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Titel

Der SCM Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien,
einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung
christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7343-8 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5634-9 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:
Satz & Medien Wieser, Stolberg

© der deutschen Ausgabe 2016
SCM-Verlag GmbH & Co. KG · Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-verlag.de · E-Mail: info@scm-verlag.de

Originally published in English under the title: Mission at Nuremburg
Copyright © 2014 by Tim Townsend. All rights reserved.

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:
Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung
2006, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Übersetzung: Dr. Friedemann Lux
Bearbeitung der deutschen Fassung: Arthur Klenk und Dr. Hans-Joachim Ramm
Umschlaggestaltung und Illustrationen: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch
Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg





Für meine Großeltern: Eleanor und H. Lee Townsend
und Margaret und Arthur Harrington.
Meine beiden Großväter dienten im Zweiten Weltkrieg in der US Navy –
der eine, der Sohn eines Farmers in Michigan, im Pazifik,
der andere, der Sohn eines Bürovorstehers in New York City,
im Tiefflug-Einsatz gegen deutsche U-Boote im Atlantik.





Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern
überwinde das Böse durch das Gute!


Paulus im Brief an die Römer (12,21)

Inhalt

Über den Autor

Vorwort von Günther Beckstein

Geleitwort

1. Tod durch den Strang

2. Zion

3. Es geht alles vorüber

4. Als das Reich unterging

5. Auf der Suche nach Gerechtigkeit

6. Sie gingen in die Irre

7. Das Buch der Zahlen

8. Das Kainszeichen

9. Wein und Blut

10. Du hast mich eingeladen

Epilog

Danke!

Bildteil

Bildnachweis

Anmerkungen

Leseempfehlung

Über den Autor

Bild Autor

TIM TOWNSEND

hat an der Columbia Universität und an der Yale Divinity School Journalismus studiert, für das Wall Street Journal, die New York Times, den Rolling Stone und andere Publikationen geschrieben und wurde mehrfach als »Religion Reporter of the Year« ausgezeichnet. Er ist Autor und Herausgeber beim Pew Research Center, einem Meinungsforschungsinstitut in Washington, D. C.

Vorwort von Günther Beckstein

Seelsorger der verlorenen Seelen?

Nunmehr 70 Jahre nach dem Hauptkriegsverbrecherprozess des Zweiten Weltkriegs sollte es möglich sein, das Erlebte in Nürnberg aus nüchterner Perspektive zu betrachten, die Angeklagten und ihre Taten neutral mit gebührendem Abstand zu beurteilen. Doch dem ist nicht so. Noch heute scheitern wir oftmals an dieser Aufgabe. Gräueltaten wiegen schwerer als Zeit.

Am 12. November 1945 traf ein Mann im zerstörten Nürnberg ein, der einen tieferen Einblick in die Gedankenwelt und die Psyche der Angeklagten gewinnen sollte, als die meisten seiner Zeitgenossen es für möglich oder nötig gehalten hätten. Chaplain (CPT) Henry Gerecke betreute als evangelischer Geistlicher gemeinsam mit dem katholischen Priester Sixtus O'Connor die Hauptangeklagten des Nürnberger Prozesses.

Ihn für diese Aufgabe zu entsenden lag nahe: Gerecke sprach Deutsch, er hatte bereits vor seiner Militärzeit Gefangene in Zivilgefängnissen betreut und galt mit seinen 52 Jahren als erfahrener und besonnener Seelsorger. Aufgrund seines hohen Dienstalters und der besonderen Schwere der Aufgabe wurde ihm jedoch die Entscheidung über diesen Einsatz entgegen aller militärischen Vorschriften offengehalten. Die Motive Gereckes, diese Aufgabe anzunehmen, waren ebenso vielschichtig wie biografisch geprägt.

Tim Townsend dringt in seiner historischen Schilderung tief in die Vergangenheit seines Forschungsgegenstandes. Er geht den Beweggründen Gereckes bis in dessen Jugend nach. Doch auch der Nürnberger Prozess an sich und dessen Auswirkungen auf die Beteiligten finden intensive Betrachtung.

Lange Zeit wollte man glauben, dass Nürnberg wegen seiner Rolle im Nationalsozialismus von den Alliierten als Ort für die Abrechnung mit dem NS-Regime gewählt wurde. Dafür findet sich jedoch bis heute kein wissenschaftlicher Beleg. Zwar war Nürnberg als »Stadt der Reichsparteitage« und als Verkündungsort der nationalsozialistischen Rassegensetze ein besonders symbolträchtiger Ort für die Nationalsozialisten und hinreichend für seine braune Vergangenheit auch bei der internationalen Presse bekannt. Dennoch war dies nicht der Grund für die Alliierten, gerade in Nürnberg über die nationalsozialistische Führung Gericht zu halten. Zahlreiche und vor allem pragmatische Komponenten standen bei der Entscheidungsfindung im Vordergrund. Neben dem nur leicht beschädigten Justizpalast war etwa das benachbarte und fast unzerstört gebliebene Gefängnis ein entscheidender Faktor. Dieses wurde zur Unterbringung der Angeklagten genutzt, aber auch das Büro der Seelsorger und die Kapelle richtete man hier ein.

Am 20. November 1945 begann nach einer intensiven Vorbereitungsphase die eigentliche Verhandlung des alliierten Gerichtshofes gegen die Hauptkriegsverbrecher. Die Angeklagten selber waren zwar Teil der nationalistischen Führungselite gewesen, stellten aber keine homogene Gruppe dar. Sie kamen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Kreisen und hatten in Politik, Partei und Militär hohe Positionen bekleidet.

Das Nürnberger Tribunal selbst setzte eine beachtliche Maschinerie in Gang: Man verhandelte zwischen dem 20. November 1945 und dem 31. August 1946 an 218 Tagen. Über 200 Zeugen sagten vor dem Gericht persönlich aus. Opfer und Täter trafen sich auf engstem Raum. Mehr als tausend Mitarbeiter, Übersetzer, Schreibkräfte und Bewachungspersonal unterstützten die Arbeit der Richter. Hinzu kamen die Vertreter der Presse internationaler Medien – aber auch aus der neu entstandenen deutschen Presselandschaft. Die Mitwirkenden suchten nach den oft mühsamen und nervenaufreibenden Verhandlungstagen auch gemeinsame Zerstreuung. Ebenso war in kürzester Zeit eine eigene Parallelwelt des Gerichts in Nürnberg entstanden.

In den wenigen Wochen vor Prozessbeginn hatte die Anklage sich der Aufgabe gestellt, eine erdrückende Vielzahl von Beweisen für die Schuld der Angeklagten zusammenzutragen. Dies war in der unmittelbaren Nachkriegszeit besonders wichtig, da die historische Forschung zum Nationalsozialismus erst begann und von einer wissenschaftlichen Aufarbeitung damals noch gar nicht gesprochen werden konnte. Die meisten Beweise setzten sich aus den Protokollen, schriftlichen Befehlen sowie Mitschriften von Telefongesprächen und Briefen der Nationalsozialisten zusammen. Der Prozess stellte viele wichtige Dokumente der Öffentlichkeit erstmals zur Verfügung und konfrontierte die Deutschen mit den Verbrechen des Nationalsozialismus in direkter und schonungsloser Weise. Es wurden Filmdokumente aus den Konzentrationslagern Buchenwald, Bergen-Belsen, Dachau und Auschwitz gezeigt.

Bilder, die die Welt schockierten und der Verteidigung jeden Spielraum nahm. Neben diesen Aufnahmen gelten als zentrale Dokumente beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess das Hoßbach-Protokoll, in dem der Adjutant Hitlers, Friedrich Hoßbach, die Planungen der Nazi-Führung für den Krieg niedergelegt hatte. Ebenso das persönliche Tagebuch des Angeklagten Hans Frank.

Doch selbst diese aussagekräftigsten Dokumente verblassten neben den erschütternden Zeugenaussagen. Die Zeugin Madame Vaillant-Couturier beschrieb als Überlebende die Verhältnisse in Auschwitz, die Selektionen für die Gaskammern und die Menschenversuche des Arztes Josef Mengele. Später im Prozess sagte auch der Kommandant ebendieses Vernichtungslagers Auschwitz, Rudolf Höß, vor dem Gericht aus. Die millionenfache Ermordung der Gefangenen wurde in allen Einzelheiten offengelegt und protokolliert. Auch die Misshandlung und millionenfache Tötung von sowjetischen Kriegsgefangenen in deutschen Lagern wurde während des Prozessverlaufs mit dem Befehl Generalfeldmarschall Reichenaus belegt. Dort hieß es: »Das Verpflegen von … Kriegsgefangenen ist eine … mißverstandene Menschlichkeit.«

Ebendiese – die Menschlichkeit – sprachen viele Prozessbeobachter den Angeklagten ab. Zu abscheulich, zu unbegreiflich erschienen die Verbrechen, deren diese Männer bezichtigt wurden. Umso überraschter zeigten sich einige, dass knapp ein Jahr nach Prozessbeginn, am 1. Oktober 1946, neben zwölf Todesurteilen auch Freiheitsstrafen und Freisprüche verkündet wurden.

Der Nürnberger Prozess spielte nach 1946 zwar in der Erinnerung der Siegermächte als wichtiger Schlussstrich des Zweiten Weltkrieges eine große Rolle. Die Deutschen selbst entwickelten aber in den ersten zwei Jahrzehnten nach Prozessende eher gemischte Gefühle bei der Erinnerung an diese Zeit. Es war in zahlreichen Veröffentlichungen unberechtigterweise von Siegerjustiz die Rede. Schon während des Prozesses wollte der Hauptanklagevertreter der Vereinigten Staaten, Robert Jackson, diesem Vorwurf in seiner Eröffnungsrede entgegenwirken: »Leider bedingt die Art der hier verhandelten Verbrechen, daß in Anklage und Urteil siegreiche Nationen über geschlagene Feinde zu Gericht sitzen. Die von den Männern verübten Angriffe, die eine ganze Welt umfaßten, haben nur wenige wirklich Neutrale hinterlassen. Entweder müssen also die Sieger die Geschlagenen richten oder …« Oder – so möchte man diesen Ansatz vervollständigen – die Opfer bleiben ewig ungehört.

Doch eben hier liegt eine Schwäche des Prozesses. Durch die spezielle Anklagestruktur wurde die systematische Ermordung der Juden nur untergeordnet behandelt. Der Holocaust fand im Nürnberger Prozess weder den Stellenwert noch den Raum, welcher diesem Thema zweifelsohne zugestanden hätte. Die unterschiedlichsten Verbrechen sollten sich in den vier Anklagepunkten wiederfinden. Die Opfer wurden so meist im Gegensatz zu den Tätern als homogene Gruppe behandelt. Die unvorstellbar hohe Anzahl von Opfern drohte dabei, die Wahrnehmung der Einzelschicksale zu verstellen.

»Ich wollte sie alle mit Namen nennen, / Doch man nahm mir die Liste, wer kennt sie noch«, schrieb die russische Dichterin Anna Achmatowa. Dank der mühsamen Arbeit der Ankläger, ihrer Helfer und auch der etlichen Zeugen kennen wir heute einige Namen, können so manchen leeren Platz der Liste füllen. Und dennoch: die Zahl der Opfer übersteigt jedermanns Vorstellung.

Townsends Buch richtet das Augenmerk auf Chaplain Gereckes Beschäftigung mit einzelnen Tätern, deren Schuldwahrnehmung und Reaktion auf die vor Gericht getätigten Vorwürfe werden ins Blickfeld gerückt. Mit ihnen und deren Familien verbrachte Gerecke viel Zeit. Er verurteilte ihre Taten, war aber dennoch bereit, ihnen auch Trost zu spenden, und brachte ihnen in Glaubensfragen sogar Vertrauen entgegen.

In den Jahren nach dem Prozess musste sich Gerecke deshalb oftmals dem Vorwurf stellen, seine Familie, seine Mitmenschen und seinen Glauben durch dieses Mandat verraten zu haben. Anstatt seine alte Gemeinde zu betreuen, so der Vorwurf, hätte er seinen wertvollen Dienst an unmenschliche Verbrecher verschwendet. Townsend schildert das ethisch-theologische Dilemma, in welchem sich Gerecke befand, und bringt dessen Auseinandersetzung damit ans Licht.

Anders als die Richter suchte Gerecke laut Townsend nicht nach einem finalen Urteilsspruch, sondern nach den Menschen hinter den Verbrechen. Er sah in den Angeklagten keine seelenlosen Wesen, sondern verlorene Seelen, die auf den rechten Weg zurückzubringen eine wichtige christliche Aufgabe war. Der Glauben diente Gerecke in seinem Handeln stets als Basis und Maß aller Dinge, als Grundlage aller spirituellen Beziehungen, die er zu diesen Männern pflegte.

Nach dem Nürnberger Prozess konnte es wahrlich keine Zweifel am verbrecherischen Charakter der nationalsozialistischen Herrschaft mehr geben. Tim Townsend greift diese Wahrheit nicht an, er ergänzt sie nur um eine unbequeme, menschliche Dimension.

Dr. Günther Beckstein
Staatsminister des Innern und
Ministerpräsident i. R. des Landes Bayern

Geleitwort

Im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, dem »Nürnberger Prozess«, wurde zum ersten Mal in der Geschichte versucht, die verantwortlichen politischen und militärischen Führer einer Nation juristisch zur Verantwortung zu ziehen und sie für ihre Taten sühnen zu lassen. Im Verlauf des Prozesses wurde erdrückendes Beweismaterial zusammengetragen, das ein Abbild der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus über die Grenzen Europas hinaus darstellte. Infolgedessen wurden von den 22 Angeklagten des ersten Nürnberger Prozesses, dem weitere folgten, zwölf am 1. Oktober 1946 zum Tode verurteilt (Martin Bormann in Abwesenheit), sieben Angeklagte zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt; drei wurden freigesprochen.

Unzählige Schriften sind im Nachklang über den Prozess, seinen Verlauf, die politischen Hintergründe, die Spannungen unter den Richtern und die Reaktionen der Angeklagten, und auch über seine juristische und historische Rechtmäßigkeit, verfasst worden.

In diesem Zusammenhang sind vor allem die Erkenntnisse und längeren Ausführungen der amerikanischen Psychiater D. M. Kelley und L. Goldensohn sowie des Gefängnispsychologen G. M. Gilbert, die sich eingehend mit der Psyche der Kriegsverbrecher und ihrer Reaktionen während des Prozesses beschäftigen, zu nennen. Schon wegen des Beichtgeheimnisses ist über die Tätigkeit der beiden amerikanischen Militärgeistlichen, des Lutheraners Chaplain Henry Gerecke und des römisch-katholischen Franziskanerpaters Sixtus O’Connor, OFM, wenig bekannt gewesen. So hat Gerecke entsprechende Erwartung US-amerikanischer Geheimdienste, Auskunft über Gespräche mit Gefangenen zu geben, entschieden zurückgewiesen. Aufgrund der Genfer Konvention haben Kriegsgefangene Anspruch auf seelsorgerliche Begleitung. Oberst Andrus, Kommandant des Nürnberger Gefängnisses, legte großen Wert darauf, für diesen Dienst zu sorgen. Während die Nationalsozialisten ihren Gegnern (fast) jegliche geistliche Begleitung auf dem letzten Weg verweigerten, war es für die Amerikaner keine Frage, dafür Seelsorger bereitzustellen. Mit Gerecke und O’Connor wurden zwei der deutschsprachige Militärseelsorger ausgesucht, die auch wegen ihres beruflichen Werdegangs und ihrer Erfahrung als Militärpfarrer für diesen schweren Dienst geeignet schienen.

Der amerikanische Journalist Tim Townsend entdeckte bei anderweitigen Recherchen im Concordia Historical Institute / Concordia Seminary St. Louis einen Brief der Angeklagten an die Ehefrau von Chaplain Gerecke und stieß damit auf diese überaus interessante Geschichte der Seelsorge an den nationalsozialistischen Kriegsverbrechern. In diesem Buch beschreibt er, wie die beiden Geistlichen Zugang zu den meisten Angeklagten fanden, aber auch alle Probleme und Konflikte, die sich auch für sie in deren Folge ergaben. Selbst bis zum Galgen begleiteten sie die Verurteilten und sprachen ein letztes Gebet, bevor sich die Falltür öffnete.

Bei der Bearbeitung der deutschen Ausgabe wurden für die entsprechenden Quellen umfangreiche Recherchen angestellt. Die amerikanischen Quellen wurden durch deutschsprachige und weiterführende Angaben in den Anmerkungen ergänzt. Auch wurden in einigen Fällen Fehler der Originalausgabe korrigiert.

Dr. Hans-Joachim Ramm, geb. 1945, promovierter Theologe (Dissertation und diverse Veröffentlichungen zum militärischen Widerstand gegen Hitler). Er war Pfarrer in Kiel und Kropp, Militärpfarrer (PzBrig 18, Holstein) in Boostedt.

1. Tod durch den Strang

Es gab Männer, die hatten gedacht, sie könnten die Grausamkeit zu ihrem Schoßhündchen machen, bis das Hündchen groß wurde und sie zerriss.
Rebecca West1

Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel war der Zweite nach Hitler in der militärischen Hierarchie des Dritten Reiches. Jetzt, in einer nasskalten Oktobernacht des Jahres 1946, morgens um 1:00 Uhr, stand er an einen Wärter gekettet vor der Zelle 8 des Nürnberger Justizpalastes. In einer halben Stunde würde er am Galgen hängen, die Hände mit einem ledernen Schnürsenkel hinter seinem Rücken zusammengebunden, über seinem Kopf eine schwarze Kapuze. Draußen vor dem Gefängnis war der Nachthimmel über dem zerstörten Nürnberg dunkel und mondlos.

Der Kommandant des Gefängnisses, der amerikanische Oberst Burton Andrus, sprach laut, wie es sich für eine Hinrichtung – und dann solch eine historische – gehörte. Seine schrill-gebieterische Stimme wurde von den Wänden des Gefängnisses zurückgeworfen und wanderte die eisernen Wendeltreppen hoch, vorbei an dem Maschendraht zwischen den Laufstegen der oberen Zellen, der Selbstmorde verhindern sollte, vorbei auch an der kleinen Kapelle, die man durch Entfernen der Trennwand zwischen zwei Zellen geschaffen hatte.2

Andrus spürte die Schwere des Augenblicks, aber er genoss sie nicht.3 Er ging den Zellenblock im Erdgeschoss entlang, blieb vor jeder der Zellen stehen und wiederholte seinen Satz. Die Insassen hatten die gleichen Worte schon zwei Wochen zuvor gehört, als die Richter des Internationalen Militärtribunals ihre Urteile im Gerichtssaal verlesen hatten. Der Oberst spulte eine reine Formalität ab, um den Vorschriften der Armee und der Genfer Konvention Genüge zu tun. Die Männer in diesen Zellen hatten zur Elite des Dritten Reiches gehört, aber hatten ihren militärischen Dienstgrad und jegliche Privilegien längst verloren. Im Gefängnis in Nürnberg wurden sie von den meisten mit Missachtung und Gleichgültigkeit behandelt.4

Die übrigen Hauptkriegsverbrecher – die, die der Höchststrafe entgangen und in den ersten Stock verlegt worden waren – bekamen jedes von Andrus' Worten mit. Ebenso die im dritten Stock. Das waren die »kleineren« Nazi-Verbrecher, deren Aussagen die Anklagevertreter als Beweise gegen die Männer ganz unten benutzt hatten.

Andrus' striktes Vorgehen nach Armeevorschriften ließ die Anwälte im Gerichtssaal manchmal schmunzeln und die 21 Nazis, die er während des ein Jahr dauernden Verfahrens unter sich hatte, verzweifeln. Vor seiner Abordnung nach Nürnberg hatte Andrus unter General George Patton gedient, seinem Idol, dem er nachzueifern versuchte. So schrieb er einmal einem Freund: »Mit Georgie geh' ich bis ans Ende der Welt, egal, für was.«5

An diesem Morgen trug Andrus, wie immer, seine grüne Uniformjacke, deren Messingknöpfe das Wappen der USA zeigten: ein Seeadler, der in der einen Klaue 13 Pfeile und in der anderen einen Olivenzweig hält. Auf dem Kopf hatte Andrus einen blank polierten olivgrünen Helm, unter dem einen Arm steckte eine Reitpeitsche.

Andrus' Blick war nervös-ärgerlich, als er vor Keitel stand. Dies war das Datum, das das Gericht für die Hinrichtungen angesetzt hatte; die Gefangenen wussten das noch nicht offiziell, aber die meisten hatten begriffen, dass dies hier ihre letzten Stunden waren. Zu Beginn der gleichen Nacht hatte Hermann Göring, ehemaliger Reichsmarschall und Chef der deutschen Luftwaffe und designierter Nachfolger Hitlers, mit einer Ampulle Zyankali Selbstmord begangen – zum großen Verdruss von Andrus. Dieser hatte sich geschworen, dass es in »seinem« Gefängnis keine Selbstmorde geben würde. Der Lärm auf den Gängen, der der Entdeckung des Selbstmordes folgte, weckte die übrigen Gefangenen. Um 0:45 Uhr befahl man ihnen, sich anzuziehen, und sie bekamen ihre Henkersmahlzeit: Kartoffelsalat mit Wurst, Aufschnitt, Schwarzbrot und Tee.6 Die meisten rührten ihr Essen nicht an. Keitel hatte sein Bett gemacht und bat um Besen und Staubtuch, um seine Zelle ein letztes Mal zu reinigen.7

Keitels Leben war, wie das von Andrus, von Dienstvorschriften beherrscht gewesen. Seit seiner Gefangennahme durch die Alliierten vor 18 Monaten war er ganz der disziplinierte Soldat gewesen. Sein Gang war hoch aufgerichtet, sein silbergraues Haar und der Schnurrbart stets perfekt geschnitten. Ein Jahr zuvor, als Keitel in dem Gefängnis eintraf, hatte Angus ihm persönlich die Schulterstücke von der Uniform gerissen und ihm gesagt, dass er kein Soldat mehr sei, sondern ein Kriegsverbrecher.8 Keitel, unbeirrt, hatte zu jedem Prozesstag Uniformjacke, Hose und die schwarzen Stiefel eines Offiziers der Wehrmacht getragen. Keitels Verteidiger hatte versucht, die Vorschriftskarte zu spielen: Keitel habe halt seinen Job gemacht. Die Befehle seines obersten Vorgesetzten, des Führers, seien Gesetz gewesen.

Das Gericht hatte das anders gesehen. »Befehle durch Vorgesetzte, selbst gegenüber einem Soldaten, können nicht als mildernde Umstände herangezogen werden, wenn es um solch schwere und schockierende Verbrechen geht«,9 hatten die Richter gesagt und Keitel in allen vier Anklagepunkten für schuldig befunden. Nach der Verkündigung des Todesurteils hatte der General kurz genickt und den Gerichtssaal verlassen.

Jetzt hörte Keitel sein Urteil zum zweiten und letzten Mal. »Angeklagter Wilhelm Keitel!«, bellte Andrus. »Gemäß den Punkten der Anklageschrift, unter welchen Sie schuldig befunden wurden, verurteilt Sie der Internationale Militärgerichtshof zum Tode durch den Strang.«10 Andrus ging zur nächsten Zelle. Als Keitel in die seine zurückgekehrt war, folgte ihm ein untersetzter Mann mittleren Alters mit Brille, sich lichtendem grauen Haar und wächsernem Gesicht zu seiner Pritsche. Henry Gerecke, Pastor und Captain in der US Army, hatte eine Bibel dabei. Er fragte Keitel, ob dieser zu beten wünsche.

Auch Gerecke hatte Görings Selbstmord schockiert. Auf der anderen Seite des Atlantiks war gerade das Endspiel der Baseballmeisterschaft der USA gelaufen, zwischen den Boston Red Sox und den St. Louis Cardinals. Gerecke war ein Cardinals-Fan. Sein katholischer Kollege im Gefängnis, Pater Sixtus O'Connor, der aus dem ländlichen Teil New Yorks stammte und eigentlich ein Dodgers-Fan war, hatte in einer Wette mit Gerecke die Sox gewählt.11 Die beiden hatten in der Wärterstube im Erdgeschoss des Gebäudes auf einen Anruf gewartet, als Göring seine Ampulle zerbiss. Da der Justizpalast wegen der Hinrichtungen geschlossen war, konnten die beiden sich nur dadurch über den Fortgang des Baseball-Finales unterrichten, dass sie regelmäßig einen Anruf von einem amerikanischen Offizier entgegennahmen, der nicht in dem Gebäude war. Sie hatten gerade gehört, dass Boston mit St. Louis gleichgezogen hatte, als Görings Wärter zu schreien begann, dass mit Göring etwas nicht stimme. Gerecke war als Erster bei dem sterbenden Reichsmarschall gewesen.12

Jetzt, zwei Stunden später, war Gerecke also bei Keitel. Die beiden knieten sich auf den Boden, und Gerecke begann, auf Deutsch zu beten. Andrus' Worte müssen Keitel wohl abrupt zu Bewusstsein gebracht haben, dass sein Leben tatsächlich vorbei war, denn seine soldatische Haltung zerbrach mit einem Mal. Seine Stimme versagte und er begann zu weinen. Er schluchzte, zitterte am ganzen Körper und rang nach Luft.13 Gerecke hob seine Hand über Keitels Kopf und sprach ihm einen letzten Segen14 zu, wahrscheinlich den Lieblingssegen Martin Luthers: »Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden« (4. Mose 6,24-26).15 Dann wurde der Pastor in die nächste Zelle gerufen und er stand auf.

Gute drei Jahre zuvor, am 3. Juni 1943, kam Henry Gerecke zu spät zum Abendessen.16 Er riss die Haustür auf und rannte, zwei, drei Stufen auf einmal nehmend, die breite Holztreppe zu der Vierzimmerwohnung in der Halliday Avenue 3204 im Süden von St. Louis hoch, wo er mit seiner Frau, seinen drei Söhnen und seiner Schwägerin wohnte. Seine Frau Alma war allein in der Wohnung. Ihre jüngere Schwester Ginny war ausgegangen, der jüngste Sohn, der 15-jährige Roy, war gerade in einer Jugendveranstaltung in der Kirche. Die beiden Älteren dienten bereits in der US-Armee. Der Älteste, der 22 Jahre alte Hank, war auf den Aleuten stationiert17, zur Verteidigung des nordamerikanischen Festlands gegen eine mögliche japanische Invasion. Der 21-jährige Carlton – den alle Corky nannten – war gerade in Fort Bliss (Texas) in der Ausbildung, zur Vorbereitung auf die Invasion der Alliierten in der Normandie, die ein Jahr später beginnen würde.

Endlich war er oben, schwer atmend. Jetzt würde er also einer Frau, die bereits zwei Söhne in den Krieg verabschiedet hatte, eröffnen, dass ihr Mann auch in den Krieg ziehen würde. Und zu spät zum Abendessen gekommen war er auch. Er ging den langen Korridor mit dem knarrenden Holzfußboden entlang zum anderen Ende der Wohnung, wo die Küche war, und setzte sich an den Tisch. Alma wandte ihm gerade den Rücken zu. Sein Essen stand auf dem Tisch, nur noch lauwarm. Henry machte sich darüber her, die Kochkünste seiner Frau rühmend. Die sagte kein Wort.

»Du, ich muss dir was sagen«, begann er aufgeräumt. »Ich würde gerne ins Chaplains Corps gehen – du weißt schon, diese Militärgeistlichen, die unsere Soldaten betreuen.« Seine Frau reagierte nicht. Henry aß weiter. »Hast du das gerade gehört?«, fragte er.

»Ja, das hab ich«, sagte sie endlich. »Ich hab gute Ohren.«18 Sie trocknete den nächsten Teller ab. »Aber das muss ich dir sagen: Wenn die Armee Männer in deinem Alter für das Chaplains Corps nimmt, dann muss es ihr echt schlecht gehen.«

Da lag Gereckes Frau nicht weit daneben. Im Sommer 1943 suchte die US Army händeringend nach mehr Feldgeistlichen. Sie brauchte Tausende. Ein Militärgeistlicher für tausend Soldaten – das war zwar besser als einer für 2400, wie im Ersten Weltkrieg, aber es war nicht gut genug. Wie der Oberste Militärgeistliche der Armee, General William R. Arnold, in diesem Sommer gegenüber einer Zeitung sagte: »Mit der Intensivierung des Krieges wächst auch das religiöse Interesse unserer Soldaten. Unsere Feldgeistlichen in den Kriegsgebieten berichten von offenen Türen unter den Männern an der Front. Ich schätze, Sie werden mir zustimmen, dass wir unsere Leute nicht sitzen lassen dürfen, indem wir ihnen nicht genug Feldgeistliche schicken.«

Er rief die Kirchen auf, zur Not Pfarrer und Pastoren aus dem Gemeindedienst abzuziehen, um mehr Militärseelsorger zu bekommen.19 Gebraucht wurden Pastoren unter 45 Jahren, für den Einsatz bei der kämpfenden Truppe. Gegenwärtig gab es keine Stellen für Pastoren, die über 50 waren. Gerecke würde in zwei Monaten 50, und der Sarkasmus seiner Frau war ihre Art, ihm zu signalisieren, dass sie sich mit seinem Entschluss, der ja schon feststand, abfand.20

Die Ehe der beiden war von der »Gegensätze-ziehen-sich-an«-Vielfalt. Henry war korpulent und eher klein; Alma war groß, schlank und schön. Er kam vom Land, sie aus der Stadt. Als sie sich kennenlernten, in den 1920er-Jahren, nannten Gereckes Verwandte aus dem Süden sie »die Diva«. Henry war ein Idealist, Alma eine Materialistin. Er hatte ein Herz für die Armen, sie träumte von Pelzmänteln und großen Autos. Er spielte den Bittsteller und sie die Bestimmerin, obwohl sie beide wussten, dass es eigentlich umgekehrt war. Er hatte diverse Spitznamen für sie: »Boss«, »Frau Präsidentin«, »Braunäugchen«. Sie nannte ihn Henry. Als Gerecke beschloss, Armeegeistlicher zu werden, hatte er seine Frau nicht gefragt. Jetzt wären also demnächst drei Viertel der Männer in Almas Familie im Krieg, aber nach 25 Ehejahren wusste sie, dass sie der Entscheidung ihres Mannes kaum etwas entgegensetzen konnte.

Gerecke meldete sich kurz vor seinem 50. Geburtstag als Freiwilliger im Chaplains Corps. Zwei Monate später begann er in der Chaplains School an der Universität Harvard seine Ausbildung. Nach fünfwöchiger Unterweisung schickte die Armee ihn in die gerade aufgestellte 98. Feldlazarett-Einheit, die in Fort Jackson (South Carolina) stationiert war. Mehrere Monate lang wusste er nicht, ob die »98.« überhaupt in Übersee zum Einsatz kommen würde. Aber dann, im Februar 1944, schickte die Armeeführung die Lazaretteinheit nach Camp Myles Standish in Massachusetts und von dort aus nach England. 18 Monate später war Gerecke in Deutschland und erhielt einen Auftrag, den er auch ablehnen durfte. Er hätte zurück nach Hause gehen können, in die Halliday Avenue in St. Louis. Doch er nahm den Auftrag an. Später hat er das Jahr in Nürnberg als das wichtigste in seinem Leben bezeichnet.21 Gereckes Einsatz in Nürnberg ist als »einer der außergewöhnlichsten« bezeichnet worden, »den ein Militärgeistlicher der USA je übernommen hat«.22 Es war ein historisches Experiment der Konfrontation zwischen dem Guten und dem radikalen Bösen, und in seinem Zentrum stand ein Farmersohn aus Missouri.

Gerecke, der lutherische Pastor aus St. Louis, der die Hauptverantwortlichen des Dritten Reiches seelsorgerlich betreute, war nur ein Beteiligter in jener juristischen Improvisation, die als die »Nürnberger Prozesse« in die Geschichte eingegangen ist. »Prozesse« (Mehrzahl) deswegen, weil der berühmteste Prozess, der sogenannte »Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof«, nur der erste in einer ganzen Reihe von Prozessen war, die bis 1949 in Nürnberg stattfanden. Doch dieser erste Prozess überschattete alle anderen. Wenn von den »Nürnberger Prozessen« die Rede ist, ist meistens dieser Prozess gemeint. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte wurden die führenden Personen eines Staates von der internationalen Gemeinschaft wegen der von ihnen begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt und schuldig gesprochen.23 Nürnberg setzte, um mit den Worten eines der dort eingesetzten amerikanischen Anklägers zu sprechen, »im Völkerrecht wie in der Reflexion und Diskussion über die großen moralischen und juristischen Fragen von Krieg und Frieden neue Maßstäbe«.24

Ein Beteiligter bei dieser historischen Untersuchung des Bösen war ein bescheiden wirkender Mann, dessen Bedeutung für die Prozesse sich erst allmählich zeigen sollte. Er traf erst im November 1945, nur ein paar Tage vor Beginn der Prozesse, im Gefängnis ein. Hans Fritzsche, der als Leiter der deutschen Rundfunkpropaganda vor Gericht stand und auch zu Gereckes Nürnberger »Gemeinde« gehörte, schreibt in seinen Erinnerungen über Gerecke: »Er fiel uns zunächst kaum auf. Vielleicht lächelten manche Protestanten sogar über die Einfachheit seines wortgebundenen Glaubens und die Schlichtheit seiner Predigt.«25 Es waren die siegreichen Alliierten, die in Nürnberg über die Verbrechen der führenden Nazis urteilten. Aber es war ein Pastor der amerikanischen Lutherischen Kirche (Missouri Synod), der diesen Männern zu zeigen versuchte, dass das, was sie eigentlich fürchten sollten, das Gericht Gottes war.

Gerecke hat sich die Annahme dieses Auftrags nicht einfach gemacht. Wie sollte ein Pastor aus St. Louis es schaffen, die engsten Anhänger Hitlers zu erreichen? Würde sein nicht kleiner christlicher Glaube stark genug sein für den Umgang mit diesen Dienern des Bösen? Als er in den Monaten nach Kriegsende in München stationiert war, hatte Gerecke mehrmals Dachau besucht und die Spuren des Holocausts aus erster Hand gesehen. Als er eine Wand berührt hatte, waren seine Hände anschließend blutverschmiert gewesen.

Die US Army verlangte nicht weniger, als dass einer ihrer Feldgeistlichen zusammen mit den Architekten des Holocausts niederkniete und ihren Seelen ein Stück Ruhe gab, während sie sich vor den Augen der Welt für ihre Verbrechen verantworten mussten. Mit den Bildern von Dachau frisch im Gedächtnis musste er entscheiden, ob er das Kostbarste in seinem Leben – seinen christlichen Glauben – mit den Männern teilen konnte, die den Bau von KZs wie Dachau befohlen hatten. Fritzsche hat später berichtet:

Der Pastor vertrat die Ansicht, dass auf seinem Gebiet Gott selber Richter sei und dass damit für ihn die Frage nach irdischer Schuld bedeutungslos werde. Er habe nur das Amt des Seelsorgers. In einem persönlichen Gebet, das er einmal vor unserer merkwürdigen kleinen Gemeinde sprach, bat er Gott, ihn vor Hochmut und jedem Vorurteil gegenüber den ihm anvertrauten Menschen zu bewahren. In dieser Demut ging er an seine Aufgabe: den Kampf um die Seelen der Männer, die unter dem Galgen standen.26

Als Gerecke eine halbe Stunde nach seinem ersten Besuch in der Nacht wieder zu Keitels Zelle kam, war er sichtlich mitgenommen davon, dass er gerade Joachim von Ribbentrop, Hitlers Außenminister, zum Galgen begleitet hatte. Es war das erste Mal, dass Gerecke einer Hinrichtung beigewohnt hatte. Jetzt war er in Keitels Zelle, und die beiden beteten erneut, während Keitel wieder weinte.

Dann war es Zeit, den letzten Weg zu gehen. Die kleine Prozession ging den Korridor entlang – vorne Andrus, dessen Reitstiefel militärisch über den Zementfußboden klackten, es folgte Gerecke, dann Keitel, der mit Handschellen an einen Wärter gekettet war. Sie gingen die Tür hinaus in die kalte, nasse Schwärze des Hofes, der den Zellenblock von der Gefängnisturnhalle trennte, in der man vor ein paar Stunden die Galgen errichtet hatte.27

Außerhalb der Mauern des Justizpalastes versuchte Nürnberg, den Alltag zu bewältigen. Die Bomben der Alliierten hatten die schöne mittelalterliche Stadt zu 90 Prozent zerstört. Ihre Bewohner schliefen, wo es ein bisschen Wärme gab – zwischen großen Trümmerhaufen, hinter den halb eingestürzten Mauern einer Kirche, in den dunklen Kellern zerstörter Wohnhäuser. Beim alten Schloss hatten mehrere Kinder eine Strohpuppe, die Hermann Göring darstellen sollte, aufgehängt und daneben ein Feuer angezündet, um das sie im Kreis liefen und den Tanz der Schatten auf den Trümmern beobachteten.28

Andrus klopfte an die Tür der Turnhalle – das Signal, dass der nächste der Gefangenen bereit war. Ein Militärpolizist öffnete, und Andrus ging hinein, gefolgt von den anderen. Sie kniffen die Augen zusammen gegen die grellen Lampen. Vor ihnen, etwas zur Linken, standen zwei schwarze Galgen, die, in den Worten des diensthabenden Offiziers, »abstoßend und als Zeichen der Hoffnungslosigkeit da standen und so gar nicht zu dem Basketballring am anderen Ende der Halle passten«.29 Rechts stand ein dritter Galgen, als Reserve, falls einer der beiden anderen nicht funktionieren sollte. Hinter ihm war ein Vorhang, der elf Holzsärge verdeckte. Die Turnhalle war ein trostloses Gebäude, das außer zwei eisernen Öfen in einer der Ecken nichts zu bieten hatte. An einer Wand prangte ein von der US Army gesponsertes Plakat, das man an allen Ecken und Enden der besetzten Stadt wiederfand: »VD walks the Streets.«, »Geschlechtskrankheiten sind überall.«30

Links der beiden Hauptgalgen saßen an Klapptischen die vier Richter des Militärtribunals, neben ihnen, an vier weiteren Tischen, acht Vertreter der Presse.31 Nach drei Schritten wurde Keitel von einem anderen Militärpolizisten angehalten, der ihm seine Handschellen abnahm. Keitels Augen wanderten instinktiv zu dem ersten Galgen. Er sah das stramm gespannte, sich drehende Seil und wusste: An diesem Seil hing Ribbentrop. Zwei weitere Militärpolizisten nahmen Keitels Arme, einer rechts, einer links, und führten ihn, begleitet von Gerecke, vor die Richter.32 Diese forderten ihn auf, seinen Namen zu nennen.

»Wilhelm Keitel!«, sagte der Ex-Generalfeldmarschall, laut und deutlich. Dann drehte er sich auf den Absätzen seiner blank gewienerten schwarzen Stiefel um und stieg rasch die 13 Stufen zu dem zweiten Galgen hoch.33 Gerecke folgte ihm. Die beiden Männer sahen sich an. Der Pastor begann ein deutsches Gebet, das er von seiner Mutter gelernt hatte. Er wusste, dass Keitel dieses Gebet als Kind ebenfalls von seiner Mutter gelernt hatte.34 Keitel fiel in das Gebet ein.

Dieses Gebet war nur eines der Dinge, die die beiden gemeinsam hatten. Eine andere Gemeinsamkeit war die Landschaft in der Mitte Deutschlands. Keitel ist auf dem Gutshof seiner Eltern in Helmscherode bei Bad Gandersheim aufgewachsen. Gereckes Urgroßvater war aus Braunschweig nach Amerika ausgewandert. Keitel wollte eigentlich den Hof seines Vaters weiterführen, musste jedoch auf dessen Geheiß in die Armee eintreten und Berufssoldat werden. 1940 machte Hitler ihn zu seinem Generalfeldmarschall. Er war der engste militärische Berater und zuverlässigste Stiefellecker des Führers, die Nazi-Unterwürfigkeit in Person.

Keitel war zehn Jahre älter als Gerecke, doch beide Männer waren auf dem Land groß geworden, und beide hatten die Töchter von Bierbrauern geheiratet. Während des Prozessjahres waren Gerecke und Keitel sich menschlich nahe gekommen. Gerecke beobachtete, dass Keitel immer »andächtig« war, wenn er ihn in seiner Zelle besuchte. Er fand den Generalfeldmarschall reumütig und »von tiefer Frömmigkeit«.35 Keitel zeigte ein großes Interesse an Kirchenliedern und Bibelversen, die von der Liebe Gottes zu uns Menschen und von der Erlösung von der Sünde durch Christi Tod am Kreuz handelten.

Gerecke tat sich nicht leicht damit, einem neuen oder zum Glauben zurückgekehrten Christen das Heilige Abendmahl zu geben. Er brauchte die Gewissheit, dass der Betreffende nicht nur die Bedeutung dieses Sakraments verstand, sondern auch »in Buße und Glauben« innerlich dafür bereit war. Dies war der eigentliche Grund, warum Gerecke den Auftrag in Nürnberg angenommen hatte. Hier waren Männer, die dem christlichen Glauben verächtlich den Rücken gekehrt hatten in dem Wahn, dass am von den Nazis gereinigten deutschen Wesen die Welt genesen würde. Sie hatten den in den Zehn Geboten formulierten Bund mit Gott gebrochen, und Gerecke glaubte, dass es seine Pflicht als Pastor und Seelsorger war, diesen Seelen Erlösung zu bringen und so viele dieser Nazi-Größen, wie er konnte, vor ihrer Hinrichtung zum Glauben zu bringen. Nachdem er sich während der ersten Monate des Prozesses intensiv mit dem Heiligen Abendmahl beschäftigt hatte, fragte Keitel schließlich Gerecke, ob er mit ihm das Abendmahl feiern dürfe. Er wählte selber die Bibellesungen, Lieder und Gebete für die Abendmahlsandacht aus und las sie laut vor. Dann kniete er sich neben seiner Pritsche hin und bekannte seine Sünden.

»Auf den Knien und zutiefst bewegt empfing [Keitel] den Leib und das Blut unseres Heilands«, schrieb Gerecke später.36 »Mit Tränen in der Stimme sagte er: ›Sie haben mir mehr geholfen, als Sie sich vorstellen können. Möge Christus, mein Heiland, mir bis zum Ende helfen und zur Seite stehen. Ich werde ihn so nötig brauchen.‹«

Henriette von Schirach, die Ehefrau des ehemaligen Reichsjugendführers Baldur von Schirach, der ebenfalls angeklagt war und zu Gereckes ungewöhnlicher Gemeinde gehörte, konnte kurz nach der Urteilsverkündung mit Gerecke sprechen. Gerecke hatte in der kleinen 500 Jahre alten Dorfkirche von Mögeldorf, ein östlicher Vorort von Nürnberg, die er ebenfalls betreute, eine Predigt über den Prozess gehalten; seine Gemeinde bestand überwiegend aus amerikanischen Offizieren und Soldaten, aber es waren auch ein paar Deutsche da.

Henriette von Schirach schreibt: »Die Kirche ist halb zerstört, und der Himmel schaut zum ausgebrannten Dach herein. Gerecke predigt in Englisch, sein Thema sind die Hinrichtungen, er will nicht, dass man tötet.«37 Gerecke teilte ihr mit, dass die Hinrichtungen in der Turnhalle des Gefängnisses stattfinden würden und nicht, wie es gerüchteweise geheißen hatte, auf dem Hauptmarkt, dem Platz vor der altehrwürdigen St.-Lorenz-Kirche, wo Hitler auf den Nürnberger Parteitagen stundenlang die Truppenparaden abgenommen hatte. Henriette von Schirach weiter:

Im Lauf der Zeit hat sich Gerecke mit Keitel angefreundet. Beide sind ungefähr gleich alt, beide haben Söhne, doch Keitels Söhne sind gefallen oder gefangen, und Gereckes Söhne leben. Das kurze graue Haar und ein gewisser jovialer Ausdruck lassen die beiden einander ähnlich erscheinen. Gerecke wird der Abschied von Keitel am schwersten fallen.38

Als Keitel die 13 Stufen zu dem Galgen hochgegangen war, fragte man ihn, ob er noch etwas äußern wolle. Keitel sagte: »Ich rufe den Allmächtigen an, er möge sich des deutschen Volkes erbarmen. Über zwei Millionen deutsche Soldaten sind vor mir für ihr Vaterland in den Tod gegangen. Ich folge meinen Söhnen nach. Alles für Deutschland.«39

Ein Reporter der United Press berichtet, dass der Ex-Feldmarschall darauf »dem neben ihm stehenden Pastor dankte«.40 Dann zog der Scharfrichter an einem Hebel, und ganze 20 Minuten nachdem Gerecke und Keitel auf dem Fußboden der Zelle zum Gebet niedergekniet waren, öffnete sich die Falltür unter Keitels Füßen. In den nächsten Sekunden war das einzige Geräusch in der Turnhalle das Knarren des Seils in der großen Stahlöse oben am Galgen. Gerecke ging hinaus in den Regen, um den nächsten Gefangenen zu holen.

2. Zion

Denn ich habe in Kürze alle Dinge in den Glauben gestellet, dass, wer ihn hat, soll alle Dinge haben und selig sein; wer ihn nicht hat, soll nichts haben.
Martin Luther41

Im Jahre 1918, als Henry Alma Bender in der Lutheran Church of Our Redeemer (Erlöserkirche) im Süden von St. Louis kennenlernte, wohnten die Benders vier Straßen von der Kirche entfernt. 15 Minuten Fußweg waren es von der Union Brewery von Otto Stifel, wo Almas Vater, Jacob, als Brauer arbeitete.42 Jacob Benders Vater war Mitte des 19. Jahrhunderts aus Baden-Württemberg nach St. Louis gekommen. Jacob heiratete ein amerikanisches Mädchen, Alma Isselhardt aus Staunton (Illinois).43 Das Paar bekam drei Kinder. Roy und seine kleinen Schwestern, Alma und Virginia, wuchsen in St. Louis auf, in einer Wohnung direkt neben ihren Großeltern.44 Diese befand sich so nah an Jacobs Arbeitsplatz und mehreren weiteren Brauereien, dass für Alma der süßliche Hopfengeruch, den der Wind herbeiwehte, zum Aroma ihrer Kindheit wurde.

Nach ihrer Heirat am 23. Juli 1919 zogen Henry und Alma zu Almas Eltern.45 Die Hochzeit war ein glücklicher Augenblick in einem ansonsten schwierigen Jahr für die Familie. Im Herbst, als Henry sein zweites Studienjahr am Concordia Seminary begann, verabschiedete der US-Kongress den Volstead Act, auch »National Prohibition Act« genannt. Dieser hatte das Verbot der Herstellung und des Konsums alkoholischer Getränke in den USA zur Folge. Er machte mit einem Mal viele Menschen in St. Louis, darunter auch Jacob Bender und seinen Chef, Otto Stifel, arbeitslos. Ein Jahr später erschoss sich Stifel, wie so viele »Bierbarone« dieser Zeit.

Die zweite Krise dieses Herbstes kam im Concordia Seminary, wo Henry sein Theologiestudium machte. Schon als Oberschüler hatte er von einem Studium im Concordia geträumt. Jetzt musste er erfahren, dass das Seminar es seinen Studenten nicht erlaubte, sich zu verloben oder zu heiraten. Ebenso wenig »unanständige Lieder« zu singen, »Liebesromane« zu lesen oder Karten zu spielen.46 Das Concordia Seminary setzte ihn vor die Tür, weil er sich erdreistet hatte, Alma zu heiraten! Die nächste Zeit saß er im Büro der New World Commercial Company, einer Versicherungsagentur in St. Louis, und beantwortete Briefe von Kunden.47 Der Traum, Pastor zu werden, schien ausgeträumt zu sein!48

Die gesamte Familie wohnte jetzt über Wehrenberg's Tavern, einem Lokal in der Cherokee Street, das Fred Wehrenberg, ein ehemaliger Schmied, um die Jahrhundertwende mit der Hilfe von Otto Stifel und William Lemp eröffnet hatte. Das Lokal hatte eine prächtige Holztheke mit Messingzapfhähnen.49 An den Wänden warben Plakate mit schönen Frauen für diverse Biersorten, der Boden war von den üblichen Sägespänen bedeckt. Fred servierte das Bier und die gut gesalzenen Gerichte im deutschen Stil – Brezeln, Schinken, Kartoffelsalat, Lammbraten, Sauerkraut, Schweinshaxe –, die den Durst der Kunden beflügelten.

An den Tischen – über Bierfässer gelegte Bretter – wurden Poker, Bridge und andere Kartenspiele, Dame und Schach gespielt, während ein Pianist oder Akkordeonspieler für die Hintergrundmusik sorgte. Andere saßen in kleinen Gruppen zusammen und diskutierten über Boxen und Baseball. Im Garten maß man sich im Hufeisen-Werfen.

Als in der Nähe weitere Kneipen öffneten, wurden Fred und seine Frau Gertrude durch einen Werbe-Gag inspiriert. Auf der Weltausstellung in St. Louis 1904 hatte Fred die Nachbildung eines Eisenbahnwaggons gesehen, in den man einstieg und dann draußen vor den Fenstern Bilder von den Alpen vorbeiziehen sah, gerade so, als ob man durch sie fuhr. Wehrenberg erkannte das Potenzial, das die Filmtechnologie für den Bierumsatz haben konnte. Zwei Jahre später eröffnete er einen Kino-Anbau an das Lokal.50 Jetzt hatte er praktisch ein Kino mit Bierausschank. Und als die Benders und Gereckes in die ehemalige Wohnung der Wehrenbergs über dem Lokal zogen, wurde dieses immer noch stark frequentiert – Prohibition hin, Alkoholverbot her.

Henry war der Alleinverdiener für seine mittlerweile schwangere Frau, ihre Eltern und ihre sechs Jahre alte Schwester. Sie alle hausten in der Wohnung in der Cherokee Street. Die Beziehung zu seinen eigenen Eltern, die durch seine Heirat mit einem Mädchen aus der Stadt bereits angespannt war, zerbrach Anfang 1921 fast vollends, als Henrys Schwester Nora mit 17 Jahren an Meningitis starb.51 Seine Mutter hatte ihren Mann angefleht, doch mit dem Mädchen zu einem Arzt zu gehen, doch Herman Gerecke bestritt, dass Nora so krank sei, und lehnte eine ärztliche Behandlung aus Kostengründen ab.52 Als er endlich doch nachgab, war es zu spät. Henry war wütend auf seine Eltern, aber auch auf sich selber, weil er Nora nicht vor der Dummheit und dem Geiz seines Vaters geschützt hatte.53 Viel Zeit zum Trauern gab es nicht. Einen Monat später wurde Henrys und Almas erstes Kind geboren. Der Junge bekam den Namen Henry Herman Jacob Gerecke, nach seinem Vater und den beiden Großvätern. Alma und Henry nannten ihn einfach Hank.

Als er 1918 nach St. Louis zog, hatte Henry sich mit einem bekannten lutherischen Pastor, Richard Kretzschmar, und seiner Familie angefreundet, die ihn vor Beginn seines Studiums am Concordia Seminary in ihrem Keller wohnen ließen. Als das Seminar Henry wegen nicht erlaubter Eheschließung hinauswarf, wurde Pastor Kretzschmar – mit der Billigung der Fakultät des Concordia Seminary und der Hilfe mehrerer Dozenten – sein theologischer Privatlehrer. Im Sommer 1920 begann Henry, am Harris Teachers College und der St. Louis University zu studieren, um aus der Versicherungsbranche herauszukommen und Lehrer zu werden. Gleichzeitig setzte er sein privates Theologiestudium fort. Im Herbst 1921 wurde er Lehrer an der Schule der Emmaus Lutheran Church, wo Kretzschmar Pastor war. Er unterrichtete dort fünf Jahre lang; später nannte er diese Zeit den »Anfang von meinem Comeback«.54

Es wurde nie langweilig in der Wohnung über dem Lokal in St. Louis. Dafür war es etwas eng, und die Enge nahm noch zu, als im Januar 1922, genau elf Monate nach Hanks Geburt, sein Bruder Corky zur Welt kam. Corky sollte seinen Opa Bender nie bewusst erleben; ganze zehn Tage nach seiner Geburt starb Jacob, der Magengeschwüre hatte, im Alter von 49 Jahren an einer massiven Magenblutung.55

Als Hank und Corky etwas größer waren (vier oder fünf Jahre alt), schickte Almas Mutter sie oft mit einem Eimer und einem Zehncentstück nach unten ins Lokal, um die nächste Ration »Near-beer« zu holen – ein fast alkoholfreies Malzgetränk, das unter den harten Prohibitionsgesetzen gerade noch erlaubt war. Wenn sie auf dem Rückweg nichts verschüttet hatten, bekamen sie zur Belohnung anschließend einen kleinen Schluck aus dem Eimer. Am Ende des Tages rannten die Jungen hinunter auf die Straße, um zu sehen, wie ihr Vater auf seinem Fahrrad von seiner Arbeit zurückkam. Am Lenker baumelte die schwarze Aktentasche. In der kleinen Wohnung übte Henry, der die Musik liebte, Geige, Klavier und Trompete. Als seine Söhne bei seinen Versuchen mit der Posaune zu weinen begannen, verbannte Alma ihn zum Üben ins Badezimmer.56

Im Herbst 1925, nach mehreren Jahren Privatunterricht bei Kretzschmar und einigen Dozenten des Concordia Seminary, bestand Gerecke sein Theologieexamen am Seminar. Damit war er berechtigt, sich von einer Gemeinde zum Pastor »berufen« zu lassen. Die Lutheran Church (Missouri Synod) teilte das Land in mehrere geografische Distrikte auf, die je ihren eigenen Präsidenten und eine bestimmte Anzahl von Gemeinden hatten. Noch heute haben diese Distriktspräsidenten einen gewissen Einfluss darauf, welcher Pastor in welche Gemeinde kommt.

Als Gerecke die Wahlfähigkeit zuerkannt wurde, war Kretzschmar solch ein Distriktspräsident, und er sorgte dafür, dass Gerecke eine Gemeinde bekam. 1924 hatte er auch den KFUO, den Radiosender der Kirche in St. Louis, mitgegründet, und verhalf Gerecke später zu einer Nebenkarriere als Rundfunkpastor.

Am 24. Januar 1926 wurde der jetzt 32-jährige Gerecke nach fünf Jahren als Lehrer an der Emmaus-Schule von Pastor A. P. Feddersen zum Pfarrer der Christ Lutheran Church ordiniert.57 Die Kirche lag knapp fünf Kilometer von Wehrenberg's Tavern entfernt an der Caroline Street 3506. (Gereckes Mutter und Großmutter hießen ebenfalls Caroline.) Zwei Jahre später, 1928, gebar Alma einen dritten Sohn, Roy David. In dem kleinen Pfarrhaus hatten Alma und Henry ein Zimmer für sich. In einem zweiten Zimmer hausten die drei Jungen. Hank und Corky, die sich pausenlos stritten, mussten sich ein Bett teilen. Oma Bender und Tante Ginny – die mit ihren elf Jahren noch nicht sehr tantenmäßig war – hatten ebenfalls ein Zimmer.