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Titelseite

 

 

 

Mit besonderem Dank an Catherine Hapka

 

 

 

Endlich Frühling

„Es ist so schön, dass endlich wieder das Gras zu sehen ist“, sagte Lena Kennet zu ihrer Mutter. Die beiden schlenderten durch den Garten hinter dem Haus.

Mrs Kennet lächelte. „Ja, ich dachte langsam schon, der Schnee würde nie mehr schmelzen.“ Sie rückte einen der Stühle auf der Terrasse gerade. „Vielleicht möchte Mrs Kraft heute draußen Tee trinken. Ich glaube, es ist warm genug.“

Lena und sie betraten durch ein kleines Tor den Nachbargarten. Mrs Kraft war schon etwas älter und lebte nebenan.

Lena klopfte an die Hintertür und diese schwang fast augenblicklich auf. Doch bevor Mrs Kraft Hallo sagen konnte, stürmte ein rotbraunes Fellbündel heraus.

„Oje“, sagte Mrs Kraft und schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, Nacho hat der Frühlingsübermut erwischt.“

Lena lachte. „Das ist schon in Ordnung. Ich spiele ein bisschen mit ihm.“

„Oh, ja bitte!“ Mrs Kraft reichte ihr einen roten Gummiball.

Lena pfiff nach Nacho, der einen Vogel in der Linde anbellte. Als der langhaarige Dackel sich mit gespitzten Ohren zu ihr umwandte, hielt Lena den Ball hoch.

„Fang, Nacho!“, rief sie und warf den Ball weit nach hinten in den Garten.

Nacho kläffte begeistert. Der Ball landete in einem Fleckchen Unkraut in der hinteren Gartenecke.

„Ups“, sagte Lena. Sie wollte nicht, dass sich im seidigen Fell des Dackels Disteln und Kletten verfingen.

Sie rannte nach hinten, um Nacho beim Suchen zu helfen. Als sie ein Büschel vertrocknete Blätter zur Seite schob, staunte sie nicht schlecht. „Oh, wie hübsch!“, rief sie.

Leuchtend gelbe Primeln blühten hinter dem hochgewachsenen Unkraut. Lena beugte sich vor und strich über ein weiches Blütenblatt. Es war schön, nach dem langen Winter wieder bunte Blumen zu sehen.

Nacho sprang sie mit wedelndem Schwanz an. Im Maul hatte er den roten Ball.

Lena lachte. „Entschuldige, Kleiner“, sagte sie. „Du interessierst dich nicht für Primeln, oder?“

Sie spielten mit dem Ball, bis Mrs Kraft und Mrs Kennet mit Kuchen und Kakao aus dem Haus kamen. Sie setzten sich an den Gartentisch und Lena erzählte ihnen von den Primeln.

„Oh, wie schön“, sagte Mrs Kraft. „Ich werde das Unkraut ausrupfen, damit ich sie sehen kann.“

Mrs Kennet warf einen Blick über den Zaun in ihren eigenen Garten. „Ich möchte auch ein paar Blumen pflanzen und vielleicht noch Gemüse.“

„Ich helfe dir“, bot Lena an.

Ihre Mutter lächelte. „Bist du sicher?“, fragte sie neckend. „Jetzt, wo es wärmer wird, willst du doch bestimmt jede freie Minute auf dem Ponyhof verbringen.“

Lena lachte. Ihre Mutter hatte recht. Als sie mit ihrer Mutter nach Willow Springs gezogen war, hatte sie an ihrem allerersten Tag den Ponyhof Apfelblüte entdeckt und ein ganz besonderes Pony – Samson, den Apfelschimmel. Schon bald hatte sie mit Reitstunden angefangen und war fast jeden Tag geritten. Lena liebte es, auf dem Ponyhof Apfelblüte zu sein.

Seit Weihnachten hatte sie allerdings nicht so oft reiten können. Dicker Schnee hatte den Reitplatz und die Reitwege im Wald bedeckt.

„Ich kann kaum glauben, dass ich seit fast zwei Monaten nicht mehr geritten bin“, sagte Lena laut. „Aber da die Sonne jetzt wieder kräftiger scheint, hoffe ich, dass wir auf die Reitwege dürfen.“

Nacho lag unter dem Tisch und kaute auf seinem Ball. Aber plötzlich sprang er auf und stieß gegen Lenas Arm.

„Oh!“, rief sie überrascht. Das Stück Apfelkuchen, das sie in der Hand hielt, flog davon. „Nacho, du listiges Kerlchen!“

Der kleine Hund beachtete sie nicht und fraß zufrieden den heruntergefallenen Kuchen.

Mrs Kraft seufzte. „Dieser Hund ist so frech. Ich bedauere beinahe, dass ich meiner Schwester versprochen habe, auf ihn aufzupassen.“

Lena wusste, dass Mrs Kraft nur einen Scherz machte. Nacho gehörte eigentlich Mrs Krafts Schwester, die am Knie operiert worden war und sich deshalb nicht um den lebhaften Hund kümmern konnte. Es ging ihr schon besser, aber Nacho war trotzdem noch zu zappelig für sie und Mrs Kraft hatte versprochen, ihn noch länger zu hüten.

„Nacho versucht, sich zu benehmen“, sagte Lena. „Er hört schon besser auf Kommandos. Meistens jedenfalls.“

Mrs Kennet räusperte sich. „Wenn du magst, frage ich Eric – äh, Mr Gelburg –, ob er etwas mit Nacho üben kann. Er kommt heute Nachmittag vorbei und schaut sich ein paar meiner Bilder an.“

„Ach ja?“ Lena sah ihre Mutter überrascht an. Mr Gelburg war Hundetrainer. Lena und Nacho hatten vor ein paar Monaten einen Anfängerkurs bei ihm besucht. Er hatte damals Mrs Kennet gefragt, ob sie eines ihrer Gemälde für sein Gewinnspiel spenden würde. Lenas Mutter hatte immer schon gern gemalt, aber jetzt hatte sie ein richtiges Geschäft daraus entwickelt. Lena und sie hatten die alte Gartenhütte in ein Malstudio umgebaut und Mrs Kennet hatte gut damit zu tun, die Lieblingstiere ihrer Kunden zu porträtieren.

„Ach ja, Mr Gelburg.“ Mrs Kraft hob eine Augenbraue.

Die Wangen von Lenas Mutter hatten sich rosa verfärbt. Lena runzelte die Stirn. Was hatte das zu bedeuten? Und warum sah Mrs Kraft so belustigt aus? Kam Mr Gelburg wirklich wegen der Bilder oder wollte er ihre Mutter sehen?

„Aufwachen, Lena!“ Julia Marle schnipste mit den Fingern vor Lenas Gesicht.

Lena blinzelte. „Entschuldigung, hast du etwas gesagt?“

Es war später am Nachmittag und Lena half Juli, das Kopfsteinpflaster im Hof von Ponyhof Apfelblüte zu fegen. Ihre Freundinnen Mia und Paulina waren auch da. Juli war die jüngste Tochter der Ponyhofbesitzer und eine der Ersten, die Lena in Willow Springs kennengelernt hatte. Als Lena ganz neu gewesen war, war Juli noch nicht mit den anderen Mädchen befreundet gewesen, die auf dem Ponyhof ritten. Als Tochter der Besitzer hatte sie sich für etwas Besseres gehalten.

Aber Lena hatte das geändert. Sie hatte Juli überzeugen können, dass es viel schöner war, Freunde zu haben, als immer hochnäsig zu sein.

Mit Mia und Paulina Freundschaft zu schließen, war viel einfacher gewesen. Paulina war sehr sportlich und liebte Turniere – ihr Pony Lancelot zum Glück auch. Er hatte eine Mietbox auf dem Ponyhof und sie nahmen an vielen Wettkämpfen teil.

Mia mit den Locken und Sommersprossen hatte kein eigenes Pony und sie ritt auch noch nicht sehr viel länger als Lena. Sie ging alles mit viel Freude und Energie an und schwärmte für ihr Lieblingspony Aska.

„Ich habe doch gesagt, dass sie nicht zuhört“, sagte Juli zu Mia.

„Tut mir leid.“ Lena lehnte sich auf ihren Besen. „Ich bin nur etwas abgelenkt. Ich habe gerade herausgefunden, dass meine Mama sich mit einem neuen Mann trifft.“