hals in der Tinte, junge Dame! Wenn du das Kleingedruckte in deinem Vertrag gelesen hättest, wüsstest du, dass du nicht nur die hunderttausend Dollar Honorar verlierst, sondern dem Kunden auch noch eine Entschädigung von hunderttausend schuldest, sobald du ihn versetzt!«

So schnell mich meine müden Beine trugen, verließ ich Pops’ Zimmer und lief durch den Flur in den Außenbereich mit Gartenanlage. Es war noch früh am Tag, und außer mir war niemand draußen. »Willst du mir erzählen, dass ich irgendeinem reichen Wichser hunderttausend Dollar schulde?«, brüllte ich ins Handy.

»Du schreist mich an?« Tante Millie sprühte Gift und Galle. »Das hast du dir selbst eingebrockt.«

»Ich hatte keine andere Wahl! Pops liegt im Sterben!«

»Und deshalb tauchst du einfach ab und sagst mir nicht Bescheid? Mia, hätte ich deinen Kunden im Voraus informieren können, wäre das alles zu vermeiden gewesen. Aber jetzt bist du zweihunderttausend Dollar in den Miesen. Und du hast auch nicht genug auf dem Konto, um Blaine seine monatliche Rate zu überweisen.«

Oh nein. Ich fing an zu zittern, und meine Beine gaben unter mir nach. Ich schleppte mich zur nächsten Sitzbank. »Ich hab meine Ratenzahlung verpasst …«, würgte ich hervor. Meine Zunge war fast gelähmt vor Angst.

»Ja! Ich habe jeden Tag mehrmals versucht, dich zu erreichen. Irgendwann habe ich es dann bei Maddy probiert, aber auch die ist bis vorhin nicht ans Handy gegangen.«

»Mein Telefon war aus. Pops’ Leben steht seit einer Woche auf Messers Schneide. Er ist noch längst nicht wieder über den Berg. Ich kann hier nicht weg.« Ich fuhr mir mit meiner zittrigen Hand durchs Haar und zerrte daran. Der Schmerz sorgte für das kleine bisschen Klarheit, das ich so dringend brauchte.

»Ich kann nicht für dich zahlen, Mia. Mein Geld ist in der Firma gebunden, und in einem neuen Unternehmen, in das ich gerade investiert habe. Du wirst mit einem von deinen reichen Freunden reden müssen. Vielleicht mit einem der Herren, die das Extrageld bezahlt haben?«, schlug Millie vor – als wäre das so einfach. Sex und Geld. Das waren die Währungen, die sie kannte.

Wes oder Alec um zweihunderttausend Dollar bitten? Niemals. Auf keinen Fall. »Ich überleg mir was.«

»Überleg’s dir lieber schnell. Dein nächster Kunde ist Drew Hoffman.«

Der Name hüpfte in meinem Kopf herum wie bei einer Runde Plinko, bis die Gewinnzahl ermittelt war. »Der Promi-Arzt? Der mit der eigenen Fernsehshow, den Vitamintabletten, der Sportklamottenlinie und den DVDs? Nicht dein Ernst.«

»Genau der. Offensichtlich hat er dich in der Bademodenkampagne ›Schönheit in jeder Größe‹ gesehen. Er will, dass du in seiner Sendung mit einem täglichen Feature auftrittst, das er ›Schöner leben‹ nennen will. Mia, wenn das gut ankommt, könntest du dir Anfang nächsten Jahres einen regelmäßigen Platz in der Sendung sichern. Er muss nur ein paar Monate warten, bis du wieder Zeit hast. Aber fühl dich nicht unter Druck gesetzt.« Millie lachte schrill. Wie eine Hexe aus einem schlechten Film. Hätte ich neben ihr gestanden, hätte sie sich sehr anstrengen müssen, meinen Klammergriff um ihre Kehle wieder zu lösen.

Fühl dich nicht unter Druck gesetzt. Millie tat so, als wäre das nicht die Nachricht des Jahrhunderts. Ich drückte fest gegen meine Schläfen. Alles Blut in meinem Körper schien zum Herzen geflossen zu sein, denn es klopfte wesentlich stärker als sonst. Säße ich nicht gerade an Pops’ Bett, wären das großartige Neuigkeiten. Durch die bisherige Presse hatte ich vielleicht einen Fuß in die Tür der Schauspielerei bekommen. Die Medien waren auf mich aufmerksam geworden, und nächsten Monat erschien auch noch Antons Video, das passte auf jeden Fall wunderbar zusammen. Aber die Chance auf einen regelmäßigen Spot bei Dr. Hoffman? Total abgefahren. Das war der große Durchbruch, den ich brauchte. Mein eigener Weg.

Himmel, ich musste mit Wes reden. Seine Meinung hören, ihn fragen, ob er den berühmten Fernsehdoktor persönlich kannte und irgendwas gehört hatte. Doch das war nicht möglich, da ich ihn inzwischen seit zwei Wochen nicht mehr gesprochen hatte. Ich wusste nicht, wo er war, wann er wiederkommen würde, nur dass er Judi eines Tages gesagt hatte, er müsse verreisen. Er würde zwei bis drei Wochen weg sein, hatte er gemeint, und sie solle mir ausrichten, dass er sich melden würde. Mehr konnte sie mir nicht sagen. Ich hatte eine rauschige Mailboxnachricht von ihm, doch die Verbindung war wahnsinnig schlecht. Ich verstand fast nichts außer »Bin bald zu Hause«, und dass er mich lieben würde. Davon abgesehen, nichts.

Und natürlich hatte ich jetzt ein neues Problem. Wie sollte ich zweihunderttausend Dollar auftreiben? Oder gab es einen Weg, mir von Blaine mehr Zeit zu erkaufen?

»Pops ist hoffentlich bald über den Berg. Sag den Oktober-Job erst ab, wenn ich mich bei dir melde. Ich versuche, besser erreichbar zu sein, aber im Moment ist es schwierig, Millie. Es gibt da auch noch mehr Familienkram, über den ich mit dir reden muss. Was Ernstes. Es hat mit Mom zu tun.«

»Hast du was von Meryl gehört?« Tante Millies Stimme war jetzt nur noch ein Flüstern, und ich musste mir das Handy dicht ans Ohr pressen, um mitzukriegen, was sie sagte.

Die Frage war so lächerlich, dass ich sofort wusste, dass ich das Thema nicht weiter vertiefen wollte. Pops kämpfte um sein Leben. Unsere Mutter, Millies Schwester, und die unfassbar schlechten Entscheidungen, die sie die letzten dreißig Jahre über getroffen hatte, mussten Nebenschauplatz bleiben. Mich mit Mom und ihren Geheimnissen herumzuschlagen war wirklich das Letzte, was ich wollte. »Nein, habe ich nicht. Es sind nur ein paar Sachen ans Licht gekommen. Wenn es Pops bessergeht, ruf ich dich an, okay?«

Millie seufzte am anderen Ende der Leitung. »Wird … äh … er denn wieder gesund?«

Mir rutschte ein genervtes Schnauben heraus. »Als würdest du dich dafür interessieren, was mit meinem Vater passiert. Du hast ihn doch immer dafür gehasst, dass er uns nicht nach Kalifornien geschickt hat, nachdem Mom uns im Stich gelassen hatte. Er hat immer sein Bestes gegeben.«

Tante Millie räusperte sich ungläubig. »Das Beste wäre gewesen, euch ein anständiges Leben zu ermöglichen. Als meine Schwester noch da war, wart ihr glücklich. Er hat nichts zustande gebracht, als sie weg war.« Ihr Tonfall war eiskalt und traf mich bis ins Mark.

Alles in meinem Inneren schaltete auf Abwehr, ich musste Pops einfach verteidigen. Ob Tante oder nicht, Millie wagte sich zu weit vor und musste in die Schranken gewiesen werden. »Immerhin ist er nicht weggelaufen. Im Gegensatz zu deiner Schwester. Die Frau, die du so sehr vermisst, hat ihre fünf und zehn Jahre alten Töchter zurückgelassen, aber das ist wohl nicht weiter schlimm, was? War auch nicht das erste Mal, dass sie eine Familie hat hängenlassen. Von wegen, offensichtlich hat sie jede Menge davon übers ganze Land verstreut. Wahrscheinlich habe ich noch ein paar Geschwister, von denen ich nichts weiß.«

Millie schniefte, und ihre Stimme brach. »Deiner Mutter ging es nie gut, Kleines. Das weißt du, tief in deinem Herzen. Sie war nicht für Ehe und Kinder gemacht. Sie war ein Freigeist, sie hätte ihr Leben sonst immer wie ein Gefängnis empfunden.«

»Du nimmst sie auch noch in Schutz?«

»Mia, sie hat euch geliebt.«