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Originalausgabe

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, April 2017

Copyright © 2017 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

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Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt

Konvertierung Dörlemann Satz, Lemförde

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ISBN 978-3-644-00097-1

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-00097-1

Fußnoten

Die folgenden Informationen stammen, soweit nicht anders vermerkt, aus: Markus Roth/Andrea Löw, Das Warschauer Getto. Alltag und Widerstand im Angesicht der Vernichtung, München 2013.

Adam Czerniaków, Im Warschauer Getto. Das Tagebuch des Adam Czerniaków 1939–1942, München 1986, S. 4.

Ludwik Hirszfeld, The Story of one Life, Rochester 2010, S. 233.

Krystyna Zywulska, Tanz, Mädchen … Vom Warschauer Ghetto nach Auschwitz. Ein Überlebensbericht, München 1994, S. 20f.

Emanuel Ringelblum, Kronika getta warszawskiego. Wrzesień 1939 – styczeń 1943, hrsg. von Artur Eisenbach, Warschau 1983, S. 351 (Eintrag vom 8.1.1941). Der Name ist auch im Original deutsch.

Zit. nach Barbara Engelking/Jacek Leociak, The Warsaw Ghetto. A Guide to Perished City, New Haven/London 2009, S. 589.

Marcel Reich-Ranicki, Mein Leben, Stuttgart 1999, S. 217f.

Lieber Leser,

 

als ich im Jahr 2014 mit meinem Roman über das Warschauer Ghetto «28 Tage lang» auf Pressetour war, wurde ich oft und insbesondere im Ausland gefragt: «Sie schreiben doch sonst komische Romane, würden Sie auch eine Holocaust-Komödie schreiben?», und jedes Mal antwortete ich: «Vielleicht gibt es Autoren, die das können, aber ich glaube, dazu bin ich nicht in der Lage.»

Irgendwann, als mir in Bilbao diese Frage erneut gestellt wurde, erinnerte ich mich an einen Tagebucheintrag, auf den ich bei meinen Recherchen gestoßen war. Da wurde eine Komödie erwähnt, die am 26. Januar 1942 im Femina-Theater im Warschauer Ghetto uraufgeführt wurde. Ihr Titel: «Die Liebe sucht ein Zimmer». In dem Eintrag stand, dass es sich dabei um eine Komödie über zwei Paare handelt, die sich, wegen der Wohnungsnot, ein Zimmer teilen müssen und die sich über Kreuz ineinander verlieben. Eine klassische Liebeskomödienkonstellation also. Ein Stück, über das die Menschen in ihrem Elend lachten, ein halbes Jahr bevor der Großteil der Ghettobevölkerung – circa 400000 Menschen – in den Vernichtungslagern vergast wurde.

Ich machte mich auf die Suche nach dem Stück und hatte Glück. Zum einen hatte der Autor Jerzy Jurandot das Stück in seinen Notizbüchern im Ghetto vergraben, sodass es erhalten geblieben ist, und zum anderen bekam ich Kontakt zu seiner Tochter, sodass ich die Gelegenheit erhielt, «Die Liebe sucht ein Zimmer», das seit 1942 nicht mehr aufgeführt worden war, zu lesen. Gleich erkannte ich, dass ich einen Schatz in der Hand hielt. Nicht nur, dass es sich dabei um eine wirklich komische Komödie handelt, nicht nur, dass der schreckliche Ghettoalltag im Hintergrund mitschwingt, ohne alles zu überlagern, und so dem Ganzen allein dadurch eine andere Dimension verleiht, nein, es ist auch und vor allem ein Stück voller Lebensfreude! Eins, in dem junge Menschen angesichts des sie umgebenden Elends und Todes versuchen, die Liebe zu finden. Eins, in dem geliebt, gelacht und gesungen wird. Ja, genau, gesungen wie in einem Musical. Die Lieder handeln von der Liebe, aber auch davon, dass es besser ist, sein Geld für Alkohol auszugeben anstatt für Typhusimpfungen. Oder davon, dass man dank der Mauern des Ghettos ja keine Hochzeitsreise machen kann, sondern nur eine Reise im Pferdebus durch die vollen Gassen des Ghettos. Der menschliche Humor wird auch den heutigen Zuschauer des Stückes zum Lachen bringen, aber für ihn wird es noch eine weitere Ebene geben: Er weiß, dass die Menschen, die das Stück spielten, und die, für die sie es im Ghetto aufführten, kurz darauf in die Gaskammern geschickt wurden. Dadurch bekommt diese Komödie neben dem Zeitgeist des Ghettos, der ohnehin in sie eingewebt ist, eine weitere Dimension. Historisch. Aber auch emotional. Die Zuschauer von heute werden wie die Ghettobewohner einst lachen, aber sie werden auch weinen.

Ich konnte die Rechte an «Die Liebe sucht ein Zimmer» erwerben. In meiner Bearbeitung habe ich den einen oder anderen Dialog etwas sprechbarer gestaltet, manchmal eine Anspielung, die dem Ghettozuschauer von damals klar war, für ein modernes Publikum verstehbarer gemacht, und ich habe dem Stück einen Prolog und einen Epilog hinzugefügt, damit ein historischer Kontext gesetzt wird. Auch dabei habe ich versucht, minimalinvasiv zu arbeiten, indem ich ein Lied aus dem Stück, das das Thema des Ganzen setzt, an den Anfang gestellt habe. Von den Liedern sind die Texte erhalten geblieben, die Noten leider nicht. Aber die Neukomposition ist im Stil der Lieder, die der damalige Komponist Iwo Wesby einst mit seinem Tanzorchester aufgeführt hatte.

Ich würde mich freuen, wenn Sie sich für diese Komödie genauso begeistern könnten wie ich. Schon bei der Aufführung im Jahre 1942 besaß dieses beschwingte Stück den Subtext einer Tragikomödie, und dank unseres historischen Wissens handelt es sich bei ihr nun wahrhaftig um eine Holocaust-Komödie.

 

Alles Liebe

 

David Safier

Prolog

Der Vorhang ist noch unten. Wir hören eine traurig singende Stimme …

ADA POLOMSKA (Off)

Ja, im Frühling, ja, im Frühling,

da fliegt frei der Schmetterling,

und das Mädchen, und das Mädchen,

träumt von Ehe vor sich hin.

ADA POLOMSKA, eine zerbrechlich wirkende junge Frau, betritt die Bühne. Sie trägt ein hübsches Kleid.

ADA POLOMSKA

Bäume blühen, Bäume blühen,

Vogel zwitschert, wie er kann,

und das arme, liebe Mädchen,

ja, es findet keinen Mann!

 

Hier verliebt sich eine Blume in die Blume nebenan,

und das arme, liebe Mädchen, ja, es findet keinen Mann!

Sie dreht sich zum Publikum, ohne es wirklich wahrzunehmen – so sehr versunken ist sie in ihren Gesang. Jetzt erst sieht man, dass sie an einem Arm den Judenstern trägt.

ADA POLOMSKA

Dort ein Vöglein, dort ein Vöglein, schnäbelt froh auf einem Ast,

und das Mädchen weint vor Kummer,

weil’s keinen Mann für sich hat.

Sie setzt sich traurig an den Bühnenrand.

ADA POLOMSKA

Nicht mehr lang, bald kommt der Winter, und dann ist ein Jahr vorbei.

Und wer weiß schon, und wer weiß schon, ob noch jemals kommt ein Mai …

Diesem letzten Satz sinniert sie in der Stille nach.

Ein Taktstock wird geschlagen.

Das reißt die junge Frau aus ihren Gedanken. Sie rappelt sich auf und blickt zum Publikum.

ADA POLOMSKA (lächelnd, freundlich, bezaubernd)

Guten Abend, mein Name ist Ada Polomska, und ich bin Schauspielerin hier im Femina-Theater. Und ich werde schon bald sterben. So wie ihr alle hier.

Ein Klavier setzt ein.

ADA POLOMSKA (bezaubernd frech)

Gut, dass wir das noch nicht wissen, nicht wahr?

Die Musik der ganzen Tanzkapelle ertönt. Und man staunt, wie viel Energie in dieser zerbrechlichen jungen Frau steckt.

ADA POLOMSKA (voller Freude)

Heute, an diesem jämmerlich kalten 16. Januar 1942, spielen wir für euch das Stück …

Die Musik nimmt richtig Schwung auf und so auch sie:

ADA POLOMSKA

«DIE LIEBE SUCHT EIN ZIMMER»!

 

Von Jerzy Jurandot!

 

Eine Komödie in drei Akten!

 

Nach einer geliehenen Idee!

 

In den Hauptrollen: Edmund Minowicz als Edmund. Stefania Grodzienska als Stefcia. Zygmunt Regro als Marian. Meine Wenigkeit als Ada. Und die fabelhafte Naomi Wentland als «Die Wirtin»!

Regie: Edmund Minowicz. Die Musik wie immer von dem wundervollen Iwo Wesby und seinem Tanzorchester!

Die Musik wird leiser und endet, während der Vorhang aufgeht …

Erster Akt