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Nicole Pathé

FEIGLING oder
FÜHRUNGSKRAFT?

Wie Sie mit KLARHEIT und
COURAGE Menschen gewinnen

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-793-4

ISBN epub: 978-3-95623-513-9

Lektorat: Susanne von Ahn, Hasloh

Umschlaggestaltung und Titelbild: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de

Autorenfoto: Fotostudio Lichtblick, Bonn

© 2017 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Das E-Book basiert auf dem 2017 erschienenen Buchtitel "Feigling oder Führungskraft" von Nicole Pathé, © 2017 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

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Inhalt

Vorwort: Mehr CHARAKTER wagen

Einleitung: Von der KRAFT zu führen

1. FEIGLING oder FÜHRUNGSKRAFT?

Selbstreflexion

Der Feigling

Die Führungskraft

Der Taktiker

Feigling und Führungskraft im Unternehmensalltag

Von vorgesetzter Führung und führenden Vorgesetzten

Für den schnellen Leser

2. Das Phänomen FEIGHEIT

Wie das System Feiglinge produziert

Die Angst vor der Verantwortung

Ehrlichkeit wird bestraft

Das Spiel von Macht und Ohnmacht

Für den schnellen Leser

3. KLARHEIT und COURAGE – Kernkompetenzen erfolgreicher Führungskräfte

Der Spagat zwischen Loyalität und Authentizität

Schweigen ist feige, Sagen ist Wagen

Wer hundertprozentig offen ist, ist nicht ganz dicht

»Am Mute hängt der Erfolg«

Für den schnellen Leser

4. KLARHEIT

Reden Sie Tacheles!

Holen Sie sich Antworten!

Tun Sie, was Sie sagen!

Positionieren Sie sich!

Für den schnellen Leser

5. COURAGE

Seien Sie unbequem!

Machen Sie sich angreifbar!

Seien Sie ehrlich!

Treffen Sie auch unpopuläre Entscheidungen!

Für den schnellen Leser

6. FEEDBACK als Chance

Feedbackkultur: ein Spiegelbild von Klarheit und Courage

Mitarbeiterbefragungen: Wer Fragen stellt, bekommt nicht immer Antworten

Ehrlichkeit als Ausdruck von Vertrauen

Mitarbeiterbeurteilungen und Führungskräfte-Feedbacks – die Feinde der Feiglinge

Für den schnellen Leser

Schlusswort

ANHANG

Ein Dankeschön an meine Interviewpartner

Literatur

Die Autorin

Vorwort: Mehr CHARAKTER wagen

Ich beglückwünsche Sie zum Erwerb dieses Buches. Sicher haben Sie es nicht nur aus Neugier gekauft, sondern verbinden einen tieferen Gedanken damit. Vielleicht haben Sie eine Weile gezögert, bis Sie zugegriffen haben. Schließlich ist das Spannungsfeld zwischen Feigling und Führungskraft eine klare Ansage und damit eine Aussage – denn wer möchte schon gerne ein Feigling sein? Für mich bezeichnet es die beiden Enden einer Skala, auf der sich alle Menschen in der Führungsrolle irgendwo befinden.

Wer durch dieses Buch eine kritische Standortbestimmung wagt, um seine nächste Entwicklungsstufe zu erklimmen, ist im Herzen mutig. Er bringt einige wesentliche Qualitäten mit, die eine wirkungsvolle Führungspersönlichkeit ausmachen: den Mut, sich selbst zu erkennen und zu dieser Erkenntnis zu stehen, den Willen, immer besser zu werden, bis man der Beste ist, der man sein kann, und die Fähigkeit aktiven Vorlebens. Dieser Mut und meine Erfahrungen mit Hunderten von Menschen, die unsere Führungsakademie durchlaufen haben, bestätigen: Wer den Mut zur Selbsterkenntnis hat, ist weit davon entfernt, ein Feigling zu sein.

Was jedoch unterscheidet Feiglinge von Führungskräften? Für mich ist es eine Frage des Charakters und damit der Charakterschule, die man nicht nur durchlaufen, sondern wirklich gemeistert haben muss. Denn dies bedeutet den Unterschied zwischen mittlerer Reife und einem Masterdiplom. Die aus meiner Sicht praktisch anschaulichste Didaktik der Charakterschule findet sich in einem Sprichwort:

»Säe einen Gedanken, ernte eine Handlung;

säe eine Handlung, ernte eine Gewohnheit;

säe eine Gewohnheit, ernte einen Charakter;

säe einen Charakter, ernte ein Schicksal.«

Geht man der Charakterfrage gedanklich auf den Grund, entdeckt man unweigerlich zwei extreme Pole: Starrsinn und Wankelmut. Der Starrsinnige verbeißt sich wie ein Terrier in seinen Standpunkt, ganz egal, wie die Umstände und Folgen sind. Wer bei ihm argumentativ den Wind kluger Veränderung sät, wird Sturm ernten. Das Gegenbeispiel liefert manch charakterschwacher Darsteller der Politik: Er wechselt seine Meinungen schneller als ein Chamäleon die Farbe. Der Wankelmütige schließt Bündnisse je nach Stimmung und Windrichtung, manchmal aus Feigheit, manchmal aus Berechnung – zwei Typen, die anders ticken, aber das Gleiche tun. Doch egal ob Bulldozer oder Everybody’s Darling: Beide Extreme lassen Menschen ausbluten.

Die wankelmütigen Strippenzieher gibt es auch in Unternehmen. Früher sollten Führungskräfte forsch vorwärts gehen, Chancen erkennen, Fehler machen, lernen und schließlich gewinnen. Heute sichern sie sich lieber gegen Fallstricke ab und verlieren die Kraft. Denn der Druck, keine Fehler zu machen, hat extrem zugenommen. Konkurrenzkampf und Veränderungsgeschwindigkeit sind enorm. Gesetze und eine strenge Compliance-Kultur sorgen dafür, dass man bei Fehlern noch viele Jahre belangt werden kann. Das ist auch gut so. Charakterschwache Führungskräfte allerdings versuchen jetzt schon im Vorfeld möglichen Versagens, durch »die Fahne im Wind« aus der Schusslinie zu kommen. Ihr Absicherungsstreben schlägt das Chancenstreben. Genau hier fordert Frau Pathé einen dringend notwendigen Kurswechsel ein.

Doch wie kann ich an meinem Charakter arbeiten? Auf jeden Fall wird er durch tiefe innere Überzeugungen geprägt und zeigt sich durch konsequentes Handeln in Form von Gewohnheiten. Darüber, welche Anteile von uns nicht veränderbar sind und welche durch uns selbst bestimmt werden können, herrscht wissenschaftlich Uneinigkeit. In meinen Augen bringt hier das 50:50-Modell die besten Ergebnisse in der Praxis. Natürlich liegt die Kunst darin, zu erfahren, auf welche Hälfte wir zugreifen können.

Gelingt dieser Zugriff, bezieht eine gefestigte Persönlichkeit immer eine klare Position. Sie lässt sich in ihren Haltungen nicht unnötig beirren und vertritt diese klar und offen. Dabei stets reflektiert und selbstkritisch. Denn der Grat zwischen kluger Beharrlichkeit und dummem Starrsinn ist schmal. Genauso konsequent, wie ich zu meinen jetzigen Erkenntnissen stehen kann, sollte ich meine Sichtweise ändern, wenn ich eine neue, starke Erkenntnis habe. Deswegen ist es klug, sich mit den Sichtweisen anderer zu beschäftigen. Wechselt man begründet seinen Blickwinkel, hat das nichts mit Schwäche zu tun, sondern mit Einsicht. Der Sicht des einen. Das verstehen manche nicht. Vor allem, wenn sie primär mit der Bestätigung ihres Selbst und ihrer Daseinsberechtigung beschäftigt sind. So kann es zu dummer Engstirnigkeit kommen.

Natürlich ist Charakter nicht nur eine Sache für Führungskräfte. Er ist die Lebensaufgabe eines jeden Menschen. Doch der Auftrag in der Führung lautet, für ein Klima zu sorgen, in dem eine Charakterschulung ermöglicht wird. Und das ist nicht nur Aufgabe einer Führungskraft, sondern ebenso die der obersten Unternehmensführung. Hier geht es um eine Kultur der Charakterbildung, die Spitzenleistung ermöglicht, einfordert und umsetzt.

Eine solche Kultur wird zuerst durch das Verhalten der Führung sichtbar und dann bei den Mitarbeitern. In charakterarmen Organisationen dominiert eine passive Verantwortung. Charakterstarke Organisationen leben aktive Verantwortung. Passive Verantwortung wartet auf Aufforderung. Darin regiert eine informelle Dynamik von Cliquen, die weniger an Unternehmenszweck und Kundenwerte denken, sondern primär den eigenen, begrenzten Vorteil sehen. Das Verhalten ist rechtfertigend und jedem Eigenrisiko vorbauend. Aktive Verantwortung wird umgekehrt gelebt: Sie wird von sich aus gesucht, gefunden, besprochen, definiert und sinnvoll aufgeteilt. Unternehmen mit charakterfesten Persönlichkeiten sind kundenorientierte Ergebnisfabriken mit vorwiegend aktiver Verantwortung. Doch je größer die Organisation, desto leichter dominiert das Passive. Darin liegt die Gefahr der Charakterschwäche.

Nicole Pathé unterstützt Sie mit diesem Buch auf hervorragende Art und Weise in Ihrer Charakterschule. Ihr Buch zeigt selbst klare Kante und motiviert seine Leser dazu, ebenso zu handeln, auch wenn die derzeit gelebte Praxis mancherorts eine andere zu sein scheint. Denn für alles, was Führen zu einem erlernbaren Beruf macht, benötigen Sie auch eine starke Persönlichkeit. Ich wünsche Ihnen lehrreiche, augenöffnende und unterhaltsame Stunden mit Feigling oder Führungskraft. Viel Freude auf Ihrem Weg zu Ihrer nächsten Entwicklungsstufe!

Boris Grundl (Keynote-Speaker, Managementtrainer
und CEO der Grundl Leadership Akademie)

Einleitung: Von der KRAFT zu führen

Kennen Sie die Geschichte von Pinocchio? Der kleinen Holzfigur, die jedes Mal eine lange Nase bekommt, wenn sie lügt? Wäre es nicht praktisch, wenn sich dieses Merkmal auch bei Feiglingen zeigen würde? Sicherlich wäre so manches Unternehmen über die Anzahl langer Nasen erstaunt, vielleicht sogar entsetzt. Aber die Feiglinge in Unternehmen erkennt man nicht an langen Nasen – sie verraten sich vielmehr durch typische Formulierungen, Denk- und Verhaltensweisen. In meiner mittlerweile mehr als 25-jährigen Tätigkeit als Managementtrainerin und Coach sind mir einige Feiglinge über den Weg gelaufen und ich gebe zu, dass auch ich mich schon mehr als einmal feige verhalten habe. Daher kann ich mit Fug und Recht behaupten, mich mit dieser Spezies auszukennen und hier aus dem Nähkästchen plaudern zu dürfen.

Woran erkennt man Feiglinge?

Auf den folgenden Seiten werden Sie einige Erfahrungsberichte aus meiner Zeit als Trainerin, Coach und Führungskraft lesen. Anekdoten über die Jasager, Lügenbarone und Angsthasen in Unternehmen, deren Strategie lautet: »Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.« Jene, die zwar »Ja« sagen, aber »Nein« meinen, die sich nicht trauen, Dinge infrage zu stellen, Schlechtes zu benennen oder Kritik am System zu üben. Jene Führungsverantwortliche, die hinter vorgehaltener Hand die Strategie des Vorstands oder die Führungskompetenz des Vorgesetzten kritisieren. Denen da oben mal klar und deutlich sagen, was Sache ist? Besser nicht! Schließlich möchte man sich nicht unbeliebt machen oder die Karriere aufs Spiel setzen.

Feiglinge hemmen Veränderungsprozesse

Theoretisch betrachtet kann es von der Sorte Feigling keine oder nur wenige geben. Denn wie soll ein Unternehmen der Anforderung ständiger Veränderung gewachsen sein, wenn die Führungsverantwortlichen nicht in der Lage sind, die Mitarbeiter sicher durch den Change zu führen? So weit die Theorie. Die Praxis sieht jedoch ganz anders aus. Es wimmelt von Feiglingen in Unternehmen. Sie hemmen Veränderungsprozesse, bringen sie sogar zum Scheitern. Sie verheimlichen, lügen und verstecken sich hinter der großen Scheinheiligkeit ihrer Titel als Vorstand, Bereichsleiter, Abteilungsleiter, als Führungskraft welcher Hierarchiestufe auch immer.

Feiglinge haben Angst und verbreiten Angst. Und Angst war noch nie ein guter Begleiter von Entwicklung und Veränderung – im Gegenteil: Eine Angstkultur lähmt und führt zu Stagnation. Ein Unternehmen, das Change-Prozesse erfolgreich umsetzen will, braucht eine Mutkultur, die von Klarheit und Courage gekennzeichnet ist, und zwar konsequent und durchlässig – von der Unternehmensspitze über den Sachbearbeiter bis zum Hilfsarbeiter. Wie heißt es so schön? »Der Fisch stinkt immer vom Kopf.« Das gilt auch für Angst und Mut: Das obere Management bestimmt den Geruch.

Neben Geschichten über Feiglinge, Jasager und Mitläufer werden Sie auf den folgenden Seiten auch eine Reihe Beispiele mutiger Führungskräfte lesen. Von Menschen, die in Kauf nehmen, sich »für den guten Zweck« auch mal unbeliebt zu machen. Führungskräfte, die nach oben, zur Seite und nach unten Tacheles reden, die Strategien mit ihren Teams und Kollegen weiterentwickeln, Menschen einbeziehen und Veränderungen umsetzen. Die klar sagen, was sie tun, und tun, was sie sagen. Und die bereit sind, sich mit der unbequemen Wahrheit auch mal angreifbar zu machen.

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Veränderung muss sich durch alle Hierarchien ziehen – begleitet von einer unternehmensweiten Kommunikation ohne weichgespültes Blabla. Häufig werden hochmotiviert Betriebsversammlungen einberufen oder Townhall-Meetings durchgeführt, in denen der Vorstand seine Botschaften vermittelt. Alles prima und wunderbar. Aber was nützt es, wenn sich in den Versammlungen niemand traut, Fragen zu stellen? Was nutzt der rhetorisch geschickteste Vorstandsvorsitzende, der die Leute durch flammende Reden für den angestrebten Change begeistert, wenn die Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz von einem feigen Vorgesetzten erwartet werden? Einem Feigling, der ihren Fragen aus dem Weg geht, Unsicherheiten im Raum stehen lässt und den Eindruck erweckt, mit allem nichts zu tun zu haben: »Die da oben werden schon wissen, was sie machen.« Klasse – das hilft den Mitarbeitern wirklich und motiviert sie für den anstehenden Change! Ironie – aus.

Menschen arbeiten für Menschen

Menschen arbeiten für Menschen und sie orientieren sich an ihnen. Das bedeutet, Führungskräfte sind Vorbilder, die die Stimmung ihrer Mitarbeiter maßgeblich prägen: Treten sie als Feiglinge auf, die selbst Skepsis und Angst vor der Veränderung zeigen, nützt die beste Kommunikation nichts.

Feiglinge blockieren und verhindern Veränderung. Daher ist es für Unternehmen wichtig, feige Vorgesetzte zu identifizieren und ihnen die Chance zu geben, eine mutige Führungskraft zu werden. Denn: Einmal Feigling bedeutet nicht immer Feigling. Das habe ich bei meiner Arbeit mit mehr als dreitausend Führungskräften erfahren. Gott sei Dank, denn sonst wäre ich wahrscheinlich irgendwann verzweifelt. Aber nein, ich habe oft erlebt, dass sich ein ängstlicher Feigling zu einer mutigen Führungskraft entwickelt hat. Die Voraussetzung dafür ist die kritische Auseinandersetzung mit sich selbst, das Hinterfragen eigener Verhaltensweisen und innerer Haltungen. Dazu ist ein Perspektivwechsel nötig. Er hilft dabei, unvoreingenommen an ein Thema heranzugehen.

Wie gehen wir mit Angst um?

Um nicht selbst Gefahr zu laufen, nur aus meiner Perspektive heraus zu berichten, habe ich zu Beginn meiner ersten Schreibphase Interviews mit einigen Kunden geführt. So konnte ich ihre Sichtweise auf die Feiglinge und Führungskräfte mit meiner abgleichen. Eine meiner Interviewfragen lautete: »Wie gehen Sie mit Ihrer eigenen Angst um?« Bemerkenswert war, dass keiner meiner Interviewpartner abstritt, gelegentlich Angst im Job zu haben. Nur im Umgang mit der Angst unterscheiden sich die Führungskräfte voneinander:

image »Ich identifiziere exakt den Punkt, der mir Angst macht. Es ist nie das gesamte Thema, sondern ein spezieller Teilaspekt, mit dem ich mich auseinandersetze, nachdem ich ihn erkannt habe.«

image »Ich denke an Situationen, in denen das Überwinden meiner Angst zum Erfolg geführt hat.«

image »Ich tanke bewusst Energie, indem ich mache, was mir guttut, zum Beispiel Sport treiben oder lesen.«

image »Ich frage mich, welchen Nutzen die Angst an der Stelle hat.«

image »Ich akzeptiere die Angst genauso wie meinen Mut. Denn das eine gibt es nicht ohne das andere.«

Die Antworten zeigen: Es geht keineswegs darum, als Führungskraft unfehlbar zu sein und sich zu einem angstlosen Geschöpf entwickeln zu müssen. Das wäre ja hochgradig emotionslos. Es geht vielmehr darum, sich mit dem Thema Angst auseinanderzusetzen. Jede Führungskraft für sich: auf individueller Ebene durch Selbstreflexion und gezielte persönliche Entwicklung. Und jedes Unternehmen für seine Mitarbeiter: durch das Etablieren einer Mutkultur und den Einsatz von Befragungstools auf breiter Ebene.

Wichtig: eine Mutkultur etablieren!

In diesem Buch geht es mir nicht um den erhobenen Zeigefinger. Mir geht es darum, den Feiglingen Mut zu machen, sich durch Klarheit und Courage zu einer echten Führungskraft zu entwickeln. Ich möchte den Mut all jener verstärken, die sich ihrem inneren Feigling stellen wollen. Die Beispiele, die ich zur Veranschaulichung gewählt habe, sind alle genau so geschehen. Sie sind natürlich anonymisiert und abstrahiert dargestellt, um die beschriebenen Personen und Unternehmen zu schützen.

Der Begriff »Führungskraft« ist in Unternehmen geläufig – egal, ob es sich um eine feige oder fähige Führungskraft handelt. Eine Positionsbezeichnung, die nicht hinterfragt oder bewertet wird. Daher verwende ich ihn auch allgemein für Personen mit Führungsverantwortung. Wenn ich über feige Führungskräfte spreche, bezeichne ich sie grundsätzlich als Feiglinge. Geht es um fähige, mutige Führungskräfte, dann benenne ich sie auch so.

Nun wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre, die hoffentlich eine Betroffenheit in Ihnen auslöst – sei es als Führungsverantwortlicher oder Mitarbeiter, als Feigling oder als Führungskraft.

Nicole Pathé

1. FEIGLING oder FÜHRUNGSKRAFT?

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In meiner Rolle als Managementtrainerin und Coach habe ich bisher einige Tausend Menschen erlebt, die Führungspositionen bekleiden. Immer wieder begegnet mir Verhalten, das ich typischerweise dem von mir skizzierten Bild eines Feiglings oder einer wirklichen Führungskraft zuschreibe. Waren die Feiglinge schon immer Feiglinge und bleiben Führungskräfte immer Führungskräfte? Das habe ich mich oft gefragt. Beide Fragen beantworte ich inzwischen mit »Nein«. Vielmehr bin ich der Überzeugung, dass Führungskräfte irgendwann entscheiden, ob sie grundsätzlich eher feige oder mutig sein wollen. Dabei spielen ihre Erfahrungen und ihre Persönlichkeit eine erhebliche Rolle:

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Feiges Verhalten ist oft eine »Entscheidung«

Unternehmen, die ihre Führungspositionen gewissenhaft besetzen, suchen starke Persönlichkeiten mit der Fähigkeit, Erfahrungen als Wachstum zu empfinden und in positives Verhalten zu übersetzen. Entsprechend sind frischgebackene Führungskräfte mindestens zu Beginn ihrer Tätigkeit meistens mutig und klar im Denken und Handeln. Wenn sie jedoch im Unternehmen immer wieder die Erfahrung machen, dass Mut bestraft und ihnen zum Nachteil wird, treffen sie irgendwann eine Entscheidung. Diese kann sich unbewusst und schleichend bilden oder bewusst getroffen werden. Unabhängig davon, auf welche Weise sie zustande kommt, klingt sie etwa so: »Ich verhalte mich als Empfänger von Befehlen und passe meine Meinung dem allgemeinen Trend an.« Auf Basis dieser Entscheidung entwickelt der Feigling ein Verhalten, das seine Rolle als Führungskraft untergräbt. Manchmal ist ihm sein feiges Verhalten noch nicht einmal bewusst, es hat sich quasi verselbstständigt und fühlt sich »normal« an. Sobald dem Feigling aber bewusst wird, dass er der Rolle als Führungskraft mit seinem mutlosen Verhalten nicht wirklich gerecht wird, hat er die Möglichkeit, zu wählen, ob er Feigling bleiben oder echte Führungskraft werden will. Wie weit der Weg ist, hängt von der Ausprägung der feigen Anteile und der individuellen Persönlichkeit ab. Manche gehen den Weg alleine, andere suchen sich professionelle Begleitung.

Feigling oder Führungskraft? Was sind Sie, liebe Leserin, lieber Leser? Eine gute und berechtigte Frage, die sich jeder Mensch mit Führungsverantwortung mindestens einmal im Jahr selbstkritisch stellen sollte. Doch im Führungsalltag kommt die Möglichkeit der Reflexion häufig zu kurz. Daher nutzen Sie doch einfach jetzt die Gelegenheit!

Selbstreflexion

Um die Beantwortung der Frage »Feigling oder Führungskraft?« zu erleichtern und Ihnen – trotz der Komplexität dieses Themas – eine differenzierte Reflexion zu ermöglichen, finden Sie in diesem Kapitel Beschreibungen des typischen Feiglings und der typischen Führungskraft. Diese sind mir bei Mitarbeitern mit Führungsverantwortung immer wieder aufgefallen. Ich erhebe damit keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern wähle einen pragmatischen Weg, der auf meinen subjektiven Erfahrungen beruht und mit dem ich Sie zu einer kritischen Betrachtung Ihrer Gedanken und Ihres Verhaltens einladen möchte.

Feigling und Führungskraft zeigen typische Verhaltensweisen

Im Folgenden finden Sie typische Aussagen, Verhaltens- und Denkweisen sowie meine persönliche Definition von Feigling und Führungskraft. Welche Denk- oder Verhaltensweisen treffen auf Sie zu? Setzen Sie hinter jene ein (gedankliches) Häkchen. Die Verlässlichkeit Ihrer Antworten hängt wesentlich davon ab, wie gut Sie sich wirklich kennen und wie ehrlich Sie zu sich selbst sind. Die meisten Menschen neigen zur Selbstüberschätzung. Daher empfehle ich Ihnen, Ihr Selbstbild mit der Fremdsicht Ihrer Mitarbeiter und /oder Kollegen abzugleichen. Nutzen Sie die Aussagen und Definitionen zum Beispiel für ein Feedbackgespräch und vergleichen Sie die Einschätzung der anderen mit Ihrer eigenen.

Es geht hier nicht um einen Test, den Sie bestehen müssen. Es geht darum, zu reflektieren, inwieweit Ihr derzeitiges Verhalten dem einer mutigen Führungskraft oder dem eines Feiglings entspricht. Dabei sollten Sie niemandem etwas vormachen – am allerwenigsten sich selbst. Also: Seien Sie ehrlich und reflektieren Sie. Welche Aussagen, Denk- und Verhaltensweisen sind typisch für Sie?

Der Feigling

Typische Aussagen eines Feiglings:

image »Wenn ich nicht auf den Job angewiesen wäre, würde ich wirklich mal meine Meinung kundtun.«

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image »Oft sprechen Kollegen aus, was auch ich bereits im Kopf hatte.«

image »Unabhängig davon, ob ich Kritik übe oder nicht – die Dinge bleiben, wie sie sind.«

image »Unangenehme Gespräche verschiebe ich häufiger mal.«

image »Häufig nehme ich mir fest vor, bestimmte Dinge zu sagen, aber irgendwie kommt es dann doch nicht dazu.«

image »Ich setze Entscheidungen lieber um, als sie selbst zu treffen.«

image »Meine offiziellen Beurteilungen fallen in der Regel positiver aus, als ich das Leistungsverhalten der Mitarbeiter tatsächlich einschätze.«

image »Ich erlebe häufig die Situation, Themen vorantreiben zu müssen, hinter denen ich selbst nicht stehe.«

image »Wenn ich im Rahmen von Meetings mit Kollegen und Vorgesetzten Inhalte nicht verstehe, frage ich lieber im Anschluss meine Kollegen nach deren Verständnis.«

image »Es ist mir sehr wichtig, dass andere positiv über mich denken.«

image »Was die da oben anordnen, muss sowieso umgesetzt werden – da helfen auch keine Diskussionen.«

image »In Konfliktsituationen gebe ich meistens nach – um des lieben Friedens willen.«

image »Bevor ich meine Mitarbeiter durch kritische Rückmeldungen vergraule, halte ich lieber den Mund.«

image »Meinungsverschiedenheiten vermeide ich eher.«

image »Wenn mein Vorgesetzter Kritik am Verhalten meiner Mitarbeiter übt, halte ich mich raus, auch wenn ich die Art und Weise für unangemessen halte.«

image »Für mich ist Stimmung wichtiger als Erfolg.«

image »Kritik äußere ich nur dann, wenn ich dazu aufgefordert werde.«

image »Wenn einer meiner Mitarbeiter kündigt oder in eine andere Abteilung wechselt, bin ich oft völlig überrascht.«

image »Ehrlichkeit ist für mich ein Wert, der nicht ins Geschäftsleben passt.«

image »Ja-Sagen hat mich bisher weiter gebracht als kritische Meinungsäußerungen.«

image »Wenn mein Vorgesetzter wüsste, wie ich über ihn denke, wäre er sehr überrascht.«

image »Ich äußere meine Meinung erst, wenn ich weiß, dass es Gleichgesinnte gibt.«

image »Ich vermeide Entscheidungen, die die Stimmung meiner Mitarbeiter trüben.«

image »Ich lege mich ungern fest.«

Definition des Feiglings

Feiglinge schwimmen mit dem Strom

Ein Feigling ist eine Person, die Angst hat, sich klar zu positionieren. Diese Angst ist für andere nicht ohne Weiteres erkennbar, was die Identifizierung von Feiglingen so schwierig macht. Doch wovor genau haben diese Feiglinge Angst? Auf allen Führungsebenen – vom Teamleiter bis zum Vorstand – herrscht die Angst, nicht mehr gemocht zu werden, sich unbeliebt zu machen – sei es durch unpopuläre Entscheidungen, kritische Rückmeldungen oder unbequeme Fragen. Daneben gibt es die Angst, den Job durch gewagte Entscheidungen zu gefährden. Beide Ängste – Zuwendungs- und Jobverlust – beschreiben die