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Dörte Müller

Monsterblues

Kurzgeschichten für Kinder


Für Caro und Bengt


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Das Monster von Loch Ness

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

 

  1. Das Monster von Loch Ness
  2. Das Eichhörnchen findet einen Freund
  3. Die Pumpernickelscheibe
  4. Seifenblasen
  5. Ich wünsch mir eine Stadt
  6. Mein Freund aus dem All
  7. Der traurige Clown
  8. Der weiße Nebel
  9. Tim in den White Mountains
  10. Adelheid
  11. Herr Battermann und die Bienen

 

 

 

 

Bücher lesen heißt, wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben, über die Sterne.

                                               (Jean Paul)

 

 

 

 

  Das Monster von Loch Ness

 

Darf ich mich vorstellen?

Ich bin Nessie. Ich lebe in Schottland in einem großen Loch. Loch ist unser Wort für See. Ich bin sehr berühmt, vielleicht hast du schon von mir gehört? Leute haben Angst vor mir und sie hoffen, dass sie mich einmal sehen und fotografieren können. Doch ich bin schneller als sie und verstecke mich tief unten in meinem Loch. So weit kann keiner tauchen. Manchmal, wenn mir langweilig ist, komme ich an die Oberfläche und gucke mich um. Dann sehe ich die vielen Leute, die mit ihren Kameras herumlaufen und mich erwischen wollen. Wie gerne würde ich mit ihnen spielen, doch ich weiß, dass dann eine richtige Jagd auf mich losgeht. Also verstecke ich mich lieber.

Vor vielen Jahren war ich zu leichtsinnig gewesen. Ein Forscherboot hatte mich entdeckt. „Da ist das Monster!“, hatte einer der Männer gerufen. Das Boot war ziemlich schnell und ich tauchte ab. Irgendwie schluckte ich vor Schreck sehr viel Wasser, dann musste ich niesen. Eine riesige Welle war entstanden und das Forscherboot kippte um. Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen und wollte einige Forscher retten. Also schwamm ich zurück. Meine Idee war, dass sich die Leute an meinem Schwanz festhalten konnten, damit sie nicht untergingen. Doch die Menschen bekamen Panik. Was sollte ich tun? Ich wollte doch nicht, dass sie meinetwegen untergingen! Also ging ich an Land und riss einige Bäume aus. Ich biss einfach in die Stämme und zog einmal kurz an dem Baum. Schon war er entwurzelt. Dann schmiss ich die Bäume ins Wasser. Doch was war das? Ein Bauer hatte mich gesehen und schlug Alarm. „Das Monster reißt Bäume aus! Zur Hilfe!“, rief er. Ich bekam einen Schreck: Jetzt hatte ich meinen Ruf komplett ruiniert, die Menschen würden mich hassen. Ich tauchte ab in die Tiefe und musste weinen. Was sollte ich bloß tun, damit ich den Menschen zeigen konnte, dass ich ein gutes Herz habe?

 

Das einzig Gute an der Geschichte war, dass alle Forscher gerettet wurden. Das Schlechte war, dass man offenbar ein Bild von mir gemacht hatte. Das war am nächsten Tag in allen Zeitungen. Woher ich das alles wusste? Nachts, wenn alle Menschen schliefen, schwamm ich zum Ufer und machte mich heimlich auf den Weg zu dem Kiosk. Damals war noch nicht ganz so viel Wirbel um mich gemacht worden, da konnte ich mir solche nächtlichen Ausflüge noch leisten. Heute wäre das undenkbar, denn Tag und Nacht sind Wachen aufgestellt, die meinen See genau beobachten. Es ist einfach schrecklich!

Einmal lernte ich aber doch einen Freund kennen. Es war eigentlich kein richtiger Freund, ehrlich gesagt war es ein Kuscheltier. Ein Vater war mit seinen Söhnen über den See gepaddelt. „Wenn ihr leise seid, sehen wir vielleicht das Monster von Loch Ness!“ Die Söhne waren ganz gespannt und der Kleinste von ihnen lehnte sich zu weit nach vorn. Dabei fiel ihm sein Teddy aus der Hand. Der Teddy saugte sich augenblicklich voll mit Wasser und sank in die Tiefe. Ich hörte das Schreien des Kindes und dachte im ersten Moment, der Sohn wäre ins Wasser gefallen. Doch dann fiel mir der Teddy auf den Kopf. Das tat ganz schön weh, weil der Teddy schwer war wie Blei. Zuerst wollte ich den Teddy zurück geben, weil ich ein sehr großes Herz habe. Doch der Teddy blickte mich mit seinen großen Knopfaugen so treu an, dass ich ihn behalten musste. Du musst wissen, ich hatte noch nie einen Freund oder ein Stofftier. Ich weiß, ich hätte den Teddy zurückgeben sollen, doch ich war mir sicher, dass der Vater dem Jungen einen neuen Teddy kaufen würde. Das hörte ich sogar: „Sei nicht traurig, Kleiner, morgen kaufen wir dir einen neuen Teddy. Oder noch besser: Ich kaufe dir eine Stoff Nessie!“ Diese Tiere gab es nämlich damals schon in dem kleinen Andenken Laden neben dem Kiosk. Da war ich beruhigt und konnte mich richtig über den Teddy freuen. Ich habe ihn heute noch. Er heißt Sam und ich schlafe niemals ohne ihn ein. Wenn ich einmal ganz traurig und einsam bin, dann habe ich immer noch meinen Sam.

 

Dann ist vor einigen Jahren noch etwas passiert. Nachts, gerade, als ich wieder zum Kiosk wandern wollte, sah ich plötzlich ein Boot mit zwei dunklen Gestalten. Sie führten nichts gutes im Schilde, das merkte ich gleich. Also blieb ich unter der Wasseroberfläche und beobachtete die Kerle. Sie hatten Fässer an Bord ihres kleinen Schiffes. Ich vermutete gleich, dass in diesen Fässern nichts Gutes war. Sie wollten sie in meinen See kippen. Der große Mann sah sich um und sagte: „Die Luft ist rein, schmeiß das Fass über Bord!“ Ich bekam ein Schreck. „Lasst meinen See sauber!“, wollte ich rufen. Doch meine Sprache verstanden die Männer natürlich nicht. Was sie bemerkten war, dass eine große Flutwelle auf sie zugeschossen kam. Sie riefen um Hilfe und klammerten sich am Bootsrand fest. Ich reagierte blitzschnell, schnappte mir die Fässer mit meinem Schwanz und warf sie im hohen Bogen an Land. Das Boot ging unter und die Männer tauchten in die Tiefe. Sie waren gute Schwimmer und konnten sich schnell an Land retten. Dann liefen sie schreiend durch die Nacht davon. Ich frage mich, was wohl passiert wäre, wenn sie die Fässer in meinen See geschmissen hätten. Dann wäre irgendwann das Holz durchgegammelt und das Öl hätte alles verschmutzt. Die armen Vögel und Fische wären durch das Öl elendig gestorben. Eine Gänsehaut läuft mir über den Rücken, wenn ich daran denke.

 

Einige Sommer später kamen wieder einmal viele Touristen. Da es ein sehr heißer Sommer war, kühlten sich viele von ihnen durch ein kühles Bad in meinem Loch ab. Ich versteckte mich dann immer ganz tief unten und hörte die lustigen Stimmen.

Einmal wurde ich durch eine wunderschöne Stimme angelockt und schwamm weiter nach oben.

„Meinst du, man kann hier drin baden, oder beißt das Monster die Füße ab?“, fragte ein bildhübsches Mädchen. Sie trug einen grünen Badeanzug und hatte lange, schwarze Haare. Eine rote Blume steckte über ihrem rechten Ohr. Ihre Freundin war nicht ganz so hübsch.

„Nein, ich glaube, dass mit dem Monster ist nur eine Geschichte, um die Touristen anzulocken. Stell dir doch mal vor: Ohne die Geschichte wäre das hier ein ganz normales Loch. Kein Mensch würde sich darum scheren!“ Das Mädchen mit dem grünen Badeanzug widersprach.

„Ich glaube nicht, dass es nur eine harmlose Geschichte ist. Irgendetwas muss davon wahr ein. Ich spüre, dass dieses Wesen uns nahe ist!“ „So ein Quatsch, Elli, du hast zu viel Fantasie!“, sagte die Freundin und sprang kopfüber ins Wasser. Ich war ganz aufgeregt. Spürte Elli meine Anwesenheit wirklich? Zu gerne würde ich ihr in die Augen sehen. Ob ich es wagen sollte? Elli zögerte noch ein wenig. Sie stand am Ufer und lief hin und her. Schließlich wurde sie noch von einer Mücke gestochen.

 

 

 

 

„Nicht so schnell, Tim!“, ruft das Mädchen. „Ich kann nicht langsamer, das Floß macht es selber!“, schreit Tim aufgeregt. „Mach etwas, dass wir wieder an Land kommen!“, ruft das Mädchen aufgeregt. „Versuche ich ja schon die ganze Zeit!“, antwortet Tim. Sein Gesicht ist ganz rot. Ich glaube, die Kinder sind in Gefahr. Wieso sind sie auch so unvorsichtig? Ich tauche unter das Floß und hebe es vorsichtig an. Dann trage ich es zum Ufer zurück.

Sam lächelt mich an. Er scheint mir sagen zu wollen: „Das hast du gut gemacht.“ Die rote Blume duftet heute Abend ganz besonders schön. Ich muss lächeln und weiß plötzlich, warum ich auf der Welt bin.

Das Leben ist schön und alles macht irgendwie einen Sinn, auch wenn uns das manchmal nicht ganz klar ist.