Ein Septembertag in Leer

Ostfrieslandkrimi

Ele Wolff


ISBN: 978-3-95573-437-4
1. Auflage 2016, Bremen (Germany)
Klarant Verlag. © 2016 Klarant GmbH, 28355 Bremen, www.klarant.de

Titelbild: Unter Verwendung eines Bildes von shutterstock.

Sämtliche Figuren, Firmen und Ereignisse dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Inhalt

1. Kapitel

»Auch ein langer Weg beginnt mit dem ersten Schritt.«

Diese Weisheit meiner Großmutter Schnabelhauser ging mir seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf. Das erste Mal hatte ich den Spruch gehört, als ich mit verzweifelter Miene vor meinem neuen Kinderfahrrad stand. In kindlicher Verzweiflung hatte ich gerufen: »Ich kann das nicht.«

Worauf meine Großmutter mich sanft auf den Sattel schob, mit der Hand meinen Rücken stützte und mit der anderen Hand meinen Lenker umklammerte. »Du musst nur den ersten Schritt tun, mein Kind«, sagte sie mit vertrauter Stimme. »Der Rest kommt schon von alleine.«

Mit leicht angewinkelten Armen, auf meinen linken Ellenbogen gestützt, betrachtete ich meinen Ehemann. Enno hatte die Lippen im Schlaf leicht gekräuselt. Er stieß bei jedem Atemzug ein leicht pfeifendes Geräusch aus. Es war früh am Morgen. Die Welt war noch nicht in den tosenden, lauten Modus des Alltags eingetaucht.

War es wirklich so, dass man nur den ersten Schritt tun musste, um an sein Ziel zu gelangen? Ich hatte da so meine Zweifel.

Langsam legte ich mich wieder auf mein Kissen zurück. Wo waren nur die Jahre geblieben? Enno hatte bereits sein vierzigjähriges Berufsjubiläum als Werbefotograf hinter sich. Ich arbeitete schon seit ein paar Jahren als Köchin in einem Hotel.

Meine Lider wurden schwer. Ich ließ es einfach zu, dass meine Augen zufielen. Die Dunkelheit tat mir gut. Sie umgab mich wie ein Schutzschild. Die Welt da draußen war hinter der dünnen Haut meiner Augenlider ausgesperrt. Ganz bewusst atmete ich tief ein und mit einem leichten Pusten wieder aus. Meine Rippen dehnten sich, mein Herz bekam Platz. Ich konnte wieder frei atmen.

Wann waren die dunklen Jahre etwas heller geworden? Konnte ich einen bestimmten Tag nennen, an dem mein seelisches Gleichgewicht nicht mehr bei jeder Unwegsamkeit sofort aus dem Takt geriet?

Lange und oft hatte ich schon darüber nachgedacht. Es war wohl der Augenblick, in dem ich die wunderbare Welt des Kochens wiederentdeckt hatte.

Ich hätte mich gleich zur Köchin ausbilden lassen sollen, überlegte ich. Den Umweg über die trockene Arbeit bei einem Rechtsanwalt empfand ich jetzt als überflüssig. Aber alles hatte seine Zeit. Das hatte ich schmerzlich erfahren.

Der Moment, in dem ich das erste Mal eine Restaurantküche betreten hatte, bescherte mir einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft. Die Leidenschaft, die Kreativität, die man durchaus auch beim Kochen benötigte, erfüllte mich. Der Geruch der frischen Lebensmittel. Das Knistern eines frischen Salates. Der Geruch der Gewürze. Es faszinierte mich, wenn aus einer schmutzigen, harten Sellerieknolle vom Markt am Ende ein wohlschmeckender Salat oder ein leckeres Gemüse entstand. Nie hatte ich mit jemandem über dieses intensive Gefühl gesprochen, denn das würde sicher niemand verstehen. Das Leben fühlte sich für mich wieder so wahrhaftig an. Ich glaubte jedoch nicht, dass jemand das nachvollziehen könnte.

Enno hatte meine Kochkünste schon immer geschätzt. »Das liegt dir im Blut. Besonders die Süßspeisen. Aber kein Wunder. Bei euch Österreichern ist die Kunst der Zubereitung von Mehlspeisen mit in die DNA einprogrammiert.« Dabei hatte er schelmisch gelacht und sich über den frischen Palatschinken hergemacht.

Enno hatte sich zur Seite gedreht. Sein Atem war jetzt nicht mehr zu hören. Langsam schob ich mich aus dem Bett und schlich die knarrende Holztreppe nach unten in die Küche.

Noch im Bademantel kochte ich mir eine Kanne Kaffee, holte die Tageszeitung aus dem Briefkasten und machte es mir auf meinem Ostfriesensofa in der Küche bequem. Ich liebte es, die druckfrischen, noch leicht aneinanderklebenden Seiten der Zeitung zu entfalten.

Diese morgendliche Stille hatte etwas Jungfräuliches. Es fühlte sich alles so frisch an. Der Tag war noch rein und sauber. Nichts Schlimmes war bisher geschehen, keine bösen Worte waren gesprochen worden. Früh am Morgen fühlte ich mich meist unbeschwert und leicht.

Nach einer Weile hörte ich Enno im ersten Stock herumlaufen. Hoffentlich schmeißt er nicht wieder seine Klamotten überallhin, dachte ich und sah zur Decke. Ich hasste Unordnung. Es war aber nicht so, dass ich pingelig war. Nein, ich hatte nur keine Lust, immer auf der Suche nach irgendwelchen Dingen zu sein. Bei mir musste alles seinen festen Platz haben. Das gab mir irgendwie Halt und das Gefühl von Beständigkeit.

»Moin.« Enno stand mit zerzaustem Haar in der Küche und sah mich fragend an. »Wieso bist du so früh wach?«

Ich zuckte nur mit den Schultern. »Ich konnte nicht mehr schlafen«, murmelte ich.

»Gibt es schon Kaffee?«

»Ja, schon fertig.« Ich deutete auf die Kaffeemaschine. Auch nach all den Jahren wunderte ich mich immer wieder, dass Enno, ein echter und eingefleischter Ostfriese, keinen Tee trank. Manche Menschen waren ja der Meinung, dass in den Adern der Ostfriesen Tee mit Kluntje statt Blut floss.

»Irgendwie bekomme ich Magendrücken davon«, hatte er mir mal erklärt.

Enno setzte sich an den Tisch. Ich reichte ihm den Sportteil der Ostfriesenzeitung.

Zuerst las ich immer die Todesanzeigen. In der Hoffnung, keine Annonce zu finden, in der der Tod eines Kindes angezeigt wurde. Wenn ich denn doch einmal solch eine Todesanzeige entdeckte, fiel ich in ein Loch. Eine große, schwere Faust rammte dann ungebremst in meinen Magen. Mir blieb die Luft weg. Der Tag verlief schleppend, er war grau und beschwerlich. Oft meldete ich mich an solchen Tagen krank. Es war mir dann unmöglich, unter Menschen zu gehen.

Enno hatte das nach einer Weile mitbekommen. »Was machst du da? Lies es doch einfach nicht. Es quält dich doch.« Hilflos sah Enno mich an. »Ich kann den Teil aus der Zeitung entfernen. Dann siehst du es nicht mehr.« Er wollte die Zeitung an sich nehmen.

»Nein«, hatte ich schnell geantwortet und seinen Arm festgehalten. »Nein, ich muss das lesen.«

Enno zog seine Hand zurück. »Aber, es ist doch ...«

»Enno«, unterbrach ich ihn. »Ein Kind ist tot und wird auch nicht wieder davon lebendig, wenn ich die Anzeige nicht lese.«

Ich wusste selbst, dass es totaler Unsinn war, was ich da von mir gab. Aber es war wie ein Zwang, zu kontrollieren, ob alles in Ordnung war. Wenn ich keine Todesanzeige eines Kindes oder jungen Menschen fand, war die Welt in Ordnung und ich konnte beruhigt den Tag beginnen. Enno hatte nur den Kopf geschüttelt und mich von da an gewähren lassen.

Nach einer ausgiebigen Dusche stand ich in ein Badetuch gewickelt vor meinem Badezimmerspiegel und betrachtete mein Gesicht. Langsam drehte ich meinen Kopf nach links, dann nach rechts. Ich versuchte zu ergründen, welche meiner Seitenansichten vorteilhafter für mich war. Skeptisch sah ich mein Spiegelbild an. Eigentlich war es egal, von welcher Seite man mich ablichten würde. Man sah aus jeder Blickrichtung, dass ich meinen fünfzigsten Geburtstag schon vor ein paar Jahren gefeiert hatte.

Bewegungslos blickte ich noch immer mein Spiegelbild an. Meine Gesichtshaut war rosig und ziemlich glatt. Das kam sicher von der vielen frischen Luft, die ich auf meinen täglichen Radtouren zur Arbeit einatmete.

Und dann meine Augen. Waren nicht die äußeren Augenwinkel zu sehr nach unten gerichtet? Das gab meinem Gesicht einen traurigen Ausdruck. Vielleicht war es ja auch so, dass ein Körper im Laufe der Zeit auch nach außen ausdrückte, was man im Inneren fühlte.

Ich hob den Kopf, strich leicht über meinen Hals, der mit kleinen Falten übersät war.

»Ist auch wurscht«, sagte ich laut und bürstete mein kastanienbraunes Haar. Darauf war ich stolz. Mein Vater hatte, bis er starb, immer noch sein volles dunkles Haar gehabt.

Ich sah auf die Uhr. Himmel, schon so spät. Jetzt musste ich mich aber sputen. Um zehn Uhr hatte der Personalchef des Hotels Fürstenhof einen Fototermin festgesetzt. Zur Erstellung des neuen Hotelprospektes benötigte man auch ein Foto der Köchin Caroline ter Hark. Das Hotel warb unter anderem mit österreichischen Köstlichkeiten, die ich aus meiner Heimatstadt Rossatz an der Donau mitgebracht hatte.

Erst hatte ich gedacht, man wollte mich veräppeln. Mein Chef Bernhard Fürst war mit der Bitte an mich herangetreten, doch kulinarische Spezialitäten aus meiner Heimat zu fertigen. Diese könne man dann auch auf die Speisekarte setzen.

Eine Weile hatte ich mich geziert. Es war doch absurd, dass in einem Hotelrestaurant in Ostfriesland mit all seinen regionalen Spezialitäten zusätzlich österreichische Kost auf der Speisekarte stehen sollte.

Bernhard Fürst ließ sich nicht davon abbringen. Schließlich müsse er als Geschäftsmann, trotz der Liebe zu seiner Heimat Ostfriesland, weltoffen sein und sich nicht nur regional betätigen.

Daraufhin hatte ich ein Rezept meiner Großmutter Schnabelhauser für einen Apfelstrudel ausgegraben. Anschließend versah ich das Ganze mit dem geschichtlichen Hintergrund, dass schon Kaiserin Sissy diesen Apfelstrudel zu ihren Leibspeisen gezählt hatte. An das Rezept sei meine Großmutter nur gekommen, weil ein Vorfahre mütterlicherseits einst am Kaiserhof gedient habe. Dass es eigentlich nur ein Rezept von Oma Schnabelhauser aus der Wachau war, ließ ich selbstverständlich unerwähnt.

Herr Fürst war total begeistert und verfügte, dass man den Strudel unter dem Namen Sissys Apfelstrudel auf die Speisekarte setzen solle. Er liebte alles Vornehme und Adlige. Außerdem wurde ich gebeten, noch mehr von diesen österreichischen Köstlichkeiten zu kreieren. Damit würde die Speisekarte des Fürstenhofs neben Matjes und Grünkohl auch internationale Gerichte aufweisen. Dies würde das Hotel noch weltoffener erscheinen lassen.

Ich zog meinen Anorak an. Nach einem Blick zum Himmel beschloss ich, nicht ohne Regencape aus dem Haus zu gehen. Ich war zwar der Meinung, dass ich darin bescheuert aussah, aber das war jetzt egal. Schließlich wollte ich meine Frisur im Hinblick auf den Fototermin nicht ruinieren.

Eilig verließ ich unser Haus in einer ruhigen Wohnstraße in der Oststadt von Leer, holte mein Hollandrad aus dem Schuppen und verstaute meine Tasche in einer der Satteltaschen. Es fing leicht an zu regnen.

»Das hat mir grade noch gefehlt«, murmelte ich ärgerlich und schob das Fahrrad von der Auffahrt auf die Straße.

Mit kräftigen Pedaltritten fuhr ich Richtung Bahnhof und näherte mich dem Hotel Fürstenhof in der Altstadt von Leer.

 

Caroline

Die Scheiben des roten Fiestas waren innen und außen mit einer dicken Eisschicht bedeckt.

Mit kräftigen kreisenden Bewegungen versuchte Caroline, ein Sichtfenster in die Frontscheiben zu kratzen.

»Mama«, quengelte Kyra auf dem Rücksitz. »Mir ist kalt.«

»Gleich, meine Süße, gleich wird es warm.« Caroline drehte den Temperaturregler der Heizung auf höchste Stufe. »Wir fahren gleich los, Kyra.«

Es war schon fast halb neun. Caroline wurde nervös. Sie wollte nicht schon wieder zu spät kommen. Ihr Chef sagte zwar kein Wort, aber er zog missbilligend die Augenbrauen nach oben. Obwohl Caroline ein sehr gewissenhafter Mensch war, hatte sie Mühe, dem morgendlichen Chaos Herr zu werden. Enno, der seine Schlüssel und Geldbörse suchte, Kyra, die darauf bestand, das dünne lila Sommerkleid anzuziehen, obwohl draußen schon die Blätter von den Bäumen fielen und es schon frostig wurde. Mit mütterlicher Geduld versuchte sie, ihre Tochter davon zu überzeugen, dass sich der Mensch entsprechend der Jahreszeit kleiden müsste. Der Erfolg war gleich null und Kyra strampelte und tobte.

Ganz langsam verschwand das Eis von den Scheiben. Caroline konnte die zugeschneite Straße erkennen. Die Straßen des Hamburger Vorortes lagen wie ausgestorben da. Wahrscheinlich bin ich die Einzige, die bei diesem Wetter zur Arbeit fährt, vermutete sie und schob den Schalthebel in den ersten Gang. Langsam kroch das Auto auf dem feinen Pulverschnee die Straße entlang. Die Heizung verrichtete lautstark ihre Arbeit.

Die junge Frau bog auf die Hauptstraße ab. Ich muss mich auf den Verkehr konzentrieren, ermahnte sie sich selbst. Aber ihre Gedanken schweiften immer wieder ab. Was hatte Enno damit gemeint, als er ihr heute Morgen, er war schon fast aus der Tür, zugerufen hatte: »Ich muss dringend mit dir reden. Wir müssen eine Entscheidung treffen.«?

»Eine Entscheidung?«, hatte Caroline nervös erwidert. »Ich kann jetzt überhaupt nichts entscheiden. Ich muss los.«

»Wir reden in Ruhe heute Abend darüber«, hatte Enno gesagt und dann das Haus verlassen.

Voll konzentriert steuerte Caroline das Auto durch die Stadt. Die vierjährige Kyra sang auf dem Rücksitz ein Lied von einem bunten Hasen.

Nach zwanzig Minuten hielt Caroline vor dem Kindergarten ihrer Tochter an. Sie stieg aus und öffnete die hintere Tür. »Komm, mein Schatz.« Sie beugte sich zu dem kleinen Mädchen herunter, löste den Gurt, hob sie vom Sitz und stellte sie auf den Gehsteig.

»Mama, heute kommt Lilli wieder.« Kyra hüpfte vor Freude auf einem Bein zur Tür des Kindergartens.

Caroline strich ihr sanft über den Kopf. »Ich weiß, meine Süße. Vielleicht kannst du sie zu deinem Geburtstag einladen?«

»Mal sehen«, rief Kyra ihrer Mutter zu und verschwand in ihrem Gruppenraum.

Wenig später hetzte Caroline durch einen langen Flur zu ihrem Büro, riss die Tür auf und warf ihren Mantel über den Garderobenständer.

»Da hast du aber Glück, dass der Alte nicht da ist.« Ihre Kollegin Greta saß hinter ihrem Schreibtisch. Sie blätterte gelangweilt in einem Versandhauskatalog.

Caroline setzte sich an ihren Schreibtisch, nahm den obersten Ordner von dem Stapel, der vor ihr lag, und schlug ihn auf. »Wo ist er denn überhaupt?«

»Wer?« Greta legte den Katalog in die Ablage, öffnete eine ihrer Schreibtischschubladen und zückte eine Packung Pralinen.

»Der Chef? Wieso ist er nicht da?« Caroline klappte den Ordner wieder zu.

»Grippe. Ihn hat ein Virus erwischt. Du, ich geh mal aufs Klo.«

»Ist gut.«

Kaum war Caroline alleine im Raum, stützte sie ihren Kopf in beide Hände und dachte an Enno. Sie fand seine Andeutung beunruhigend. Was sollten sie entscheiden? Die Familie ter Hark wohnte in einer geräumigen Wohnung am Hamburger Stadtrand. Beide hatten einen guten Job. Kyra war ein gesundes kleines Mädchen.

Caroline dachte mit Furcht an die Zeit ihrer Schwangerschaft zurück. Erst hatte sie wegen Blutungen ein paar Tage im Krankenhaus verbringen müssen. Ein paar Monate später bekam sie vorzeitige Wehen. Wochenlang hatte Caroline im Krankenhaus gelegen. Sie wollte auf keinen Fall, dass es zu einer vorzeitigen Geburt kam. Dafür wollte sie alles tun.

Etwa sechs Wochen vor dem Entbindungstermin bat der Chefarzt um ein Gespräch.

»Es ist so, dass Ihre Tochter wohl nicht bis zum regulären Ende der Schwangerschaft durchhält. Die Blutwerte sind schlecht. Wir sollten nichts riskieren.« Abwartend hatte der Arzt das Ehepaar ter Hark angesehen.

Enno und Caroline hatten natürlich einem sofortigen Kaiserschnitt zugestimmt. Das kleine Mädchen wog etwas über tausend Gramm. Wochenlang pendelte Caroline zwischen Klinik und zu Hause hin und her. Sie war jeden Tag dankbar, dass Kyra sich so gut entwickelt hatte.

»Caroline?«

Jemand fasste sie an den Schultern.

Sie sah erschrocken auf. Vor ihr stand Greta und hielt ihr die Pralinenpackung hin. »Du träumst wohl am helllichten Tag.«

Den Rest des Tages arbeitete Caroline konzentriert. Die aufkeimenden Gedanken um Ennos Worte drängte sie beiseite. Pünktlich holte sie Kyra aus dem Kindergarten ab.

Enno war unerwarteterweise schon zu Hause. Zwei Stunden früher als sonst. Diese Tatsache verstärkte Carolines unbehagliches Gefühl. Was würde jetzt auf sie zukommen?

Nach dem Abendessen, Kyra schlief schon fest, zog er seine Frau zum Sofa. »Setz dich bitte.«

»Du machst es aber spannend«, sagte sie und setzte sich auf die Sofakante.

Enno ging vor ihr auf und ab. »Also, wie fange ich an ...«

»Sag es einfach«, forderte ihn Caroline auf.

Er setzte sich neben seine Frau und nahm ihre Hände. »Du weißt ja, dass ich mich gerne selbstständig machen möchte«, begann er.

Caroline nickte.

»Ein Kollege von mir gibt seine Werbeagentur ab. Ich könnte da einsteigen.«

»Das hört sich doch gut an.«

»Ja, ich weiß, die Sache hat nur einen besonderen Umstand. Die Agentur ist nicht hier in Hamburg.«

»Und wo ist die Firma?«

»Wir müssten umziehen. Nach Ostfriesland, nach Leer.« Abwartend sah Enno Caroline an.

Ein leichtes Lächeln überzog ihr Gesicht. Sie war total erleichtert. Welche unheilvolle Meldung hatte sie denn erwartet? Sie hatte sich den ganzen Tag darüber den Kopf zerbrochen. Und jetzt diese Umzugspläne. Caroline wusste nur zu genau, dass Enno liebend gerne wieder in seine ostfriesische Heimat ziehen würde. Caroline war das egal. Sie würde überall leben können. Hauptsache, ihre Familie war bei ihr.

In der folgenden Nacht träumte Caroline von einem riesigen, mit dunklen Tannen bewachsenen Berg. Sie selbst stand am Fuße des Berges und spürte, wie sich der Berg immer mehr zu ihr hinunterneigte. Schweißgebadet wachte sie mitten in der Nacht auf. Alle Leichtigkeit, die sie noch am Abend verspürt hatte, war verflogen. Stattdessen fühlte sie ein wenig Furcht, vor dem, was vor ihr lag.