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Rainer M. Schröder

Die Galgeninsel

Roman

hockebooks

11

»Fahr zur Hölle, alter Rumsäufer!«, rief der Irre Kidd lachend und sprang auf. »Wenn du so weitermachst, glaubt dir der Kleine am Schluss sogar noch!« Sein Gelächter hatte die Klangfarbe einer rostigen Säge. Er trat an den überraschten Freibeutern vorbei ans Gitter und brüllte die beiden Wachen, die jetzt wieder allein waren, auf spanisch an. »Hoch, ihr Fettsäcke. Macht Licht, damit ich meine Freunde begrüßen kann!«

Zum Erstaunen von Melvins Crew erhob sich auch wirklich einer der Spanier und steckte die beiden Fackeln, die rechts und links vom Torbogen in eisernen Halterungen hingen, in Brand. Eine Verwünschung murmelnd, schlurfte der Wärter zu seinem Strohsack zurück und legte sich wieder schlafen.

Der Pirat drehte sich um und genoss die staunenden Blicke von Melvins Männern. »Kidds wilder Haufen begrüßt euch! Seid willkommen in unserer bescheidenen Hütte. Als gute Freunde, die ihr ja ohne Zweifel seid, werdet ihr es mir sicherlich nachsehen, dass ich euch noch nicht einmal einen Schluck Branntwein zur Begrüßung anbieten kann.«

»Nimm dir das nicht so zu Herzen, Kidd«, entgegnete Benjamin Melvin mit beißendem Spott in der Stimme. »Uns ist bekannt, dass nicht du, sondern die Spanier hier die Gastgeber sind. Und die werden uns eher den Galgen als eine Kanne Branntwein anbieten.«

Der Irre Kidd überhörte den spöttischen Ton in Melvins Stimme und lachte vergnügt. »Zum Henker, wir liegen kurzfristig in einer Flaute, Ben. Aber die nächste frische Brise kommt bestimmt. Dann lichten wir die Anker und laufen mit vollen Segeln aus diesem Wanzenparadies aus …«

»Geradewegs zur Hinrichtung«, knurrte Eisenarm.

»In die Freiheit«, widersprach der Irre Kidd. »Das ist so sicher, wie es den Passat und das Enterbeil gibt!«

»Typisch Kidd«, murmelte Oddie Peeler. »Noch am Galgen träumt er von der nächsten Prise.«

Der Pirat stand voll im Schein der beiden Fackeln, so dass David ihn ohne Schwierigkeiten eingehend mustern konnte. Und sein erster Eindruck war, dass Kidd gar nicht so irre aussah, sondern höchstens ein wenig sonderbar.

Der Irre Kidd war von kleiner, gedrungener Gestalt. Eisenarm und Melvin überragten ihn gut um Haupteslänge. Er trug einen Kapitänsrock aus schwarzem Tuch mit großen Messingknöpfen. Der schwarze Stoff war verschlissen, verdreckt und wies zahlreiche Flicken und Winkelrisse auf. Fast die Hälfte der ursprünglichen Messingknöpfe fehlte. Diejenigen, die noch am Rock hingen, waren stumpf und seit Ewigkeiten schon nicht mehr poliert worden.

Zu dem ehemals vornehmen Rock aus schwarzem Tuch trug Kidd eine billige Hose aus hellem Leinenstoff, der von der Sonne völlig ausgeblichen war, unterhalb der Knie war die Hose ausgefranst. Auch sein Hemd war von minderer Qualität und jetzt nicht mehr als ein Stück Lumpen.

Das Hervorstechendste am Irren Kid war jedoch die Perücke, die ihm schief auf dem Kopf saß. Sie hatte schon längst ihre weißblonde Farbe eingebüßt und wies an mehreren Stellen Flecken sowie hässliche Brandspuren auf. Im Nacken fehlte dem langen Zopf der Perücke das Ende. Offensichtlich war es mit einem scharfen Messer glatt abgetrennt worden.

Am meisten überrascht war David jedoch, dass das Gesicht des angeblich verruchtesten Piraten aller Zeiten ausgesprochen sympathische Züge trug und durch keinerlei Narben verunstaltet war. Diesen Gesichtszügen nach zu urteilen, mochte der Irre Kidd Ende Dreißig sein. Aber so genau ließ sich das nicht schätzen. Das zumeist zügellose Leben der Piraten ließ Männer wie Kidd schneller altern, als es sonst der Fall gewesen wäre.

David wurde aus der Betrachtung des Piratenanführers gerissen, als ein sehniger Bursche mit flammendrotem Haar zu Kidd in den Lichtschein trat. Unzählige Pockennarben übersäten sein unsympathisches Gesicht.

»Sieh da, sieh da, der gute Ben mit seinen Männern. Eisenarm ist mit von der Partie. Und da ist ja auch Long Tom. Was für eine vergnügliche Sache, eure Gesichter nach so langer Zeit mal wieder zu sehen. Welcher stürmische Wind hat euch hier in dieses Loch getrieben, Kameraden?« Der Pockennarbige sprach in einem merkwürdig hellen Singsang und wippte dabei auf den Fußballen vor und zurück.

David spürte sofort, dass dieser Mann gefährlich war und sein freundlicher Tonfall täuschte. In den Augen des Pockennarbigen glitzerte es kalt und berechnend. Von Wiedersehensfreude konnte keine Rede sein.

»Vergnügliche Sache?«, stieß Eisenarm verächtlich hervor. »Eher kommt der Teufel zum Gebet, Dudley, als dass ich mich freue, dein Rattengesicht zu sehen!«

Dudley hielt im Wippen inne. Seine Mundwinkel zuckten nervös. Wer ihn kannte, wusste, dass er im nächsten Moment auf seinen Gegner losgehen würde.

»Ein wenig freundliches Wort, das du da führst«, sagte er in seinem Singsang, der David einen Schauer über den Rücken jagte. »Ich kann dir eine passende Antwort geben, Einarm, wenn es dich danach verlangt!«

Eisenarm lachte geringschätzig. Er hatte die Drohung nicht überhört. Niemand hatte das in diesem Gewölbe. »Dich nagle ich noch mit einer Hand an den Großmast, Dudley. Du kannst dein Glück ja versuchen. Ich will verdammt sein, wenn ich irgendetwas dagegen einzuwenden hätte.«

Hasserfüllt sah Dudley den einarmigen Freibeuter an. »Wanzen zerquetsche ich zwischen Daumen und Zeigefinger!«, erwiderte er. »Ich sorg dafür, dass du deinen geteerten Zopf herunterwürgst!«

»Tod und Teufel!«, fuhr der Irre Kidd nun mit schneidender Stimme dazwischen. »Schluss jetzt, Dudley. Wer hat dir gesagt, dass du dich sofort mit Eisenarm anlegen sollst, he? Wir sind hier nicht an Deck unseres Schiffes. Hoffentlich geht das endlich in deinen rothaarigen Schädel!«

Dudley erwiderte nichts, nahm jedoch wieder das Wippen auf.

»Du hast recht, Kidd«, sagte Benjamin Melvin nun mit einiger Überwindung und warf Eisenarm einen Blick zu, der ihn zur Mäßigung mahnte. »Die Winde stehen nicht so günstig, als dass wir uns Streit untereinander erlauben könnten. Vergessen wir also unsere persönlichen Meinungsverschiedenheiten. Es reicht doch wohl, dass wir die verdammten Spanier auf dem Hals haben und in diesem Kerker sitzen. Da brauchen wir uns nicht auch noch gegenseitig an die Kehle zu springen. Jedenfalls sehe ich das so. Wenn einer was dagegen einzuwenden hat, soll er sich melden!«

»Das ist ein Wort. Du hast immer einen klaren Blick für den Wind gehabt, Ben. Die Waffen sollen also schweigen!«, rief der Irre Kidd überschwänglich und streckte seine Hand aus. »Es gibt nur einen Feind, und das ist Spanien. Tod diesen Hunden. Schlag darauf ein, Ben!«

Benjamin Melvin zögerte kaum merklich, ergriff dann aber die ihm dargebotene Hand, während Eisenarm eine Verwünschung murmelte und Dudley demonstrativ ausspuckte.

»Wir brauchen Ben und seine Leute nicht«, sagte Dudley.

»Geh mir aus dem Kurs, Dudley!«, fauchte der Irre Kidd und machte dann eine einladende Geste, die Melvin und seiner Mannschaft galt. »Hockt euch hin und macht es euch bequem, Kameraden. Die Nacht ist noch lang.«

David blieb nicht verborgen, dass die Freibeuter ein deutliches Misstrauen gegenüber Kidds Männern hegten und sie nicht gerade freundlich musterten. Diese Antipathie beruhte jedoch auf Gegenseitigkeit. David hätte brennend gern gewusst, weshalb sich die beiden Schiffsbesatzungen nicht ausstehen konnten. Aber für solche Fragen war jetzt nicht der rechte Zeitpunkt. Der Irre Kidd hatte sich zu Melvin gesetzt und zog die Aufmerksamkeit der neuen Gefangenen ausnahmslos auf sich. Auch David wollte kein Wort von dem, was der Irre Kidd erzählte, verpassen.

»Wie seid ihr hier in den Kerker von La Habana gekommen?«, erkundigte sich Melvin.

Der Irre Kidd rückte seine Perücke hin und her und seufzte theatralisch. »Es war verfluchtes Pech, das uns in dieses wanzenverseuchte Gewölbe geführt hat, Ben. Du hast mein Wort drauf. Die Spanier haben so viel Mut wie eine Made im Zwieback. Aber wem sag' ich das. Auf jeden Fall hätten uns diese feigen Hunde nie und nimmer in einem auch nur halbwegs ehrlichen Gefecht überwältigt!«

Captain Melvin bedachte ihn mit einem spöttischen Blick. »Dann kann es nur der Branntwein gewesen sein, der euch außer Gefecht gesetzt hat«, vermutete er, denn er kannte Kidds wilden Haufen nur zu gut.

»Du hast recht, Ben. Zum Teufel mit dem Branntwein«, bestätigte der Irre Kidd verdrossen. »Dabei war vorher alles blendend gelaufen. Wir hatten diese Stadt …«

»Welche Stadt?«, unterbrach Eisenarm ihn.

»El Puerto de Principe.«

»Liegt die nicht hier auf Cuba?«, fragte Melvin.

Der Irre Kidd nickte. »Ein gutes Stück landeinwärts. Wir hatten gehört, dass es da eine Menge zu holen gab. Was lag da also näher, als diesem hübschen Ort einen unerwarteten Besuch abzustatten.« Er lachte heiser. »Ich will ewig hier in diesem Loch hocken, wenn das nicht ein gekonnter Handstreich war. Und was wir an Beute fanden, übertraf unsere Erwartungen. Aber dann kam der verdammte Branntwein ins Spiel. Die Männer wollten den Sieg feiern, und die Posten, die ich aufgestellt hatte, wollten ihren Kameraden in nichts nachstehen. Nach zwei Tagen waren dann plötzlich spanische Truppen überall in der Stadt.«

»Ich kann mir den Kampf gut vorstellen«, sagte Oddie.

»Bis unter die Schädeldecke stand uns der Branntwein«, gab der Irre Kidd zu. »Von Kampf konnte keine Rede sein. Anstatt zum Entermesser zu greifen, luden einige meiner Männer die Spanier sogar noch zum Mitfeiern ein und hielten ihnen ihre gefüllten Becher hin, diese verdammten Schwachköpfe!«

»Du hast nicht weniger getrunken als ich oder sonst wer«, bemerkte Dudley, der etwas abseits der Gruppe gegen die kalte Wand des Gewölbes gelehnt saß, bissig.

»Aber ich vertrage mindestens ein Oxhoft Branntwein mehr als du Schafskopf!«, erwiderte der Irre Kidd scharf.

»Du wirst nicht viel klarer als Dudley gewesen sein«, sagte Captain Melvin.

»Schade um die Beute«, bedauerte Long Tom.

»Ich will verdammt sein, wenn das nicht genauso übel ist wie schwarzköpfige Maden im Schiffszwieback«, knurrte Eisenarm.

»Das kann jedem mal passieren«, verteidigte sich Kidd und zupfte nervös an seiner Perücke. »Wenn wir nicht soviel Branntwein geladen hätten, hätten die räudigen Spanier ihr eigenes Blut zu schmecken bekommen.«

»Das Wenn bewahrt dich aber leider nicht vor dem Galgen«, entgegnete Oddie Peeler trocken.

Der Irre Kidd verzog das Gesicht zu einem belustigten Lächeln. »Ich werde den Strick noch nicht einmal von weitem zu sehen bekommen!« versicherte er im Brustton der Überzeugung. »So leicht bringt keiner Captain Kidd an den Galgen, das lasst euch gesagt sein!«

»Was macht dich so sicher, Kidd?«, wollte Benjamin Melvin wissen. Etwas in Kidds Stimme hatte ihn aufhorchen lassen. »Kennst du einen Fluchtweg?«

»Wer Captain Kidd kennt, weiß, dass bei ihm nichts unmöglich ist«, prahlte er und sonnte sich in der gespannten Aufmerksamkeit von Melvins Crew. Er dachte jedoch nicht daran, irgendwelche Informationen preiszugeben. »Das ist jetzt nicht unser Thema, Kameraden. Lasst uns zuerst mal über euch reden. Bin verdammt gespannt zu erfahren, durch welche Heldentat ihr in spanische Gefangenschaft geraten seid.«

»Das lässt sich schnell berichten«, ergriff Benjamin Melvin das Wort, obwohl er lieber Kidd ausgehorcht hätte. Wenn er sich nicht ganz in ihm täuschte, hatte der Irre Kidd noch einen Trumpf versteckt. Es wäre deshalb in höchstem Maß unklug gewesen, ihn zu verstimmen.

Benjamin Melvin gab einen knappen Bericht von dem schweren Orkan, der die Golden Sea auf die der Insel vorgelagerten Klippen geworfen hatte. Als er auf das verlassene spanische Schiff zu sprechen kam, wurde Kidd sofort hellhörig.

»Und ihr habt nichts von dem Schatz gefunden?«, fragte er misstrauisch.

»Nicht eine lumpige Dublone«, versicherte Captain Melvin und berichtete nun von dem schweren Seegefecht mit den beiden spanischen Schiffen. Er ließ auch nicht unerwähnt, dass Captain Baptista durch Folter von David das Versteck hatte in Erfahrung bringen wollen.

Der Irre Kidd winkte David zu sich heran und musterte ihn scharf. »Ein paar leichte Verbrennungen und angesengtes Haar«, brummte er enttäuscht, weil er nun keinen Zweifel mehr an Melvins Beteuerung hatte.

»Ja, das war schon alles«, schloss Melvin seinen Bericht.

»Ich frage mich nur, weshalb man uns nicht sofort in die Folterkammer gebracht hat.«

»Das machen diese Schurken immer so«, sagte Kidd. »Erst lassen sie einen wochenlang halb verhungern und verdursten, und dann kommen sie plötzlich und setzen die Daumenschrauben an. Nach ein paar Wochen Kerker hat kaum einer noch die Kraft, auf der Folter zu schweigen. Aber warum sollten diese Feiglinge sich auch mit euch beeilen? Niemand außer euch weiß, wo Gold und Silber der Sevilla versteckt sind. Und da ihr alle sicher im Kerker sitzt, ist der Schatz auf der Insel so gut wie in der königlichen Schatzkammer aufgehoben.«

»Wenn wir das Versteck wüssten, hätte das ja wenigstens noch einen Sinn«, sagte Oddie Peeler düster. »Aber so …«

»Ihr könnt beruhigt sein«, sagte Kidd mit seltsamer Zuversicht. »Vorerst habt ihr von den Folterknechten nichts zu befürchten. Die Stadt feiert irgendein Fest, der Teufel weiß, was für eins. Auf jeden Fall sind die Spanier im Moment mit anderen Dingen beschäftigt.«

»Woher weißt du das?«, fragte Eisenarm.

»Was tut das zur Sache?«, antwortete Kidd mit einer Gegenfrage, und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Es war offensichtlich, dass er wichtige Informationen für sich behielt und nicht bereit war, sie jetzt schon preiszugeben.

Benjamin Melvin wagte einen vorsichtigen Vorstoß. »Ich finde, du solltest deine Karten offen auf den Tisch legen, Kidd. Das hier ist kein Spiel um ein paar Dublonen, sondern um unseren Hals. Wenn du also etwas weißt, wie wir hier herauskommen können, solltest du es uns sagen. Immerhin sind wir fünfzehn Mann.«

»Wir sind achtundfünfzig!«, meldete sich Dudley wieder mit aggressivem Tonfall. »Wir brauchen euch nicht!«

»Du bist still!«, herrschte Kidd ihn an; dann wandte er sich wieder Benjamin Melvin zu. Sein Gesicht hellte sich etwas auf. »Wir werden darüber reden, wenn ich der Meinung bin, dass die Zeit dafür gekommen ist. Ich gebe euch jedoch einen guten Rat mit in den Schlaf, Kameraden.« Er blickte in die Runde. »Wer sich voll und ganz hinter mich stellt, wird es nicht bereuen. Alle anderen holt der Teufel, darauf habt ihr mein Wort!«

Der Irre Kidd gab Captain Melvin und den anderen Freibeutern keine Gelegenheit, weiter in ihn zu dringen. Federnd sprang er auf, schob sich die verrutschte Perücke tiefer in die Stirn und schritt selbstsicher auf die Gitterfront zu. Deutlich war das Schnarchen der beiden spanischen Wärter zu hören. Kidd rüttelte heftig an der Tür, bis einer der Wärter aus dem Schlaf hochfuhr.

»Lösch die Fackeln aus!«, befahl der Irre Kidd, als säße nicht er, sondern die beiden Spanier hinter Gittern.

Der Spanier trat zu ihm ans Gitter und flüsterte leise mit ihm. Obwohl Melvin und einige seiner Männer Spanisch sprechen und verstehen konnten, konnten sie jedoch nicht heraushören, worüber sich Kidd mit dem Wärter unterhielt. Es war Eisenarm, der sah, wie Kidd dem Spanier eine Münze in die Hand drückte. Gleich darauf erloschen die Fackeln. Der einzige Lichtschein, der jetzt noch durch das Gitter in das weitläufige Gewölbe drang, stammte von der Laterne, die auf dem Holztisch nahe der hochführenden Treppe stand.

David folgte dem Beispiel der anderen und schob mit den Füßen soviel Stroh wie möglich zusammen und brachte es dann in die dem Gitter gegenüberliegende Ecke. Gute zehn Yards lagen zwischen Kidds Mannschaft und ihnen.

An Schlaf dachte keiner.

»Kidd ist sich seiner Sache so verdammt sicher«, sagte Benjamin Melvin mit gesenkter Stimme. »Er hat eine Möglichkeit gefunden, aus dem Kerker herauszukommen.«

»Am liebsten würde ich es aus ihm herausprügeln!«, zischte Oddie Peeler. »Ein hinterhältigerer Schurke als Kidd ist mir noch nie vor den Bug gekommen.«

»Also, wenn ihr mich fragt …«, setzte der Schiffskoch zu einer seiner Bemerkungen an, die zumeist von Dümmlichkeit geprägt waren.

»Wenn das der Fall sein sollte, sagen wir dir das schon rechtzeitig, Danny«, fiel ihm Eisenarm ruhig, aber bestimmt ins Wort.

»Ich mir schnappen Irren Kidd«, raunte Diego, »und er werden reden, wie frische Quelle plätschern!«

»Du würdest ihn eher zum Schweigen als zum Reden bringen«, meinte Benjamin Melvin, als Diego mit seinen mächtigen Händen gestenreich verdeutlichte, wie er sich die Befragung des Piratenanführers vorstellte.

»Wir sollten vorsichtig sein mit dem, was wir tun und sagen. Fünfzehn zu achtundfünfzig ist ein ungesundes Verhältnis, wenn es hart auf hart kommt«, gab der Quartermeister zu bedenken. »Und ob es uns nun schmeckt oder nicht, aber Tatsache ist nun mal, dass der Irre Kidd die Hand am Ruder hat. Und ich wüsste nicht, wie wir ihm auch nur einen Deut in seinen Kurs hineinpfuschen könnten.«

Long Tom nickte zustimmend. »Kidd ist eine Ausgeburt des Teufels, aber notfalls werden wir uns dieser Ausgeburt verschreiben müssen, wenn das der einzige Weg ist, um aus diesem Kerker herauszukommen!«

»Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen«, sagte Benjamin Melvin. »Wir werden uns also in Geduld üben und abwarten, was Kidd unternimmt. Früher oder später wird er uns einweihen müssen. Dann sehen wir weiter.«

David wartete ungeduldig darauf, dass Eisenarm sich zur Ruhe legte. Es dauerte jedoch noch eine Weile, bis die Freibeuter das Rätseln einstellten und sich zum Schlafen legten.

»Schlaft Ihr schon?« wisperte David leise und blickte zu Eisenarm hinüber.

»Es … es … ist alles so verwirrend«, entschuldigte sich David und war froh, dass Eisenarm in der Dunkelheit seinen hochroten Kopf nicht sehen konnte. »Erst dieser merkwürdige Streit zwischen Euch und Dudley, und dann das mit Kidd. Ich kann mir keinen Reim darauf machen.«

»Komm zur Sache und frag schon, was du wissen willst. Dann habe ich es wenigstens hinter mir. Sonst lässt du mir ja doch keine Ruhe. Na ja, bin ja selbst schuld, dass ich mich mit dir abgebe. Also, schieß los!«

»Es ist wegen Kidd!«

»Du möchtest wissen, warum er der Irre Kidd heißt und warum wir ihn alle dorthin wünschen, wo der Pfeffer wächst, stimmt's? Das geht dir doch die ganze Zeit durch den Kopf, nicht wahr, David?«

»Richtig, das wollte ich Euch fragen!«

Eisenarm wälzte sich auf die rechte Seite, so dass er sich mit David unterhalten konnte, ohne laut sprechen zu müssen. »Wenn Long Tom ihn eine Ausgeburt des Teufels nennt, dann verhält es sich auch so.«

»Aber …«

Eisenarm ließ ihn gar nicht ausreden. Er wusste, welchen Einwand David machen wollte. »Ich weiß, ich weiß, unser Kidd macht einen recht vertrauenerweckenden Eindruck, wenn man ihn nicht näher kennt. Er gibt sich ganz bewusst so, weil er gerissen ist, mein Junge. Der Teufel allein weiß, wie viele schon auf sein freundliches Gehabe hereingefallen sind und ihren Irrtum mit dem Leben bezahlt haben.«

»Ist er wirklich so schlimm?«, fragte David aufgeregt, ohne jedoch Zweifel an Eisenarms Worten andeuten zu wollen.

»Der Henker soll mich holen, wenn ich dir Seemannsgarn erzähle!«, brauste Eisenarm auf, senkte seine Stimme aber sofort wieder. »Er ist schlimmer, als du es dir in deinen übelsten Alpträumen vorstellen könntest. Fällt dem Irren Kidd eine Prise in die Hände, dann kannst du alles, was du besitzt, darauf verwetten, dass er keinen Pardon gibt!«

»Er tötet die Mannschaft des geenterten Schiffes?«, fragte David erschrocken.

»Er lässt seine Gefangenen ohne Ausnahme über die Klinge springen«, versicherte Eisenarm mit Abscheu in der Stimme. »Er ist grausam und weidet sich an den Qualen anderer. Ich selbst habe gesehen, wie er einfachen Seeleuten die Lippen mit einer Segelnadel zunähen ließ.«

»Mein Gott!«, stieß David hervor und blickte unwillkürlich zu Kidd hinüber, der auf der anderen Seite des Kerkers scheinbar den Schlaf des Gerechten zu schlafen schien und laut schnarchte.

»Nur der Leibhaftige kennt all die blutrünstigen Verbrechen, die der Irre Kidd auf seine schwarze Seele geladen hat«, fuhr Eisenarm fort. »Das sind keine Gräuelmärchen, die ich dir erzähle, um dir Angst zu machen, mein Junge. Kidd gehört zu denjenigen Piraten, die vor keiner noch so schändlichen Bluttat zurückschrecken. Sie sind in allem, was sie tun, hemmungslos. Ob sie nun töten oder trinken. Ihre tagelange Branntweinorgie in El Puerto de Principe beweist es. Eine fette Beute nur deshalb wieder an den Feind zu verlieren, weil man sich bis unter die Schädeldecke mit Branntwein vollpumpt! Aber das ist eben der Irre Kidd, David. Er ist unberechenbar und handelt selten so, wie die Vernunft es eigentlich verlangt. Unberechenbar ist er auch zu seiner Mannschaft.«

»Aber warum bleiben sie dann bei ihm?«, wollte David wissen. »Sie können ihn doch als Captain absetzen oder aber auf eigene Rechnung Beutezüge unternehmen?«

Eisenarm lachte kurz auf. »Den Irren Kidd wählt man nicht so einfach ab, David. Er hat ein phantastisches Gespür für lohnende Beute, und das zählt natürlich. Dass er das Gold stets im Handumdrehen durchbringt, ist eine andere Sache. Und was seine Launen und Unberechenbarkeit betrifft, so fürchten ihn die meisten. Er hat schon mehrere Männer kaltblütig niedergeschossen, nur weil sie es gewagt hatten, ihm zu widersprechen. Tja, er ist ein hervorragender Schütze und versteht es, eine Klinge zu führen, mein Junge. Da überlegt man es sich schon sehr reiflich, ob man sich offen gegen solch einen Teufel stellt. Bei allem, was recht ist, aber er hält seine Crew in Schach, das muss man ihm lassen! So, und nun nehme ich eine Mütze voll Schlaf, falls du erlaubst.«

»Ich möchte nur wissen, was der Irre Kid plant?«, murmelte David nachdenklich.

»Was auch immer er ausgeheckt hat, es ist eine Teufelei«, gab Eisenarm zur Antwort und drehte ihm den Rücken zu. »Zur Hölle mit dem Irren Kid!«

12

Die Grundfläche des Gewölbes betrug knapp dreißig Schritt im Quadrat. Die rauen Felswände stiegen etwa drei Yards senkrecht hoch, bevor sie sich zu einer Kuppeldecke wölbten. Ein Fenster besaß der Kerker nicht. Und dennoch drang Tageslicht in das kalte, feuchte Gewölbe. Es fiel durch einen schräg abfallenden Schacht, der nicht ganz zwei Yards im Durchmesser betrug und fast genau in der Mitte der Kuppeldecke mündete. Das andere Ende des Schachtes musste sich oben im Hof der Festung befinden. Es war jedoch unmöglich, von irgendeiner Stelle des Gewölbes aus durch den Schacht nach draußen zu blicken. Dafür war die Neigung zu stark. Man hätte schon an einer Wand hochklettern müssen.

Strahlendes Sonnenlicht strömte durch den Schacht. Wie ein goldenes Band schien es aus der Öffnung und auf die gegenüberliegende Wand zu fallen. Staubkörnchen tanzten in dem Lichtkegel.

»Hölle und Verdammnis!«, fluchte Oddie Peeler und kaute ärgerlich auf einem Strohhalm. »Warum rückt dieser Bastard nicht endlich mit der Sprache heraus. Wenn mich nicht alles täuscht, haben wir jetzt Mittag. Wie lange will er uns noch auf die Folter spannen?«

»Das hier ist Kidds Spiel«, erwiderte Benjamin Melvin gereizt. »Also wird es auch nach seinen Spielregeln gespielt. Ich bin es leid, ihn jede Stunde zu fragen. Er wird schon kommen, wenn er meint, dass die Zeit reif ist.«

»Der Teufel soll mich holen, wenn er mir dadurch auch nur um Wanzenlänge sympathischer wird«, schimpfte Eisenarm und rieb nervös über seinen Eisenhaken.

»Vielleicht ich sollen doch mal reden mit Irren Kidd auf meine Weise«, bot sich der Westafrikaner an. »Ich Wartezeit schnell verkürzen …«

»Wir warten!«, bestimmte Captain Melvin und starrte mit finsterer Miene vor sich hin.

Seit Stunden hockten sie nun schon untätig in ihrer Ecke und wurden zwischen Hoffnung, Wut und Resignation hin und her gerissen. Niemand vermochte mit auch nur annähernder Sicherheit zu sagen, was es mit Kidds Andeutungen auf sich hatte. Bei ihm war alles möglich. Vielleicht hatte er wirklich einen Fluchtweg entdeckt. Einiges sprach dafür. Aber andererseits war allgemein bekannt, dass er gern prahlte und maßlos übertrieb. Er war ein großer Geschichtenerzähler und nahm es mit der Wahrheit nicht so genau.

»Was nützt uns der beste Plan, wenn wir nicht mehr wissen, als dass es ihn gibt!«, machte Long Tom seinem angestauten Ärger Luft. »Ihr kennt doch Kidd, Kameraden. Er hat schon immer gern große Reden geführt. Er will sich nur wichtig machen. Mehr steckt nicht hinter seinem Geschwätz!«

Der Quartermeister nagte nachdenklich an seiner Unterlippe. »Kidd ist ein Aufschneider«, gab er zu, »aber angesichts des Todes ist er kaltblütig. Da gibt es nichts. Irgendetwas stimmt ihn zuversichtlich, aus diesem Loch schon bald herauszukommen. Und ich bin überzeugt davon, dass es etwas Handfestes ist, ein echter Trumpf.«

»Und wenn schon«, knurrte Long Tom. »Wer garantiert uns, dass die Spanier solange mit der Folter warten, bis Kidd mit seinen Vorbereitungen fertig ist? Ich möchte den sehen, der für Kidds Versprechen auch nur einen Penny gibt. Die Spanier werden sich von ihm nicht vorschreiben lassen, wann sie was zu tun und zu lassen haben. So sehe ich das wenigstens. Der beste Plan nützt uns nichts, wenn Kidd zu lange wartet!«

»Long Tom hat recht«, sagte Eisenarm. »Die Spanier können jeden Augenblick kommen und uns holen. Dann werde ich es mir nie verzeihen, diesen verdammten Kriecher Dudley nicht zur Hölle geschickt zu haben!«

»Und dennoch werden wir uns ruhig verhalten«, sagte Captain Melvin mit drohendem Unterton. »Ich habe Kidd mein Wort gegeben, dass wir unsere persönlichen Differenzen vorerst vergessen. Und ich werde alles tun, um dieses Versprechen zu halten und Streit zwischen den Mannschaften zu verhindern!«

»Der Henker soll mich holen, wenn ich dir in den Rücken falle, Ben«, sagte Eisenarm mürrisch. »Aber es fällt mir nicht gerade leicht, Dudleys überhebliches Grinsen zu ertragen.«

»Die Stunde der Abrechnung wird kommen«, beruhigte ihn Captain Melvin. »Aber ich bin wie Oddie der Überzeugung, dass Kidd diesmal die Wahrheit gesagt hat. Der Schweinehund hat noch eine kräftige Ladung Pulver auf der Pfanne.«

»Auch Joffrey scheint auf ihn zu setzen«, bemerkte der Quartermeister spöttisch.

Joffrey Jenkins hatte sich während der Nacht zu Kidds Männern hinübergeschlichen und dort offensichtlich auch freundliche Aufnahme gefunden. Kidd hatte sich bei Anbruch des Tages sofort mit ihm beschäftigt und ihn gründlich ausgefragt. Allzu viel Wissenswertes hatte er von Joffrey jedoch nicht erfahren. Aber ein Mann, der Benjamin Melvin aus tiefster Seele haßte und für seine Rache alles zu tun bereit war, war dem Irren Kidd immer willkommen.

»He, ich glaube, da tut sich was!«, rief Long Tom auf einmal. Er deutete zu Kidd hinüber. Der skrupellose Pirat, der während der letzten Stunden sichtlich nervös und nicht ansprechbar vor der Gitterfront auf und ab gegangen war, blieb plötzlich stehen und verharrte gespannt.

Wie auf ein Zeichen verstummten sofort alle Gespräche. Alles blickte zu Kidd am Gitter hinüber. Eine atemlose Stille breitete sich im Kerker aus.

Jetzt waren deutlich hastige Schritte zu vernehmen. Jemand kam die Steintreppe herunter. Es war der spanische Wärter, der letzte Nacht die beiden Fackeln angezündet und so merkwürdig vertraulich mit Kidd gesprochen hatte. Der Spanier trat zu dem gedrungenen Piraten mit der Perücke ans Gitter.

Die Minuten verstrichen. Kidd und der Wärter unterhielten sich so leise, dass niemand mithören konnte. Dennoch war nicht zu übersehen, dass der Wärter äußerst aufgeregt war. Er gestikulierte wild und konnte nicht ruhig auf einem Fleck stehen. Er verlagerte das Gewicht immer wieder von einem Bein auf das andere und blickte sich dann um, als befürchtete er, überrascht zu werden.

Kidd redete beschwörend auf ihn ein, auch das war ganz deutlich. Schließlich nahm er etwas an sich, was ihm der Wärter durch das Gitter schob. Der Irre Kidd ließ es schnell unter seinem verschlissenen Rock verschwinden.

Kurz darauf wandte sich der Wärter ab und hastete die Treppe hoch.

»Kidd scheint sich verdammt gut mit den Wachen zu verstehen«, musste Eisenarm neidvoll anerkennen.

»Meinetwegen kann er sich gar nicht gut genug mit diesen elenden Schurken verstehen«, meinte Long Tom. »Hauptsache, er verhilft uns zur Flucht.«

»Die Zeichen stehen nicht übel«, meinte Oddie Peeler hoffnungsvoll.

»Wenn ihr mich fragt …«, begann Danny Shay.

»Zuerst einmal werden wir den Irren Kidd fragen«, fiel ihm Long Tom ins Wort. »Und wenn mich nicht alles täuscht, wissen wir gleich, was Kidd ausgebrütet hat. Mir scheint, er will zu uns, Kameraden!«

Und so war es auch. Der Irre Kidd hatte mit Dudley und einigen anderen aus seiner Mannschaft ein paar Worte gewechselt. Nun kam er in Begleitung des Rothaarigen zu Melvins Crew herüber. Seine ganze Haltung verriet, wie sehr er von sich selbst eingenommen war. Ein selbstgefälliges Lächeln beherrschte sein Gesicht. Mit leicht gespreizten Beinen und die Hände an den Aufschlägen seines Rockes blieb er vor Benjamin Melvin und seiner Crew stehen. Ein britischer Admiral hätte nicht selbstbewusster auftreten können.

»Nett, dass du dich mal zu uns bequemst«, sagte Benjamin Melvin und gab sich redlich Mühe, seine persönlichen Gefühle unter Kontrolle zu halten.

Der Irre Kidd nickte gönnerhaft. »Wollte mich nach eurem Wohlbefinden erkundigen, Kameraden.«

»Ich will verdammt sein, wenn du jemals auch nur einen Penny für unser Wohlbefinden gegeben hast, Kidd!«, entfuhr es Eisenarm wutentbrannt.

»Der Wind kommt aus der falschen Richtung«, sagte Dudley in seinem merkwürdigen Singsang vorwurfsvoll. »Sieht so aus, als würde man uns nicht willkommen heißen. Vielleicht sollten wir unseren freundschaftlichen Besuch abbrechen, Kidd …«

»Ein paar raue Brecher haben mich noch nie zu einer Kursänderung veranlassen können«, erwiderte der Irre Kidd salbungsvoll. »Da müsste schon erheblich stürmischeres Wetter aufziehen. Aber ich glaube nicht, dass das der Fall sein wird. Ist es nicht so, Ben?«

»Lassen wir das Versteckspielen«, sagte Captain Melvin hart. »Kommen wir besser zur Sache, Kidd. Welche Nachrichten bringst du uns?«

»Höchst erfreuliche, Ben«, sagte Kidd und genoss die Ungeduld der Freibeuter. »Und darüber wollte ich mit dir und deinen Leuten reden. Ich bin gekommen, um mit euch ein faires Abkommen zu schließen.«

»Kidd und fair? Das ist ja so gegensätzlich wie Wasser und Feuer«, sagte Oddie Peeler verächtlich. Er war jedoch vorsichtig und sprach so leise, dass seine bissige Bemerkung dem Irren Kidd nicht zu Ohren kam.

»Wir hören, Kidd. Was hast du uns anzubieten?«, fragte Melvin.

»Erlaubt mir, dass ich zuerst einmal eure Position abstecke, Kameraden. Ihr liegt in der schlimmsten Flaute eures Lebens«, begann er mit unverhohlener Schadenfreude.

»In einer absolut tödlichen Flaute«, ergänzte Dudley mit Nachdruck und lächelte gemein.

»Ihr seid auf Grund gelaufen und bekommt das Schiff auf keinen Fall mehr allein flott«, fuhr Kidd fort. »Kurzum, die Folterkammer oder der Galgen, vielleicht auch beides, ist euch so sicher, wie ich Kidd heiße!«

»Du solltest unsere Geduld nicht länger strapazieren, Kidd!«, warnte ihn Melvin. »Komm also endlich zur Sache. Du hast einen möglichen Fluchtweg ausfindig gemacht, nicht wahr?«

»Ich habe ihn nicht ausfindig gemacht, sondern ich habe die Sache ausgetüftelt und die Vorbereitungen getroffen«, korrigierte ihn Kidd. »Und ich habe eine Menge Geld in diesen Plan gesteckt, Ben, viel Geld sogar!«

»Wir werden dir nicht einen Penny schuldig bleiben«, sagte Eisenarm. »Dein Geld bekommst zu zurück.«

»Ich will aber mehr dafür, dass ich euch hier raushole«, entgegnete der Irre Kidd lächelnd, doch seine Stimme war hart. »Mit ein paar Golddublonen gebe ich mich nicht zufrieden!«

»Du wirst uns kaum daran hindern können, dir und deinen Männern zu folgen, wenn ihr aus diesem Gewölbe flüchtet«, mischte sich nun Long Tom ein. »Du kannst dich mit deiner Mannschaft nicht unbemerkt absetzen.«

Kidd warf dem spindeldürren Freibeuter einen spöttischen Blick zu. »Das mag stimmen, Long Tom. Aber wenn wir flüchten, werdet ihr notfalls nichts davon mitbekommen. Ich kann nämlich dafür sorgen, dass man euch in einen anderen Kerker bringt, wenn ihr uns Schwierigkeiten macht.«

»In einen ausbruchsicheren natürlich«, ergänzte Dudley. »Und dann wäret ihr endgültig erledigt.«

Benjamin Melvin musterte Kidd scharf und fragte sich, ob der Pirat bluffte. Aber das Verhalten der Wachen sprach für Kidds Version.

»Du hast die Wachen bestochen?«

Kidd verzog das Gesicht zu einem fast entwaffnenden Lächeln. »Ben, du weißt doch selbst, welch ein erbärmliches Leben diese einfachen Soldaten und Wärter in den Kolonien fristen. Sie haben kaum etwas zum Beißen, während die Kaufleute und Adligen Gold und Silber tonnenweise in die Heimat verschiffen. Wie kann man es den Wärtern also verdenken, dass sie der Versuchung leichten Herzens nachgeben. Ich habe versprochen, sie zu reichen Männern zu machen. Einen Teil der Belohnung haben sie schon erhalten. Deshalb werden sie tun, was ich sage.«

Benjamin Melvin wusste, wann es besser war, eine Position zu räumen. »Also gut, welche Bedingungen stellst du?«, kam er zum Kern zurück.

»Diese Frage gefällt mir schon besser«, entgegnete der Irre Kidd. »Ich verlange, dass du mit deiner Mannschaft unter meinem Kommando Dienst tust!«

»Hölle und Verdammnis, du musst übergeschnappt sein!«, rief Oddie Peeler.

»Du weißt selbst, dass das nicht lange gut gehen würde«, sagte Benjamin Melvin verwundert. »Du solltest dir etwas anderes einfallen lassen.«

»Das werde ich nicht tun«, erwiderte Kidd kühl und im vollen Bewusstsein seiner Macht. »Ihr begebt euch unter meinen Befehl und tut, was ich sage. Das ist meine Bedingung, Kameraden. Den Preis werdet ihr für eure Freiheit zahlen müssen. Wenn euch das nicht schmeckt, könnt ihr ja ablehnen. Was aber dann passiert, ist wohl auch dem Dümmsten von euch klar, oder? Es liegt also ganz bei euch. Einen dritten Weg gibt es nicht.«

»Manchmal kommt man schneller ans Ziel, wenn man einen Strich vom Kurs abfällt«, gab Long Tom zu bedenken. »Wird wohl nicht vernünftig sein, auf unserem Kurs zu bestehen.«

»Außerdem hat niemand davon gesprochen, dass diese Vereinbarung für alle Ewigkeiten gelten soll«, fügte Kidd hinzu. »Ich habe nur an ein paar Wochen gedacht, im Höchstfall. Länger wird das Unternehmen auf keinen Fall dauern.«

»Das klingt schon anders«, meinte Oddie Peeler und war bereit, die Bedingung zu akzeptieren. Auch wenn ihm Kidd noch so verhasst war, die Freiheit wog mehr.

»Was für ein Unternehmen meinst du?«, wollte Benjamin Melvin wissen.

»Das kann ich euch jetzt noch nicht sagen. Man weiß ja nie, was passiert.« Ein gerissener Ausdruck trat auf Kidds Gesicht. »Ich will nur so viel verraten, dass es sich um ein sehr lohnendes Unternehmen handelt, Kameraden. Natürlich könnte ich das mit meiner Mannschaft auch im Alleingang machen, aber einige von euch besitzen wichtige Ortskenntnisse über die Gegend, die wir überfallen werden. Das ist auch der einzige Grund, weshalb ich euch dieses Angebot überhaupt gemacht habe. Also, wie lautet eure Entscheidung?«

»Ich will verdammt sein, wenn es da noch viel zu entscheiden gibt!«, schimpfte Eisenarm aufgebracht und sprach damit aus, was alle dachten. »Aber wenn es unbedingt sein muss, dann treten wir eben vorübergehend in Eure Dienste, Sir!«

Mit triumphierendem Lächeln blickte der Irre Kidd in die Runde, während Dudley, nicht minder zufrieden mit der Niederlage der Freibeuter, auf seinen Fußballen hin und her wippte.

»Schließen sich alle anderen Eisenarms vernünftiger Entscheidung an?«, fragte Kidd mit falscher Freundlichkeit. »Oder möchte jemand lieber auf die spanische Folter oder am Galgen enden? Nur Mut und heraus mit der Sprache, Kameraden. Ich habe wirklich für alles Verständnis. Unter guten Freunden sollte man doch alles bereden können.«

»Irgendwann treibt er es auf die Spitze«, presste Oddie Peeler zwischen den Zähnen hervor. »Und dann schneidet ihm einer von uns die Kehle schneller durch, als er sich das vorstellen kann!«

Die Freibeuter fügten sich notgedrungen in ihr Schicksal und gaben durch kurzes Nicken zu verstehen, dass sie Kidds Forderung akzeptierten.

»Deine Bedingung ist von uns allen angenommen«, stellte Benjamin Melvin schließlich fest. »Aber das Ergebnis war dir ja von vornherein bekannt.« Ohnmächtige Wut erfüllte ihn. Kidd spielte ein dreckiges Spiel mit ihnen. Eine Wahl hatte er ihnen überhaupt nicht gelassen, sondern ihnen das Messer mit kaltem Lächeln auf die Brust gesetzt.

»Deine Männer wissen ihren Kopf zu gebrauchen«, lobte der Irre Kidd mit spöttischem Unterton. »Ich habe etwas für Menschen übrig, die wissen, wann sie verloren haben. Ich sehe schon, wir werden eine ausgezeichnete, schlagkräftige Mannschaft abgeben, Kameraden. Und wo wir auftauchen, werden sich die feigen Spanier in ihre Löcher verkriechen. Man wird an allen Küsten Westindiens von unseren phantastischen Beutezügen sprechen, so wahr ich der Irre Kidd heiße!«

»Hölle und Verdammnis!«, brach es nun vehement aus dem Quartermeister, der seine Wut nicht länger beherrschen konnte, heraus. »Gehört es etwa auch zur Vereinbarung, dass wir uns von jetzt an ständig sein aufgeblasenes, größenwahnsinniges Geplapper anhören müssen? Das ist ja fast ein verdammt schwerwiegender Grund, um es sich doch noch anders zu überlegen!«

Kidd starrte ihn verdattert an.

Benjamin Melvin wusste, dass Kidd jeden Moment explodieren konnte. Bevor der Pirat jedoch reagieren konnte, fragte er hastig: »Zum Teufel, du hast unser Versprechen. Aber von deinem Fluchtplan wissen wir noch immer nichts.«

»Wie willst du aus diesem Loch herauskommen? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie du das bewerkstelligen willst.« Er packte Kidd ganz bewußt bei seiner ausgeprägten Eitelkeit, um ihn von Oddie Peelers unbedachter Äußerung abzulenken. Nur jetzt keinen Streit! »Über die Treppe vielleicht?«

Kidd zögerte einen Moment und fixierte Oddie Peeler mit stechendem Blick. Dann jedoch schnaubte er verächtlich und wandte sich Melvin zu. »Über die Treppe würden wir es im besten Fall gerade bis zur ersten Sperre schaffen. Dort stehen nämlich gleich vier Mann auf einmal Wache. Nein, das wäre aussichtslos. Zumal wir durch das ganze Gebäude müssten.«

»Aber wie dann?«, stellte Melvin sofort die nächste Frage, um erst gar keine Pause aufkommen zu lassen.

Der Irre Kidd deutete zur Kuppeldecke hoch. »Ganz einfach, wir werden uns durch den Luftschacht absetzen, Kameraden!«, verkündete er stolz.

»Bis zur Schachtöffnung sind es mindestens fünf Yards«, gab Long Tom zu bedenken und bemühte sich um einen freundlichen Ton, um die Situation weiter zu entschärfen. »Ohne Leiter oder andere sperrige Hilfsmittel ist da nichts zu machen. Woher willst du das beschaffen?«

»Leiter und Balken werden die bestochenen Wärter kaum durch die Sperren schmuggeln können«, bezweifelte Benjamin Melvin und war froh, dass Kidd nun von dem Plan sprach.

Kidd war für seine sprunghaften Stimmungen bekannt. So war es nicht überraschend, dass er plötzlich wieder bester Laune war und sich über die Fragen der Freibeuter amüsierte.

»Ich will das Geheimnis lüften, Kameraden«, sagte er gönnerhaft. »Die Sache ist ganz einfach. Felipe und Francisco haben noch einen dritten Mann angeheuert, einen verteufelt wichtigen sogar. Dieser Kerl wird gegen drei Uhr nachts eine Strickleiter von oben durch den Schacht zu uns hinablassen. Wir werden also seelenruhig aus diesem Kerker klettern. Felipe und Francisco kommen mit uns.«

»Aber dann befinden wir uns noch immer innerhalb der Festung. Und durch das Haupttor wird man uns bestimmt nicht spazieren lassen«, meinte Long Tom.

»Es existiert noch ein schmales Seitentor ganz in der Nähe von diesem Schachtausgang. Und den Schlüssel hat dieser besagte dritte Mann«, berichtete Kidd zufrieden. »Aber das ist noch nicht alles. Nicht weit von der Festung entfernt warten zwei Dutzend meiner Leute mit Waffen.«

»Deine Leute hier in La Habana?«, Benjamin Melvin und seine Crew waren nun wirklich überrascht.