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Nie wieder Krieg!

Inhalt

May Day 2016

Die politischen Aufgaben der arbeitenden Bevölkerung auf dem indischen Subkontinent

Kriegsverherrlichung und Kriegsvorbereitung

Tretet den Kriegsvorbereitungen im Pazifik entgegen

Der Konflikt zwischen den USA und China und die politische Krise in Lateinamerika

Wieder erhebt der deutsche Militarismus sein Haupt

Die Krise der Europäischen Union und die Kriegsgefahr

Die Flüchtlingskrise und das Zeitalter des ununterbrochenen Kriegs

Das Brexit-Referendum und der Kampf gegen Nationalismus und Krieg

Krieg und die amerikanischen Präsidentschaftswahlen

Die internationale Arbeiterklasse ist eine enorme soziale Kraft

Der 1. Mai 2016 und die Zukunft des Sozialismus

Marxismus und die Pseudolinke

Ein Vermerk über demoralisierte Opportunisten

Warum werden Russland und China »imperialistisch« genannt?

Wie Marx21, die SAV und RIO die Rechtswende der Linkspartei rechtfertigen

Sahra Wagenknechts Plädoyer für Nationalismus und Marktwirtschaft

Cem Özdemir konfrontiert Jörg Baberowski mit dessen menschenverachtenden Forderungen

»Berliner Korrespondenzen«: Humboldt-Universität im Dienste des Militarismus

Für einen aktiven Boykott des Brexit-Referendums!

Socialist Equality Party eröffnet Kampagne zur Präsidentschaftswahl 2016

Unterstützt den Wahlkampf der PSG in Berlin! Stimmt gegen Krieg und Militarismus!

75 Jahre seit dem Nazi-Überfall auf die Sowjetunion

David King 1943–2016

Impressum

Editorial: Nie wieder Krieg!

Liebe Leserinnen und Leser,

die neue Ausgabe der gleichheit trägt den Titel »Nie wieder Krieg« und zeigt auf dem Cover eine demonstrierende Frau, die mit mahnender Geste entschlossen für den Kampf gegen Krieg eintritt. Das berühmte Plakat hat die Künstlerin Käthe Kollwitz 1924 für den Mitteldeutschen Jugendtag der Sozialistischen Arbeiterbewegung entworfen.

Kollwitz war keine Marxistin, aber ihr Appell ist von brennender Aktualität. Die Reden, die führende Vertreter des Internationalen Komitees der Vierten Internationale am 1. Mai 2016 auf der internationalen Online-Kundgebung des IKVI gehalten haben und die einen großen Teil dieser Ausgabe bilden, verdeutlichen, wie groß die Gefahr eines Dritten Weltkriegs ist.

25 Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion ist die Welt ein Pulverfass. Die Europäische Union befindet sich nicht erst seit dem Brexit-Referendum in einer tiefen Krise und bricht rasch auseinander. Weite Teile des Nahen und Mittleren Ostens und Nordafrikas wurden durch die Interventionen der europäischen Mächte und der USA in Schutt und Asche gelegt. In Osteuropa organisiert die NATO einen gigantischen Militäraufmarsch gegen die Atommacht Russland. In Afrika findet ein neuer Wettlauf der imperialistischen Mächte um Rohstoffe und Einflusssphären statt. Und in Asien bereiten sich die USA unter dem Schlagwort »Pivot to Asia« auf einen Krieg gegen China vor.

Die Stärke der hier veröffentlichten Analysen liegt vor allem darin, dass sie die Ursachen und Gründe der Kriegsentwicklung aufzeigen und eine Perspektive für den Kampf gegen Krieg geben. In einem Beitrag heißt es: »Das Programm für einen solchen Kampf muss antikapitalistisch und sozialistisch sein. Krieg kann nicht verhindert werden, ohne das Wirtschaftssystem – den Kapitalismus – abzuschaffen, das ihn hervorbringt. Und schließlich muss der Kampf gegen Krieg auf internationaler Ebene geführt werden.«

Das IKVI betont dabei seit langem, dass der Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung einen systematischen politischen und theoretischen Kampf gegen pseudolinke Parteien und Gruppierungen erfordert. Ein Höhepunkt zu diesem Thema ist das Interview mit David North, dem Chefredakteur der World Socialist Web Site. Peter Schwarz zeigt in seiner Besprechung von Sahra Wagenknechts neuem Buch »Reichtum statt Gier«, welche extrem nationalistischen und pro-kapitalistischen Positionen Parteien wie Die Linke in Deutschland oder Syriza in Griechenland mittlerweile vertreten.

»Eine neue revolutionäre Bewegung gegen Krieg, ist nicht nur nötig, sie ist auch möglich«, heißt es im Wahlaufruf der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) für die Berliner Abgeordnetenhauswahl. Wir veröffentlichen ihn zusammen mit Erklärungen unserer amerikanischen und britischen Genossen, die mit eigenen Kandidaten zu den Präsidentschaftswahlen in den USA antreten und im EU-Referendum in Großbritannien zu einem »aktiven Boykott« aufriefen.

Weltweit kämpfen das IKVI und seine Sektionen dafür, der wachsenden Opposition gegen Sozialabbau und Krieg eine unabhängige politische Perspektive zu geben. Wir rufen all unsere Leser dazu auf, die Analysen und Artikel der neuen gleichheit genau zu studieren, und diesen Kampf nach Kräften zu unterstützen!

Die Redaktion

Inhalt

Editorial: Nie wieder Krieg

May Day 2016
Einleitung von David North, Chefredakteur der World Socialist Web Site und Vorsitzender der Socialist Equality Party in den USA

Die politischen Aufgaben der arbeitenden Bevölkerung auf dem indischen Subkontinent
Von Wije Dias – Generalsekretär der Socialist Equality Party (Sri Lanka)

Kriegsverherrlichung und Kriegsvorbereitung
Von Cheryl Crisp, stellvertretende Nationale Sekretärin der Socialist Equality Party (Australien)

Tretet den Kriegsvorbereitungen im Pazifik entgegen
Von James Cogan, Nationaler Sekretär der Socialist Equality Party (Australien)

Der Konflikt zwischen den USA und China und die politische Krise in Lateinamerika
Von Bill Van Auken, WSWS-Redakteur für Lateinamerika

Wieder erhebt der deutsche Militarismus sein Haupt
Von Ulrich Rippert, Vorsitzender der Partei für Soziale Gleichheit

Die Krise der Europäischen Union und die Kriegsgefahr
Von Peter Schwarz, Sekretär des Internationalen Komitees der Vierten Internationale

Die Flüchtlingskrise und das Zeitalter des ununterbrochenen Kriegs
Von Julie Hyland, stellvertretende Nationale Sekretärin der Socialist Equality Party (Großbritannien)

Das Brexit-Referendum und der Kampf gegen Nationalismus und Krieg
Von Chris Marsden, Nationaler Sekretär der Socialist Equality Party (Großbritannien)

Krieg und die amerikanischen Präsidentschaftswahlen
Von Jerry White, Präsidentschaftskandidat der Socialist Equality Party (USA)

Die internationale Arbeiterklasse ist eine enorme soziale Kraft
Von Joseph Kishore, nationaler Sekretär der Socialist Equality Party (Vereinigte Staaten)

Der 1. Mai 2016 und die Zukunft des Sozialismus
Von Joseph Kishore – 5. Mai 2016

Marxismus und die Pseudolinke
David North im Gespräch auf der Leipziger Buchmesse – 1. April 2016

Ein Vermerk über demoralisierte Opportunisten
Von David North – 21. April 2016

Warum werden Russland und China »imperialistisch« genannt?
Eine Fallstudie über theoretische Betrügerei
Von Johannes Stern – 15. April 2016

Wie Marx21, die SAV und RIO die Rechtswende der Linkspartei rechtfertigen
Von Johannes Stern und Peter Schwarz – 14. Mai 2016

Sahra Wagenknechts Plädoyer für Nationalismus und Marktwirtschaft
Von Peter Schwarz – 24. März 2016

Cem Özdemir konfrontiert Jörg Baberowski mit dessen menschenverachtenden Forderungen
Von Christoph Vandreier und Peter Schwarz – 31. Mai 2016

»Berliner Korrespondenzen«: Humboldt-Universität im Dienste des Militarismus
Von Johannes Stern – 18. Juni 2016

Für einen aktiven Boykott des Brexit-Referendums!
Erklärung der britischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale
(Socialist Equality Party) – 5. März 2016

Der Weg vorwärts nach dem Brexit-Referendum
Erklärung der Socialist Equality Party (Großbritannien) – 28. Juni 2016

Socialist Equality Party eröffnet - Kampagne zur Präsidentschaftswahl 2016
Unterstützt White und Niemuth!
29. April 2016

Unterstützt den Wahlkampf der PSG in Berlin!
Stimmt gegen Krieg und Militarismus!
23. April 2016

75 Jahre seit dem Nazi-Überfall auf die Sowjetunion
Von Barry Grey – 22. Juni 2016

David King 1943–2016: Revolutionärer Sozialist, Künstler und Kämpfer für die historische Wahrheit
Von David North – 17. Mai 2016

May Day 2016

Mit der folgenden Rede leitete David North, der Chefredakteur der WSWS und Vorsitzende der Socialist Equality Party in den USA, am 1. Mai 2016 die internationale Online-Maiversammlung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale ein.

Leo Trotzki (1921)

Leo Trotzki (1921)

Genossen und Freunde,

ich möchte diese Versammlung und die derzeitigen Ereignisse in einen bestimmten historischen Zusammenhang stellen.

Vor 25 Jahren, unmittelbar nach dem ersten Golfkrieg vom Februar/März 1991, veröffentlichte das Internationale Komitee der Vierten Internationale einen Maiaufruf. Darin hieß es:

»Das Nachkriegsgleichgewicht des Imperialismus, das die politische Grundlage für die gewaltige weltweite Expansion des Kapitalismus abgegeben hat, ist zusammengebrochen. Es kann nicht auf friedlichem Wege wiederhergestellt werden, denn die Beziehungen zwischen den Bestandteilen des alten Gleichgewichts haben sich alle geändert. Es geht dabei nicht um die subjektiven Wünsche der individuellen Führer der bürgerlichen Staaten, sondern um die objektiven Folgen der ökonomischen und sozialen Widersprüche, die sich ihrer Kontrolle entziehen.

Im Zentrum der Instabilität des Weltimperialismus steht die Krise der Vereinigten Staaten. …

Vor dem Hintergrund der immer schlimmeren sozialen Krise und ihren potentiell revolutionären Folgen bildet das Streben des amerikanischen Imperialismus, seine Vormachtstellung in der Welt zurückzuerlangen, eines der explosivsten Elemente in der Weltpolitik … Die zunehmende Rücksichtslosigkeit und Kriegslüsternheit des amerikanischen Imperialismus stellt letztendlich einen Versuch dar, seinen wirtschaftlichen Verfall aufzuhalten und umzukehren durch den Einsatz militärischer Macht – dem einzigen Bereich, in dem die Vereinigten Staaten nach wie vor die unbestrittene Vormachtstellung innehaben.«

Mit dieser Analyse der tieferen historischen Bedeutung des Kriegs stand das Internationale Komitee im Gegensatz zur landläufigen Auffassung jener Zeit. Die Medien und selbstredend auch die akademischen Experten für internationale Beziehungen übernahmen damals unbesehen die Behauptungen der US-Regierung, dass der Einmarsch im Irak die rechtmäßige, notwendige Reaktion auf die Annexion Kuwaits sei, die Saddam Hussein im August 1990 völkerrechtswidrig vorgenommen habe.

Die objektiven Erfahrungen der vergangenen 25 Jahre haben die Analyse des Internationalen Komitees bestätigt. Der Einmarsch im Irak war der Auftakt zu einer ununterbrochenen Serie von Kriegen, die nunmehr seit 25 Jahren andauern. Dem ersten Krieg gegen den Irak folgten in den 1990ern die Invasionen der USA in Haiti und Somalia. Gegen den Sudan wurden Marschflugkörper in Stellung gebracht. Der Irak wurde unter verschiedenen Vorwänden bombardiert.

Die 1990er Jahre endeten mit einem Krieg gegen Serbien, in dem das kleine Land unter Führung der USA 78 Tage lang mit Bomben übersät wurde. Der Krieg wurde – mit dem nahezu einhelligen Einverständnis der grenzenlos leichtgläubigen Professorenschaft – als humanitäre Antwort auf »ethnische Säuberungen« gerechtfertigt. Als Serbien im Juni 1999 die von der NATO diktierten Bedingungen akzeptierte, war Jugoslawien endgültig in sieben hoch verschuldete Staaten aufgespalten, die vom amerikanischen und europäischen Imperialismus beherrscht wurden.

Heute ist klar, dass die militärischen Operationen der 1990er Jahre das erste Grollen waren, das den Ausbruch imperialistischer Gewalt nach den Ereignissen vom 11. September 2001 ankündigte. Der 15. Jahrestag des nicht enden wollenden »Kriegs gegen den Terror« rückt näher. Was ist die politische und moralische Bilanz der letzten 15 Jahre? Die Vereinigten Staaten haben Kriege geführt gegen den Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien und Jemen. Die Gesamtzahl der Toten und Verwundeten in diesen Ländern geht in die Millionen.

Die Führer des amerikanischen Imperialismus haben sich des Soziozid schuldig gemacht – der verbrecherischen Zerstörung ganzer Gesellschaften. Man fragt sich: Werden sich die Länder, die Opfer des US-Imperialismus wurden, jemals wieder erholen? In den letzten 15 Jahren haben Ausdrücke wie »Überstellung«, »Waterboarding«, »Drohnenangriffe« und »gezielte Tötung« Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden.

Im Weißen Haus, in dem einst Präsident Abraham Lincoln die Emanzipationserklärung verfasste, trifft sich der heutige Hausherr jede Woche mit seinen Beratern, um die »Kill-Liste« abzusprechen. Lincoln setzte damals seine Unterschrift unter ein Schriftstück, mit dem die Sklaverei abgeschafft wurde. Barack Obama unterzeichnet jede Woche Anordnungen zu außergerichtlichen Hinrichtungen, mit denen Recht und Gesetz abgeschafft werden. Die Ironie will es, dass sowohl Lincoln als auch Obama ausgebildete Juristen waren. Der Gegensatz ihrer Einstellungen zu den Grundsätzen der Verfassung und zum Wert des menschlichen Lebens widerspiegelt die historische Entwicklung des amerikanischen Staates von demokratischer Blüte zu imperialistischer Verkommenheit.

Das Vierteljahrhundert Krieg nahm die Form einer Reihe regionaler Interventionen im Nahen Osten, auf dem Balkan und in Zentralasien an. Die Strategen des US-Imperialismus bildeten sich ein, dass sie mit ihrer überwältigenden Militärmacht die »neue Weltordnung«, die der erste Präsident Bush 1991 ausgerufen hatte, problemlos herstellen könnten. Mit der Auflösung Sowjetunion war, so dachten sie, das einzige nennenswerte Hindernis für die unanfechtbare Hegemonie des US-Imperialismus verschwunden. »Gewalt funktioniert«, frohlockte das Wall Street Journal nach dem ersten Krieg im Persischen Golf.

Doch der Weg zur Weltherrschaft war mit unerwarteten Schwierigkeiten gepflastert. Die Invasionen in Afghanistan und dem Irak verliefen zwar zunächst militärisch erfolgreich, riefen aber zunehmenden Widerstand hervor. In beiden Ländern stecken die USA in einem Sumpf, aus dem sie nicht mehr herauskommen.

Doch ein Rückzug kommt für den amerikanischen Imperialismus nicht in Betracht. Starke objektive Kräfte und Interessen treiben die USA in immer größere und riskantere militärische Eskalationen. Der wichtigste Faktor ist die Wirtschaftskrise, die sich insbesondere seit dem Finanzcrash 2008 vertieft hat. Darüber hinaus hat sich die geopolitische Lage für die USA zusehends verschlechtert.

Das rasche Heranwachsen Chinas zu einer wirtschaftlichen und militärischen Macht stellt in den Augen der USA eine erhebliche Gefahr für ihre globale Vormachtstellung dar. Die Strategen in Washington sehen in China nicht nur eine direkte Bedrohung ihrer Vormachtstellung in der asiatisch-pazifischen Region. Sie fürchten auch, dass es China durch den Ausbau seiner wirtschaftlichen Beziehungen mit den langjährigen, aber unzuverlässigen Verbündeten der USA in Europa gelingen könnte, die wirtschaftlichen und militärischen Kräfteverhältnisse auf der Welt zu Ungunsten der USA zu verändern.

Der sogenannte »Pivot to Asia«, auf den unsere Genossen aus Sri Lanka und Australien noch eingehen werden, soll den zunehmenden Einfluss Chinas im asiatisch-pazifischen Raum zurückdrängen und, wenn nötig, China vom Zugang zu den Seewegen durch den Pazifik und den Indischen Ozean abschneiden, die für seine Wirtschaft lebensnotwendig sind. Dies ist der Grund für die wachsenden Spannungen im Südchinesischen Meer.

Allerdings reicht dieser »Pivot« nicht aus, um die globale Hegemonie Amerikas zu gewährleisten. Nach Ansicht eines bedeutenden Teils der Pentagon- und CIA-Strategen reicht die Kontrolle über den asiatisch-pazifischen Raum und den Indischen Ozean nicht aus, um China strategisch zu isolieren. Die USA müssen auch Eurasien dominieren, das in den Lehrbüchern der internationalen Geopolitik als »Weltinsel« bezeichnet wird. Dieses strategische Ziel ist der Hintergrund für die zunehmenden Konflikte zwischen den USA und Russland.

Die internationalen Beziehungen sind von Spannungen geprägt, die ebenso stark, wenn nicht noch stärker sind als am Vorabend des Zweiten Weltkriegs in den späten 1930er Jahren. Alle großen imperialistischen Mächte –einschließlich Deutschland und Japan – rüsten auf und verstärken ihre militärische Präsenz. Es herrscht Einvernehmen darüber, dass bei einem Konflikt zwischen den USA, China und Russland auch Atomwaffen eingesetzt werden könnten. Es wäre ein schwerer Fehler, zu glauben, dass die politischen und militärischen Führer der imperialistischen Mächte oder ihre verängstigten Gegner in Peking und Moskau vor den verheerenden Folgen eines Atomkriegs zurückschrecken würden.

Ein imperialistischer Think-Tank warnte kürzlich: »Man darf nicht erwarten, dass sich Menschen rational verhalten, noch nicht einmal nach ihren eigenen Maßstäben.« Der Titel des betreffenden Dokuments lautet: »Armageddon neu denken: Szenario­planung im zweiten nuklearen Zeitalter.« Obwohl jeder weiß, dass alle großen Mächte genügend Atomwaffen besitzen, um sich gegenseitig mehrfach zu vernichten, schließen die Verfasser mit den Worten: »Das empfindliche Gleichgewicht des Schreckens, das durch die gegenseitige Abschreckung aufrechterhalten wird, ist womöglich fragiler, als allgemein angenommen.«[1]

Letztendlich ergibt sich die Kriegsgefahr aus zwei wesentlichen, zusammenhängenden Aspekten des kapitalistischen Wirtschaftssystems: erstens dem Privateigentum an den Produktionsmitteln in den Händen monopolistischer Konzerne und Finanzoligarchen, die maximale Profite anstreben, und zweitens den unvermeidbaren Konflikten, die sich aus der objektiven Verflechtung der globalen Wirtschaft einerseits und dem Fortbestand des Nationalstaatensystems andererseits ergeben.

Vor genau 100 Jahren, inmitten des Ersten Weltkriegs, verfasste Lenin seine Studie über den Imperialismus.

Im Gegensatz zu antimarxistischen Reformisten wie Karl Kautsky, der den imperialistischen Krieg rein subjektiv als Folge einer falschen Politik der herrschenden Elite auffasste, verstand Lenin, dass der Imperialismus ein objektives Entwicklungsstadium des Kapitalismus darstellte. »Der Imperialismus«, schrieb er, »ist die Epoche des Finanzkapitals und der Monopole, die überallhin den Drang nach Herrschaft und nicht nach Freiheit tragen.«[2] Die Tendenz zur Diktatur, erklärte Lenin, folgte unweigerlich aus der Verschärfung der imperialistischen Widersprüche. »Der Unterschied zwischen der republikanisch-demokratischen und der monarchistisch-reaktionären imperialistischen Bourgeoisie verwischt sich«, schrieb er. »Politische Reaktion auf der ganzen Linie ist eine Eigenschaft des Imperialismus. Korruption, Bestechung im Riesenausmaß, Panamaskandale jeder Art.«[3]

Lenin ließ es nicht bei dem Nachweis bewenden, dass der Krieg ein Ergebnis der objektiven Widersprüche des Imperialismus war. Er zeigte in seiner Analyse auch auf, dass dieselben Widersprüche, die imperialistische Kriege hervorbringen, auch die Arbeiterklasse radikalisieren und auf den Weg der sozialistischen Revolution treiben.

Aus dieser wissenschaftlichen Einsicht ergibt sich die wesentliche Strategie für den Kampf gegen Krieg. Die Antikriegspolitik der Arbeiterklasse basiert nicht auf den üblichen Kalkulationen der bürgerlichen Geopolitik, die von der Einschätzung des Kräfteverhältnisses zwischen Nationalstaaten ausgeht. Unser Ausgangspunkt ist die Bewertung des Kräfteverhältnisses zwischen Gesellschaftsklassen. Ein erfolgreicher Kampf gegen Krieg setzt die politische Mobilisierung der Arbeiterklasse voraus. Die Aufgabe der sozialistischen Bewegung besteht darin, die Arbeiterklasse aufzuklären und ihr politisches Bewusstsein anzuheben, damit sie dem Krieg den Krieg erklären kann.

Das Programm für einen solchen Kampf muss antikapitalistisch und sozialistisch sein. Krieg kann nicht verhindert werden, ohne das Wirtschaftssystem – den Kapitalismus – abzuschaffen, das ihn hervorbringt. Und schließlich muss der Kampf gegen Krieg auf internationaler Ebene geführt werden. Die Arbeiterklasse und Jugend aller Länder muss sich gegen kapitalistische Ausbeutung und imperialistischen Militarismus zusammenschließen.

Überall auf der Welt mehren sich die Anzeichen für eine antikapitalistische Radikalisierung der Arbeiterklasse und der Jugend. Am bedeutsamsten ist vielleicht, dass in den jüngsten Vorwahlen Millionen amerikanische Arbeiter für einen Kandidaten gestimmt haben, der sich als Sozialist bezeichnet. Natürlich ist der »Sozialismus« von Bernie Sanders kaum mehr als aufgewärmter Liberalismus. Aber der Grund dafür, dass Sanders Unterstützung gewinnt, liegt nicht in seinem Opportunismus, sondern darin, dass er von einer »politischen Revolution« spricht und sich die Arbeiter davon einen Aufstand gegen die soziale Ungleichheit erhoffen. Der grundlegende Mythos über die politische Sonderstellung Amerikas – dass sich die Arbeiterklasse dort niemals dem Sozialismus zuwenden wird – wurde in der Praxis widerlegt. In der Geschichte des amerikanischen Klassenkampfs wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen. Der Sozialismus, der in den USA so lange unterdrückt wurde, wird sich nun hier, im Zentrum des Weltimperialismus, in Windeseile ausbreiten.

Genau in diesem Moment, in dem sich die Widersprüche des global integrierten Kapitalismus extrem zuspitzen, versucht die Kapitalistenklasse mit aller Macht, einen wahnwitzigen Nationalismus zu schüren, um die Massen zur Unterstützung imperialistischer Kriege zu verführen. In den USA verspricht Trump, Amerika zu neuer Größe zu verhelfen, indem er eine Mauer um die USA zieht und ihre geballte militärische Macht gegen alle äußeren und inneren Feinde (besonders Einwanderer) einsetzt. Er glaubt, mit stärker befestigten Grenzen und größeren Bomben könne Amerikas Wirtschaft gesunden. Trumps Vision von einer »Festung Amerika« läuft in Wirklichkeit auf einen dystopischen Alptraum hinaus, der nur durch Diktatur und Krieg verwirklicht werden kann.

Der »Trumpismus« ist beileibe kein isoliertes, auf Amerika beschränktes Phänomen. Das Wiederaufleben von Nationalismus kennzeichnet die kapitalistische Politik auf der ganzen Welt. Der Aufstieg der UKIP und die Brexit-Kampagne im Vereinigten Königreich, die Wahlerfolge von Marine Le Pen in Frankreich, der Sieg der ultrachauvinistischen Freiheitlichen in der ersten Runde der Präsidentenwahl in Österreich – all das ist Ausdruck des vergeblichen Versuchs, den Widersprüchen des globalisierten Kapitalismus zu entrinnen. Aber einen solchen Ausweg gibt es nicht. Der Nationalismus bietet in keinem Land eine fortschrittliche Alternative zu Imperialismus und kapitalistischer Unterdrückung.

Die Erfahrungen des vergangenen Vierteljahrhunderts genügen, um die Folgen des Nationalismus zu erkennen. Betrachten wir das Schicksal der Nationen, die aus der Auflösung Jugoslawiens hervorgingen. Die Arbeitslosenquote unter mazedonischen Jugendlichen liegt bei 50 %. In Slowenien liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 24 %. In Kroatien haben 44 % aller Jugendlichen keinen Arbeitsplatz. In Montenegro beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 41 %. In Bosnien liegt die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen bei mehr als 57 %. In Serbien sind 49,5 % der Jugendlichen arbeitslos. Im Kosovo liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei mehr als 60 %!

Abgesehen von diesen katastrophalen Folgen gab die reaktionäre Politik des nationalen Separatismus den USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich die Möglichkeit an die Hand, nationale, ethnische und religiöse Spaltungen ausnutzen, um imperialistische Interventionen zu rechtfertigen – wie in Syrien und Libyen.

Die einzige Lösung für die Krise des Weltkapitalismus liegt in der politischen Mobilisierung der Arbeiterklasse aller Kontinente und Länder in einem international vereinten Kampf gegen den Imperialismus.

Die üble nationale Unterdrückung, die der Imperialismus ständig erzeugt, kann nur durch den Zusammenschluss aller Teile der Arbeiterklasse beseitigt werden. Die historische Aufgabe der Arbeiterklasse ist nicht die Errichtung neuer Nationalstaaten, die aus den faulenden Leichnamen alter nationaler Unterfangen herausgerissen werden, sondern die Schaffung einer vereinten und integrierten Weltföderation sozialistischer Republiken. Die einzig tragfähige Perspektive ist diejenige, die Trotzki in seiner Theorie der permanenten Revolution entworfen hat:

»Der Abschluss einer sozialistischen Revolution ist im nationalen Rahmen undenkbar. Eine grundlegende Ursache für die Krisis der bürgerlichen Gesellschaft besteht darin, dass die von dieser Gesellschaft geschaffenen Produktivkräfte sich mit dem Rahmen des nationalen Staates nicht vertragen. Daraus ergeben sich einerseits die imperialistischen Kriege, andererseits die Utopie der bürgerlichen Vereinigten Staaten von Europa. Die sozialistische Revolution beginnt auf nationalem Boden, entwickelt sich international und wird vollendet in der Weltarena. Folglich wird die sozialistische Revolution in einem neuen, breiteren Sinne des Wortes zu einer permanenten Revolution: Sie findet ihren Abschluss nicht vor dem endgültigen Siege der neuen Gesellschaft auf unserem ganzen Planeten.«[4]

Mit unserer heutigen Veranstaltung rufen wir klar und eindeutig dazu auf, eine internationale Massenbewegung von Arbeitern und Jugendlichen gegen Krieg aufzubauen. Diese dringende Aufgabe ist untrennbar mit dem Aufbau der Vierten Internationale als Weltpartei der sozialistischen Revolution verbunden. Wir bitten euch, den Rednern genau zuzuhören und, wenn ihr mit unserem Programm übereinstimmt, der Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in eurem Land beizutreten oder, wenn es noch keine solche Partei gibt, selbst für den Aufbau einer neuen Sektion der trotzkistischen Weltbewegung zu kämpfen und euch bewusst dem Kampf für den Sozialismus anzuschließen, denn von ihm hängt die Zukunft der Menschheit ab.

Anmerkungen

1 Andrew F. Krepinevich und Jacob Kohn, Rethinking Armageddon: Scenario Planning in the Second Nuclear Age (Center for Strategic and Budgetary Assessments, 2016), S. 14–15.

2 Wladimir Iljitsch Lenin, Werke Bd. 22, Berlin/DDR 1960, S. 119.

3 Wladimir Iljitsch Lenin, Werke Bd. 23, Berlin/DDR 1960.

4 Leo Trotzki, Die permanente Revolution, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1993, S. 185 f.

Die politischen Aufgaben der arbeitenden Bevölkerung auf dem indischen Subkontinent

Die arbeitende Bevölkerung auf dem indischen Subkontinent muss an der Seite ihrer Klassengenossen in aller Welt eine ­führende Rolle im Kampf gegen imperialistischen Krieg ­übernehmen.

Die Ereignisse zum 11. September 2001 wurden nie aufgeklärt, aber die USA nahmen sie zum Vorwand, Afghanistan zu überfallen. Seither sind Südasien und der Indische Ozean immer tiefer in den Strudel der Geopolitik und in den Kampf zwischen den globalen Großmächten hineingezogen worden.

Für die Strategen des US-Imperialismus ist Südasien die verwundbare Stelle Eurasiens. Es spielt eine wichtige Rolle für die Ausübung seiner Macht vom ölreichen Nahen Osten und Zentralasien über den Himalaja hinweg bis nach China.

Für die Kriegsplaner im Pentagon ist die Vorherrschaft im Indischen Ozean für die amerikanische Beherrschung der Welt von entscheidender Bedeutung. Diese Region hat laut einer Studie des US-Naval War College den Nordatlantik als zentrale Arterie des Welthandels abgelöst. Sie hat diese Bedeutung, weil die USA im Falle eines Krieges oder eines drohenden Krieges an strategischen Engstellen eine Wirtschaftsblockade gegen China verhängen wollen. Außerdem ist der Indische Ozean wichtig für militärische Operationen der USA im Nahen Osten und in Ostafrika.

Washingtons Machtpolitik und die Ausdehnung seiner militärisch-strategischen Rolle in der Region sind inzwischen ein wesentlicher Faktor für die Innenpolitik eines jeden Landes in Südasien. Sie beeinflusst ihre Klassendynamik – von den winzigen Malediven bis hin zu den Atommächten Indien und Pakistan.

Afghanistan ist schon seit fünfzehn Jahren von den USA besetzt.

In Pakistan hat die Washingtoner Regierung das Militär ermutigt, die zivile Regierung des Landes an den Rand zu drängen. Das pakistanische Militär führt Krieg in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan. Es hält die wichtigste Stadt, Karatschi, besetzt und führt im Pandschab, der bevölkerungsreichsten Provinz des Landes, Militärmanöver durch.

Letztes Jahr sorgte Washington dafür, dass der srilankische Präsident Mahinda Rajapakse in die Wüste geschickt wurde. Die USA zogen die Fäden, als ein führender Minister des Rajapakse-Regimes, Maithripala Sirisena, aus der Regierung austrat und sich dann als gemeinsamer Oppositionskandidat für das Präsidentenamt aufstellen ließ. Die USA hatten Rajapakse noch voll unterstützt, als er Krieg gegen die tamilische Minderheit führte, aber sie wollten nicht hinnehmen, dass er zwischen Washington und Peking zu balancieren versuchte. Innerhalb weniger Monate nach Rajapakses Sturz besuchte US-Außenminister Kerry Sri Lanka. Kurz zuvor hatte Colombo einem amerikanisch-srilankischen Partnerschaftsdialog zugestimmt. Es war der erste Besuch eines amerikanischen Außenministers in Sri Lanka überhaupt.

Aber der Dreh- und Angelpunkt für die amerikanischen Bemühungen, Südasien für seinen Kampf um die Weltherrschaft einzuspannen, ist Indien. Nach allen Maßstäben ist Indien ein armes Land. Dreiviertel der Bevölkerung fristen ihr Dasein mit weniger als zwei Dollar am Tag. Aber für Washington ist es ein »strategisch wichtiges Land«.

Der Chef des US Pacific Command, Admiral Harris, zeigte sich jüngst »begeistert über die Möglichkeiten, die eine strategische Partnerschaft« zwischen Indien dem US-Imperialismus bietet. Er schlug gemeinsame amerikanisch-indische Patrouillen im Südchinesischen Meer vor.