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Markus Hofer

GLAUBEN und das Leben GENIESSEN

LEBENSKUNST AUS DER BIBEL

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Die Bibelzitate stammen aus der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.

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Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“

2017

Für Józef Niewiadomski,
weil er nie Zeit fand,
dieses Büchlein zu schreiben

MENÜ

Zur Zeit der Mittagshitze

Sie schauten Gott und aßen und tranken

Wein erfreut des Menschen Herz

Wie schön bist du und wie reizend

Da war unser Mund voll Lachen

Mein Gott, warum hast du mich verlassen

Sie salbten die Schwachen unter ihnen

Besser ein lebender Hund als ein toter Löwe

Genieß das Leben alle Tage

Dem Herrn aber missfiel es

Deine Frommen sollen sich des Glückes freuen

Am siebenten Tage sollst du feiern

ZUR ZEIT DER MITTAGSHITZE

Zwölf Uhr mittags. So wirkt zumindest das Szenario. Ein älterer Mann sitzt vor seinem Zelt im Schatten. Er ruht sich aus. Die Mittagshitze ist so groß, dass man unmöglich arbeiten kann. Das Szenario erinnert an die alten Wildwestfilme. Die menschenleere Straße, hin und wieder läuft eine Katze über den Weg, sonst rührt sich gar nichts. Die Männer dösen vor ihren Hauseingängen, vielleicht knarzt ein Türschild in der Sonne oder tropft ein Wasserhahn in langen Abständen. Dann plötzlich, wie aus heiterem Himmel, reitet seelenruhig ein Cowboy in die Stadt. Er ist die Sensation des ansonsten gleichförmigen Tages, der von der Sonnenglut bestimmt ist. Es kommt Bewegung in die Szene. Der Fremde wird wahrgenommen, endlich ist etwas los. Die Frauen stehen hinter den Vorhängen und schauen, was da passiert. Die Männer schieben ihre Hüte hoch, um genau zu sehen, um wen es sich handelt.

So oder ähnlich muss es auch damals gewesen sein: Der Mann schläft vor dem Zelt, doch plötzlich tauchen drei Wanderer auf. Sie bleiben stehen, und wie es die Sitte gebietet, lädt der Mann sie zum Essen ein. Höflich wie er ist, spricht er zuerst nur von einer kleinen Stärkung, einem Bissen Brot. Doch dann bewegt sich die Szene. Wie man es von einer ordentlichen Familie erwarten kann, gibt es nicht nur Wasser und Brot. Die Frauen mahlen und backen, während Abraham, um den es hier geht, mit seinem Jungknecht ein prächtiges Kalb schlachtet. Draußen im Schatten unter dem Baum wartet er seinen drei Gästen ordentlich auf.

Alles ist so selbstverständlich, alltäglich, banal möchte man fast sagen. Doch es ist nicht eine biblische Geschichte neben vielen anderen. Es ist vielmehr eine zentrale Geschichte über die Offenbarung Gottes, denn mit dieser Geschichte um Abraham fängt die Heilsgeschichte an (Genesis 18). Offenbarung Gottes wird hier aber nicht geschildert in dramatischen Bildern, mit Blitz und Donner vom Himmel herab, oder wie man es sich sonst vorstellt. Sie wird vielmehr beschrieben in den alltäglichsten Formen: der vorüberziehende Wanderer, der Mensch, der neben mir lebt, der mit mir lebt, mit mir das Leben teilt. Die Offenbarung Gottes wird beschrieben als etwas, was sich an jedem Ort zu jeder Zeit ereignen kann.

Nun könnte man einwenden: Gut, die Kulissen sind alltäglich, aber Abraham war doch ein besonders frommer Mann. Gegenfrage: Hatte er sich etwa auf diese Offenbarung vorbereitet? Lag er tief im Gebet versunken, hatte er Weihrauch aufgelegt? Las er gerade das neueste Erbauungsbüchlein oder besuchte er die Exerzitien in seiner Pfarre? War er wenigstens vorher beichten? Nein, nichts von alledem. Er tat, was er jeden Tag um diese Zeit tat. Er lag vor dem Eingang seines Zeltes und döste in der Mittagshitze vor sich hin. Er war nicht mehr oder weniger würdig für diesen Besuch, als er es jeden Tag war. Gott kam trotzdem zu ihm.

Gott erscheint mitten im Alltag. Er braucht dazu keine Pauken und Trompeten, kein Getöse und keine Voranmeldung. Selbstverständlich gibt es in den alttestamentlichen Geschichten auch opulentere Choreografien. Bei Moses brannte immerhin der Dornbusch und was er auf dem Sinai erlebte, lässt sich mit Sprache kaum beschreiben; ja noch den Apostel Paulus warf es regelrecht vom Ross. Doch es ist wichtig, dass Gott dem Abraham zunächst in einer völlig alltäglichen Szenerie erscheint, beim Dösen im Schatten während der Mittagshitze. Es ist wichtig, weil unsere Frömmigkeitstradition den Alltag gern banalisiert hat. Dort zählen nur der Weihrauch und die Rosenkränze, aber doch nicht der Alltag. Dieser gehört zu den notwendigen Übeln der menschlichen Existenz, während sich Religion vorwiegend in den Gebeten und Gottesdiensten abspielt. Kommt noch der moralisierende Zug hinzu, dann wird der Alltag zur steinigen Bewährungsprobe, die uns Gott schickt, damit wir uns das Jenseits verdienen können. Da heißt die Alternative dann schnell einmal: fromm oder lebenslustig!

Vielleicht fehlt es uns heute an einer lebbaren Alltagsspiritualität, die den Alltag nicht banalisiert, sondern zeigen kann, wie im alltäglichen Zusammenleben der Segen Gottes wirksam ist, wie wir seine Spuren finden können, auch wenn wir nicht gerade zum Gottesdienst gehen, sondern eher wie Abraham im Schatten dösen. Endzeitliche Wanderprediger können die Welt verändern, aber sie sind nicht unbedingt zuständig für Alltagsspiritualität. Wir sind auch nicht mehr an dem Punkt, an dem wir gegürtet und gerüstet unter dem Türpfosten stehen und auf das unmittelbare Kommen des Herrn warten. Und wir können auch nicht alle ins Kloster gehen. Wir leben vielmehr in einer bürgerlichen Welt, die oft genug alltäglich und banal ist, mit kleineren und größeren Freuden genauso wie mit Nöten und Zwängen. In konkret diesem Alltag stellt sich aber die Frage, was er mit unserem Glauben zu tun hat und ob es eine Spiritualität gibt, die gerade den vermeintlichen Banalitäten des Lebens einen Sinn geben und unser alltägliches Zusammenleben würdigen kann.

Gott erscheint mitten im Alltag und biblisch gesehen ist das sehr wesentlich. Natürlich hatten die drei Wanderer, die den alten Abraham aus seiner Mittagsruhe aufgeschreckt hatten, ihm etwas mitzuteilen. Doch Gottes Erscheinen geschieht nicht nur wegen der großen Botschaften, sondern zuerst einmal, damit sein Segen dabei ist. Hier liegt zunächst der Grund, warum Gott zu den Menschen kommt – nicht damit er sie rügt und belehrt. Die zehn Gebote, so wichtig sie sind, sie kommen erst etwas später. Zunächst kommt er zu den Menschen, die er nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat, damit es ihnen gut geht; auch oder gerade weil sie in selbst verschuldeter Weise nicht mehr im Paradies leben. Der Segen Gottes steht mit dem alltäglichen Leben in Verbindung. Er hat etwas mit dem konkreten Wohlergehen des Menschen auf Erden zu tun, mit seiner Gesundheit, seinem Glück. Für die Bibel ist das nichts Abstraktes und spielt sich schon gar nicht im Tempel ab. Gottes Segen steht vielmehr in Verbindung mit den primären Bedürfnissen von uns Menschen, mit Essen und Trinken, mit Gesundheit, mit Geborgenheit und mit Lebenslust.

Das ist der biblische und eigentlich allumfassende Zugang zum Glauben. Es geht um eine Einstellung zum Leben, die Gott nicht als Konkurrenten sieht, sondern als einen, der in allen menschlichen Lebensformen mit dabei ist, um uns mit seinem Segen zu begleiten. Welche Lebensformen sind das? Miteinander essen, miteinander trinken, arbeiten, schlafen, Freude an der Welt haben, an sich selbst und am Miteinander, Freude an der Sexualität. Auch die Erotik, diese Quelle tiefer menschlicher Erfahrung, ist in den biblischen Geschichten nicht ausgespart – zum Ärger mancher Moralisten.

Den Moralisten wäre schon das Motto „fromm und lebenslustig“ suspekt; wobei das vermutlich mehr über die Phantasie der Moralisten verrät, die beim Wort „Lebenslust“ nur an Unanständiges denken können. Nicht selten war mit dem Glauben eine Haltung verbunden, die die Freude am Leben ausschließt und zur Weltflucht aufruft. Das Leben wird dann zum legendären Jammertal, zum Tal der Tränen, bis uns dereinst im Jenseits ein Leben erwartet, das allein zu leben wert ist. Alles, was uns hier schon Freude machen könnte, wurde von Gott nur geschaffen, um uns zu prüfen und zu läutern. Man freut sich auf das Jenseits, weil es die einzige Erlösung aus diesem Jammertal ist. Der biblische Mensch hingegen darf sich auch auf das Jenseits und die Erlösung freuen, aber nicht weil im Leben selbst kein Segen wäre, sondern viel mehr, weil wir in den kleinen Freuden des Lebens bereits einen Vorgeschmack auf das Jenseits bekommen, weil wir zumindest ahnen können, wie wunderbar der Himmel schmecken wird. Der Geriatrieprofessor Christoph Hürny hat es einmal anders herum formuliert: „Wenn man nicht gelebt hat, macht das Sterben auch keinen Spaß.“

„Früher war alles Sünde, was schön und angenehm gewesen wäre“, erzählte mir ein älterer Mann. Nicht wenigen Zeitgenossen hat dieser moralistische Zugang zur Religion das Leben versauert und nicht wenige fanden zu einer positiven Lebenseinstellung erst durch den Abschied von der Religion. „Fromm oder lebenslustig“ ist die falsche Alternative und schon gar nicht die biblische Perspektive. Die biblische Perspektive ist: Ihr sollt ein Leben in Fülle haben! Und nirgends steht, dass das erst im Jenseits anfangen darf. Stattdessen gilt Gott sogar als der große Liebhaber des Lebens (Weisheit 11,26).

Angesichts dieser Perspektive darf man sich fragen, ob die besonders Frommen eigentlich wirklich so fromm sind. Glaubt der Mensch, der allein durch seine Gebete die Welt retten will, überhaupt noch an Gott? Trauen solche Menschen Gott überhaupt noch etwas zu oder trauen sie nur noch ihren Gebeten? Oder ist Gott nicht schon längst der, der sich beleidigt zurückgezogen hat und nun von uns irgendwie weichgebetet werden muss? Dann aber ist er nicht mehr der biblische Gott, der sich einmischt, damit sein Segen dabei ist und unser Leben Geschmack hat.

Abraham döste vor seinem Zelt, als ihm Gott mitten im Alltag erschien. In den biblischen Geschichten ist dieser vermeintlich banale Alltag nicht vom religiösen Geschehen unterschieden. Die Geschichte vom Bundesschluss (Exodus 24) ist wohl die außergewöhnlichste Schilderung einer unmittelbaren Gottesbegegnung. Hier erscheint Gott nicht im Alltag des Moses, sondern zusammen mit Aaron und den siebzig Ältesten wird er zu ihm hinauf gebeten, hinauf auf den Berg Sinai. Dort oben sahen sie den Gott Israels, in der alttestamentlichen Logik etwas vom Schrecklichsten, das man sich vorstellen konnte. Niemand war sich sicher, ob man den direkten Anblick Gottes überhaupt ertragen könne. Der Boden unter seinen Füßen war wie aus Saphir und glänzte wie der Himmel selbst. Wider ihre Erwartung streckte Gott nicht die Hand gegen sie aus, sondern sie durften Gott schauen! Und was taten sie dann? Warfen sie sich nieder, verhüllten sie ihr Angesicht und murmelten sie Gebete? Nein, nichts von alledem: Sie schauten Gott und aßen und tranken!

SIE SCHAUTEN GOTT UND ASSEN UND TRANKEN