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Angelika Griese

Mörderisches Bremerhaven

11 Krimis und 125 Freizeittipps

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Zum Buch

Kleine tödliche Großstadt In 11 Kurzkrimis werden in der pulsierenden Hafenstadt Bremerhaven gepeinigte Opfer zu mutigen und einfallsreichen Rächerinnen und Rächern. Lassen Sie sich in die Handlungen der Kurzkrimis hineinziehen, folgen Sie den Spuren der Verbrechen. Besuchen Sie die Tatorte: zum Beispiel den Fischkai im Fischereihafen, das Leuchtfeuer auf der Mole oder den Marina Yachthafen. Spazieren Sie des Nachts durch die Straßen des Amüsier- und Rotlichtviertels in Lehe. Ziehen Sie aus, um das Fürchten zu lernen.

11 Kurzkrimis und 125 Freizeittipps machen neugierig auf die weltoffene Seestadt mit ihren freundlichen und zumeist friedvollen Bürgern. Aber wer weiß, vielleicht huscht der eine oder andere Täter, der nicht gefasst wurde, an Ihnen unerkannt vorüber? Hin und wieder ist daher ein Blick über die Schulter angebracht. Lernen Sie Bremerhaven, neben den herausragenden und interessanten Sehenswürdigkeiten, auch abseits der üblichen Touristenpfade kennen. Die Autorin hat so manchen Geheimtipp für Sie parat.

Angelika Griese wurde in Bremen geboren. Sie arbeitete zehn Jahre als selbstständige Galeristin, später als Betriebswirtin in der Jugend-, Obdachlosen- und Altenhilfe. Seit 1995 veröffentlicht sie zahlreiche Krimis, Geschichten und Beiträge in Illustrierten, Zeitungen und Anthologien. »Wer mordet schon in Bremerhaven?« ist ihre erste Veröffentlichung im Gmeiner-Verlag. Angelika Griese lebt als freie Autorin in Bremerhaven.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

3. Auflage 2020

(Originalausgabe: Wer mordet schon in Bremerhaven?)

Lektorat: Sven Lang

Herstellung:/E-Book Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © karstenjeltsch – Fotolia.com

und © Eichel / photocase.de

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-5412-7

Widmung

Für Karin,

Miri und Honza,

Laura und Anna,

Louise

 

Vorwort

Bremerhaven war vor 30 Jahren eine Stadt, in der die amerikanischen Soldaten in den Kneipen und Vergnügungsvierteln das Sagen hatten. Und die Werftarbeiter, die auf den vielen Schiffbaubetrieben riesige »Pötte« zusammen- oder auseinanderschweißten. Und natürlich die Fischer der deutschen Hochseefangflotte, die in Bremerhaven ihren Stützpunkt hatten und nach monatelangen Fangfahrten in den Heimathafen zurückkehrten. Ein brodelndes und vergnügungssüchtiges Völkergemisch. Alle hatten reichlich Heuer, Lohn oder Sold in den Taschen und alle waren voller Tatendrang. Mit anderen Worten: Damals wäre Bremerhaven die ideale Kulisse für Verbrechen aller Art gewesen – und war es vielleicht auch.

Heute gibt es keine Fischfangflotte mehr. Auf den verbliebenen Betrieben, die die große Werftenkrise überlebt haben, arbeiten spezialisierte Facharbeiter. Und die Amis sind schon lange abgezogen – seit die U.S. Army ihr Personal via Rhein-Main Air Base einfliegen lässt.

Was ist geblieben? Die alten Kneipen, das Flair der 70er-Jahre in manchen Stadtvierteln, die Weser natürlich und die Nordsee. Aber was ist neu? Da müsste nun eine lange Aufzählung touristisch höchst interessanter Sehenswürdigkeiten folgen. Als Bremerhaven nach langen Krisenjahren buchstäblich am Abgrund stand, Ende der 1990er-Jahre, setzten die Stadtväter alles auf eine Karte: den Tourismus. Sie schufen mit dem Klimahaus 8° Ost, dem Deutschen Auswandererhaus, dem Schaufenster Fischereihafen, dem Mediterraneo und dem Atlantic Hotel Sail City so enorm attraktive Sehenswürdigkeiten, dass man in ganz Norddeutschland ihresgleichen vergeblich suchen wird. Bestehende Einrichtungen wie das Deutsche Schiffahrtsmuseum, der Zoo am Meer, die Seebäderkaje, das Strandbad und die Weserpromenade wurden in Schuss gebracht.

Dies sind nun frische Tatorte, die man als solche zunächst gar nicht vermutet. Doch Mord und Totschlag in den schönen neuen Sehenswürdigkeiten Bremerhavens sind nur Mittel zum Zweck. Das Buch ermuntert dazu, die neuen »Tatorte« Bremerhavens aktiv zu erleben und dabei viele spannende Erfahrungen zu machen – vor oder nach der Lektüre dieses Buches.

Die zahlreich vorhandenen Attraktionen ziehen jedes Jahr Hunderttausende von Touristen aus Nah und Fern an. Alle sind begeistert, wenn auch nicht jeder Besucher wieder die Heimreise antreten kann, wie Angelika Griese spannend schildert. Beide – das Buch Mörderisches Bremerhaven und die Sehenswürdigkeiten der Stadt – verdienen daher Ihr Interesse.

 

Viel Spaß beim Lesen und Entdecken wünscht

Raymond Kiesbye

Geschäftsführer Erlebnis Bremerhaven, Gesellschaft für Touristik, Marketing und Veranstaltungen mbH

 

Liebe Leserinnen,
liebe Leser,

keine Bange, Bremerhaven ist keineswegs eine mörderische Stadt, in der an jeder Ecke ein Meuchelmörder auf Sie lauert. Da kann ich Sie von vornherein beruhigen. Die Personen, Handlungen und Motive in den folgenden Krimis entstammen ausschließlich meiner Fantasie, spielen allerdings an Original-»Tatorten«, die mir als Bremerhavenerin ans Herz gewachsen sind, die ich häufig besuche und an denen ich mich inspirieren lasse. Unter dem Leuchtfeuer Süd auf der Geestemole kam mir die Eingebung zu einem der nachfolgenden Krimis: Ich war zufällig Zeuge, als auf der Mole ein Wohnmobil auf gefährliche Weise rangierte und rückwärts von der Kaje in die Geestemündung zu rollen drohte.

Bei meinen Streifzügen durch Bremerhaven prasseln häufig wie von Geisterhand Ideen für neue Krimis auf mich ein. Zum Beispiel ein Mann, der nach einem Eifersuchtsdrama im Krohn’s Eck tot im Hafenbecken treibt. Ein Mord des Nachts bei Hochwasser an der Geeste oder auf einem Segelboot im Marina-Yachthafen. Thieles Garten? Lieber nicht. Für das fiese Opfer ein zu schöner Ort zum Sterben. Auf dem Kiez? Da springen mich die Mordmotive geradezu an. Einen Stalker in einen der Überseehäfen locken und ihn dann …

Ich hoffe, dass für Sie viele interessante Ausflugsziele und Freizeittipps dabei sind. Sei es für die Kulturinteressierten, die Musikbegeisterten, die Vergnügungssüchtigen, die Naturverbundenen oder für die Freizeitkapitäne unter Ihnen.

Vielleicht ist auch für so manchen Einheimischen der eine oder andere Tipp dabei. Wollten Sie nicht schon lange im Stadttheater oder im TiF – Theater im Fischereihafen eine Vorstellung besuchen? Eine Fahrt mit dem HafenBus unternehmen, oder mit der MS Geestemünde auf Dicke Pötte Tour gehen? Mal wieder abrocken in Kuddels Musikkneipe, zum Krimi-Dinner oder Open Stage im Hotel Metropol, einen fröhlichen Abend in Die letzte Kneipe vor New York genießen? Bisher nicht vom Sofa gekommen, um am Altstadtrundgang in Lehe teilzunehmen?

Ich hoffe, dieser kriminelle Freizeitplaner inspiriert Sie, mal wieder in die Puschen zu kommen und Bremerhaven aufs Neue zu erobern.

Mit diesem Buch möchte ich Leserinnen und Leser, die nicht in Bremerhaven leben, neugierig auf unsere aufregende Hafenstadt machen. Ein Besuch lohnt sich zu jeder Jahreszeit. Hier ist immer was los. Versprochen. Und über eine Leiche werden Sie garantiert nicht stolpern.

Wandeln Sie auf den Spuren »meiner« Verbrechen, erkunden Sie die Tatorte. Wer weiß, vielleicht huscht der eine oder andere Täter, den ich aus Verständnis und Mitgefühl für sein Mordmotiv unentdeckt habe laufen lassen, an Ihnen vorbei? Mal ehrlich, so ein bisschen Gruseln ist doch auch ganz schön.

 

Ich wünsche Ihnen viel Spaß und Spannung

Ihre Angelika Griese

Bernis letzte Reise

»Den Vollpfosten hätte ich längst um die Ecke gebracht«, empörte sich eine Dame am Nebentisch und warf Bernhard bitterböse Blicke zu.

Ulrike senkte verlegen den Kopf. Sie schämte sich für die Taktlosigkeiten ihres Gatten, an denen die anderen Gäste unfreiwillig teilnehmen mussten. Den Vorschlag der Dame konnte sie bedingungslos unterschreiben.

Sie saßen im Schaufenster Fischereihafen auf der Terrasse vor einem der vielen Speiselokale, die sich an der Packhalle IV wie eine Perlenkette aneinanderreihten. Es hätte ein so schöner Urlaub sein können, wenn Bernhard ihr nicht ständig mit seinen Mäkeleien und Beleidigungen alle Freude vermiesen würde. Von seinen peinlichen Auftritten ganz zu schweigen.

Gerade hatte er sich wieder lauthals über ihr Körpergewicht lustig gemacht. Sie war schon seit Jahren nichts anderes von ihm gewöhnt. Ständig kritisierte er ihre Figur. Und das mit Vorliebe vor anderen Menschen.

»Hallo, Frollein«, bölkte Bernhard und schnippte mit Daumen und Mittelfinger nach der Kellnerin, die ihm einen verächtlichen Blick zuwarf und sich danach absichtlich Zeit ließ.

Ulrike rutschte tiefer in den Sitz und wünschte sich eine Tarnkappe.

»Du zahlst, das geht vom Haushaltsgeld ab.«

Ulrike fummelte nervös ihre Geldbörse aus der Handtasche. Der nächste Eklat war vorprogrammiert. Sie hatte kein Bargeld mehr und die PIN ihrer Kreditkarte vergessen.

»Wie kann man nur so blöd sein«, wetterte Bernhard. »Das gibt’s doch gar nicht!« Während er ungehalten sein Portemonnaie aus dem längst aus der Mode gekommenen Herrenhandtäschchen holte, flüchtete Ulrike mit eingezogenem Kopf auf die Toilette. Dabei spürte sie die ungläubigen und empörten Blicke der anderen Gäste, die sich auf ihren Mann richteten, der breitbeinig in seinen geschmacklosen Shorts am Tisch saß. Auf Kinn und Lippen glänzten Reste von Buttersoße. Mit viel Überredungskunst hatte sie ihn davon abbringen können, sich im ärmellosen Shirt zu präsentieren. Von den Socken in Sandalen ganz zu schweigen. Über seinen Wahlspruch: »Einen Bernhard Brunner kann nichts entstellen« konnte sie schon lange nicht mehr lachen.

Als sie unter den mitleidigen Blicken der anderen Gäste zurück an den Tisch kam, räumte die junge Kellnerin unter Bernhards kritischen Blicken gerade das Geschirr ab. Sie hatte hoffentlich nicht auf ein Trinkgeld von Bernhard spekuliert? Der rückte niemals auch nur einen Cent raus.

»Hallo, Frollein, noch einen Kaffee«, grölte Bernhard hinter ihr her.

Die Kellnerin blieb für einen Moment wie angewurzelt stehen. Erst jetzt bemerkte Ulrike den Aufdruck: ›Ich heiße nicht Hallo‹ auf der Rückseite ihres T-Shirts. Der Wink mit dem Zaunpfahl mochte so manchen Gast in die Schranken weisen, konnte aber einen Bernhard Brunner nicht beeindrucken.

»Den Vollpfosten hätte ich längst um die Ecke gebracht.« Diesen Satz der erzürnten Dame bekam Ulrike nicht aus dem Kopf. Keine neue, aber gute Idee. In den letzten Jahren hatte sie viele Mordszenarien in ihrer Fantasie durchgespielt: erwürgen, erhängen, vergiften, erstechen, erschießen …

Immer wenn sie kurz davor war, sich von ihm zu trennen, verwandelte er sich in einen einigermaßen erträglichen Ehemann. Nur war das nie von langer Dauer. Nachdem sie so dumm gewesen war, für seine Schulden zu bürgen, war sie fest in seiner Hand.

»Wenn du mich verlässt, höre ich sofort auf zu arbeiten. Dann kannst du sehen, wie du die Schulden abbezahlst.« Rücksichtsloser ging es nicht. Wie oft hatte sie sich von ihm trennen wollen, es aber nie geschafft. Warum eigentlich? Liebe war schon lange nicht mehr im Spiel. Eine Trennung kam für Bernhard nicht infrage. Einen Kerl wie ihn verließ man nicht. Das glaubte er wirklich. »Ich finde dich überall, wünsch dir das nicht«, oder: »Wie willst du denn allein zurechtkommen? Du bist ohne mich doch nichts.« Mit solchen Sprüchen hatte er sie immer wieder eingeschüchtert. Ulrike konnte sie alle herunterbeten. Keine ihrer Freundinnen verstand auch nur im Entferntesten, warum sie diesen Mistkerl nicht verließ. Alle hatten ihre Hilfe angeboten. Als er dahintergekommen war, hatte er ihr den Umgang mit ihnen verboten. »Kein Komplott hinter meinem Rücken, das lass ich nicht zu. Was denkst du denn, wer du bist«, hatte er geschrien und sie im Haus eingeschlossen. Aus Scham behielt sie seine Demütigungen für sich. Und darauf spekulierte er.

Seit drei Tagen waren sie nun in Bremerhaven und seit drei Tagen durchlebte sie in aller Öffentlichkeit die Hölle der Peinlichkeiten und Erniedrigungen. Gestern hatten sie das TiF – Theater im Fischereihafen besucht. Sie hatte sich so auf die Vorstellung gefreut, doch er hatte wieder alles versaut. Das Wort Kultur existierte nicht in seinem Wortschatz. Sein ständiges Dazwischenreden und sein ausfallendes Benehmen störten die Sitznachbarn in hohem Maße. Nachdem er auch noch zischend eine Bierdose geöffnet hatte, war für sie das Maß voll gewesen. Fluchtartig hatte sie das Theater verlassen. Sie konnte nicht mehr. Sie musste etwas ändern.

Während Bernhard im nahegelegenen Hotel seinen Mittagsschlaf hielt, schlenderte Ulrike am Hafenbecken entlang und blickte nachdenklich aufs Wasser. Die Dorsch verließ gerade die Anlegestelle und brach zur Hafenrundfahrt durch den Fischereihafen auf, mit lauter fröhlichen Menschen an Bord, stellte sie wehmütig fest.

Bernhard hatte sich vorgenommen, am Nachmittag das Museumsschiff Gera zu besichtigen. »Du kannst ja in der Zeit dieses Seefischkochstudio besuchen, da kannst du noch was lernen. Kann dir bestimmt nicht schaden.« Wieder einer seiner niederträchtigen Kommentare. Sie überhörte die Spitze und würde der Erlebnisausstellung Expedition Nordmeer-Fischereiwelten Bremerhaven oder der Phänomenta einen Besuch abstatten.

Ulrike setzte sich unter einen der großen Sonnenschirme und bestellte sich einen Cappuccino und ein Stück Erdbeertorte mit einer doppelten Portion Sahne. Das musste jetzt sein. Am Nebentisch saßen zwei Frauen, die tuschelnd die Köpfe zusammensteckten und immer wieder zu ihr herüberblickten. Hatten sie sie wiedererkannt? Bemitleideten sie sie? Fragten sie sich, warum sie so blöd war und mit einem solchen Proleten den Urlaub verbrachte? Die beiden Frauen zahlten und schlenderten Richtung Parkplatz.

Ulrike fühlte sich jetzt unbeobachtet und ließ sich das Tortenstück schmecken. Es sollte ihr letzter gemeinsamer Urlaub mit Bernhard sein. Der wirklich allerletzte Urlaub mit dem Mistkerl, schwor sie sich.

Sie sah auf die ruhigen, dahin dümpelnden Wellen im Hafenbecken und dachte nach. Wie durch wabernden Nebel erreichten sie Gesprächsfetzen von den Nachbartischen. Genussvoll steckte sie sich eine Zigarette an und stieß befreit den Rauch in die Luft. Da kam ihr die zündende Idee, die ihr Leben verändern sollte. Dafür musste sie heute Abend den geplanten Besuch im Figurentheater streichen, aber das war es allemal wert. Bernhard, dein Ende naht, genieß dein armseliges Leben, solange du noch kannst.

Die Theke im Krohn’s Eck war bis auf den letzten Barhocker besetzt. Ebenso der Schankraum. Sie hatten gerade noch zwei Plätze an einem Tisch neben der Eingangstür ergattert. Dort saß eine laute, bereits angeheiterte und nicht mehr ganz taufrische Frauenrunde jenseits der 50. Rheinische Kegelschwestern, wie sich im Laufe des Abends herausstellte. Die wollten was erleben und entsprechend hatten sie sich aufgebrezelt. Bernhard ließ gleich einen seiner abgestandenen Sprüche los und glaubte tatsächlich, das Ziel ihrer Begierden zu sein. Ulrike kannte es nur zu gut, wenn er kurz davor war, zur Höchstform aufzulaufen. Die Wasserstoffblondine neben ihm, mit billigem Schmuck behangen und Brüsten, die kurz davor waren, aus dem Ausschnitt herauszufallen, fiel genau in sein Beuteschema. Ihr schrilles Lachen ging Ulrike durch und durch. Bernhard bestellte eine Runde Korn für alle. Niveauloses Gejohle der Frauenriege war sein Lohn. Er sonnte sich sichtbar in seinem vermeintlichen Erfolg und pumpte sich auf.

Ulrike triumphierte innerlich. Das passte alles. Ihr Plan würde aufgehen. Ganz sicher. Die Frauen waren trinkfreudig, Bernhard hatte seine Spendierhosen an und wähnte sich als Hahn im Korb.

Ulrike sah sich interessiert in der urigen Kneipe um. Bis auf die Kegelschwestern schien es sich ausnahmslos um Stammgäste zu handeln. Man scherzte und kannte sich beim Vornamen. Ihr Blick fiel auf die Wegweiser, die von der Decke hingen: Oslo 422 Seemeilen, Tokio 10.950 Seemeilen … Ulrike geriet ins Träumen. Wer weiß? Vielleicht stand einer längeren Reise bald nichts mehr im Weg, dachte sie. Bernhard verreiste ja ausschließlich innerhalb Deutschlands. Am liebsten fuhr er nach Bayern. Nur mit Mühe hatte sie ihn in diesem Jahr dazu überreden können, auch mal den Norden zu besuchen. Für die Fischköppe, wie er sich abfällig ausdrückte, hatte er nicht viel übrig. Selbst wenn es ihm hier in Bremerhaven gefallen sollte, würde er das nie zugeben. Egal, sie war von der Seestadt begeistert, auch wenn sie Bernhards Anwesenheit noch ertragen musste. Belustigt hörte sie, wie die aufgemotzte Kegelschwester ihn schon Berni nannte. Wie niedlich.

»Was glotzt du denn so blöd?«

Ulrike ignorierte seine unmögliche Frage. Bernhard hatte das blonde Gift im Arm, deren gewöhnliche French Nails, die mit einem pinkfarbenen Design versehen waren, sich besitzergreifend an seinen Oberarm hefteten. Dicke Schweißtropfen liefen ihm von der Stirn, sein Gesicht war puterrot angelaufen, ein Zeichen, dass er seine Blutdrucktabletten nicht eingenommen hatte. Gut so. Beide schunkelten zur Musik, die aus der Musikbox kam. Der blonde Hans schmetterte zum x-ten Mal sein La Paloma. Zwei der Kegelschwestern hatten inzwischen Tanzpartner gefunden und schwoften auf nicht mehr ganz sicheren Füßen durch das Lokal. Die beiden anderen sahen ihnen neidisch dabei zu.

Ulrike ignorierte seine Provokation und betrachtete die barbusige Galionsfigur, die von der Decke hing und ihr aufmunternd und verschwörerisch zugleich zuzuzwinkern schien.

»Auf Berni«, grölte das blonde Gift und hielt das volle Schnapsglas mit ihren fünf beringten Frankfurtern in der Luft.

»Auf Berni«, gackerte der Rest der Runde.

»Du bist aber auch eine Trockenpflaume. Guckt sie euch an«, sagte Berni in Ulrikes Richtung und wandte sich an die Frauenriege. »Die geht zum Lachen in den Keller.«

Die Kellnerin und zugleich Bardame, die Nachschub brachte, sah Bernhard herausfordernd an: »Kein Wunder. Bei den Sprüchen muss Ihrer Frau ja das Lachen vergehen.« Wer sie kannte, wusste, dass sie ein solches Benehmen nicht unkommentiert stehen ließ. Sie klopfte Ulrike fürsorglich auf die Schulter. »Kommen Sie doch mit an die Theke, da ist gerade ein Platz frei geworden.«

Keine schlechte Idee. Ulrike folgte ihr zögernd und wurde von den Gästen an der Theke aufmunternd begrüßt.

Bernhard entgleisten verblüfft die Gesichtszüge. Das hatte sie ihm noch nie geboten.

Auf dem Weg zur Theke wurde Ulrike schlagartig klar, dass sie gerade dabei war, sich aus seinem Machtbereich zu lösen. Bisher hatte sie sich immer für seine Entgleisungen mitverantwortlich gefühlt und nicht gewagt, sich davon zu distanzieren.

»Pass mal auf, dass deine Ködelkiste auf den Hocker passt«, grölte er hilflos und schlug sich auf die Schenkel.

Schlagartig wurde es in der Kneipe mucksmäuschenstill. Ulrike beobachtete gespannt, wie sich ein zirka zwei Meter großer Seebär vom Barhocker schob und langsam auf Bernhard zusteuerte. Er legte seine mächtige Pranke auf dessen Schulter, während Bernhard sich ängstlich duckte. »Pass mal auf, du kleine Wurst. So respektlos behandelt man keine Lady. Das dulden wir hier nicht. Wenn du dich nicht benehmen kannst, dann schmeiß ich dich achtkantig raus, ist das klar?«

Bernhard versuchte ergebnislos, sich aus dem Griff des Seebären zu lösen. Hilflos schaute er zu Ulrike, die nur einen verächtlichen Blick für ihn übrig hatte.

»Ob das klar ist?«

Bernhard duckte sich. »Ist ja gut, Mann. War nur ein Spaß.« Auf einmal war Bernhard kleinlaut geworden.

Der Seebär zog Bernhard am Kragen hoch und ließ ihn auf den Stuhl fallen. »Würstchen«, brummte er in seinen Bart, lüftete kurz die Prinz-Heinrich-Mütze und schlenderte, als wäre nichts geschehen, zur Musikbox.

»Darf ich bitten«, hörte Ulrike hinter sich die sonore Stimme des Seebären. Erstaunt drehte sie sich um und traute ihren Augen nicht. Formvollendet verbeugte er sich und half ihr vom Hocker. In seinen kräftigen Armen fühlte sie sich sicher und geborgen. Sehr lange hatte sie nicht mehr getanzt, aber es machte ihr Spaß. Großen Spaß sogar. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Bernhard, der am Tisch hockte und wütend in sein Bierglas starrte. Das blonde Gift schien schlagartig das Interesse an ihm verloren zu haben. Sieger sahen anders aus.

Nachdem die rheinischen Frohnaturen das Krohn’s Eck verlassen hatten, blieb Bernhard allein am Tisch sitzen und trank einen Korn nach dem anderen.

Ulrike amüsierte sich köstlich. Aus Angst, Bernhard könnte ohne ein Wort zu sagen das Lokal verlassen, behielt sie ihn im Auge.

Ulrike duzte inzwischen die anderen Gäste und fühlte sich pudelwohl. Sie genoss die Stunden und schöpfte wieder Hoffnung. Ihr Plan, sich von Bernhard endgültig zu befreien, wurde von Minute zu Minute konkreter. Gegen Mitternacht verließ sie, ohne Bernhard zu beachten, gemeinsam mit den Stammgästen das Lokal.

Sie stand im Dunkeln am Zaun vom Biergarten des Krohn’s Eck und wartete darauf, dass Bernhard endlich herauskam. Er war der letzte Gast. Die Tür öffnete sich und sie sah, wie ihr sturzbetrunkener Noch-Ehemann aus der Kneipe stolperte. Prüfend sah sie sich um. Kein später Spaziergänger in Sicht. Leise trat sie von hinten an ihn heran und packte ihn fest am Arm. »Na, hat sich der tolle Berni gut amüsiert?«

»Du?« Seine Augen stierten sie glasig an. »War noch richtig schön ohne dich«, lallte er und schoss unkontrolliert vorwärts. Ulrike hatte seinen Arm fest im Griff und schob ihn langsam Richtung Fischkai. »Junge, komm bald wieder …«, summte er betrunken vor sich hin.

»Junge, komm nie wieder«, flüsterte Ulrike und stieß ihn kurzerhand zwischen dem Museumsschiff Gera und dem Salondampfer MS Hansa ins Hafenbecken. Sie bückte sich und sah, wie er mit den Armen paddelnd fieberhaft versuchte, sich über Wasser zu halten. »Pech, wenn man nicht schwimmen kann«, flüsterte sie und blickte in seine weit geöffneten Augen, die sie panisch anstarrten. Der auf und zu schnappende Mund erinnerte sie an einen Karpfen auf dem Trockenen. Seine Bewegungen wurden langsamer, bis er wie in Zeitlupe unter der Wasseroberfläche verschwand. Das Plätschern des Wassers, das rhythmisch an die Kaimauer schlug, klang wie Musik in ihren Ohren. Befreit schlenderte sie, ohne sich noch einmal umzudrehen, den Fischkai entlang, Richtung Best Western Hotel, in dem sie ihr geschmackvolles Zimmer nicht mehr mit Berni teilen musste. Sie dachte an Bernhards Lebensversicherung und an ein unbeschwertes Leben. Sie hatte es sich verdient.

»Mein Mann war sturzbetrunken, als ich das Krohn’s Eck gestern gegen Mitternacht verlassen habe«, wird sie morgen wahrheitsgemäß der Polizei erzählen. Zeugen gab es genug.