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Nr. 2910

 

Im Reich der Soprassiden

 

Es ist ein junger Sternenstaat – unter der Obhut des Gondunats

 

Uwe Anton

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Wir haben sie gerettet!

1. POTOOLEM

2. DAAIDEM

3. STAZZ

4. STAZZ

5. STAZZ

6. Aufzug zu den Sternen

7. Das Mordmal

8. Die Säule

9. Dundozo

10. Dundozo

11. Dundozo

12. Dundozo

Stellaris 58

Vorwort

»Der halbe Ozean« von Susan Schwartz

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Wir schreiben das Jahr 1551 NGZ, gut dreitausend Jahre vom 21. Jahrhundert alter Zeitrechnung entfernt. Nach großen Umwälzungen in der Milchstraße haben sich die Verhältnisse zwischen den unterschiedlichen Sternenreichen beruhigt; im Großen und Ganzen herrscht Frieden.

Vor allem die von Menschen bewohnten Planeten und Monde streben eine positive Zukunft an. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.

Trotz aller Spannungen, die nach wie vor bestehen: Perry Rhodans Vision, die Galaxis in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, scheint sich langsam zu verwirklichen. Man knüpft sogar vermehrt Kontakte zu anderen Galaxien. Gegenwärtig befindet sich Rhodan selbst im Goldenen Reich der Thoogondu, die ebenfalls eine Beziehung zur Milchstraße aufbauen wollen.

Die Thoogondu waren einst ein erwähltes Volk von ES, ehe die Superintelligenz sie aus der Milchstraße verbannte. Nun herrschen sie in der fernen Galaxis Sevcooris und freuen sich über ES' Verschwinden. Geheimnisse umgeben die Thoogondu, aber sie sind nicht fassbar. Perry Rhodan ist jedoch entschlossen, sie zu lüften. Nun befindet er sich IM REICH DER SOPRASSIDEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner besichtigt das Reich der Soprassiden.

Narashim – Der Gondu lädt Perry Rhodan ein, das Gondunat zu erkunden.

Ossprath – Ein junger Soprasside begeistert sich für das Gondunat und für Perry Rhodan.

Dean Tunbridge, Báron Danhuser und Penelope Assid – Der Terraner, der Oxtorner und die Halbterranerin begleiten Perry Rhodan als Einsatzteam.

Prolog

Wir haben sie gerettet!

 

Der Untergang hat eine ganz eigentümliche Faszination, nicht wahr? Eine fast schon perverse Anziehungskraft. Man kann sich kaum von ihr lösen, von den Bildern, die mit der Katastrophe einhergehen. Zumindest ich kann das nicht. Kannst du es, Perry Rhodan?

Lass mich dir solche Bilder zeigen. Schau dir zum Beispiel diese Welt an, Porass. Eine grüne Welt, vielleicht schon zu grün für deinen Geschmack. Wälder, wohin man sieht. Auf allen vier Kontinenten, früher jedenfalls. In Tropennähe dichte, grüne Urwälder, scheinbar undurchdringlich und geheimnisvoll, als warteten dort tausend Abenteuer darauf, erlebt zu werden. In den Polarregionen karge Nadelwälder, widerstandsfähige Bäume, die ihre Wurzeln trotzig in den zumeist gefrorenen Boden schlagen und allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz überleben. Und dazwischen üppige Mischwälder, eine unvorstellbare Vielfalt der Arten. Es gibt auf Porass so viele Bäume, dass der Sauerstoffgehalt der Luft dreiundvierzig Prozent beträgt.

Vielleicht sind die Einheimischen aus diesem Grund von Anfang an in den Untergrund gegangen. Dreiundvierzig Prozent sind sehr viel, Rhodan. Wir sind an einen Sauerstoffanteil von fünfundzwanzig bis dreißig Prozent gewöhnt. Und ihr Menschen, Rhodan?

Aber schau, das dort ist die heutige Hauptstadt von Porass, Lhezz. Die Architektur ist ungewöhnlich, nicht wahr? Trichterförmige Vertiefungen im Boden, zwischen fünf und dreihundert Meter tief, bilden die Ansiedlungen. Aber sie sind nicht primitiv, alles andere als das. Nur ... anders.

Auf ihre Art sind sie sogar richtig kunstvoll angelegt. Von den Seiten führen Gänge zu Kammern im Planeteninneren, bilden ein verzweigtes Netz unter der Planetenoberfläche, in dem jeder Fremde sich ohne Führer oder technische Hilfsmittel hoffnungslos verirren würde.

Sieh sie dir an, die Soprassiden. Sie sind ein wenig wie wir, aber auch ganz anders. Schon vom Aussehen her und von der Denkweise erst recht. Versucht ihr Terraner auch immer, Fremdes mit Bekanntem zu vergleichen? Öffnet ihr die Schubladen in euerm Gehirn und sagt, die Harkori vom Planeten Dempel, so exotisch und fremdartig sie sein mögen, sähen aus wie eine Mischung aus Deukelen und Stirieten?

Nun ja, wenn ihr sie so betrachten wollt, sind die Soprassiden wohl etwas wie eine Mischung aus Humanoiden und Arachniden. Lass dich von den Aufnahmen nicht täuschen, Rhodan, sie werden nicht besonders groß, höchstens einen Meter und vierzig. Und sie sind leichtgewichtig, bringen kaum etwas auf die Waage, trotz ihrer vier Beine und der vier aus dem Oberkörper wachsenden Arme. Schau genau hin, dann siehst du, dass Arme wie Beine je zwei Ellenbogen oder Kniegelenke haben. Ja, du täuschst dich nicht, der Hauptleib hat ein Außenskelett, einen Panzer wie bei Arachniden, nicht aber die Arme und Beine. Eine weitere kleine Gemeinsamkeit mit uns, wir verfügen ja auch über einen Knochenpanzer.

Und die beiden Doppelaugen in ihren runden Köpfen ... beeindruckend, nicht wahr? Wie sie in der Kopfkapsel aus schwarz schimmerndem Chitin funkeln!

Sie sind zweigeschlechtlich. Aber da fangen die eigentlichen Unterschiede zu uns schon an. Achtzig Prozent der Soprassiden sind männlich, zwanzig Prozent weiblich. Alle erwachsenen weiblichen Soprassiden sind gebär-, aber nur etwa die Hälfte der männlichen Soprassiden zeugungsfähig. Sie arbeiten nur wenig, nur in dem Maß, in dem sie es selbst wünschen.

Die andere Hälfte der männlichen Bevölkerung ist als Politiker oder Soldaten tätig, als Wissenschaftler oder Künstler und so weiter. Das sind die eigentlichen kulturellen Unterschiede zwischen euch, uns und den Soprassiden. Auf diese Weise leisten nach soprassidischer Auffassung alle Teile ihren wichtigen Beitrag zur Gesellschaft.

Unter uns gesagt, Rhodan, zeugungsunfähige Soprassiden sind weitsichtiger und klarsichtiger. Sie werden weniger von ihren Hormonen beherrscht. Aber zieh das nicht ins Lächerliche. Das heißt nicht, dass zeugungsfähige Soprassiden nur triebgesteuerte Idioten wären. Sie haben eben einen biologischen Vorteil und nutzen ihn für sich.

Sieh dir diesen Soprassiden dort an! Wie kräftig er ist, für einen seines Volkes! Wie flink und agil. Er heißt Kazuussa. Nein, er hieß Kazuussa. Das sind keine neuen Aufnahmen, Rhodan. Sie sind alt, uralt. Nun ja, so alt nun auch wieder nicht. Zeit ist relativ. Der Wanderer würde vielleicht glauben, die Bilder wären vor einem Lidschlag entstanden. Aber nicht wir, Rhodan, nicht wir, nicht du und ich.

Die Aufnahmen sind authentisch. Wir haben sie aus Aufzeichnungen rekonstruiert, die wir auf Porass gefunden haben, als Mahnung vor der Unvernunft und dem Schrecken, der aus ihr erwächst. Kazuussa hat wirklich gelebt, auf dem Kontinent Dundozo, und er war zeugungsfähig. Das war sein Antrieb, wäre es immer gewesen, nicht nur in dieser archaischen, dieser schrecklichen Zeit.

Die Natur hatte entschieden, dass er seine Gene weitergeben konnte, und das war sein Drang, sein Wunsch. Sich fortzupflanzen, wie das Schicksal es für ihn vorgesehen hatte. Oder der Zufall. Kennst du den Unterschied zwischen Schicksal und Zufall, Rhodan? Gibt es überhaupt einen?

Aber das steht hier nicht zur Debatte.

Es war eine Zeit des Krieges, in der Kazuussa lebte. Es herrschte nicht nur irgendwo Krieg, er war allgegenwärtig, überzog ganz Porass. Nicht etwa fremde Wesen griffen die Welt an. Oh nein, das Volk bekriegte sich untereinander. Eine derartige Phase machen viele Spezies bei ihrer Entwicklung durch. Der Konflikt ist Teil der frühen Evolution. Eine Spezies kann nur überleben, wenn sie das vermeintliche Recht des Stärkeren aufgibt, den Schwächeren zu töten. Sonst wird sie sich früher oder später selbst vernichten.

Vielleicht habt ihr diese schwierige Zeit ebenfalls durchgestanden, Rhodan. Vielleicht standen auch die Terraner einmal an der Schwelle zur Selbstvernichtung.

Es war eine traurige, eine entsetzliche Zeit. So viele Soprassiden starben ... Die Waffen, die sie für ihre Kriege einsetzten, wurden immer vernichtungsstärker, die Konflikte schaukelten sich immer höher auf. Schließlich entwickelten die Soprassiden Atomwaffen. Sie standen nun an jener Schwelle, die über Überleben oder Untergang einer ganzen Welt bestimmt.

Sie wählten den Untergang. Sie trugen ihre Konflikte bis zum bitteren Ende aus. Schließlich wählte die eine Seite einen der Kontinente der anderen Seite aus, Dundozo, um ein Zeichen zu setzen, das den Gegner in die Knie zwingen sollte. Sie führte einen atomaren Schlag.

Die Bomben explodierten, das Land verstrahlte, die Toten konnte niemand mehr zählen. Kazuussa hatte Glück im Unglück.

Das dachte er anfangs zumindest. Aber er hatte sich getäuscht.

Er überlebte, sah nur in der Ferne das grelle Licht.

Wie sollte er diesen Lichtblitz je vergessen? Von einem Augenblick zum anderen verloren hunderttausend Soprassiden das Leben. Die Schreie der Sterbenden drangen durch den gelben Rauch, der sich vor die Sonne legte. Städte verdampften in der Erde, Rohrbahnen loderten auf ihren Wegen auf wie Fackeln. Die Chitinpanzer der Überlebenden, die so weit von den Einschlägen entfernt waren, dass sie nicht augenblicklich starben, bröselten von den Körpern herab.

Sie stoben davon, die Überlebenden, rutschten aus auf dem, was einst gelebt hatte, auf aufgebrochenen Körpern, die ihr Inneres verstreuten. Unter dem sengenden Licht, das sich in der Abenddämmerung erhob, brachen Gebäude ein wie Kartenhäuser und begruben Eltern und Nachkommen, Geschwister und Fortpflanzungspartner unter den Trümmern.

Dann wurde es still. Nur das Summen von Insekten erklang über dem verbrannten Fleisch, bis es nach und nach ebenfalls erstarb und sich nichts mehr rührte. Wie sollte Kazuussa je diese Stille vergessen können, und den Gestank, der sich über die Städte und das Land legte?

Kazuussa überlebte, vorerst. Er taumelte auf seinen vier Beinen vorbei an den Sterbenden, hörte ihr Flehen, das aus ihren Augenhöhlen in seinen Kopf und seine Seele drang. Er kroch weiter, bis der gelbe Rauch sich wieder hob und die Sonne ihr Licht über ein Land schüttete, das sich verändert hatte, das nicht mehr grün war, sondern grau und braun und schwarz.

Irgendwann barg man ihn aus den Trümmern der aufgeworfenen Stadt, und er harrte noch eine Weile aus. Doch er war zeugungsunfähig geworden, und der Verlust seiner Fortpflanzungskraft brachte ihn ein Stück weit um, und die Schmerzen, die nicht aufhören wollten, ein weiteres Stück, und die Schwäche und die Strahlung und der Hunger und die Auszehrung ein weiteres. Doch letzten Endes starb er, weil er nicht vergessen konnte. Nicht den Lichtblitz, nicht die Schreie, nicht den Gestank. Den Tod.

Die Welt Porass aber überlebte, Rhodan. Vorerst. Die unterlegene Seite sann auf Rache, suchte nach neuen Mitteln und Wegen, die andere Seite auszulöschen, ohne die eigene Existenz aufs Spiel zu setzen.

Jemand hätte sie gefunden, davon bin ich überzeugt. Doch dann kamen wir, Perry Rhodan. Dann kamen wir, und wir haben diese Welt und diese Spezies gerettet!

1.

POTOOLEM

17. Oktober 1551 NGZ

 

Da saß er, Narashim, der Gondu, Begünstigter und Gefangener seines Throns. Genau wie ich ein Begünstigter meines Zellaktivators war. Vielleicht auch sein Gefangener? Zumindest in metaphorischer Hinsicht? Darüber hatte ich mir in letzter Zeit öfter den Kopf zerbrochen, als für mein Seelenheil gut war.

Die RAS TSCHUBAI hatte die Galaxis Sevcooris erreicht, die vom Goldenen Reich beherrscht wurde, und Narashim war der Herrscher über eben dieses Reich, das der Thoogondu. Er hatte uns voller herzlicher Freude begrüßt, hieß mich willkommen, weil ich angeblich eine ausschlaggebende Rolle dabei gespielt hätte, den Wanderer aus der Milchstraße zu vertreiben. Der Wanderer: So nannten die Thoogondu die Superintelligenz, die wir Terraner als ES kannten.

Es traf zwar zu, dass ES seine Mächtigkeitsballung hatte verlassen müssen, doch ich hatte dabei keine aktive Rolle gespielt, obwohl das der Gondu offenbar völlig anders sah. Es war auch nie meine Absicht gewesen, ES aus der Milchstraße zu vertreiben, ja, ich bedauerte sein Verschwinden sogar, weil ich es als gefährliche Entwicklung für uns Terraner betrachtete.

Doch der Gondu ignorierte meine Hinweise, ging einfach über sie hinweg. Ich hatte den Eindruck, dass er nicht hörte, was er nicht hören wollte.

Woher die Thoogondu ES überhaupt kannten? Das war auch eine der Überraschungen gewesen, die uns in Sevcooris erwartet hatten. Sie stammten aus der Milchstraße, hatten sie vor langer Zeit verlassen, weil sie bei dem Wanderer in Ungnade gefallen waren. Genauer gesagt war Canis Major ihre Heimat gewesen, 47.530 Lichtjahre vom Zentrum der Milchstraße entfernt, 25.000 Lichtjahre vom Solsystem: eine Zwerggalaxis mit etwa einer Milliarde Sterne. Von dort hatten sie sich in der Milchstraße ausgebreitet und eine Regentwelt etabliert. Irgendwann zogen sie sich völlig zurück und löschten ihre Spuren.

Die Thoogondu hatten das Erste Gondunat in der Milchstraße während des Interregnums zwischen dem Untergang der Lemurer und dem Aufstieg der Arkoniden gebildet. Möglicherweise waren andere, in dieser Zeit aktive raumfahrende Völker auf das Gondunat gestoßen. Vielleicht war sogar ein Haluter auf einer seiner Drangwäschen mit ihnen in Berührung gekommen, doch entweder wurden darüber keine Aufzeichnungen überliefert, oder sie waren schlicht bislang nicht registriert worden.

Als Abschiedsgeschenk hatte der Wanderer den Thoogondu das Pedgondit mit auf den Weg gegeben, aus dem diese unter anderem den Thron des Gondus gefertigt und mit einem gestohlenen Vitalenergie-Akkumulator bestückt hatten. Er verlängerte das Leben des Herrschers beträchtlich, allerdings um den Preis, dass er ihn nicht über einen längeren Zeitraum verlassen konnte. Das meinte ich damit, dass er nicht nur Begünstigter, sondern auch Gefangener seines Throns sei.

Ich hatte Respekt vor Narashim, nicht nur, weil er der Gondu war, ein fast allmächtiger Herrscher, sondern wegen seiner Persönlichkeit. Er wirkte alt, aber machtvoll, geradezu machterfüllt. Er repräsentierte das Goldene Reich nicht bloß, er verkörperte es. Er hatte die Ausstrahlung eines alt gewordenen John F. Kennedys, der mich als jungen Mann geprägt hatte, oder auch eines uralten alexandrinischen Herrschers, über die ich viel gelesen hatte.

Narashim hatte mich auf sein Flaggschiff eingeladen, die POTOOLEM, sein fliegendes Heim. Es war ein Pentasphärenraumer, wie die Thoogondu sie für den Flug innerhalb der Galaxis nutzen. Er bestand aus fünf an den abgeplatteten Polen zusammengekoppelten Kugelsegmenten unterschiedlicher Größe.

Bei der GARANT-Klasse, der größten der Pentasphärenraumer, zu der auch die POTOOLEM gehörte, durchmaß die Zentralkugel 1500 Meter, die beiden an den Polen aufgesetzten Kugelsegmente 2000 und die den Polen dieser beiden Segmente aufgesetzten Sphären immerhin noch 1000 Meter. Die Pentasphäre bestand aus Pedgondit; dabei handelte es sich um ein terkonitähnliches Metallplastik, das zwar grundlegend weiß, aber in diesem Fall mit einem perlmuttartigen Schimmer ergänzt worden war, von dem sich reichhaltige Ziermosaike in wechselnden Goldtönen fast dreidimensional abzuheben schienen.

Die POTOOLEM befand sich aktuell im Orbit um Taqondh, knapp 35.000 Lichtjahre vom Zentrum der Galaxis Sevcooris entfernt. Ich war nicht allein an Bord des fremden Schiffes. Meine Begleiter waren Angehörige eines Einsatzteams der RAS TSCHUBAI, Dean »Cashew« Tunbridge, Penelope Assid und Báron Danhuser. Penelope war während des Anschlags auf den Gondu am 11. Oktober verletzt worden.

Ich hatte den Gondu trotzdem gebeten, das Team an Bord holen zu dürfen, nachdem ich letztmals aus dem Schlaf erwacht war, in dem ich Narashims Erinnerungsgast gewesen war. Penelope war von den Medikern der Thoogondu erstklassig versorgt worden und litt nicht mehr unter etwaigen Folgen ihrer Verletzungen.

Ich hatte als Erinnerungsgast in der POTOOLEM einen Teil der Geschichte der Thoogondu und des Gondunats hautnah miterlebt, ihre Vergangenheit in der heimatlichen Milchstraße bis hin zu ihrem Exodus aus unserer Galaxis. Doch ich misstraute dem, was ich gesehen hatte. Zum einen waren die Thoogondu Meister darin, Erinnerungen zu manipulieren, wie einige Besatzungsmitglieder der RAS TSCHUBAI hatten erfahren müssen. Zum anderen ...

Nun ja. Es war eher ein Bauchgefühl. Ein Instinkt, der tief in meinem Inneren Alarm schlug. Ihre Geschichte kam mir einerseits zu glatt vor, zu geschliffen. Als wäre sie eigens für mich durchkomponiert worden.

Andererseits steckte sie voller ... nein, nicht unbedingt Widersprüchlichkeiten, aber zumindest Ungereimtheiten, die ich mir nicht erklären konnte. Ich spürte, sie lauerten irgendwo dicht unter der Oberfläche, wobei ich den Finger nicht auf sie legen konnte, sie nicht packen und schütteln, bis sie jeden Widerstand aufgaben und mit der Wahrheit herausrückten.

Diese Wahrheit, deren Existenz ich erahnte, musste ich unbedingt erfahren.

 

*

 

Da saß er also, der ehrwürdige Gondu Narashim, auf seinem Thron, den er längstens für 62 Stunden verlassen konnte ... und ich hockte auf meinem seltsamen, aber nicht unbequemen Sitzmöbel direkt vor dem in Blau, Grün und Weiß schillernden Gebilde, das den Gondus mittels eines Vitalenergie-Akkumulators Langlebigkeit verlieh.

Mir war nicht ganz wohl in meiner Haut. Narashim hatte mich mit überschwänglicher Begeisterung willkommen geheißen, mir bislang jeden Wunsch erfüllt. Er wollte etwas von mir, das war klar. Etwas, auf das die Sprache bislang nicht gekommen war. Ich fragte mich, was das sein mochte.

Wollten die Thoogondu nicht bloß ein Bündnis, wie sie angekündigt hatten, sondern höchstselbst in die Milchstraße zurückkehren? Und was würde das für die Menschheit bedeuten? Was für unsere Verbindung zu ES und für ES selbst, wo immer die Superintelligenz nun sein mochte? Oder waren sie hinter etwas her, das wir uns nicht auszumalen vermochten?

Es gab keine konkreten Hinweise, nur dieses vage Bauchgefühl.

Ich war der einzige Galaktiker an Bord des gondischen Flaggschiffs. Wie konnte ich so dumm gewesen sein, mich in solch eine Lage zu begeben? Ein Befehl des Gondus, und ich war tot.

Nun, der Köder war zu verlockend gewesen, hatte zu gut auf mich gepasst. Hauptsächlich hatte ich mich von der Aussicht treiben lassen, auf einen Schlag die Vergangenheit eines Volkes zu erfahren, dass einmal in der Milchstraße gelebt und von dem bis vor Kurzem niemand etwas gewusst hatte. Diese Enthüllung war mir einfach zu unglaubwürdig vorgekommen.

Die Neugierde, mit der ich in den letzten Jahrtausenden zwar durchaus zu hadern gelernt hatte, aber die mich dennoch immer wieder vorantrieb, konnte durchaus meinen Tod bedeuten.

Manchmal war, einem alten englischen Sprichwort zufolge, tatsächlich die Neugier der Katze Tod.

Ich sah mich verstohlen im Thronsaal um.

Mindestens vier Gäonen hielten sich im Raum auf, die Leibwächter des Gondus, die einem mir bislang unbekannten Volk – oder mehreren? – angehörten. Ich wusste nicht einmal mit Sicherheit, ob Gäonen ihr Amt bezeichnete, ihren Rang innerhalb des gondischen Militärs oder ihre Volkszugehörigkeit.

Was ich hatte beobachten können: Sie trugen Ganzkörperrüstungen aus weißem Pedgondit, mit goldenen Mosaiken verziert, die Gesichter dahinter verborgen. Nicht zuletzt dadurch kamen sie mir rätselhaft und verschlossen vor, und sogar die Thoogondu brachten ihnen gehörigen Respekt entgegen. Offenbar wusste kaum jemand etwas über die Gäonen, und Unwissenheit erzeugt oft Furcht und Antipathie.

Einer der Leibwächter setzte sich in Bewegung, näherte sich dem Thron. Ich gestand mir ein, dass er mich beeindruckte. Er verstand es, sich unsichtbar zu machen, wie eine irdische Hauskatze. Man wusste, sie war da, aber wenn sie es nicht wollte, sah man sie nicht.

Ich achtete genau auf ihn.

Er beugte sich zum Gondu hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Die Thoogondu waren humanoid und zweigeschlechtlich. Sie waren im Schnitt größer als Terraner, erreichten mitunter 2,20 Meter. Sie wirkten im Vergleich mit Menschen ziemlich fragil. Ich hatte bei Frauen und Männern noch keine signifikanten Größenunterschiede festgestellt.

Ich hatte genug von ihnen gesehen, um zu wissen, dass sie an Kopf und Rücken sowie auf den Außenseiten der Arme von der Stirn bis in Höhe des Beckengürtels von einem Knochenpanzer bedeckt waren, der aus überlappenden, in der groben Grundform sechseckigen daumennagelgroßen Platten bestand. In beweglichen Bereichen herrschten länglichere Platten vor. Thoogondu liefen meist etwas vornübergebeugt, sodass sie dem Himmel nur ihren Panzer zuwendeten.

Der Panzer wirkte auf mich zumeist grau und war dies bei den Männern sogar. Bei Frauen war der Panzer tatsächlich vielfarbig-bunt – allerdings nur in den Augen der Thoogondu, die verschiedene Bereiche des Infrarot als unterschiedliche Farben wahrnahmen.

Die Augen der Thoogondu waren groß und dunkel. Sie lagen tief in den Höhlen und konnten durch zwei Lider geschlossen werden: einer sich von der Nasenwurzel her horizontal nach außen schließenden Nickhaut und einem wie beim Menschen von oben nach unten schließenden normalen Lid.

Die Thoogondu waren unbehaart, ihre Haut weiß; die durchscheinenden blauen Adern musterten das Gesicht. Starke Gefühle führten bei den Herrschern von Sevcooris gelegentlich zu einem sichtbaren Anschwellen der Adern. Das war bei uns Menschen nicht anders.

Der Gäone richtete sich wieder auf.

Narashim hob zwei Daumen an. »Shoou!«

Ich wusste, das hieß eigentlich warm, wurde aber auch im Sinne von einleuchtend benutzt.

Der Gondu drehte sich mit einer fließenden Bewegung zu mir um, die der extremen Flexibilität seiner Wirbelsäule geschuldet war. Die Humanoiden konnten sich buchstäblich einrollen, beispielsweise beim Schlafen, im Falle einer hohen Strahlenbelastung oder in Abwehrstellung.

»Der Ghuogondu wird sich zu uns gesellen.« Narashim wirkte erfreut. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen, Rhodan.«

»Wieso sollte ich?« Es war eine rhetorische Frage gewesen.

Hätte ich etwas dagegen gehabt, hätte der Gondu meine Einwände freundlich, aber bestimmt für null und nichtig erklärt und versucht, mich eines Besseren zu belehren. Er war der Herrscher, ich der Gast.

Außerdem war der designierte Nachfolger des alten Herrschers eine interessante, fast schon faszinierende Persönlichkeit.

Die Thoogondu betrieben eine seltsame Nachfolgeregelung. Obwohl der Gondu mit über eintausend Erdenjahren sehr langlebig war und viele seiner Nachkommen überlebte, bestimmte er kurz nach seinem Amtsantritt bereits einen Nachfolger. Starb jener vor ihm, erhielt ein anderer dieses Amt übertragen. Damit sollte verhindert werden, dass es zum Beispiel bei einem plötzlichen Unfalltod des Gondus zu einem Erbfolgekrieg kam.

Hinter mir erklang ein lautes Geräusch. Ich drehte den Kopf, wenn auch mit einer im Vergleich mit den Thoogondu ungelenken Bewegung.

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Illustration: Swen Papenbrock

Puoshoor betrat den Thronsaal, der Ghuogondu, der Sohn und designierte Nachfolger des Gondus.