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Titelseite

Mit besonderem Dank an Janet Bingham

Der Regen kommt!

„Sitz!“, sagte Paul.

Opas Cockerspaniel Cirrus setzte sich. Sein Schwanz fegte über den Teppichboden.

„Braver Hund.“ Paul legte einen kleinen knochenförmigen Hundekeks auf Cirrus’ Nase. „Warte!“

Cirrus ließ den Kopf hochschnellen und fing den Keks mitten aus der Luft. Knurps! Mampf!

Paul seufzte. „Nein, Cirrus. Du sollst doch warten. So!“ Paul versuchte, einen Keks auf seiner eigenen Nase zu balancieren, aber er fiel herunter. Cirrus schnappte sich das Leckerli und verschlang es. Er sah sehr zufrieden aus.

Paul nahm einen neuen Hundekeks aus der Box und versuchte es wieder. Und noch einmal 

Ella, Pauls neunjährige Schwester, sah ihm zu. „Das wird nichts“, sagte sie lachend. „Ich glaube, Cirrus hat keine Lust auf so einen Trick.“

„Einem alten Hund kann man keine neuen Tricks beibringen“, sagte Opa und sah von seinem Buch auf. „Aber das Training scheint ihm trotzdem Spaß zu machen.“

Paul streichelte über Cirrus’ seidenweiches Fell. „Wir probieren es später noch mal“, versprach er.

Opa warf einen Blick aus dem Fenster. „Da kommt eine dicke schwarze Cumulonimbus in unsere Richtung.“

Paul grinste. Opa sprach mal wieder von Wolken.

Pauls Großvater war ein pensionierter Meteorologe und liebte alles, was mit dem Wetter zu tun hatte. Ella und Paul hatten schon eine Menge über Wolken gelernt. Sie wussten, dass dicke Cumulonimbuswolken und flache graue Nimbostratuswolken Regen brachten. Sie wussten außerdem, dass Opa Cirrus, mit seinem langen seidigen Haar, nach den weichen, fedrigen Cirruswolken benannt hatte.

„Wird es regnen, Opa?“, fragte Paul.

Sein Großvater nickte. „Ja, es kommen noch mehr Schauer. Euer Besuch hier ist ganz schön nass. Und das in den Sommerferien, zu schade.“

„Das macht uns nichts aus, Opa“, versicherte Ella. „Wir sind gerne hier bei dir und Cirrus, egal wie das Wetter ist.“

„Ja, wirklich“, stimmte Paul zu. Ella und er genossen ihre Ferien bei Opa jedes Mal, aber dieser Sommer war ganz besonders. Ihr Großvater wusste nicht, dass sie im Schrank unter der Treppe einen magischen Regenschirm gefunden hatten. Wenn sie mit ihm in den Regen traten, zauberte er sie mitten hinein in ein Abenteuer! An einem Tag hatte er sie zusammen mit ihren Freunden Nina und Ben nach Afrika gebracht. Und einmal waren Ella und Ben in die Vergangenheit gereist und hatten das welterste Auto gesehen. Paul hatte dieses Abenteuer verpasst, weil er mit Nina zu einem Tennisturnier gefahren war. Jetzt konnte er es kaum erwarten, dass es wieder regnete.

„Geht doch mit Cirrus nach nebenan und fragt Nina und Ben, ob sie mit Gassi gehen wollen“, schlug Opa vor.

Paul sprang auf. „Das ist eine gute Idee! Ich hole den Regenschirm.“ Er rannte in den Flur und ignorierte die farbenprächtigen Schirme, die in Reihen an den Wänden hingen. Er öffnete die Schranktür unter der Treppe und holte einen alten schwarzen Regenschirm heraus.

„Warum nimmst du nicht einen von den anderen?“, fragte Opa. „Der da ist ja ganz krumm.“

Paul schüttelte den Kopf. „Schon gut, Opa. Dieser ist perfekt.“

Sie zogen ihre Regenjacken und Gummistiefel an. Cirrus hatte auch einen Regenumhang. Er war gelb und passte sehr hübsch zu seinem braunweißen Fell.

Ella griff sich ihren Rucksack. Sie hatten Ersatzklamotten, Regenhosen und etwas Proviant eingepackt. Sie wussten nämlich nie, wohin der magische Regenschirm sie bringen würde, deshalb mussten sie vorbereitet sein.

„Tschüss, Opa!“, riefen die Geschwister und liefen über den Gartenweg. Mit einem glücklichen Wuff! rannte Cirrus zum Tor. Paul öffnete es und Cirrus stürmte über den Bürgersteig zum Nachbarhaus. Vor dem Tor wartete er darauf, dass Paul ihm öffnete.

Paul lachte. „Er weiß, wo wir hinwollen. Schlauer Cirrus!“

Sie klopften an die Tür des Ferienhauses der Familie Brown. „Kommt rein“, sagte Frau Brown. „Nina und Ben sind im Wohnzimmer. Ben geht es heute leider nicht besonders gut.“

Ben saß in eine Decke gekuschelt auf dem Sofa. Seine Nase war rot und seine Augen glasig. Auf dem Schoß hatte er ein Tablett mit einem Puzzle darauf. Nina lehnte sich über die Sofalehne und sah ihm über die Schulter.

„Hallo!“, grüßte Paul und Ben nieste kräftig. „Oh, Mann! Pass auf, dass du nicht vom Sofa fällst!“

Nina winkte Paul und Ella zu sich. „Ben ist am Forschen. Kommt ihm nicht in die Schusslinie und lieber her zu mir.“

„Was für ein seltsames Puzzle“, sagte Ella und sah auf das Tablett. „Die Teile sehen ja alle gleich aus! Was soll das für ein Bild sein? Ist das ein Teller mit Erbsen?“

„Das ist eins von meinen Fotos in Nahaufnahme“, krächzte Ben. „Papa hat es mir als Puzzle bestellt. Sarah hat es heute Morgen gebracht.“

„Ich mag Sarah“, sagte Ella. „Sie ist die netteste Postbotin der ganzen Welt!“

Nina nickte. „Sie meinte, dass man heute Regensachen anziehen sollte. Komisch, oder? Es regnet doch gar nicht.“

„Aber das wird es noch“, sagte Paul. „Opa hat es bestätigt.“

Ben stöhnte. „Das ist ungerecht.“

„Armer Ben“, meinte Nina. „Mit der Erkältung darfst du nicht raus in den Regen. Wir erzählen dir aber später alles.“

Ben wollte etwas sagen, aber er musste husten.

Ella klopfte ihm auf die Schulter. „Ärgere dich nicht“, sagte sie. „Darf ich das Puzzle nach dir machen? Deine Nahaufnahmen sind echt cool.“

Ben nickte. „Es sind fünfhundert Teile“, warnte er sie. „Das wird ewig dauern!“

Frau Brown kam ins Zimmer und wedelte mit einer Flasche. „Zeit für deine Medizin, Ben.“

Ben schnitt eine Grimasse. „Igitt!“

In diesem Moment trommelten die ersten Regentropfen gegen das Fenster. „Oje“, sagte Frau Brown. „Wir wollten heute ein Picknick machen.“

„Darf ich mit Paul und Ella rausgehen?“, fragte Nina. „Wir müssen uns vor Bens Bazillen retten!“

Frau Brown hob die Augenbrauen. „Wollt ihr wirklich hinaus in den Regen? Ben braucht aber tatsächlich etwas Ruhe … also gut, aber werdet nicht zu nass.“

Nina zog ihre Regenjacke und die Gummistiefel an. „Gehen wir!“

Ella machte Cirrus an der Leine fest und sie gingen hinaus in den Garten. Cirrus bellte aufgeregt.

„Was er wohl sagt?“, überlegte Nina.

„Vielleicht: ‚Ist schon Essenszeit?‘“, scherzte Ella. „Cirrus denkt immer nur an seinen Magen.“

„Das stimmt nicht“, meinte Paul. „Cirrus liebt Abenteuer auch. Ich wette, er weiß, dass wir zu einem besonderen Ort reisen!“

Sie stellten sich dicht nebeneinander und legten die Hände um den schlichten schwarzen Griff des Regenschirms. Paul spürte, dass Cirrus auf seinem Gummistiefel saß. Er tätschelte dem Hund den Kopf.

Ella holte tief Luft, dann öffnete sie den Regenschirm.

Paul hört Stimmen

Plitsch, platsch – wusch! Die Regentropfen verwandelten sich in eine Sturzflut. Paul konnte durch den Vorhang aus dichtem Regen nichts mehr erkennen. Es blitzte und ein Donnern folgte sogleich.