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© Verlag Friedrich Oetinger GmbH, Hamburg 2005

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Die Geschichten sind den bisher in den Reihen »Laterne, Laterne« und »Sonne, Mond und Sterne« erschienenen Büchern entnommen

Cover und farbige Illustrationen von Silke Brix

E-Book-Umsetzung: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin 2014

 

ISBN 978-3-86274-082-6

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Linnea
findet einen Waisenhund

Manche Kinder haben Glück.

Die haben ein Pferd oder einen Hund oder sonst irgendein gutes Tier.

Aber Linnea hat gar nichts. Sie hat nur Magnus, der ist schon sieben, und Anna, die ist fast elf. Aber so gut wie ein echtes Tier sind Geschwister natürlich nicht.

Mit Magnus kann Linnea wenigstens manchmal spielen.

So gut wie ein Hund ist er nicht, aber immer noch besser als der kleine Erdem aus dem vierten Stock, der immer gleich heult, wenn man ihn nur mal anstipst.

Und außerdem kann Magnus schon ganz alleine einkaufen gehen. Das kann Linnea nicht.

»Mar-ga-ri-ne«, sagt Magnus, »das steht da auf dem Zettel. Das hat Anna mir aufgeschrieben, und Butter-brot-papier. Das will sie auch.«

»Und Schokolade?«, fragt Linnea. »Steht das da auch, Magnus? Oder Gummitiere vielleicht?«

»Das steht da nicht«, sagt Magnus und schüttelt den Kopf. »Ich kann das ja lesen. Und jetzt geh ich rein. Wenn du mitwillst, kannst du ja kommen.«

Aber das will Linnea bestimmt nicht. Langweilige Margarine und Butterbrotpapier soll Magnus mal schön alleine kaufen.

Da vergnügt sich Linnea lieber vor der Tür. Und sie weiß auch schon genau, was sie macht.

Neben der Ladentür ist nämlich ein Haken, da binden die Leute immer ihre Hunde an. Jetzt ist da auch ein Hund, ein riesengroßer, dicker, der hechelt immer mit seiner Zunge und sieht so traurig aus und so allein.

»Na, Hund?«, sagt Linnea und setzt sich neben ihm auf den Weg. »Bist du ganz allein? Hast du gar keinen Menschen auf der ganzen Welt?«

Und da wackelt der Hund so doll mit dem Schwanz, dass Linnea weiß: Der Hund an der Tür ist wirklich ganz allein und hat auf sie gewartet und möchte ihr Hund sein.

Darum hakt sie ihn ab. Und da ist der Hund nicht mehr einsam und verlassen und leckt Linnea vor Freude über das Gesicht.

Und Linnea denkt, dass sie nun aber mal ein guter Mensch ist, wenn sie so einen traurigen Hund glücklich macht.

Aber dann kommt Magnus aus dem Laden und sagt, dass Linnea doch nicht so einfach einen fremden Hund klauen kann.

»Der gehört einem Menschen!«, sagt Magnus. »Das siehst du doch!«

Aber Linnea schüttelt den Kopf. »Das ist ein Waisenhund!«, schreit sie. »Siehst du doch, du Dummi!«

Und dann rennt sie nach Hause und der Waisenhund rennt auch wirklich ganz fröhlich hinter ihr her und wackelt mit dem Schwanz.

»Siehst du mal!«, sagt Linnea, als sie vor ihrer Haustür ankommen. »Wie doll der sich freut.«

Da kriegt Magnus ein ganz nachdenkliches Gesicht.

Und er sagt, es kann ja vielleicht manchmal einsame Hunde geben, die haben keinen Vater mehr und keine Mutter und auch kein Frauchen und kein Herrchen.

»Armer, kleiner Hund!«, sagt Magnus und guckt die Hundemarke an. »Jetzt hast du ja uns.«

»Dich hat der nicht!«, sagt Linnea. »Das ist mein Hund! Ich hab ihn schließlich gefunden!«

Aber dann denkt sie, dass es vielleicht mehr Spaß macht, wenn Magnus auch mitspielt.

»Wenn du nett bist, darfst du ihn halten«, sagt Linnea. »Und denken, dass es dein Hund ist. Aber nicht sagen.« Und sie gibt Magnus die Leine.

Und gerade als Magnus ein bisschen spazieren gehen will und denken, dass es sein Hund ist, kommt plötzlich Anna aus dem Haus.

»Was ist denn das für ein Hund?«, fragt Anna. »Wo habt ihr den denn her?«

Da macht Magnus ein ganz böses Gesicht. Und Linnea sagt, das ist ein Waisenhund, das kann Anna ja wohl sehen.

»Ein Waisenhund!«, schreit Linnea. »Und du willst doch wohl nicht, dass wir den verhungern lassen!«

»Piep, piep, piep!«, sagt Anna. »Es gibt keine Waisenhunde, du Dummi! Und außerdem hat der hier eine Hundemarke! Den hast du geklaut!«

Da leckt der Hund Linnea gerade wieder übers Gesicht und wedelt auch wieder so lieb mit dem Schwanz.

»Siehst du mal!«, schreit Linnea. »Wie lieb der mich hat!«

Aber Magnus muss natürlich wieder mal zu Anna halten. »Nee, komm, Linnea«, sagt er. »Wenn der Hund einem gehört, dann ist sein Mensch doch jetzt traurig! Wenn wir seinen Hund gestohlen haben.«

Da guckt Linnea ganz böse und sagt, und es ist wohl ein Waisenhund. Das wird Magnus schon sehen.

Aber dann geht sie doch mit Magnus und dem Hund zum Laden zurück, aber ganz langsam.

Und da steht wirklich eine alte Frau, die guckt ganz aufgeregt.

Und als der Hund die alte Frau sieht, ist er plötzlich gar kein Waisenhund mehr.

Er reißt sich los und rennt und rennt und dann springt er hoch und wirft die alte Frau beinahe um.

»Ach, Bonzo, du Böser!«, sagt da die Frau und streichelt dem Hund immerzu über den Kopf. »Hast du schon wieder deine Leine losgerissen! Das darfst du doch nicht!«