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Über dieses Buch:

Eigentlich müsste die Schriftstellerin Barbara Noack dringend ihr Manuskript fertigstellen, doch während Sohn Philip und seine Freunde um sie herumturnen, will ihr einfach kein passendes Ende einfallen. Kurzerhand macht sie aus der Not eine Tugend und lässt sich von der Rasselbande zu einem ganz neuen Roman inspirieren – denn skurrile, lustige und abenteuerliche Geschichten erlebt sie mit ihnen zuhauf …
Mit viel Verständnis und Humor berichtet Bestsellerautorin Barbara Noack aus dem Alltag einer Mutter aus Leidenschaft.

Über die Autorin:

Barbara Noack, geboren 1924, hat mit ihren fröhlichen und humorvollen Bestsellern deutsche Unterhaltungsgeschichte geschrieben. In einer Zeit, in der die Männer meist die Alleinverdiener waren, beschritt sie bereits ihren eigenen Weg als berufstätige und alleinerziehende Mutter. Diese Erfahrungen wie auch die Erlebnisse mit ihrem Sohn und dessen Freunden inspirierten sie zu vieler ihrer Geschichten.
Ihr erster Roman »Die Zürcher Verlobung« wurde zweimal verfilmt und besitzt noch heute Kultstatus. Auch die TV-Serien »Der Bastian« und »Drei sind einer zu viel«, deren Drehbücher die Autorin verfasste, brachen in Deutschland alle Rekorde und verhalfen Horst Janson und Jutta Speidel zu großer Popularität.

Barbara Noack veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane »Die Zürcher Verlobung«, »Der Bastian«, »Danziger Liebesgeschichte«, »Drei sind einer zuviel«, »Brombeerzeit«, »Das Leuchten heller Sommernächte«, »Die Melodie des Glücks«, »So muss es wohl im Paradies gewesen sein«, »Jennys Geschichte«, »Der Duft von Sommer und Oliven«, »Der Zwillingsbruder«, »Das kommt davon, wenn man verreist«, »Auf einmal sind sie keine Kinder mehr«, »Was halten Sie vom Mondschein?«, »Valentine heißt man nicht«, »Der Traum eines Sommers« und »Eine Handvoll Glück« sowie »Ein Stück vom Leben«, die auch im Doppelband »Schwestern der Hoffnung« erhältlich sind. Auch bei dotbooks erschienen ihre Erzählbände »Flöhe hüten ist leichter« und »Ferien sind schöner« sowie der Sammelband »Valentine heißt man nicht & Der Duft von Sommer und Oliven«.

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eBook-Neuausgabe Dezember 2016

Copyright © der Originalausgabe 1996 by Albert Langen – Georg Müller Verlag GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/byggarn.se, Zurijeta

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-897-7

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Barbara Noack

Eines Knaben Phantasie hat meistens schwarze Knie

Heitere Geschichten

dotbooks.

Kapitel 1
Make crime not love

Eine Liebesnacht ist an sich eine feine Sache. Schriftzustellende Liebesnächte mit brandeiligem Termin sind es nicht. Sei mal einer sinnlich auf Kommando, den Auftraggeber im Nacken.

Versteuern muß man diese Nächte auch noch.

Fragt man sich – warum mußtest du ausgerechnet Schriftsteller werden? Wenn schon was Künstlerisches, warum nicht Maler, Bildhauer, Musiker? Die haben Farben und Formen und Töne und Rhythmen zur Anregung. Und was haben wir? 26 kleine, knochentrockene Buchstaben, mit denen wir Glück, Schmerz, Gerüche, Gegenstände, Klänge, Aktionen und so weiter herstellen müssen und eben diese Liebesnacht, die so pressiert.

Ich frage mich, wie die Kollegen damit fertig werden.

Denn abgesehen vom lumpigen Abc, das von sich aus so gar nichts unternimmt, um einen in Stimmung zu versetzen, sind da noch die äußeren Umstände, die eine schriftzustellende Liebesnacht scheitern lassen können, zum Beispiel die Tageszeit.

Wenn es Nacht wird im Manuskript, muß noch längst nicht Nacht sein beim Hersteller derselben.

Nehmen wir nur mal den heutigen Vormittag. Ich habe nicht ausgeschlafen. Beim Frühstück die Morgenzeitung gelesen und trete nun mißgestimmt und amusisch bis in die Knochen, ausschließlich vom Ablieferungstermin getrieben, an meinen Schreibtisch.

Ein halbbeschriebener Bogen steckt erwartungsvoll und genauso, wie ich ihn heute nacht bei hereinbrechender Müdigkeit verlassen habe, in der Maschine.

Ich lese den letzten Satz: »Er richtete sich jäh auf, lachte, seine nackten, harten Männerschultern kamen langsam näher, und Marianne …«

Aus.

Seit heute nacht, genaugenommen acht Stunden, wartet mein Liebespaar braungebrannt, fabelhaft gewachsen und splitterfasernackt auf Saugpapier, in eine graue Reiseschreibmaschine eingeklemmt, darauf, daß sich endlich etwas tut.

26 kleine, knochentrockene Druckbuchstaben und das Liebespaar gucken mich erwartungsvoll an, und ich sage mir: Mütterchen, nun konzentriere dich. Morgen mußt du abliefern.

Ich konzentriere mich also und konzentriere mich und konzentriere mich auf den Brummer an der Fensterscheibe. Hätte nie gedacht, daß mich ein Brummer mehr zu fesseln vermag als eine Liebesnacht.

Er richtete sich jäh auf – nicht der Brummer, der Liebhaber richtete sich jäh auf, lachte, seine nackten, harten Männerschultern kamen langsam näher und Marianne …

Es geht nicht ohne Anregung. Es geht nicht. Ich werde mir einen Kaffee machen.

In der Küche treffe ich Ilse. Ilse fegt.

»Sie sind ja schon wieder da«, sagt sie. »Klappt wohl heute nicht, wie?«

Nein, klappt nicht.

Ilse hat es gut. Sie darf abwaschen, putzen, Betten machen und all so was Schönes. Unsereiner ist zu schriftgestellten Liebesnächten verdonnert.

Ich nehme den Besen und zeige ihr, was man alles unter einem Schrank hervorzukehren vermag, wenn man sich vorm Schreiben drücken will.

Ilse guckt mich mitleidig an. Sie kennt das schon. »Nu gehn Sie mal wieder dichten. Ich mach Kaffee.«

Ein schlimmer Vormittag. Keine interessante Post heute. Niemand ruft an. Nichts, was mich ablenken könnte. Und die Muse, das Luder, pennt.

»Er richtete sich jäh auf, lachte, seine nackten, harten Männerschultern kamen langsam näher, und Marianne …«

Tjaja, die Marianne, die müßte jetzt vielleicht was Sinnliches zu ihm sagen, aber was?

Dem Kaffee gilt auch nichts Gescheites ein. Nun sag schon was, Marianne! Sag was, Himmelarmundzwirn.

Ilse kommt herein, um zu fragen, ob wir heute mittag Buletten mit Möhren essen wollen, die hatten wir lange nicht.

»Ausgerechnet jetzt!«

»Ich geh ja schon«, sagt sie, »aber ich brauch Geld.«

»In meiner Tasche.«

Sie geht wirklich. Ich muß mich konzentrieren. Zu diesem Zwecke suche ich den Brummer an der Fensterscheibe. Er ist nicht mehr da. Wie soll ich mich ohne den Brummer auf die verflixte Liebesnacht konzentrieren!? Alle guten Geister haben mich verlassen.

»Er richtete sich jäh auf, lachte, seine nackten, harten Männerschultern kamen langsam näher, und Marianne …«

Es muß dringend was geschehen. Ich versuche es mal logisch.

Ehe ich dazu komme, wird es draußen sehr laut. Als ob ein Kosakenheer in den Garten einfällt. Schüsse. Johlen. Kreischen. Aufgeregtes Hundebellen. Dazwischen die sich überschlagende Stimme des Hausmeisters: »Verdammte Bengels! Ich bring euch um!«

Philip ist aus der Schule heimgekehrt. Soweit ich mich erinnere, habe ich bloß einen Sohn, aber der tritt meistens in Scharen auf.

Sie stürmen das Haus und brechen – Ilses Warnrufen zum Trotz – in mein Zimmer, in meinen endlichen Höhenflug ein, schießen ihn ab.

»Ach Jungs«, sage ich bekümmert, »was gibt’s denn? Wie war’s in der Schule?«

Einstimmiges »Doof«. Sie hängen sich von hinten über meinen Stuhl.

Benjamin stiert auf die eingespannte Manuskriptseite. »Warum schreiben Sie erst was hin, wenn Sie es nachher doch wieder ausstreichen?« Und dann, ehe ich es verhindern kann, buchstabiert er »Seine nackten – harten Männer-schultern …«

Alle fünf sehen mich an.

Gute Nacht, Marie, denke ich und reiß das Blatt aus der Maschine und aus Versehen mittendurch.

»Jetzt ist sie kaputt«, sage ich vorwurfsvoll.

»Was für Schultern?« fragt Oliver.

»Wie meinst du das, Mami?« fragt Philip.

»Und warum sind sie nackicht?« fragt Frankie.

»Er ist eben Sportler«, sage ich.

»Wer?« fragt Rolli.

»Na, der Mann.«

»Welcher Mann?« fragt Oliver.

»Was für’n Sport?« fragt Frankie.

»Fußball« sage ich.

»Haha. Du und Fußball«, sagt Philip. »Verstehst du doch gar nichts von.«

»Ich hab’s eben abgeschrieben«, sage ich.

»Von wem?« fragt Philip.

»Von einem Kollegen.«

»Was ist ein Kollege?« fragt Rolfi.

»Ich denke, Sie tippen selber Bücher, dabei schreiben Sie ab«, sagt Frankie.

»Nackichte Männerschultern«, sagt Oliver. »Beim Fußball! Wo die doch das Trikot anhaben!«

»Raus!« sage ich. Wenn ich nicht mehr weiter weiß, sage ich immer »Raus«.

Keiner geht. Denken ja gar nicht dran.

Fünf Knaben mauern stur um mich herum, und zwischen ihnen und mir lauem diese vermaledeiten, noch immer nicht befriedigend geklärten harten, nackten Männerschultern. Den Fußball glaubt mir keiner.

»Wessen Schultern denn nu?« fragt Philip. »Papis?«

»Quatsch«, sage ich.

»Wessen dann?«

»Vielleicht die vom Kollegen«, überlegt Rolfi.

»Nee«, sagt Frankie, »von dem schreibt sie bloß ab.«

Muß ich mir das als erfolgreicher Erwachsener eigentlich gefallen lassen? Nein.

»Rrrraus! Aber dalli!« Ich scheuche sie wie Hühner aus den Gemüsebeeten zur Tür hinaus. Sperre ab. So. Ist es nicht typisch? Das, was sie lesen sollen, lesen sie nicht. Aber das, was sie nicht lesen sollen…

Vier kleine Jungen bewegen die nackten, harten Männerschultern in ihrem Gedächtnis, tragen sie mit sich nach Haus und werden sie spätestens beim Mittagessen zum Zwecke einer öffentlichen Diskussion auf den T eher legen. Mir selbst stehen sie bei den Buletten mit Möhren bevor.

Ich brauche Tesafilm, um die zerrissene Liebesnacht wieder zusammenzukleben. Ich finde denselben und mein übriges, heftig vermißtes künstlerisches Werkzeug, wie Filzstifte, Uhu, Locher, Gummis, nach längerem Suchen in Philips Zimmer.

Ich finde auch Philip dort.

»Was soll’n das eigentlich für ’ne Geschichte werden, die du grad schreibst? Wieder ’ne Liebesarie aus Noacks achtem Alphabet?«

»Sei nicht so frech.«

»Warum schreibst du nich mal was Vernünftiges?«

»Was findest du denn vernünftig?«

»Na, Krimis. Warum schreibst du nich mal so was wie die – na die –, die öfter im Fernsehen kommt – die so heißt wie ein katholischer Feiertag?«

Feiertag? Katholischer?

»Meinst du Agatha Christie?«

»Ja, die.«

»Kann ich leider nicht. Das ist eine andere Begabung.«

Sagte ich Begabung? Von der habe ich heute vormittag wenig gemerkt.

Aber dabei kommt mir eine andere Idee. Die erste brauchbare heute: Philip und seine Freunde. Warum schreibe ich nicht mal über sie? Stoff haben sie mir schließlich genug geliefert.

Kapitel 2
Aus dem Lexikon zweijähriger Buben

Tintin – Schuhe

Pissieren – Spazierengehen

Nöpse – Knöpfe

Pudeljatter – Sprudelwasser

Tutunacht – Garage

Nattaboll – Nackedei

Kappalataata – Kasperltheater

Nuttennatter – Nußknacker

Kankenfesser – Krankenschwester

Kiekfiff – Kriegsschiff

Kapitel 3
Mittagsschlaf ist so gesund

»Es ist alles eine Frage der Erziehung«, sagt Julius. »Wenn es euch gelingen würde, den Jungen von der Richtigkeit und Notwendigkeit einer Sache zu überzeugen, gäbe es überhaupt keine Schwierigkeiten.«

»Na, dann mach mal«, sage ich und lege mich auf die Terrasse.

»Was denn?« fragt er, gereizt durch meine so aufreizend bürgerlich über dem Magen gefalteten Hände, die eine längere Passivität ankündigen.

»Überzeuge einen hellwachen Jungen von der Notwendigkeit, Mittagsschlaf zu halten. Und vergiß dabei nicht – es handelt sich um deinen Jungen.«

»Na und?« sagt er. »Na und?«

Um mir den Beweis für die Richtigkeit seiner Theorie bringen zu können, muß er das muntere Kerlchen erst einmal einfangen.

Fängt es auch. Trägt es – unter den Arm geklemmt – an mir vorbei. Spricht begütigend auf sein Gezappel ein. Spricht von »Gesundheit… Wachstum – alle Kinder müssen mittags… Papi und Mami möchten auch gerne…«

Beide gehen ab. Aber nur kurz.

Nach einer Minute ist Philip wieder da – mit herunterhängenden Hosen und Nachttopf. Nimmt gesellig neben mir Platz. Er hat gern Unterhaltung dabei. Sein Vater hebt ihn vom Topf. Schimpft: »Das ist doch alles Falle. Du mußt ja gar nicht. Du willst bloß Zeit gewinnen. Nicht bei mir!«

»Ich denke, du wolltest ihn von der Notwendigkeit des Mittagsschlafes überzeugen?« sage ich hinter den beiden her.

Sie verschwinden gemeinsam im Bad.

Geräusche werden laut, die auf einen harten Nahkampf schließen lassen. Aha. Händewaschen. Philip bringt von diesem Unternehmen leidlich saubere Finger mit und sein Vater klatschnasse Hosen.

Vater hebt Sohn ins Gitterbett, das bis vor zwei Monaten noch eine Festung war, auf deren Unüberwindlichkeit sich die Erziehungsberechtigten getrost verlassen konnten.

Seit der ersten selbständigen Übersteigung der Gitter sind dieselben zum Turngerät degradiert, aber mit der nötigen Überzeugungskraft…

Philip streckt sich brav auf dem Laken aus, läßt sich zudecken und wünscht: »Nun sing, mein Julius.« Keiner, der seinen Julius jemals singen hörte, fordert ihn ein zweites Mal dazu auf. Aber Philip liebt die Stimme seines Herrn, liebt jede Stimme, die ihm beim Einschlafen Gesellschaft leistet. Er tuscht sich auf zwei Fingern ins Schlafdämmer hinüber.

Vater schleicht auf Zehenspitzen aus dem Kinderzimmer.

»Nacht, mein Julius«, flüstert Philip hinter ihm her. »Ich weiß gar nicht, was du willst. Von mir läßt er sich ohne Widerspruch ins Bett bringen«, sagt Julius mit milder Anklage zu mir.

»Das liegt am Zauber deines Baritons«, sage ich, »der haut jeden um.« Und bin ein bißchen böse auf Philip: Warum bei seinem Vater sofort – warum bei mir nie?

Da geht die Tür auf, und ein glückliches Kinderstrahlen wird unterhalb der Klinke sichtbar.

»Philip wieder da.«

»Und auf bloßen Füßen!« tobt sein enttäuschter Pädagoge. »Hast du keine Hausschuhe?«

»Hat Philip in Hand.« Zum Beweis hebt er seine Tüffel hoch und will es sich schon gemütlich bei uns machen, da steht die Ohoh auf.

Die Ohoh ist seine Großmutter auf Besuch, und wenn sie es für richtig hält, hat sie einen harten Griff. Das weiß ich noch aus meiner Kindheit. Philip und Ohoh verschwinden samt Tüfteln im Kinderzimmer.

»Tss – « macht Julius. Stocksauer. Schwiegermutter will Schwiegersohn beweisen, daß Schwiegermutter in der Lage ist, dafür zu sorgen, daß Junge ins Bett geht und vor allem – auch drin bleibt.

»Sie wird ihm drohen«, sagt er, als keiner von beiden wiederkommt. »Naja, mit Strenge kann man in dem Alter noch alles erreichen, aber die Folgen –!! Denk doch bloß mal an die Folgen! Verklemmte, hemmungsbelastete Schattenkreaturen! Wie soll sich denn auch eine Persönlichkeit entfalten, wenn sie von klein auf zu bedingungslosem Gehorsam erzogen wird?«

»Sprichst du von deinem Sohn?« frage ich.

»Natürlich.« Er sieht mich an. Ganz wild. »Du sollst nicht grinsen, verdammt noch mal!«

Philip in seinem Kinderzimmer macht indessen keine Schwierigkeiten. Er ist absolut bereit, sich hinzulegen. Er hat vorher nur noch eine kleine Bitte: Die Ohoh soll ihm zuschauen, wie er das Gitter seines Bettes von außen übersteigt. Und wenn er dann hineinplumpst, soll sie »Bravo« rufen. Durch bewußte Fehlstarts und verschämte Fisimatenten gelingt es ihm diese artistische Nummer auf zehn Minuten auszudehnen.

Die Ohoh klatscht Bravo.

Philip: »Noch mal?«

Die Ohoh: »Das war sehr schön, aber nun wird geschlafen. Sonst holt die Ohoh den Stock.«

»Stock liegt da oben«, sagt Philip und zeigt erklärend auf den Schrank, damit sie im gegebenen Fall nicht allzulange suchen muß. Danach winkt er sie höflich, aber bestimmt zur Tür hinaus.

»Philip nun seine Ruhe haben. Nun!«

»Kriege ich vorher noch ein Küßchen?«

»Nein«, sagt er ablehnend, »vier Uhr.«

Alle Unternehmungen, zu denen er nicht sofort bereit ist, verschiebt er gern auf diese Tagesstunde.

Ohoh stellt sich auf der Terrasse ein.

»Naaa?«

»Wir werden sehen«, sagt sie vorsichtig.

Spannungsgeladenes Schweigen.

Aber es kommt kein Philip.

Ohoh lächelt erleichtert.

Julius, giftig: »Zufall.« Jetzt fühlt er sich von seinem Sohn im Stich gelassen. Hält der Bengel zur Schwiegermutter. »Was hast du mit ihm gemacht?«

»Nichts. Weder angebunden, verdroschen noch bedroht.«

»Vielleicht ist er wirklich müde«, versuche ich zwischen uns dreien zu vermitteln.

An sich könnten wir uns jetzt auch hinlegen, wir haben es nötig, wir waren letzte Nacht ausführlich auswärts.

Aber vorher will Philips Julius noch mal gucken, ob Philip auch wirklich schläft.

Die Ohoh zu mir: »Wetten, daß er ihn jetzt absichtlich wach macht, bloß weil er mir nicht gönnt, daß es mir gelungen ist –«

Ein Ausruf des Entsetzens unterbricht ihre schwiegermütterlichen Vermutungen.

Wir stürzen gleichzeitig durch die Tür des Kinderzimmers. Finden folgendes vor: einen triumphierenden Schwiegersohn. Einen hellwachen, rotgeschminkten Clown im Bett. Geschminkte Bezüge, Gitter, Tapeten – so weit er langen konnte.

Die Ohoh: »Ach Gott, mein Lippenstift!«

Julius: »Deshalb war er so ruhig!«

Philip, selbstzufrieden: »Philip aber schön malen!«

Ich: »Na warte, jetzt setzt’s was!« und hole aus.

Philip, beschwörend: »Vier Uhr!!!«

Ich wüßte auch gar nicht, wo ich im Augenblick zuhauen sollte. Er färbt überall ab.

Vater expediert Sohn in Badewanne. Ohoh zieht Betten ab und neu auf, guckt dabei auf die Tapete, an der ich vergebens herumschrubbe.

»Du mußt zugeben, daß seine Zeichnung gar nicht so schlecht ist – vom abstrakten Gesichtspunkt. Es liegt was drin.«

»O ja«, sage ich, »dein ganzer neuer Lippenstift.«

Philip kehrt – nur noch hellrot — in sein Bett zurück. Gemeinsam betrachten wir sein Wandgemälde.

»Das darfst du nie wieder tun, hörst du? Wir müssen neu tapezieren lassen, das kostet viel Geld. Vielleicht müssen wir sogar ausziehen, und wo sollen wir dann hin?«

Interessiert ihn überhaupt nicht. »Hat Mami Bombom?«

»Nein, ich habe keinen, und du wirst jetzt schlafen, verdammt noch mal.«