Buchcover

Robert Heymann

Ein Liebestraum.
Napoleon I.
Gräfin von Walewska

Historischer Roman

Mit 16 Abbildungen.

Saga

Vorwort.

Ich habe in meinem Leben zwei Frauen geliebt — sagte Napoleon auf St. Helena. Gemeint sind Josefine Beauharnais und Maria Walewska. Jene wurde seine Gattin im besten Sinne. Diese Geliebte in edelster Form. Die Geliebte war der Gattin überlegen, stärker als beide aber blieb die Staatsraison.

Sie bildet den Konflikt in einer Liebe, die ebenso menschlich wie genial war. Zwei Menschen verschiedener Rassen, Halbgott und Naturkind, jener mit dem Schwert des Königs Ahasver, diese die Epigonin uralten, konservativen Adels, begegnen sich im Trubel einer weltbewegenden Umwälzung. Aus dem Spiel wird Leidenschaft, die Intrigue der polnischen Gräfin wächst sich zu einer gewaltigen politischen Sinfonie aus, unter deren Wucht Europa erzittert: zu dem grossen Feldzug von 1812.

Der weisse Schrecken ist das Ende. Der Sturz des Imperators folgt. Und ferne dem felsigen Eiland im Weltmeer, wo der Kaiser hinwelkt, erlischt die seltsame Liebe der Frau, die selbst Napoleon gegenüber in ihrem Wesen Jungfrau blieb. Der Cäsar stirbt während eines wilden Orkans, die sanfte Heldin Polens sinkt still und friedlos in das Dunkel der Vergessenheit.

Sie ist ganz Romanfigur: mild, schwankend, jedem Konflikt seelisch ergeben. Napoleon, die erzene Augustusgestalt, unmodellierbar, Schicksale meisselnd.

Ich habe versucht, aus den Gestalten, Geschehnissen und Dissonanzen einen Roman zu formen. Ich habe alles vermieden, was durch Erfindung das klare historische Gemälde beirren könnte.

So hoffe ich, Napoleon und die Walewska so geschaffen zu haben, wie sie waren, durch die Vergangenheit verklärt, die beiden einstmals nicht genug Gerechtigkeit widerfahren liess.

Die in dem Buche enthaltenen Abbildungen sind dem im Verlage von Georg Müller in München erschienenen Werke: „Gertrude Kircheisen, Die Frauen um Napoleon“ entnommen.

Der Verfasser.

1.

Seit einer Stunde harrte die Elite des polnischen Adels auf Napoleon. Die hell erleuchteten Säle waren von den Trägern der berühmtesten Namen gefüllt. Der Grosskämmerer von Lithauen, von Posen zurückgekehrt, wo er dem französischen Kaiser die polnische Gesandtschaft vorgestellt hatte, stand in seinem goldstrotzenden und reichen Ornate da, umgeben von den Grosswürdenträgern Polens, um den Mann zu begrüssen, den ganz Warschau wie einen Halbgott verehrte. Erwartete man doch von ihm die Erfüllung des heissesten Wunsches Polens: Die Wiederaufrichtung des Königtums.

Die schönsten Frauen des zertrümmerten Reiches Lessczynskis gaben sich ein Stelldichein: Die ehemalige Gräfin Tyskiewicz, die jetzt als Gräfin Potocka durch ihren Gatten nicht geringen Einfluss in dem neugegründeten Grossherzogtum besass. Sie war eine Schönheit von ungewöhnlicher Pikanterie, in der sich die unverfälschte slavische Rasse kennzeichnete. Sie hatte Napoleon bereits bei seinem ersten Einzug in Warschau gesehen, vor vierzehn Tagen, ehe der russische Feldmarschall Kamenskoi den Kaiser zu den Schlachten bei Czarnowo, Nasielsk, Kursomb, Lobachizyn, Golymin und Pultusk herausgefordert und von ihm und seinen Marschällen geschlagen worden war.

Der unbeschreibliche Eindruck, den Napoleon auf den beweglichen Geist dieser jungen Gräfin gemacht hatte, kam in den Worten zum Ausdruck, die sie an Frau von Vauban richtete, dieselbe, welche eine Enkelin des grossen Vauban war, der 57 Jahre Soldat gewesen und in dieser Zeit an 53 Belagerungen und 140 Gefechten teilgenommen hatte:

„Ich befinde mich in einer unbegreiflichen Aufregung. Wenn der Kaiser nur endlich käme, dass diese Spannung schon vorüber wäre!“

Darauf Frau von Vauban, die nicht mehr ganz jung war, denn sie befand sich bereits unter dem enthaupteten Ludwig XVI. am Pariser Hof, mit einem leisen Lächeln, durch das versteckte Ironie schimmerte:

„Wer weiss! Wenn Sie den Kaiser erst näher kennen ..“

„Ich werde nie mein Urteil über ihn ändern! Man kann nur schwer verstehen, wie tief und unerwartet der Eindruck ist, den man von ihm empfängt. Ich erlebte eine Art Betäubung, eine wortlose Ueberraschung, ähnlich der, wie man sie empfinden mag, wenn man ein Wunder sieht. Es war mir, als schwebe ein Heiligenschein um sein Haupt. Der einzige Gedanke, den ich ausdenken konnte, als ich mich von meinem Erstaunen erholt hatte, war, dass ein solches Wesen unmöglich sterblich sein könnte, dass ein so mächtig organisierter Geist, ein so grosses Genie niemals aufhören könnte, zu sein. In meinem tiefsten Innern verlieh ich ihm eine doppelte Unsterblichkeit!“

Frau von Vauban war durch diesen spontanen Ausbruch der Begeisterung weniger überrascht, als es bei ihrer etwas skeptischen Natur zu erwarten war. Uebrigens stand sie selber kaum weniger als alle andern unter dem machtvollen Einfluss des Kaisers, der alle Herzen erbeben liess. War sie doch die nahe Freundin des Fürsten Poniatowski, der in unerschütterlicher Treue an Bonaparte hing. Er war es gewesen, der vor 13 Jahren unter Kosciuszko für die Freiheit Polens gekämpft und Warschau gegen die Preussen verteidigt hatte. Noch lebten in seiner Erinnerung die furchtbar blutigen Tage nach dem 5. November, wo Praga von den Russen unter Suwarow gestürmt und alle Bewohner niedergemetzelt worden waren. Jetzt, nachdem Napoleons Adler Preussen niedergerungen, hatte ihn die provisorische Regierung zum Kriegsminister ernannt.

Auch er erwartete in voller Gala den Kaiser, neben ihm der siebzigjährige, steife Graf Anastasius Colonna Walewicz-Walewski, dem seine reizende Gemahlin zu Hof gefolgt war.

Graf Potocki, der zwei Jahre für Polen in dem Schlüsselburger Staatsgefängnis hatte schmachten müssen, unterhielt sich mit dem Grafen Lassczinski, dem Bruder der Gräfin Walewska, über die Aussichten, welche Polen nach Zertrümmerung der preussischen Heere und der Niederlage der russischen Truppen hatte. Doch ausser diesen Trägern grosser Namen waren noch die bedeutendsten Helden der polnischen Geschichte seit den Kämpfen Polens gegen Russland zugegen. Die Begründer der polnischen Liga: Dombrowski, Held von Casabianca, und Wybicki, dessen Name seit dem berühmten Reichstag von 1768 für immer mit der Geschichte Polens verknüpft ist, beide Generäle Napoleons. General Kniaziewitz, der sich in der Schlacht bei Dubienka das Ritterkreuz erfochten und den Sieg bei Hohenlinden bewirkt hatte, war aus der Stille seines Landgutes nach Warschau geeilt, um dem Befreier Polens zu huldigen.

In dieser glänzenden Versammlung, zwischen den schönsten Frauen Polens, von denen Napoleon selbst nach Paris geschrieben hatte, sie seien alle Französinnen, fielen natürlich Gestalten wie der berühmte Davoust und Marschall Ney auf. Sie waren gekommen, die glänzende Suite ihres Kaisers zu vervollständigen. Jener war seit seinem berühmten Angriff gegen die Preussen im verflossenen Jahre Herzog von Auerstädt, dieser, der Sohn eines württembergischen Böttchermeisters, seit der Uebergabe Ulms Herzog von Elchingen. Soult war erst seit kurzem Marschall und hatte sich noch nicht die blutigen Lorbeeren von Corunna verdient. Davoust war der Held dieses Abends, denn er war es gewesen, der mit seinem tapferen Korps den Erbfeind Polens, die Russen, bei Czarnowo vor acht Tagen geworfen hatte. Sein Untergeneral Petit war nicht zugegen. Er hatte im Mondschein die russischen Redouten an der Brücke des Bug mit dem Bajonett gestürmt.

Aber die berühmten Marschälle und die Helden Polens, überstrahlte die Erscheinung eines Mannes, der zu den Grössten um Napoleon gehörte und in ziemlich ungenierter Weise den polnischen Edeldamen die Cour schnitt: Das war Murat, der damals in seinem 36. Jahre stand, Reichsmarschall, Prinz des französischen Reiches, Grossadmiral, Grossoffizier der Ehrenlegion und Oberstkommandeur der gesamten französischen Reiterei, die er bis jetzt zu unerhörten Siegen geführt hatte. Dieser ehemalige Kellner war einer der schönsten Männer seiner Zeit, ebenso eitel und prunksüchtig wie tapfer, wild und verwegen. Keine Polin, kein Pole, die selbst so viel auf Pferde halten, vergass den Anblick, den Murat bot, wenn er sich auf sein kostbares arabisches Ross schwang. Nun plauderte und charmierte er, der Draufgänger von Borghetto, Roveredo, Rivoli, St-Jean-d’Arce, Marengo, Wertingen, Austerlitz — ohne Ende waren die Namen der Ruhmeskette Murats, und wo immer mit Bewunderung der Name Napoleon genannt wurde, da fiel zu gleicher Zeit fast der seine.

Er trug einen schweren, amarantfarbenen Samtrock mit kostbarer Verbrämung, auf der Mütze lange hinwallende weisse Straussen und Gold und Edelsteine auf Dolman, Säbel und Wehrgehänge.

Diese buntfarbige, herrliche und machtvolle Versammlung war voll Heiterkeit. Man unterhielt sich, lachte, scherzte und knüpfte wichtige und leichtfertige Verbindungen an, ohne dass einen Augenblick die nervöse Spannung, in der sich alle befanden, nachgelassen hätte.

Da flogen die Türen auf, und Talleyrand, der allmächtige Minister Napoleons, rief mit Kraft und Feierlichkeit in den Ballsaal:

„Der Kaiser!“

Wie auf einen Zauberschlag verstummte jedes Gespräch. Atembeklemmendes Schweigen legte sich über alle, Männer und Frauen, und tausend Herzen schlugen höher.

Er trug die Paradeuniform seiner Garde. Einen Augenblick, als er stille stand, vernahm man in dem Lauschen, das ringsum war, das leise Klirren der kleinen Sporen an den glänzenden Reiterstiefeln des Kaisers.

Sein Blick flog über die Versammlung. Es war, als ob seine scharfen grauen Augen jeden einzelnen erblickten, und jeder hatte das Gefühl, als wollten sie auf dem Grunde seiner Seele die Gedanken lesen.

Endlich trat der Kaiser ein, und sogleich begann die Vorstellung der Damen und Herren vom polnischen Hochadel.

Er begnügte sich nicht mit ein paar nichtssagenden Worten. Er fragte die Gräfin Potocka, die vor Verwirrung kaum zu antworten wusste, nach ihrer Familie, ihrem Befinden, über verschiedenes aus ihrer Vergangenheit. Es zeigte sich, dass er, sei es nun durch ein ganz hervorragend ausgebildetes Nachrichten- und Spionagewesen, oder durch einen ungewöhnlichen Instinkt, alles wusste, über alles unterrichtet war.

Er grüsste seine Marschälle durch ein Lächeln, die Generäle der Legionen durch einige freundliche Worte, denen sie entnahmen, dass ihre Namen und ihre Taten klar wie an den Schlachttagen in sein Gedächtnis eingeschrieben waren.

Unter seinen Marschällen sah er den General Rapp stehen, der den linken Arm in der Binde trug. Er war bei Golymin verwundet worden.

Der General errötete vor Vergnügen, als der Kaiser den Blick auf ihn richtete. Denn es gab Niemanden, der Napoleon so treu und aufrichtig ergeben war, als er.

„Nun, Rapp? Schon wieder verwundet?“ fragte der Kaiser. „Und wieder an dem bösen Arm?“

„Sire, kein Wunder. Es ist die neunte Wunde, die ich an diesem bösen Arm erhalten habe, der dazu ausersehen zu sein scheint.“

„Warum kein Wunder, Rapp?“

„Sire, bei den ewigen Schlachten!“

„Ah! Ah!“ erwiderte der Kaiser und wandte sich zum Gehen. „Damit wird es wohl erst ein Ende haben, wenn wir beide achtzig Jahre alt sind.“

So kam er schliesslich auch zur Gräfin Walewska. Dem Gatten gönnte er ein paar Worte.

Bei der Gräfin blieb er einen Moment betroffen stehen. Vor sich sah er eine junge Frau von achtzehn Jahren, die einem eisgrauen Greis von siebzig angetraut war. Ueber ihrer Gestalt lag der unbeschreibliche Liebreiz der Jugend. Ihr Lächeln war bezaubernd, ihr Gesichtchen zeigte ein feines Oval, ihre Haare waren reich, blond, ins Rötliche spielend. Ueber den blauen, tiefen Augen lag ein Schleier der Wehmut. Sie trug keinen anderen Schmuck als einen Blütenkranz im Haar. Ein weisses Atlaskleid schmiegte sich an die mädchenhafte Gestalt.

Klar und ruhig sah sie dem Kaiser in die Augen. Auch sie konnte sich seinem übermächtigen Zauber nicht entziehen. Aber sie war weit von einer Begeisterung entfernt, die ihr die klare Selbstbestimmung hätte rauben können. Sie war zu jung für Empfindungen, wie sie die Gräfin Potocka ergriffen hatte, zu unerfahren, um Napoleon zu fürchten.

Er fragte sie nach ihrer Familie, zog ihren Bruder ins Gespräch und tanzte einen Contretanz mit ihr.

Dabei sagte er:

„Weisser Tüll auf Atlas wirkt nicht vorteilhaft, Frau Gräfin. Ich wünschte, Sie würden einer Schönheit wie der Ihren den ihr gebüh enden Rahmen verleihen.“

Auf diese echt napoleonische Huldigung erwiderte Maria Walewska, sie sei nicht hierhergekommen, um zu gefallen, sondern ihren Repräsentationspflichten zu genügen.

„Ich liebe das Gesellschaftsleben nicht, Majestät, und fühle mich am glücklichsten auf unserem Gute Walewice.“

Darauf Napoleon (vielleicht, um die Gräfin zu prüfen, vielleicht auch nur, um sie in Verlegenheit zu bringen, denn das bereitete ihm stets Vergnügen):

„Mit Ihrem Gatten?“

Diese Frage richtete eine solche Verwirrung in der Gräfin an, dass sie purpurrot wurde und nur etwas Unverständliches murmeln konnte.

Ihre reizende Verlegenheit wirkte noch mehr auf Napoleon als ihre Haltung. Er sah sofort, dass er keine von den Frauen vor sich hatte, die er auf den so beliebten Maskenbällen des Hofes in Paris mit Vorliebe erschreckte, indem er ihnen kleine Indiskretionen zuflüsterte, die ihm sein allmächtiger Polizeiminister Fouqué zugetragen oder die er von seinen Spionen direkt erfahren hatte. Auch zu jenen geistreichen Frauen zählte Maria Walewska nicht, die sich in die Politik mischten und Unfrieden säten. Sie war keine Madame Stael, der Napoleon auf die Frage, welche Frau nach seiner Meinung die beste und verehrungswürdigste sei, die Antwort gab: „Die, welche die meisten Kinder zur Welt bringt ...“

Maria Walewska wartete wohl mit heimlichem Beben auf den Augenblick, wo der grosse Korse das Gespräch auf die Politik bringen würde. Aber Napoleon vermied es, davon zu reden, und so ergriff die Gräfin die Gelegenheit, wo Napoleon einiges über die Verdienste des polnischen Adels sprach, um schnell einzufallen:

„Was haben alle die Opfer genützt, Majestät? Bei Dubienka fiel die Blüte der polnischen Nation, als Kosciuszko mit 4000 Mann und 8 Kanonen fünf Tage gegen 18000 Russen mit 40 Geschützen kämpfte. Hat Kosciuszko nicht selber, als er, mit Wunden bedeckt, bei Maciejowice vom Pferde sank und in die Hände der Russen fiel, „Finis Poloniae“ gerufen? Und jetzt?“

Napoleon hörte mit einem leisen Lächeln zu. Worüber die Gräfin sprach, redeten in diesen Tagen alle Polen. Es war das alte Lied, und der Kaiser merkte sofort, worauf sie hinauswollte.

„Euer Kosciuszko,“ erwiderte er, „ist ein griesgrämiger Herr geworden, der bei Fontainebleau Rüben baut und Kaninchen züchtet. Ich habe ihn mehrmals zur Mitarbeit heranziehen wollen, aber er war nie zu bewegen, in meine Dienste zu treten.“

„Gleichwohl erwartet ganz Polen von Ew. Majestät die Befreiung von seinen Feinden und die Wiedererweckung zu alter Herrlichkeit.“

Der Kaiser entgegnete nur:

„Sie lieben also Ihr Vaterland?“

„Mehr als alles Andere auf Erden.“

„Und Sie sehnen eine Befreiung Polens herbei?“

Ein feuriger Blick aus ihren Augen war die Antwort. Napoleon fuhr fort:

„Nun, ich glaube, man wird mit mir zufrieden sein. Ich habe Russland gezwungen, einen Landstrich auszuliefern, den das Reich des Zaren auf unredliche Weise an sich gerissen hat. Vertrauen Sie auf die Zeit.“

„Sire, die Zeit ist kostbar für Polen. Wir haben schon allzuviel Zeit verloren.“

Der Kaiser lächelte ein wenig über die Hitze und den Eifer dieser schönen jungen Patriotin und entgegnete:

„Ihre Patrioten haben die Zeit reichlich genützt, wie die Kämpfe der letzten Jahre beweisen.“

„Aber es ist wenig oder nichts erreicht worden.“

„Sie unterschätzen die gewonnenen Erfolge, Madame. Mit der Gewalt der Waffen lassen sich keine endgültigen Erfolge erzielen. Die Waffen sind nur die Unterstützung der Diplomatie. An einer solchen fehlt es aber den Polen. Man darf in der Politik den Bogen nicht überspannen. Sie haben unter den geistreichen und tapferen Männern, über welche Ihr Vaterland verfügt, sicherlich begabte Köpfe, die imstande wären, sich zu Politikern auszubilden. Es reicht nicht hin, Mut, Ehrgeiz und Vaterlandsliebe zu besitzen und sich für die Erde, die uns genährt hat, zu opfern. Man muss auch mit List, Schlauheit und gesunder Beurteilung der Schwäche des Feindes das festzuhalten wissen, was die Waffen errungen haben.“

„Werden Sie, Sire, etwas für Polen tun, damit unsere Männer lernen, diese Weisheit zu nützen?“

„Ich liebe Polen.“

Mit diesen ausweichenden Worten, die eigentlich wenig oder nichts besagten, führte der Kaiser die Gräfin zu ihrem Bruder. Der Graf hatte sich bereits mit Rücksicht auf sein hohes Alter und seinen leidenden Zustand die Erlaubnis erwirkt, sich zurückziehen zu dürfen. Napoleon wandte sich den Staatsmännern zu. Der Abend verfloss in Unterhaltung und politischen Gesprächen. Doch mitten in der Diskussion mit Staatsmännern und Generälen hielt Bonaparte inne und wandte sich ab, um eine Weile einsam auf und niederzugehen. Man glaubte, neue Feldzugspläne beschäftigten ihn.

Aber er dachte an die Gräfin Walewska.

2.

Am nächsten Morgen war Napoleon in einem Zustande sieberhafter Erregung. Er schellte, noch im Bette liegend, nach seinem Sekretär Meneval. Dieser, zuverlässiger als sein Vorgänger Bourienne, trat sofort ein. Er war gewohnt, bei Tag zu jeder Minute erscheinen zu müssen und bei Nacht aus dem Schlafe geholt zu werden.

Napoleon diktierte Briefe. An Souveräne, Minister, Finanzmänner. Er verfügte über die Gelder des Hauses Hope in Amsterdam, damals neben Lasitte und Séguin das gewaltigste Bankhaus des Kontinents, als ob es seine eigenen gewesen wären. Diese grossen Häuser lebten in beständiger Angst und Sorge vor dem Kaiser, denn er duldete niemals, dass sich ein Finanzmann auf unrechtmässige Weise bereicherte. Geschah es, so traf plötzlich der Befehl ein, etliche Millionen an die Staatskasse abzuführen.

Damals hatte der unfähige Maret noch nicht den Herzog von Cadore im Ministerium des Aeussern ersetzt. Maret war Chef im Kabinett und erschien, nachdem Meneval gegangen war. Mit ihm konferierte Napoleon eine Stunde. Er sagte niemals nein und führte, in seinem Privatleben ein ziemlich unzuverlässiger Mensch, Napoleons Befehle mit einer Gewissenhaftigkeit aus, die sich nur auf seine aufrichtige Zuneigung zu dem Kaiser zurückführen liess.

Nun trat Constant, der langjährige Kammerdiener, ein. Die Pendule auf dem Kamin schlug acht. Dies war die Zeit, wo Napoleon aufzustehen pflegte. Sein zweiter Sekretär begleitete ihn ins Bad, und während der Kaiser da etwa zehn Minuten verblieb, las der Sekretär die wichtigsten Tageszeitungen vor.

Aber Napoleon schien kaum hinzuhören. Er war wie geistesabwesend, sprang endlich auf und überliess sich nun Constant, der ihn von Kopf bis zu Füssen anzukleiden pflegte.

Der Kaiser blieb keine Sekunde ruhig. Er ging im Zimmer auf und ab, warf Zeitungen und Briefe durcheinander und verriet eine Unruhe, die selbst den Kammerdiener in Erstaunen versetze. Erst frottierte er seinen Herrn. Aber Napoleon war mit der Kraftaufwendung Constants nicht zufrieden.

„Derber, etwas stärker!“ rief er ihm zu und setzte gutgelaunt hinzu: „Nur nicht zimperlich, Constant. Reibe, als ob Du einen alten Esel unter den Händen hättest!“

Der Kammerdiener verneigte sich schweigend und rieb weiter. Dann nahm er eine Flasche Eau de Cologne und goss sie dem Kaiser über den Körper. Hierauf folgte die Ankleidung. Napoleon trug auch hier in Warschau die grüne Jägeruniform, die er allen anderen vorzog. Täglich erhielt der Kaiser eine neue weisse Hose. Dies war nicht nur eine Formsache, denn er pflegte seine Schreibfedern an den Beinkleidern abzuwischen....

Zum Frühstück wurde Duroc befohlen.

Der getreue Freund und Ratgeber traf den Kaiser in einer unbeschreiblichen Aufregung.

Napoleon nahm schnell eine Tasse Schokolade, dann rief er dem Herzog von Friaul zu:

„Sie müssen Rat schaffen, lieber Marschall. Ich halte es nicht aus. Ich habe gestern während des Balles keine Minute Ruhe gehabt. Haben Sie sie gesehen?“

Duroc, der auch den verflossenen Abend in der Umgebung des Kaisers gewesen war und seinen Gebieter sehr gut kannte, erwiderte, ohne eine Miene zu verziehen, mit der Haltung eines vollkommenen Gentlemans:

„„Die Gräfin Walewska, Sire?“ “

„Dieselbe. Hat man uns beobachtet, Duroc?“

„Vielleicht, Majestät.“

„Sollen sie. Was gehen sie mich an? Nur um die Frau dreht es sich jetzt. Gehen Sie zu ihr, Duroc. Als Oberhofmeister sind Sie der richtige Sendbote. Sie werden verstehen, ihr näher zu kommen. Ueberbringen Sie ihr einen Brief. Warten Sie!“

Duroc verneigte sich ein wenig. Er war ein ruhiger, schöner, nicht mehr ganz junger, aber durchaus achtungswürdiger Mann. Er kannte den Menschen in Napoleon, aber verriet ihn niemals.

Der Kaiser warf in fieberhafter Eile einige Zeilen aufs Papier.....

„Ich habe nur Sie gesehen, Sie bewundert, nur Sie begehrt, schönste Frau! Ich befinde mich in einem Zustande der Exaltation, der durch nichts beendet werden kann. Sie halten mein Schicksal in Ihren Händen. Geben Sie mir schnell eine Antwort, anbetungswürdige Frau, die das Feuer zu beruhigen vermag, das mich verzehrt.“

Duroc begab sich gemäss den Weisungen des Kaisers in den Palast, den Maria Walewska mit ihrem Gatten bewohnte.

Sein Auftrag enthielt nicht eben etwas Ungewöhnliches. Napoleon wies das Glück niemals von sich, in welcher Gestalt es sich ihm auch immer bot. Er nahm die Frauen, wie er alle Situationen und Dinge nahm: Ohne lange Ueberlegung, ohne romantische Erwägungen. Dieser Mann, welcher ein ungeheuerliches Arbeitspensum bewältigte, der oft Wochen hindurch von seinem Reisewagen aus Europa regierte und Tage lang nicht aus dem Sattel kam, hatte nicht Zeit, sich den Praeliminarien der Liebe zu widmen.

Duroc kannte diese Art Liebesspiele und nahm sie so gleichmütig wie irgend ein nebensächliches Tagesereignis. Seine Stellung als Palastmarschall war schwierig, denn in Paris stand er zwischen den Launen des Kaisers und der Eifersucht der Kaiserin, stand zwischen den Intriguen der weitverzweigten kaiserlichen Familie und aller Grosswürdenträger des Reiches.

Aber er vertrat einzig und allein die Interessen des Kaisers, den er schon als Adjutant in den italienischen Feldzug begleitet und an dessen Seite er seit den Tagen von Aegypten ununterbrochen gekämpft hatte.

Duroc erlebte eine grosse Ueberraschung.

Als er sein Schreiben dem Hofmeister der Gräfin übergeben hatte, wurde er alsbald in einen einfachen Empfangsraum geführt — nicht in jenen, der für solch hohe Abgesandte vorgesehen war — und sah sich alsbald der Gräfin selbst gegenüber.

„Mein Herr,“ sagte die schöne junge Frau, die in diesem Augenblick nichts von der Verwirrung an sich hatte, die ihr so reizend stand, „ich hielt es zwar für meine Pflicht, einen Mann von Ihren Verdiensten persönlich zu empfangen. Aber ich halte es unter meiner Würde, den Brief Ihres Kaisers zu beantworten.“

„Frau Gräfin“ stammelte Duroc, dem diese Antwort ganz unbegreiflich war, „Frau Gräfin, ich bitte Sie, zu bedenken, dass es der Kaiser ist, der mich mit dieser Mission beauftragt hat...“

„Sehr wohl. Antworten Sie dem Kaiser, die Gräfin Walewska habe keine Ursache, mit Bonaparte zu korrespondieren. Aber Napoleon lasse sie ihre tiefste Ergebenheit und aufrichtige Zuneigung übermitteln.“

Damit war dieser merkwürdigste aller Empfänge, die der Herzog von Friaul erlebt hatte, zu Ende.

Duroc war kein Emporkömmling. Er entstammte selbst einem alten französischen Adelsgeschlecht und empfand daher diese schroffe Ablehnung sehr bitter.

Sie war die erste in ihrer Art. Denn bisher hatten Frauen, die Napoleon auszeichnete, keinen Augenblick gezögert, für kurze Zeit, und war es auch nur auf eine schwache Stunde, in jene Sphären emporzusteigen, die ebenso rätselhaft, geheimnisvoll wie glänzend waren.

Hier nun kam es anders, und es blieb Duroc nichts weiter übrig, als den Kaiser von seiner angebeteten Dame zu grüssen und Bonaparte seinen Korb zu bringen.

Napoleon war schon mitten in der Arbeit. Um ihn herum standen Generäle und Diplomaten, Ingenieuroffiziere und Kurriere, die jeden Augenblick mit wichtigen Meldungen nach Paris abgehen mussten.

Napoleon hatte damals den schnellsten Estaffettendienst, und seine Kurriere jagten mit einer Schnelligkeit zwischen den östlichen Reichen und Paris hin und her, die Staunen und abergläubische Verwunderung erregte.

Eine grosse Idee beschäftigte den Kaiser. Er prüfte eben die Pläne, die aus Paris eingetroffen waren. Er wollte einen Bau aufstellen, mitten in Paris, der alle Stürme der folgenden Jahrhunderte überdauern und als ein gewaltiges und trotziges Monument seiner Zeit der Nachwelt die Taten der „grande armée“ verkünden sollte.

Dieser Bau sollte die Inschrift tragen: „Den Soldaten der grossen Armee Napoleons.“ Auf einer Tafel aus weissem Marmor sollten die Namen seiner Helden aus allen Feldzügen verewigt sein. Die aber, welche auf den Schlachtfeldern gefallen waren, sollten auf einer Tafel aus Gold unsterblich werden.

Der Kaiser selber entwarf die Umrisse und die Gestalt des Baues: Einen antiken Tempel römischer Physiognomie, bekränzt von 54 umlaufenden korinthischen Säulen, darüber eine gewaltige Kuppel... An diesem Bauwerk wurde 36 Jahre gearbeitet, und längst war Napoleon nicht mehr, als es vollendet wurde. Es ist die heutige Madeleine.

Aber noch ein viel grösserer, gewaltigerer Plan beschäftigte den Kaiser, ein Gedanke, der in seiner Art einzig dastand und von ungeheurer Kühnheit, von unglaublicher Originalität war. Schon am 21. November hatte der Kaiser von Berlin aus ein Dekret erlassen, nach dem die britischen Inseln in Blockadezustand erklärt wurden. Allen Ländern, die die Hegemonie Frankreichs anerkannten, war verboten, mit England Handel zu treiben, ja sogar mit Engländern in Verkehr oder auch nur in Korrespondenz zu treten. Alles Eigentum der Engländer, alle ihre Schiffe waren vogelfrei und Prise.

Darauf hatte England vor wenigen Tagen geantwortet, indem es allen neutralen Schiffen das Anlaufen eines französischen Hafens, oder eines solchen, der unter französischem Einfluss stand, verbot.

Nun unterzeichnete Napoleon ein schon vorbereitetes Dekret, das die Konfiskation aller Waren aussprach, die in den Hansastädten mit Beschlag belegt waren.

„Ich will,“ sagte der Kaiser, „die Bahn des Handels wie die der Industrie ändern. Ich werde in Frankreich Zucker uud Indigo naturalisieren. Ich werde die Baumwolle und noch viele andere Dinge einheimisch machen, und man wird sehen, dass ich die Kolonieen überflüssig mache, wenn man hartnäckig dabei beharrt, mir einen Teil derselben zu verweigern.“

Nach dem letzten Federstrich erhob sich Napoleon und winkte Duroc.

Der Marschall erstattete Bericht. Er fürchtete einen der gewohnten Zornesausbrüche des Kaisers. Aber Napoleon hörte ihn ruhig an.

Er trat ans Fenster und blickte auf Warschau hinab.

Duroc hörte ihn murmeln: „Sie ist eine reizende Frau. Sie ist ein Engel.“

Er drehte sich zu dem Marschall um:

„Duroc, die Seele dieser Frau ist ebenso schön wie ihr Gesicht.“

Der Marschall verneigte sich. Aber er war nicht wenig verwundert, seinen Herrn so sprechen zu hören. Das war nicht die Art, wie er die Vorleserin der Kaiserin, Carlotta Gazzani, genommen, wie er sich Eleonore Dénuelle genähert hatte. Aber Napoleon hatte Recht. Maria Walewska war nicht von dem Schlage der Frauen, wie sie Murat und seine schöne Gattin Karoline dem Kaiser gelegentlich zuführten.

Da Duroc nicht nur der erste Diener des Kaisers, sondern auch sein Vertrauter und Freund war — obgleich Napoleon stets auf Formen hielt — so warf er mit einem diskreten Lächeln ein:

„Die erste Niederlage, die Ew. Majestät erleiden.“

Der Kaiser zog die Brauen hoch:

„Ich werde sie in einen Sieg verwandeln.“

Und er setzte sich hin und schrieb einen zweiten Brief:

.... „Sie haben meinen Marschall schlecht behandelt. Keiner Macht der Erde würde ich dies ungestraft hingehen lassen. Von Ihnen hat es mich nur betrübt, mir nur Schmerz bereitet. Habe ich Ihnen missfallen? Ich hatte das Recht, das Gegenteil zu erwarten. Sie haben tiefer für mich empfunden, als Sie zugestehen wollen, ich weiss es. Sollte dieses Empfinden für mich schwächer geworden sein? Das meine hat sich nur noch gesteigert. Sie rauben mir alle Ruhe! Ach, verschaffen Sie einem armen Herzen, das bereit ist, Sie anzubeten, ein wenig Freude, ein wenig Glück! Ist es denn so schwer, eine Antwort zu geben? Sie sind mir schon zwei schuldig.

Napoleon.

Der Kaiser versiegelte den Brief.

„Besorgen Sie ihn an seine Adresse, Marschall, aber hüten Sie sich, ein zweites Mal einen Korb in Empfang zu nehmen.“

Duroc liess den Brief der Gräfin zugehen, ohne ihr Gelegenheit zu geben, ihm selbst zu antworten. Aber auch dieses Schreiben des mächtigsten Mannes Europas blieb unbeantwortet.

Maria Walewska hatte es empfangen und auch gelesen. Sie hätte keine Frau sein müssen, um nicht durch diese beiden Briefe im Innersten erregt zu werden.

Der, welcher ihr in diesem Tone schrieb, regierte die halbe Welt. Er war der Sieger über die Erbfeinde ihres Vaterlandes. Er war die letzte Hoffnung des geknechteten und zerstückelten Polens.

Sie prüfte ihr Herz. Gewiss hatte sie an jenem Ballabend unter dem Zauber des Korsen gestanden. Und der Eindruck, den er als Mann und Kaiser auf sie gemacht hatte, war unverwischt geblieben.

Aber Liebe?

Nein, daran konnte ihr achtzehnjähriges Herz nicht denken. Sie war Polin. Sie hatte die schrecklichen Niederlagen ihres Landes denkend nicht miterlebt Sie war fünf Jahre alt gewesen, als Praga fiel. Doch seitdem war man nicht müde geworden, den Untergang Polens zu beklagen, und in der Umgebung ihrer Familie fielen fast täglich die Namen der Helden, die Polen hatten retten wollen und dafür in die Verbannung oder gar in Kerkerhaft wandern mussten.

Alle diese angebeteten Kinder Polens, diese Heldensöhne einer grossen Zeit, hatten sich unter die mächtigen Adler des grossen Korsen geflüchtet.

Aber ob er auch die halben Versprechungen, die er Polen gemacht, halten würde? Maria konnte noch nicht vergessen, dass Napoleon die polnische Legion nach Haiti geschickt hatte, wo sie ihre Kräfte in Kämpfen mit barbarischen Negern zersplitterte und ihr kostbares Heldenblut unsinnig vergoss.

Niemand dachte daran, wollte daran denken. Sie aber war keinen Augenblick gewillt, die Ehre des Hauses ihres Gatten preiszugeben. Doch sie fürchtete sich vor Napoleon, und so wandte sie sich in der Not ihres Herzens schliesslich an die Gräfin Potocka, die erfahrene und ältere Freundin.

„Kind!“ rief diese, „der Adler der Welt kommt zu Dir, und Du zauderst, ihn in Deine Gewalt zu bekommen, den Mächtigen zu zähmen?“

„Mein Ehrgeiz steht nicht danach,“ erwiderte Maria in ihrer reizenden Unschuld, der nie die Grösse fehlte, die der Tugend anhaftet.

Aber Frau Anna wollte solche Gründe nicht gelten lassen, auch nicht den Umstand, dass Maria den Kaiser nicht liebte.

„Ich bewundere ihn, ja. Aber Liebe?, nein, die könnte ich ihm niemals schenken.“

„Ach, mein Kind,“ entgegnete Frau Anna, „wie oft täuschen wir Frauen uns über unsere Gefühle. Aber erscheint es Dir wirklich so sehr wichtig, einen Mann zu lieben, dessen Leidenschaft für uns schon eine Schmeichelei bedeutet, die uns niemals mehr im Leben zuteil werden kann?

Darauf die unerschütterliche Maria: „Ich kenne solche Eitelkeit nicht.“

„Und Dein Vaterland?“

Das Wort traf Maria wie ein Blitz. Sie erbleichte und wandte das Antlitz der Freundin zu.

„Was willst Du damit sagen?“

„Du begreifst noch nicht? Der Mann, der uns allen unnahbar ist und auf den niemand Einfluss hat, kommt als Mensch, als Bittender zu Dir. Du hast das Recht, zu fordern, Du allein. Die grössten Helden unseres Vaterlandes sind machtlos über ihn. Aber alle vereint der heisse Wunsch, er möge sich die Krone Polens aufs Haupt setzen. Wie — wenn Du deine Schönheit brauchen würdest, Polen einen neuen König zu schenken?“

Maria Walewska war so verwirrt, dass sie in Tränen ausbrach, ohne die Kraft zu einer Antwort zu finden. Denn der Begriff ihres Vaterlandes war ihr das heiligste, grösste und erhabenste, was sie auf Erden kannte. So hatte man sie gelehrt, so empfand sie als Polin.

Täglich schloss sie ihr Vaterland in ihr Gebet ein, das sie als gläubige und überzeugte Katholikin allabendlich zu Gott emporsandte. Wenn es bisher in ihrem unschuldsvollen jungen Leben eine schwere Sorge gegeben hatte, so war es eben das Bewusstsein, dass ihr Vaterland zerstückelt, seinen Feinden preisgegeben war und dass alle Heldensöhne dieses teuren Bodens darum litten und sich in Gram verzehrten.

Anna Potocka wurde nicht müde, ihr die Macht vorzumalen, die sie über Napoleon gewinnen konnte, ihr zuzureden, Polen zu retten.

Sie verliess die Freundin in einem Zustande unbeschreiblicher Erregung, ohne die letzte Frage, die Maria ihr entgegengehalten: „Und die Ehre meines Gatten?“ zu beantworten. Die Gräfin liess den Brief Napoleons liegen, ohne ihm zu schreiben. Aber das überwältigende Bild dieses Mannes schwand nicht aus ihrer Vorstellung, und sie verbrachte zwei Tage in wachsender Erregung und tiefster Niedergeschlagenheit, die mit Begeisterung und Freude wechselten.

Indessen war die Gräfin Potocka nicht müssig geblieben. Sie erkannte einen Fingerzeig der Vorsehung. Sie sah in Maria das reine Werkzeug des Schicksals.

Kaum hatte ihr Gatte von dem Inhalt der Briefe Napoleons Kenntnis, da setzte er sich mit Poniatowski in Verbindung. Frau von Vauban dachte sogleich an eine Wiederholung der Zeiten Ludwigs XlV., vielleicht gar des XV. Sie sah in Maria Walewska eine jener mächtigen Favoritinnen erwachsen, die das Schicksal Europas in ihren Händen hielt. Sie dachte an eine zweite Pompadour oder Maintenon, ohne einen Moment sich Louise de la Miséricordes zu erinnern, die vor etwa hundert Jahren bei den Karmeliterinnen ihr Leben aushauchte, nachdem sie ihre Jugend dem Sonnenkönig geopfert hatte.

Schnell erfuhr der ganze polnische Hochadel um die Schwäche Napoleons. Man sah die erste und vielleicht einzige Möglichkeit, den Gewaltigen zu sicheren Zugeständnissen zu bewegen. Und sofort waren alle sich einig: Das Opfer musste für Polen gebracht werden, und wenn ein Tropfen polnisches Heldenblut in Maria Walewska floss, so durfte sie sich dem Imperator nicht verweigern, musste sich selber als Opfer auf dem Altare des Vaterlandes darbringen, um damit Polens Wiederaufrichtung zu erringen.

Indessen traf ein dritter Brief Napoleons bei Maria ein — — —

„Es gibt Augenblicke im Leben, wo eine zu hohe Stellung zentnerschwer auf einem lastet. Und dies empfinde ich jetzt bitter. Wie kann ein liebendes Herz das sich Ihnen zu Füssen werfen möchte, aber von’ höheren, lähmenden Umständen in seinen heissesten Wünschen zurückgehalten wird, Befriedigung finden? O! wenn Sie wollten! Nur Sie allein vermögen die Hindernisse zu überwinden, die uns trennen! Mein Freund Duroc wird dazu beitragen, es Ihnen zu erleichtern. O! kommen Sie! kommen Sie! Alle Ihre Wünsche sollen erfüllt werden! Ihr Vaterland wird mir noch teurer sein, wenn Sie Mitleid mit meinem armen Herzen haben!“

N.

Maria las den Brief in grösster Erregung. Da also stand es geschrieben! Er selbst erklärte sich bereit, ihr alle nur erdenklichen Zugeständnisse zu machen, wenn sie nur seinem Rufe folgte. Maria las schon mehr, viel mehr aus den Zeilen, als darin enthalten war. Sie las die Befreiung Polens, sie sah schon die polnische Königskrone auf Napoleons Haupt.

Schon wurde er ihr dadurch, dass er ihr Vaterland erwähnte, teurer. Aber noch zauderte sie. Zauderte, obgleich die Gräfin Potocka im Namen aller Verwandten sprach. Obgleich Poniatowski sie beschwören liess, nachzugeben. Obgleich ihr eigenet Bruder Lascinski sie bestürmte.

Niemand erwähnte ihren Gatten. Er war siebzig Jahre alt. Er war tot für Polen. Welche Rechte also wollte er auf diese Auserwählte geltend machen?

Am Nachmittag erschien die Patriotin Madame Abramowicz bei Maria. Sie las einen Brief vor der die Unterschriften der bedeutendsten Edelleute Polens enthielt und ihr galt.

Ganz Polen beschäftigte sich mit Maria Walewska, ganz Polen drang in sie ein, forderte, zwang sie förmlich durch die Kraft eines gewaltigen, jede andere Erwägung unterdrückenden Patriotismus, nachzugeben.

Es waren Mitglieder der provisorischen Regierung, die Maria Walewska schrieben:

Madame! Geringfügige Dinge bewirken oft Grosses. Die Frauen hatten von jeher einen grossen Einfluss auf die politischen Vorgänge in der Welt. Die Geschichte der entferntesten, gleichwie der allerneuesten Zeit bescheinigt diese Wahrheit. Solange Leidenschaften die Menschen beherrschen, werden diese, hochverehrte Dame, einer der bedeutendsten Faktoren der Macht sein.

Der Mann würde sein Leben hingeben für die gerechte Sache des Vaterlandes, die Frau kann dem Vaterlande nicht mit Waffen in der Hand dienen, ihre Natur widerstrebt dem.

Aber statt dessen gibt es Opfer, die sie bringen kann, ja bringen soll, selbst wenn sie ihr peinlich wären.

Glauben Sie, dass sich Esther dem Ahasver aus Liebe hingegeben hat? War der Schauder, der sie vor seinem Blick erfasste, so, dass sie in Ohnmacht fiel, nicht ein Beweis, dass die Zärtlichkeit keinen Teil an dieser Vereinigung hatte? Sie opferte sich, um ihr Volk zu retten und ihr wurde der Ruhm, es gerettet zu haben!

Möchten wir von Ihrem Ruhme und unserer Wohlfahrt dasselbe sagen können!

Sind Sie nicht Tochter, Mutter, Schwester, Gattin von begeisterten Polen, welche allesamt mit uns jenen nationalen Bund darstellen, welche keine Zahl mehr vergrössern, keine Einigkeit noch festigen kann? Hören Sie auf das, Madame, was ein berühmter Mann, ein Heiliger, ein frommer Diener der Kirche, was Fénélon sagt:

„Die Männer, welche in der Oeffentlichkeit alle Machtvollkommenheit besitzen, können doch durch ihre Beratung nichts wirkungsvoll Gutes schaffen, wenn ihnen die Frauen nicht dabei an die Hand gehen.“

Hören Sie auf diese Stimme, Madame, die sich mit der unsrigen vereint, damit Sie die Freude am Wohlergehen von 20 Millionen Menschen geniessen können! — — —

Da endlich brach der Widerstand der jungen Gräfin. Sie bat Gott um Vergebung für die Sünde, die sie begehen wollte, und empfahl ihren Gatten dem Trost der Patrioten. Sie nahm von ihren Freunden und Verwandten Abschied, als ginge sie dem Tode entgegen — und doch bewies gerade der Aufwand von Energie und Gefühlen, dass ihr Napoleon nicht gleichgiltig war, und dass sie dieses Abenteuer weit mehr fürchtete als etwa verabscheute.

Sie liess also Duroc einige Zeilen überreichen, in denen sie dem Kaiser versprach, Nachts zwischen 10 und 11 Uhr ins Schloss zu kommen.

Gegen Abend liessen sie alle, die ihr zugeredet hatten, allein, und Maria wurde das Opfer der heftigsten Gewissensbisse. Ihre Frauenwürde lehnte sich gegen die Schmach auf, die man ihr zumutete. Sie war nahe daran, dem Kaiser wieder abzuschreiben, aber sie fürchtete sich, nein, sie schämte sich, vor der ganzen Nation, vor sich selber, vor ihm.

Der Brief des polnischen Adels traf nicht das Richtige. Sie war nicht Esther, und Napoleon war nicht Ahasver.

Oder doch?

Sollte er der weichliche, nachgiebige Xerxes sein, der auf Esthers Anstiftung 75000 seiner Untertanen erwürgen liess? Nein, so sollte, so durfte er nicht sein, sonst würde sie nie verwinden können, ihm das höchste geopfert zu haben, worüber sie verfügte: Ihre Tugend.