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Österreichische Musikzeitschrift (ÖMZ) | Jahrgang 72/2 | 2017

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Adolf Schrödter: Wandernde Musikanten im Sturm

Liebe Leserinnen und Leser,

Mobilität ist eines der großen Themen der Gegenwart – auch im Kontext mit Musik. Doch nicht erst heute gehören Musikerinnen und Musiker zu denen, die viel unterwegs sind. Schon für die Spielleute, Trouvères und Minnesänger des Mittelalters war das Reisen fester Bestandteil ihrer Biographien. In der frühen Neuzeit begab sich scheinbar jeder namhafte Musiker wenigstens einmal im Leben zur Fortbildung nach Italien. Und immer wieder erfüllten sich dort auch die Hoffnungen auf eine zumindest zeitlich begrenzte, gut dotierte feste Stelle. Wenig später waren es dann ihrerseits die Italiener, die ihre Musik über die Alpen trugen und in nahezu ganz Europa verbreiteten.

Der Themenschwerpunkt dieses Heftes folgt den Spuren der niederländischen Musiker in der Renaissance, die gen Süden zogen, wie auch jenen der »Operisti«, die beschwerliche Reisen auf sich nahmen, um an immer neuen Orten ihre Kunst zu realisieren. Wie sich verschiedene überregionale Stile und Schulen mitunter verbanden, zeigt das Beispiel des vielseitig versierten, vor allem als Traversflötenvirtuose hervortretenden Jacques-Martin Hotteterre aus Paris, der im frühen 18. Jahrhundert enge Kontakte nach Italien pflegte. Und schließlich erleichterten die verbesserten Reisemöglichkeiten im 19. Jahrhundert die weltweite Mobilität von Musikern und Virtuosen, die bis heute das Konzertleben bestimmt.

Aufgrund der globalen politischen Situation ist das Thema Mobilität aber seit einigen Jahren auch von ganz anderer, allgemeinerer Brisanz. Wegen Fragen der Grenzziehung werden derzeit wieder Kriege geführt – in der Ukraine, im Nahen Osten, in Afrika. Und nicht zuletzt werden Wahlen in den »hoch entwickelten« Demokratien nicht nur aus wirtschaftlichen Motiven entschieden, sondern auch im Hinblick auf Grenz(sicherungs)fragen. In jedem Fall aber zwingen weltweite Brandherde Millionen von Menschen zur Flucht. Nur wenigen von ihnen gelingt es, in den Ankunftsländern die Träume von einem Leben ohne unmittelbare Existenzangst und in Akzeptanz aufzubauen. Einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Integration so mancher Geflüchteter liefern die vielen ehrenamtlichen Helferinnnen und Helfer, die nicht zuletzt mit kulturellen und musikalischen Projekten Brücken bauen.

Auf sehr unterschiedliche Weise kämpferisch geht es schließlich auch in unseren Extras zu Luther und Meyerbeer und zur Uraufführung von Pfitzners Palästrina vor hundert Jahren zu, ebenso in den Beiträgen zu Eislers Solidaritätslied und der soeben uraufgeführten Oper Sacrifice von Sarah Nemtsov.

»Lesen heißt, wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne«, schreibt Jean Paul. Und das beste daran: Es funktoniert ganz ohne Kofferschleppen und Blasen an den Füßen. Los geht’s! // Die Redaktion

INHALT

MOBILITÄT UND MUSIK

Musikalische Migration in Renaissance und Barock // Reinhard Strohm

Vom fahrenden Gaukler zum sesshaften Profimusiker Eine kleine Chronik

STATEMENT ZUM REISEN VON Clemens Hellsberg

Wanderschaft als Läuterung Zu Johann Kuhnaus Der Musicalische Qvack-Salber (1700) // Heinz Beier

STATEMENT ZUM REISEN VON Michael Schade

Zwischen Kunst und Kommerz Vom unsteten Leben der italienischen Opernschaffenden um 1750 // Daniel Brandenburg

STATEMENT ZUM REISEN VON Elke Hesse

Mobilität von Musik und Musikern um 1700 Der Flötist Jacques-Martin Hotteterre »Le Romain« // Gesa zur Nieden

STATEMENT ZUM REISEN VON Patricia Kopatchinskaja

»Gewohntes zu überdenken« Der andere Blick auf Musik in der Migration und im Exil // Nils Grosch

STATEMENT ZUM REISEN VON Johannes Maria Staud

Mozart schafft das! Oper mit Geflüchteten // Cornelia Lanz im Gespräch mit Anna-Lena Wende

Theater – Toleranz – Trost Flüchtlinge berichten über ihre Arbeit bei Zuflucht Kultur

Opfer einer politischen Wende Über das Schicksal von Ahmad Shakib Pouya // Judith Kemp

Am Puls der Zeit Flucht und neue Opern // Magdalena Pichler

RESPONSE

Agitation und ideologische Erziehung Zur Funktionalität von Musik am Beispiel von Hanns Eislers Solidaritätslied // Stefanie Bräuml

EXTRA

Zwischen Kreuz und Schwert Der Lutherchoral Ein feste Burg ist unser Gott in Meyerbeers Les Huguenots // Sieghart Döhring

Abschied von H. F. Alban Bergs letztes Hanna-Zitat // Werner König

»Festspiel zu Ehren schmerzhaften Künstlertums« Zur Uraufführung von Hans Pfitzners Palestrina vor 100 Jahren // Gabriele Busch-Salmen

NEUE MUSIK IM FOKUS

»Ästhetisch kann ich das nicht ausblenden« Über Sarah Nemtsovs neue Oper Sacrifice // Fabian Schwinger

BERICHTE AUS WIEN

Purcells Fairy Queen und Egks Peer Gynt // Frieder Reininghaus

Korngolds Wunder der Heliane // David Wedenig

Panisellos Le Malentendu // Ralf Beer

Uraufführungen von Robert Brunnlechner und Lukas Neudinger // Christian Heindl

Abschiedskonzert Heinrich Schiff // Judith Kemp

BERICHTE AUS ÖSTERREICH

Bartabas’ Requiem bei der Mozartwoche Salzburg // Natalie Stadler

impuls Festival in Graz // Michael Eder

BERICHTE AUS DEM AUSLAND

Spolianskys Wie werde ich reich und glücklich in Mannheim, Brittens Peter Grimes in Wiesbaden, Borodins Knjas Igor in Amsterdam // Frieder Reininghaus

BERICHTE MUSEUM UND UNIVERSITÄT

Ausstellung Mozart und seine Wiener Netzwerke im Mozarthaus // Frieder Reininghaus

Tagung Musiktheatralische Textualität an der Universität Wien // Meike Wilfing-Albrecht

Tagung Neues Hören für Erwachsene an der Kunstuniversität Graz // Monika Voithofer

REZENSIONEN

Bücher, CDs

DAS ANDERE LEXIKON

Virtuosenreisen // Frieder Reininghaus

NEWS

Geographie

ZU GUTER LETZT

Salzburger Mobilitätsdynamik // Frieder Reininghaus

Vorschau

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Holzschnitt v. Hans Burgkmair

Musikalische Migration in Renaissance und Barock

»Oltremontani« und »Italianità«: Wie zwei Wanderbewegungen die abendländische Musikgeschichte prägten. Reinhard Strohm

Musikgeschichtliche Darstellungen verstehen geografischen Raum meist als Distanz oder als Differenz, welche die Einheit oder Identität behindern. Solche Differenzen können durch »Einfluss«, zum Beispiel zwischen Komponisten, oder durch »Migration« zwischen Nationen überwunden werden. Die zeitliche Dimension von Musik baut auf einem ähnlichen Prinzip auf: Je weiter etwas zeitlich entfernt ist, desto mehr Unterschiede müssen überbrückt werden. Dies geschieht meist durch »Rezeption« oder alternativ durch »Tradition«. Aber was implizieren all diese Begriffe? Wie nützlich sind sie wirklich? Die Termini »Migration« und »Reise« brauchen eine eigene Definition, wenn sie auf Musikgeschichte bezogen werden. Denn wer wandert eigentlich: Menschen, Produkte oder Klang?

Die Wanderung der Oltremontani

Das fünfzehnte und sechzehnte Jahrhundert wurden Zeuge eines der größten kulturellen Transferprozesse unserer Geschichte: der Renaissance. Von den eigenen Akteuren als »Wiedergeburt« betitelt, war es eigentlich mehr eine Übernahme oder ein »download« aus fremden Kulturen, und dabei wurde weniger aus weit entfernten Orten als vielmehr aus der vergangenen Zeit geschöpft.1 Führende Institutionen und Gelehrte behaupteten ihre weltliche Autorität, indem sie sich in großem Stil an den Überresten der vergangenen Kultur bedienten: ihre Bücher kopierten, ihre Statuen wegtrugen, ihre Sprache lernten, ihre Architektur ausgruben und ihre Gedanken neu dachten. Der Versuch, ihre Musik wieder aufzuführen, scheiterte allerdings.

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Während Gilles Binchois (rechts) vor allem in Burgund tätig war, verschlug es Guillaume Dufay bis nach Rom und Florenz. Bild: Aus Martin le Franc, Champion des Dames, ca. 1440, Bibliothèque nationale de France Ms Fr 12476

Unter den vielen Künsten und Wissenschaften, die das mittelalterliche Europa entwickelte hatte, ehe es sich bevorzugt der klassischen Antike zuwandte, war die Musik wohl die meist geschätzte und interaktivste Praxis; ihre großen Wanderungen setzten bereits vor dem Beginn der italienischen Renaissance ein. Die erste und größte dieser Migrationen war die frühmittelalterliche Verbreitung des Gregorianischen Chorals, die zweite die sogenannte franko-flämische Schule oder niederländische Vokalpolyphonie, die gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts begann. Als Grund für die Migration der musikaffinen Niederländer und Nordfranzosen hat der Musikwissenschaftler Andrew Tomasello die Politik der konkurrierenden Pontifikate während des Abendländischen Schismas (1367–1415) identifiziert:2 Musiker, besonders aus den nördlichen Diözesen und speziell den Niederlanden, scharten sich in Avignon und Rom, wo die konkurrierenden Päpste ihre Rechte über die kirchlichen Ämter konzentrierten, um ihre beschädigten Autoritäten zu stärken. Die Inhaber dieser Ämter waren häufig ausgebildete Musiker.

Musiker aus dem Norden kamen jedoch auch unabhängig vom kirchlichen Netzwerk nach Italien, darunter flämische und deutsche Instrumentalisten, die sich in Florenz zur Bruderschaft von St. Barbara, auch »dei Fiamminghi«3 genannt, zusammenschlossen, oder die deutschen, tschechischen und polnischen Musiker, die nach Italien gingen, um die Universität zu besuchen.4

Die Diaspora der italienischen Musik

Die Migration der niederländischen Musiker in der Renaissance und die Verbreitung der italienischen Musik und Musiker vom 16. bis zum 18. Jahrhundert können zwar miteinander verglichen werden, doch sind die beiden Prozesse nicht im direkten Sinne von Aktion und Reaktion miteinander verbunden: Während die Oltremontani überwiegend in eine Richtung zogen (nämlich nach Süden), verbreitete sich die Diaspora der Italiener sternförmig auf nahezu alle europäischen Länder, darunter Spanien, England, Russland und Schweden. Des Weiteren war die Diaspora der Italiener an ihre Sprache gebunden. Sie transportierte nicht nur Musik, sondern fast alle Formen der Kunst, viele Wissenschaften, Literatur, Handwerk, Politik und natürlich Religion. Auf diese Weise gab Italien dem Rest Europas die Künste und Fähigkeiten zurück, die es zuvor aus der Antike geborgt hatte, plus Musik.

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»Für den Export ›produziert‹«: Der Kastrat Farinelli sang unter anderem in Madrid, London, Paris und Wien. Bild: Gemälde von Jacopo Amigoni, Staatsgalerie Stuttgart/wikimedia.org

Innerhalb der italienischen Diaspora sind zwei große Spannungen oder Widersprüche zu beobachten. Erstens wurde – lange nach der Einführung von Notenschrift und Notendruck – die persönliche Überlieferung von Musik wieder wichtiger, denn die italienische Musik des 17. Jh. wurde von Musikern in die Welt hinaus getragen. Kurz zuvor war diese noch eher über Drucke, speziell Madrigale mit italienischem Text, verbreitet worden. Mäzene wie Georg Knoff aus Danzig konnten im frühen 17. Jahrhundert große Sammlungen solcher Musik anlegen, ohne Italien jemals besucht zu haben.5 Italienische Musiker wurden aber selten geholt, um Madrigale aufzuführen. Anders war es mit dem Interesse europäischer Höfe an Opern und Oratorien: Für diese importierte man Librettisten, Architekten, Bühnenbildner, Instrumentalisten, Komponisten und vor allem Sänger.

Zweitens existierte offenbar eine größere Sehnsucht nach Assimilation, Absorption oder »Anverwandlung« der transalpinen Kultur als in früheren Zeiten: eine Sehnsucht vergleichbar der humanistischen Faszination von der antiken Kultur. Es ergab sich eine Essentialisierung italienischen Denkens und Fühlens (als »Italianità«), die ästhetischer und psychologischer Natur war. Andererseits wurden dynastischer Stolz und die Konkurrenz zwischen den Herrscherhäusern maßgebend, und mit Importen aus dynastischen Gründen kamen praktisch-politische und ökonomische Motivationen ins Spiel. So darf die »Heranholung« italienischer Künstler und ihrer Arbeit als eine Art höfische Monopolbildung gedeutet werden. Man verfolgte sie in der Musik unter anderem durch die Weitergabe von geheimen Techniken der Gesangslehrer, durch Nepotismus und Familien-Seilschaften, und sogar durch (mehrfach belegte) gewaltsame Entführungen und Gefangennahmen italienischer Opernkünstler durch deutsche Fürsten. Letztlich war solche Transferpolitik wieder ganz irrational. Denn viele begabte Sänger nördlich der Alpen lernten den Operngesang genauso gut wie die Italiener. Aber vielleicht war ihre Aussprache nicht so, wie die der echten Italiener, sie sahen nicht so aus wie diese, bewegten sich nicht so wie diese, benahmen sich bei Tisch nicht so wie diese oder hatten nicht dieselben Namen. Wie vertrauenswürdig ist wohl eine Sängerin, die italienische Arien singt und » Döbricht«, »Schwartzmann« oder »van Oploo« heißt?6 Ein weiteres Monopol bildeten die Kastraten, die in den südlichen Regionen der Halbinsel vor allem für den Export »produziert« und ausgebildet wurden. War die »Italianità« ein soziales oder ein ästhetisches Konzept? Und waren Kastratenarien in Zentral- und Nordeuropa beliebt, weil sie von Kastraten gesungen wurden, oder war es genau umgekehrt? Die Beliebtheit der Kastraten überlebte jedenfalls das Ende des »ancien régime«, möglicherweise nicht aufgrund von sozialen Aspekten, sondern von ästhetischen, musikalischen Vorlieben.

Transportmöglichkeiten

Wie zuvor angedeutet, gab es einen möglichen Widerspruch zwischen dem erstarkten menschlich-persönlichen Element der musikalischen Diaspora und der Art und Weise, wie Musik wirklich wanderte. Schon seit der Zeit um 1500 wurde Musik auch per Brief und Paket verschickt. Mit der zunehmenden Bedeutung der Notation und des Notendruckes mussten im 17. Und 18. Jahrhundert auch reisende italienische Musiker ihr Publikum im Norden mit Noten versorgen. Und als ob sie sich geradezu überflüssig machen wollten, lehrten sie ihr Publikum die Sprache, den Gesang und auch die Komposition der italienischen Musik. Die reisenden Operngesellschaften von Mingotti und Locatelli verkauften Kopien der Arien an die Zuschauer;7 in London wurde nahezu jede neue Arie, die man im Opernhaus gehört hatte, veröffentlicht. Breitkopf in Leipzig entwickelte nicht nur den Operndruck, sondern erschloss auch den Markt des Klavierauszuges. Diese Waren wurden schnell unabhängig von den reisenden Musikern und bildeten eine eigene Diaspora italianisierter Musik, die sich an die bürgerlichen Opernliebhaber in den Städten Europas richtete.

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In vergangenen Jahrhunderten war »Pendeln« zwar weit weniger bequem, aber doch möglich: Wiener Zeiselwagen (um 1830). Bild: Kupferstich von Eduard Gurk nach Johann Nepomuk Hoechle/wikimedia.org

Die verschiedenen Möglichkeiten der Verbreitung der italienischen Oper durch Komponisten waren unter anderen folgende: Die Künstler konnten Noten einer kompletten Oper mit auf den Weg nehmen, diese im Ausland aufführen und nach dem Ende einer Spielzeit wieder heimkehren. Kann dies schon als Migration bezeichnet werden, oder war es nur ein Besuch? In einer anderen Variante pendelten Komponisten zwischen ihren Heimatländern und entfernten Arbeitgebern hin und her – wie zum Beispiel Hasse, Galuppi, Jommelli, Sarti und viele andere.

Fast das umgekehrte Phänomen waren deutschsprachige Komponisten wie Händel, Gluck oder Mozart, die nicht wirklich an der Diaspora teilnahmen: Zwar verbrachten sie prägende Jahre in Italien, entwickelten ihre italianisierte Musik aber nördlich der Alpen. Und natürlich gab es auch bedeutende italienische Opernkomponisten, die in ihrem Land blieben und trotzdem viele Bewunderer in nördlichen Zentren hatten, wie Alessandro Scarlatti, Leonardo Vinci und Giambattista Pergolesi. Hier zeigt sich auf verschiedene Weise, dass das Wandern der Musik, selbst wenn es bisweilen Musiker als Vehikel benützte, letztlich ein Vorgang war, der sich in den Köpfen abspielte. //

Reinhard Strohm lehrte an der Yale University und am Londoner King’s College, 1996 bis 2007 war er Professor an der University of Oxford.

Der Beitrag basiert auf der Bearbeitung seines Artikels aus dem bislang nur online verfügbaren Buch Music Migrations in the Early Modern Age, hg. v. Jolanta Guzy Pasiak und Aneta Markuszewska. Übersetzung von Julia Jaklin.

Anmerkungen

Reinhard Strohm, »›Medieval Music‹ or ›Early European Music‹?« in: The Cambridge History of Medieval Music, hg. v. Mark Everist, Cambridge 2016 (in Vorb.).

Andrew Tomasello, Music and Ritual at Papal Avignon 1309–1403, Ann Arbor 1983.

Reinhard Strohm, The Rise of European Music, 1380–1500, Cambridge 1993, S. 567.

Mirosłav Perz, »Il carattere internazionale delle opere di Mikołaj Radomski«, in: 1380–1430: An international style?, hg. v. Ursula Günther (= Musica Disciplina 41), S. 153–159.

Martin Morell, »Georg Knoff: Bibliophile and devotee of Italian music in late sixteenth-century Danzig«, in: Music in the German Renaissance: sources, styles and contexts, hg. v. John Kmetz, Cambridge 1994, S. 103–126.

Reinhard Strohm (Hg.), The Eighteenth-Century Diaspora of Italian Music and Musicians, Turnhout 2001, S. 27.

Zit. nach Erich H. Mueller, Angelo und Pietro Mingotti. Ein Beitrag zur Geschichte der Oper im XVIII. Jahrhundert, Dresden 1917, S. VI–VII.

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Pieter Bruegel d. Ä., Bauerntanz (Ausschnitt)/wikimedia.org

Vom fahrenden Gaukler zum sesshaften Profimusiker

Eine kleine Chronik

~ 500 n. Chr. | Gelegentlich wird ein mimus, ein aus Italien, Griechenland oder Syrien stammender volkstümlicher Possenreisser, von Herrschern entlohnt; meist muss er sich Almosen erbetteln. Skop, ursprünglich Sänger und Dichter an altgermanischen Fürstenhöfen, zieht wie der mimus umher. Für seine Auftritte erhält er zumeist Sachgeschenke bzw. einen Ehrenlohn. Beide gelten als Vorläufer der mittelalterlichen Spielleute.

~ 1000 | Durch Gesang, Erzählungen, Musik, Tanz und Akrobatik unterhalten Spielleute ganz Europa. Schauplätze sind Jahrmärkte, Prozessionen, Kirtage (Kirchweihfeste), Wirts-, Bade- und Freudenhäuser. Spielleute treten bei Hochzeiten, geistlichen Festen und Schauspielen auf. Sie fungieren als reisende Bänkelsänger mit der Funktion der späteren Boulevardzeitungen, als Postillon d’amour, Begleiter von Pilgerzügen oder größeren Gastmählern.

~ 1200 | In größeren Reichsstädten wie Straßburg lassen sich sesshaft werdende Spielleute als Vorläufer der Stadtpfeifer nachweisen, insbesondere im Zusammenhang mit Hochzeitsordnungen (amtlichen Vorschriften für die Feiern), z. B. in Braunschweig 1227 und 1265. Ortsansässige Musiker bringen der städtischen Gesellschaft den Vorteil, dass sie jederzeit verfügbar und bis zu einem gewissen Grad diszipliniert (d. h. berechenbar) sind.

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Walther von der Vogelweide, Bild aus dem Codex Manesse, ca. 1310. Bild: Universität Heidelberg/wikimedia.org

– 1203 | Walther von der Vogelweide wird vom Passauer Bischof mit fünf Schilling für einen Pelzmantel honoriert und als »cantor« bezeichnet, die Rechnung bei Zeiselmauer (rund 25 km donauaufwärts von Wien) ausgestellt; von Anfang des 13. Jahrhunderts sind im Stift Kremsmünster zwei Lieder Walthers erhalten und zwei von deren Versen mit Neumen versehen; bis heute gilt Walther als »Prototyp« des fahrenden Meistersingers.

~ 1230 | Der Sachsenspiegel Eike von Repkows (um 1185–1235), ein lateinisches Land- und Lehnrechtsbuch mit Ausführungen zum Gewohnheits- und Privatrecht, definiert die Spielleute als Nachfahren der vormals »heidnischen« Helden- und Zaubersänger zwar als uneˆlich (also rechteloˆs), nicht aber als »Genossen von Räubern«. Die Tötung von Spielleuten und die Vergewaltigung von fahrenden Frauen soll mit Enthauptung bestraft werden. Anders als in anderen Ländern scheinen die handwerklich geprägten Mittelschichten im römisch-deutschen Reich den fahrenden Spielleuten mit einer gewissen Verachtung zu begegnen, da sie als sozial wurzellos gelten und nicht zunftmäßig organisiert sind.

~ 1250 | Tiroler Urkunden nennen ortsansässige Musiker als Zeugen sowie als Besitzer von Grundstücken. Damit ist nicht nur deren Sesshaftigkeit, sondern auch die rechtlich vollwertige Stellung dokumentiert.

– 1280 | Die Hansestadt Lübeck beschäftigt Türmer, also Blasmusiker, die sowohl bei Feuer oder Kriegsgefahr Alarm blasen, als auch Choräle »an- und abblasen«. Für Siegesfeiern wird ein »continuierliches Concert« eingerichtet, bei denen zwei vom Rat angestellte Feldtrompeter und der Ratstrommelschläger von den Türmen lärmen.

Etwa zur gleichen Zeit sind am steirischen Stift Admont ein gaigaer (Geiger) und eine fistulatrix (Pfeiferin oder Witwe eines Pfeifers) zinspflichtig.

~ 1288 | »Zur Verehrung Gottes durch ihre Kunst« vereinigen sich Musiker zu einer Bruderschaft an der Pfarrkirche St. Michael in Wien; sie widmen sich der musikalischen Ausbildung u. sorgen für Sozialleistungen.

~ 1300 | Halle an der Saale: Die Schöffenbücher erwähnen erstmals eine Spielstraße (heute: Spiegelstraße) als Wohnquartier von Spielleuten (»an dehme winkele an dher spelelude-strate«). In Lübeck lassen sich ebenfalls sesshafte Spielleute nachweisen.

~ 1350 | Aus Tirol sind »Künstlernamen« von Spielleuten überliefert: Schanprüllen, Nernänabel, Hoveleich, Vreudenreich.

~ 1400 | Verschiedene deutsche Städte beschäftigen fest besoldete Spielleute: Lüneburg ab 1376, Regensburg 1383, Königsberg 1391, Nördlingen 1399, Zwickau 1436, Braunschweig 1449, Leipzig 1479; neben der Berufsbezeichnung fistulator werden Benennungen wie piper, basuner, Pfeyfer, Zinkenist, Instrumentist, Musicus oder Musicant üblich.

– 1474 | Lübeck: In einer Anstellungsurkunde wird der Begriff Ratsmusikant verwendet; die Ratsmusiker werden verpflichtet, die städtischen Feierlichkeiten zu umrahmen und im Ratskeller aufzuspielen, an Gottesdiensten mitzuwirken sowie bei Kampfeinsätzen der Hanse auf deren Kriegsschiffen für Stimmung zu sorgen.

– 1521 | In einer Lübecker Ratsmusikantenordnung wird die Sollstärke der Stadtpfeiferei mit zwölf Mann angegeben (1610 im Zuge von Sparmaßnahmen auf acht reduziert).

– 1532 | Erstmals wird die Meistersingerschule in Schwaz in Tirol erwähnt. Damit folgt man Vorbildern aus Mainz (1315), Augsburg (1449) oder Nürnberg (1450). //

STATEMENT ZUM REISEN VON Clemens Hellsberg