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Über dieses Buch:

Der Umzug von Berlin nach München fällt dem neunjährigen Philip nicht leicht. Nur langsam gewöhnt er sich an die unbekannte Umgebung und an die Nachbarskinder, die zunächst wenig Interesse an dem schüchternen Jungen haben. Doch furchtlos stellt er sich den ihm abverlangten Mutproben und erkämpft sich somit die Anerkennung der anderen – und gewinnt einen ganz besonderen Freund. Denn mit dem gleichaltrigen Joschi erlebt er von nun an Tage voller Fantasie, Abenteuer und Nervenkitzel …

Als ebenso humorvolle wie herzliche Beobachterin begleitet Barbara Noack ihren Sohn Philip und seinen besten Freund Joschi während der Jahre ihrer Freundschaft – und hält ihre Höhen und Tiefen in dieser autobiographischen Novelle fest, die Erinnerungen an die eigene Kindheit weckt.

Über die Autorin:

Barbara Noack, geboren 1924, hat mit ihren fröhlichen und humorvollen Bestsellern deutsche Unterhaltungsgeschichte geschrieben. In einer Zeit, in der die Männer meist die Alleinverdiener waren, beschritt sie bereits ihren eigenen Weg als berufstätige und alleinerziehende Mutter. Diese Erfahrungen wie auch die Erlebnisse mit ihrem Sohn und dessen Freunden inspirierten sie zu vieler ihrer Geschichten.
Ihr erster Roman »Die Zürcher Verlobung« wurde zweimal verfilmt und besitzt noch heute Kultstatus. Auch die TV-Serien »Der Bastian« und »Drei sind einer zu viel«, deren Drehbücher die Autorin verfasste, brachen in Deutschland alle Rekorde und verhalfen Horst Janson und Jutta Speidel zu großer Popularität.

Barbara Noack veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane »Die Zürcher Verlobung«, »Der Bastian«, »Danziger Liebesgeschichte«, »Drei sind einer zuviel«, »Brombeerzeit«, »Das Leuchten heller Sommernächte«, »Die Melodie des Glücks«, »So muss es wohl im Paradies gewesen sein«, »Jennys Geschichte«, »Der Duft von Sommer und Oliven«, »Der Zwillingsbruder«, »Das kommt davon, wenn man verreist«, »Was halten Sie vom Mondschein?«, »Valentine heißt man nicht«, »Der Traum eines Sommers« und »Eine Handvoll Glück« sowie »Ein Stück vom Leben«, die auch im Doppelband »Schwestern der Hoffnung« erhältlich sind. Auch bei dotbooks erschienen ihre Erzählbände »Flöhe hüten ist leichter«, »Eines Knaben Phantasie hat meistens schwarze Knie« und »Ferien sind schöner« sowie der Sammelband »Valentine heißt man nicht & Der Duft von Sommer und Oliven«.

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eBook-Neuausgabe Dezember 2016

Copyright © der Originalausgabe 1976 by Albert Langen – Georg Müller Verlag GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/kovop und Triff

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-895-3

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Barbara Noack

Auf einmal sind sie keine Kinder mehr

Roman

dotbooks.

Auf einmal sind sie keine Kinder mehr

Gleich am Einzugstag, beim Auspacken der Bücherkisten, schaute ich zufällig einmal aus dem Fenster und sah einen Knaben vom Nebengrundstück über zwei quergenagelte Bretter im Lattenzaun steigen und auf unserer Seite zwischen die Büsche plumpsen.

Das war der Joschi, damals elf Jahre alt.

Im Hof traf er sich mit einem Jungen aus dem Hause. Gemeinsam betrachteten sie meinen vor der Garage parkenden Wagen mit der Berliner Nummer.

»Saupreißin« sagte der Ältere, der Bill hieß und ein zugezogener Amerikaner war. »Der werden wir’s zeigen.«

Darauf traten sie mit den Hacken in meine Reifen. Noch mal und noch einmal – haarscharf am Kotflügel vorbei, voller Bedauern vorbei, sie hätten zu gerne, aber ihnen fielen noch rechtzeitig die Reparaturkosten ein und der damit verbundene Ärger mit ihren Vätern.

Ich riß das Fenster auf und brüllte: »Seid ihr noch zu retten?« auf sie nieder.

Bill grinste nur und verzog sich, einen Kiesel wie einen Fußball vor sich herdribbelnd, Richtung Garten.

Joschi war neben meinem Wagen stehengeblieben und sah herausfordernd zu mir hoch – rot vor Zorn. Wie kam ich dazu, ihn anzubrüllen? Wer war ich denn? Eine Zugereiste. Ein Eindringling.

Am selben Tag begegneten wir uns auf der Uferpromenade. Ich führte den Hund aus, und Joschi radelte mit hocherhobenem Sterz an mir vorüber. Und schaute nicht etwa fort, nein, er bremste sein heftiges Tempo und suchte meinen Blick, um all seine Verachtung in ihn hineinzukippen.

Ich kippte zurück, was sehr unklug von mir war, denn ich mußte an Philip denken, meinen Sohn, der zu Beginn der Osterferien hier anreisen würde.

Der Abschied von Berlin fiel ihm schwer genug. Es war ja nicht nur Abschied von einer vertrauten Umgebung, in der er gern gelebt hatte, von einem geräumigen Haus zum Toben, von all seinen Freunden, sondern vor allem der Abschied vom ständigen Zusammenleben mit seinem Vater.

Abends telefonierte ich mit ihm. Er wollte wissen, ob sich sein Hund schon eingelebt hatte. Danach die bange Frage: »Und sind da Kinder, wo wir jetzt wohnen? Und sind die nett?«

»Sicher«, sagte ich, »du wirst schon sehen.«

Ich dachte an Bill und Joschi. Wenn sie mit Philip genauso umgehen würden wie mit meinen Autoreifen …

Gemeinsam mit seinem Spaniel Sascha holte ich ihn vom Flugplatz ab. Sein Vater begleitete ihn, um sich unser neues Zuhause anzuschauen.

Sascha, im Gefühlsleben durch keine Hemmungen gebremst, bellte vor Glück, seine kleine Familie wieder beisammen zu haben, die Lautsprecheranlagen nieder. Kein Mensch im Umkreis verstand, welche Maschine gerade aufgerufen wurde.

Ein Flughafenfotograf hat die Szene festgehalten: Hund beißt in Philips neue, auf Zuwachs gekaufte Cordhosen. Philip, sehr schmal, weißblond in einem ausgewachsenen Trenchcoat, schaut verlegen in die Kamera.

Aus seinem vertrauten Milieu gerissen, bei abgedrehtem Mundwerk, wirkte er fast zart.

Wir fuhren über die Autobahn in unser neues Domizil. Ich zeigte ihm sein Zimmer in der kleinen Etagenwohnung und den Blick auf den See mit seinen braunschilfigen Ufern und dem langen Steg.

Um diese Jahreszeit, es war Ende April, lag er noch breit und unberührt da. Durch das nackte Geäst der Bäume schimmerten die Alpen mit Neuschnee.

»Ist das nicht schön hier?« fragte ich, um Anerkennung besorgt.

»Ja, danke«, sagte er, von nun an beängstigend höflich und still, »ein bißchen wie der Wannsee.«

Nach dem Mittagessen ging er allein in den Garten hinunter und lernte den ersten Jungen kennen. Mit Pistole. Hansi hieß er, leider war er erst fünf. Philip war immerhin schon neun.

Sein Vater mußte zurück nach Berlin.

Bei diesem Abschied auf dem Flughafen wurde Philip wohl zum ersten Mal bewußt, daß die Reise nach Oberbayern kein Osterausflug gewesen war, sondern etwas Endgültiges.

Seine Eltern hatten sich vor einem Monat getrennt, nachdem sie eingesehen hatten, daß es besser für ein Kind ist, in einer friedlich geschiedenen als in der äußerst gespannten Atmosphäre einer kaputten Ehe aufzuwachsen.

Um ja nichts gegen seinen Wunsch zu entscheiden, hatten wir Philip sogar gefragt, ob er wirklich mit mir nach München gehen, wo ein guter beruflicher Vertrag auf mich wartete, ob er lieber bei seinem Vater in Berlin bleiben wollte.

Es war die törichtste Frage, die wir ihm hatten stellen können, das ersahen wir aus seiner gequälten Antwort. »Was immer ich jetzt darauf sage, einer von euch ist traurig. Und das ist Papi.

Er war voller Erwartungen auf das Neue nach Bayern gekommen. Nun war er enttäuscht. Wie sehr, hat er mir nicht gesagt aus Rücksicht auf meine Bemühungen, es ihm schön zu machen.

Die Fremde bedrückte ihn. Es gab zwar zwei größere Jungen hier, Billy und Joschi, aber die schauten durch ihn hindurch, als ob er gar nicht vorhanden wäre. Außer dem fünfjährigen Hansi gab es nicht einen Jungen im Umkreis, so viel hatte er schon herausbekommen.

Somit war er auf seine ständig in beruflichen Terminnöten lebende Mutter angewiesen und auf seinen Hund.

Ein Glück, daß wenigstens Sascha mit umgezogen war. Auch er hatte seine Probleme mit der neuen Umgebung.

Dreiviertel des Tages lag er auf dem Balkon mit der Schnauze zwischen den Gittern und dem sehnsüchtigen Blick ins Grüne. In Berlin waren seinem Freiheitsdrang keine Grenzen gesetzt – davon zeugten die Buddelstellen unterm Zaun.

Nun war er Etagenhund, der nicht einmal frei über Land gehen durfte wegen der Tollwutgefahr.

Da gab es so viel grüne Weite voller Gerüche und Fährten – alles umsonst.

Er litt unter seinem unerlösten Freiheitsdrang. In seinen Träumen holte er mit zitternden Lefzen und wild rudernden Pfoten verhinderte Abenteuer nach.

Am liebsten hätten sich beide eine Rückfahrkarte gekauft.

Philip überstand den Abschied von seinem Vater mit tapferem Grinsen.

Erst auf der Heimfahrt vom Flughafen schüttelte ihn ein kurzes Schluchzen, das er in seinen Ärmel wischte. Es war ihm peinlich, aber was sollte er machen?

»Ich hab ihn doch so gern.«

»Du kannst Papi immer sehen. Pfingsten fliegst du nach Berlin … Pfingsten ist ja bald …«

Wir gingen Hähnchen essen und Eis. Er durfte sich alle Comics kaufen, die er haben wollte.

Gemeinsam standen wir vor den Ansichtskarten im Schaufenster eines Fotogeschäftes.

Wenigstens auf Ansichtskarten wollte ich ihn bekannt machen mit dem landschaftlichen Zauber seiner neuen Umgebung, der seit Tagen im Grau eines blasigen Dauerregens unterging.

Aber welchen Neunjährigen interessiert schon Landschaft!? Einmal schaute Philip auf seine Armbanduhr und sagte: »Jetzt ist Papi schon zu Haus.«

Von meiner Schreibmaschine aus konnte ich ein Stück des Hofes überblicken und jenen heckenumwucherten Zaun mit den zwei quergenagelten Stufen, die aus der Zeit stammen mochten, als die Kinderbeine noch zu kurz zum selbständigen Überklettern gewesen waren. Und eines Nachmittags schwang sich Joschi herüber, um den großen Bill zu suchen. Bill war nicht zu Haus.

Nur Philip. Er kickte einen Fußball gegen das Garagentor, wieder und wieder, es klang demonstrativ in meinen Ohren, so: Was soll ich denn sonst hier alleine machen!?

Er hatte Joschi wohl gesehen, wartete jedoch ab. Philip ließ immer die anderen zuerst kommen, das war so seine Art.

Nun wußte Joschi nicht, was er machen sollte. Mit der Skepsis und Wachsamkeit eines Hundes, der einem fremden Artgenossen begegnet, strich er um die Garage herum, bereit, beim ersten warnenden Lefzenheben des Fremdlings, der in sein ureigenes Revier eingedrungen war, schneller anzugreifen als dieser.

Joschi lebte seit seiner Geburt im Haus nebenan mit dem frühzeitig erworbenen Eigentumsbewußtsein der Alteingesessenen.

Einerseits hätte er Philip fortgebissen, andererseits gab es keine Jungen akzeptablen Alters im Umkreis. Ein Zuzug von neun Jahren bedeutete immerhin eine Bereicherung. Man sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, den Anfang zu machen.

»Du schießt ganz falsch«, sagte er abfällig.

Philip kickte stur weiter. »Ich mach das so, wie ich will.«

Und Joschi, nach einer längeren Pause: »Laß mich mal.«

Philip überließ ihm den Ball und sah zu, wie Joschi ihn gegen das hölzerne Garagentor donnerte.

»Auch nicht anders wie ich«, meinte er dazu und war nun wieder mit Kicken dran. Im Parterre wurde ein Fenster aufgerissen, und eine entnervte Frauenstimme verlangte: »Ruhe! Das ist ja nicht zum Aushalten!«

Einen Augenblick lang standen die beiden Buben unschlüssig voreinander. Wie sollte es nun weitergehen? »Ich weiß, wo die Schwäne ihr Nest bauen«, sagte Joschi schließlich.