Wyatt Earp – 146 – Ein Mann namens Nugent

Wyatt Earp
– 146–

Ein Mann namens Nugent

William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-845-3

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­Eine wahre Höllenglut lastete über dem Straflager Fort Worth. In Trakt VII, einem zweigeschossigen schweren Steinbau, hockten in der Eckzelle mit der Nummer 37 drei Männer.

Während zwei auf ihren Strohsäcken lagen und gegen die steinerne Decke stierten, von der ihnen das graue Elend entgegengrinste, stand der dritte Mann unterm Fenster und starrte unverwandt in den stahlblauen Himmel, von dem er jedoch nur ein winziges Stück erblicken konnte.

Es war ein großer breitschultriger Mann mit dunklem strähnigem Haar, verwittertem Gesicht und tiefbraunen Augen. Sein nackter Oberkörper war stark behaart und gab ihm etwas Affenhaftes. Klobig wie alles an ihm waren seine Hände, an denen vor allem die kurzen Finger auffielen. Aus dem dunklen, von harten Falten gezeichneten Gesicht stach eine kurze Nase hervor, und darunter stand ein schmallippiger Mund, dem ein schweres, in der Mitte gespaltenes Kinn folgte. Der Mann hatte seine Hände oben auf das Steinsims der Fensterbank gelegt und spannte sie so hart um die eisernen Krallen, daß die Knöchel aus der dunklen Haut weiß hervortraten.

Dieser Mann war der Mörder Cole Nugent, der seit sieben Monaten hier im Camp untergebracht war, am 11. Januar hatte ihn Oberrichter Dave Fitzsimmons in Portland, Oregon, zu lebenslänglicher Straflagerhaft verurteilt.

Nugent war der Schrecken der beiden anderen Zelleninsassen.

Sogar Roy Pavlac, ein vierschrötiger Mann, der im Rausch drei Menschen mit Revolverschüssen in einer Schenke von Dallas getötet hatte, fürchtete sich vor dem unheimlichen Nugent. Pavlac war ein primitiver Mensch und hatte nichts von der nüchternen Bösartigkeit und Gefährlichkeit an sich, die Nugent eigen war.

Auch der schmächtige Aristide Meredith, der vor zwei Jahren in Austin eine Frau getötet hatte, fürchtete sich vor dem groben, unflätigen Oregon-Mann.

Sogar das Wachpersonal des Lagers hatte Angst vor dem gefährlichen Mann, und das wollte schon etwas bedeuten, denn die Männer von Fort Worth konnten mit Gelichter jeder Art umgehen. Aber wenn dieser Cole Nugent mit hängenden Armen, die fast seine Knie zu erreichen schienen, umherging, plötzlich den Kopf herumwarf und der Blick seiner glühenden Augen auf einem haftete, ging es einem durch bis aufs Mark.

Selbst Sergeant Dunker, der seit einer ganzen Reihe von Jahren den Trakt VII unter sich hatte und sicherlich der härteste Mann war, den es im ganzen Straflager gab, empfand Furcht vor dem unheimlichen Gefangenen.

Der Oregon-Mann stand am Fenster und wartete. Niemand wußte, worauf er wartete, aber daß er wartete, spürten seine beiden Zellengenossen, die jedoch nicht wagten, irgend etwas davon verlauten zu lassen. Überhaupt sprachen sie nicht von sich aus mit ihm. Wenn er sie nicht anredete, riskierten sie es gar nicht, zu ihm zu sprechen.

Pavlac, der bis zur Einlieferung Nugents als der ›schwerste Junge‹ des Straflagers galt, hatte sich in sich verkrochen und war verbittert. Und Ari Meredith war ohnehin ein schweigsamer Mann.

Aber die beiden ertrugen ihre Haft stumm und klaglos. Anders der Oregon-Mann. Er war ein Tier, das an die Freiheit gewöhnt war und dem die Zelle Tod bedeutete.

Aber noch war die Energie des Verbrechens ungebrochen. Wer ihn da so unter dem Fenster stehen sah, hatte das Gefühl, daß er jeden Augenblick aufspringen und die Eisentrallen aus dem Steingefüge reißen könnte. Die Kraft, die er zum Durchhalten brauchte, schien er oben aus dem kleinen Himmelsstück zu holen, das er unterwegs anstarrte.

Es war der gleiche Himmel, der über der unendlichen Prärie lag, der über den Flüssen, Bergen, Tälern, Wäldern und Städten des Westens in dunklem Azurblau schimmerte, der Himmel, den der Wildpferdjäger so geliebt hatte.

Er war ein Mörder! Er hatte einen hohen Regierungsbeamten getötet.

Einen Gouverneur!

Doch die Tat war in einem Staat geschehen, der für eine solche Handlung die lebenslängliche Straflagerhaft vorsah. Zudem kam die energische Bitte der Witwe des Gouverneurs, die darauf bestanden hatte, daß der Mann nicht getötet werde. Sie war eine Angehörige der Quäker-Sekte.

Das gefürchtete Straflager der Staaten lag oben in den Bergen Colorados und trug den Namen Sescattewa. Dort aber hatte man für Cole Nugent keinen Platz gehabt. Nicht, daß das Lager überfüllt gewesen wäre, aber die Lagerleitung hatte sich gegen diesen Mann verwahrt.

Denn Nugent hatte sich auf dem Transport, trotz zusammengeketteter Hände, gegen drei Bewacher gewehrt, war entsprungen und konnte erst sechzehn Meilen weiter südlich wieder aufgegriffen werden. Dort hatte er in einem Office einen wilden Kampf gegen fünf Bewacher geführt und zwei davon lebensgefährlich verletzt.

Das allein hätte jedoch die Lagerleitung von Camp Sescattewa noch nicht dazu bringen können, den Mann abzulehnen. Es war viel mehr der Einfluß, den dieser Cole Nugent ausüben konnte. Er hatte einmal zur Mormonen-Sekte gehört und in jungen Jahren von einem Wanderprediger das Predigen erlernt. Was davon noch übriggeblieben war, benutzte er jetzt dazu, Menschen aufzuwiegeln. Einen solchen Typ konnte der Leiter des Lagers des Lebenslänglichen in Sescattewa in seinem ohnehin gefährlichen Löwenkäfig nicht gebrauchen.

So war Nugent in dem großen texanischen Camp Fort Worth gelandet.

Tag für Tag ging es hier hinaus in die Steinbrüche, wo vom frühen Morgen bis in den späten Abend aus grauem Fels quadergroße Steine herausgeschlagen werden mußten.

Alle Insassen wurden zu dieser Arbeit herangezogen – nur einer nicht: Cole Nugent.

Die Lagerleitung war zu vorsichtig, diesen gefährlichen Mann hinauszulassen. Er blieb im Camp, wurde jeden Tag zweimal für eine kurze Zeit in den Hof geführt und dabei von drei schwerbewaffneten Wächtern begleitet. Direkt an der zwölf Meter hohen Mauer, die aus eben jenen Quadern gefügt war, die die Gefangenen in den Brüchen gehauen hatten, ging er auf und ab. Die Männer, die ihn bewachten, erschreckte er nicht selten durch plötzliches Stehenbleiben und Herumwerfen des Kopfes. In solchen Augenblicken sprang sie das Grauen an. Wehe, wenn es diesem Mann je gelänge, einen von ihnen zu überlisten!

Nugent hatte bei diesen »Spaziergängen« immer einen Wächter vor sich, einen hinter sich und einen neben sich. Und nach drei Monaten hatte sich der Lagerkommandant Captain Green entschlossen, ihm noch einen vierten Mann mitzugeben, so daß Nugent sich von allen Seiten bewacht sah.

Doch all dies hatte die Energie des Mörders nicht brechen können. Nugent war so erfüllt von dem Gedanken an Flucht, daß ihn auch eine Wachmannschaft von zehn oder zwanzig Männern nicht von diesem Gedanken hätten abbringen können.

Es war Sonntag, der 18. August 1884.

Sonntags wurde nicht gearbeitet. Aber der Tag war keine Erholung für die Gefangenen. Es bedeutete eine Qual für sie, in der dumpfigen Hitze, die in den Zellen herrschte, den ganzen Tag über auszuhalten. Das Wachpersonal nutzte diesen Tag, um sich einmal Ruhe zu gönnen, und so fiel auch der Spaziergang im Hof aus.

Besonders für Cole Nugent war dieser Tag eine unsägliche Qual. Doch sie steigerte seinen Widerstandswillen nur noch.

Auch für die beiden anderen Häftlinge, die in der Zelle Nummer 37 saßen, war der Tag eine Qual, sie verbrachten ihn in ständiger Angst auf ihren Lagern. Mit unter den Köpfen verschränkten Händen lagen sie da und starrten auf die Gestalt des Mannes unterm Zellenfenster.

Plötzlich wandte Nugent sich um und ging mit langen Schritten durch die nur fünf Yard große Zelle, blieb an der Tür stehen und legte das Ohr lauschend gegen die eisenbeschlagenen Holzbohlen.

Draußen auf dem Gang schien alles still zu sein.

Nugent, der jetzt hinter den Köpfen der anderen stand, preßte die Hände auf den mächtigen Brustkorb.

Pavlac linste etwas zur Seite, da ihn der Gedanke, daß der Unheimliche hinter ihm stand, mit Unbehagen erfüllte.

Da herrschte Nugent ihn an:

»Na, Dreckskerl, was linst du so? Geht es dir zu gut?«

Pavlac zog es vor, geradeaus zu blicken und zu schweigen.

Meredith zitterte vor Angst.

Er fürchtete, daß Nugent seine Sonntagswut an ihm auslassen würde, was schon mehrere Male geschehen war.

Plötzlich fühlte er sich derb gegen die linke Schulter gestoßen.

»Na, Ladykiller! Du wolltest uns doch immer deine Geschichte noch einmal erzählen.«

»Ich habe sie Ihnen doch erzählt, Nugent.«

Klatsch! saß die schwere rechte Hand im Gesicht des Burschen.

»Für dich bin und bleibe ich Mister Nugent. Solltest du es noch einmal vergessen, Halunke, schlage ich dir den Kiefer entzwei.«

Meredith hatte sich ängstlich in die äußerste Ecke seines Lagers verkrochen und zog die dünnen Beine an den ausgemergelten Körper. Die unbarmherzige Sonne in den Steinbrüchen hatte seine Haut ausgetrocknet und regelrecht verdorren lassen. Aus weitaufgerissenen wäßrigen Augen starrte er den Gouverneursmörder bebend vor Angst an.

»Was soll ich denn erzählen, Mr. Nugent?« stammelte er.

»Ich habe es dir doch gesagt. Ich will endlich deine Geschichte hören, wie du dem Weib den Garaus gemacht hast.«

»Ich habe die Geschichte doch schon oft erzählt.«

Der Abstand zwischen dem Mann an der Zellentür und dem schmächtigen Häftling in der Ecke des Strohlagers betrug viereinhalb Yard. Und dennoch durchmaß Nugent sie im Hechtsprung. Wieder klatschte seine Hand in das Gesicht des Burschen und warf dessen Kopf herum.

Meredith schluckte einen Schmerzensschrei hinunter, da er wußte, wie der gefährliche Nugent zu reagieren pflegte. Einmal, das war ganz am Anfang gewesen, da hatte er nach dem Wächter geschrien, und hinterher hatte Nugent ihn so zugerichtet, daß er tagelang kein Glied zu rühren vermochte und wie tot auf seinem Lager gelegen hatte.

»Die Geschichte! Und zwar die wahre! Bisher hast du uns nur Flausen vorgemacht. Als wenn dich zwei Frauen geliebt hätten, du armseliger Hahn! Gib schon zu, weshalb du die Wirtin umgebracht hast. Es ging dir ums Geld. Mime doch hier kein Eifersuchtsdrama! Los, erzähl endlich, wie es sich wirklich zugetragen hat, damals in Austin.«

Der Bursche schluckte und erzählte zum soundsovielten Mal seine Geschichte. Und er erzählte sie so, wie er sie immer erzählt hatte, der Wahrheit gemäß. Gern hätte er sie in verschiedenen Abwandlungen erzählt, hätte sie so geschildert, wie der Gouverneursmörder sie vielleicht hören wollte, aber er mußte befürchten, daß Nugent dann erst richtig wütend wurde, da er höchstwahrscheinlich genau wußte, wie sich die Sache in Wirklichkeit zugetragen hatte.

»Es war an einem Sommermorgen. Sehr früh, so gegen halb acht…«

»War es nicht später, so gegen Abend, kurz nach Einbruch der Dunkelheit?« unterbrach ihn der Oregon-Mann gefährlich leise.

»Nein, Mr. Nugent, es war morgens, ich weiß es genau und werde es niemals vergessen. Kurz nach halb acht Uhr, und an einem heißen Tag ist es gewesen.«

»Ja, das hast du schon gesagt«, unterbrach ihn der Bandit rüde. Er hatte sich in die Türnische gelehnt und die muskulösen Beine übereinandergeschlagen, die Arme über der Brust verschränkt.

»Well«, fuhr Meredith fort, »das große Fest war vorüber, und in der Stadt herrschte dämmrige Stille.«

»Dämmrig?« unterbrach ihn Nugent argwöhnisch.

»Hast du nicht eben erzählt, daß es ein Sommermorgen gewesen sei?« »Ja, das schon, aber es war ein trüber Tag. Unter wolkenverhangenem Himmel lag die Stadt da. Ich betrat den Hof der Sonnora-Bar und sah vom Tor aus den Neger Jim im Anbau stehen. Er hatte einen Korb mit Wäsche im Arm, sah kurz zu mir herüber, grüßte flüchtig und verschwand in der Wäschekammer. Dann ging ich ins Haus. Die Tür stand offen. Ich hatte kaum zwei Schritte in den Korridor getan, als ich Sylvia die Treppe hinunterstürzen sah. Sie bemerkte mich nicht und hastete an mir vorbei in die Küche. Obgleich sie wie der Blitz an mir vorbeigeschossen war, hatte ich doch ihre blutbefleckte Schürze bemerkt. Erschrocken eilte ich ihr nach, stieß die Küchentür auf und rief: Sylvia! Sie fuhr herum und hatte ein Messer in der Hand.«

»Von hier an kann die Geschichte nicht stimmen«, knurrte Nugent. »Das Messer hattest du in der Hand.«

»Nein, Mr. Nugent, das Messer hatte das Mädchen in der Hand.«

»Beschreib das Weib noch einmal.«

»Ich habe sie so oft beschrieben, Mr. Nugent…«, meinte Meredith und hob gequält den Blick.

Da schoß der Oregon-Mann auf ihn zu und brachte sein Gesicht dicht vor das des Frauenmörders.

Meredith stieg die Angst würgend in die Kehle.

»Well, Mr. Nugent, es war ein bildhübsches Mädchen, siebzehn Jahre alt, groß, schlank, blondhaarig und mit blauen Augen.«

»Wie war sie gebaut?«

»Ich sagte ja schon, sie war bildhübsch. Sie hatte eine sehr gute Figur.«

»Weiter!«

Pavlac hatte die Augen geschlossen, und er hätte sich am liebsten auch die Ohren zugestopft. Allzuoft schon hatte er diese Geschichte gehört, und immer wieder mußte er sie mitanhören. Mochte der Teufel wissen, weshalb der Oregon-Mann sich dies immer wieder erzählen ließ! Das Schlimmste daran war, daß Pavlac genau wußte, daß nach der Erzählung Merediths er wieder an der Reihe war mit seinem Song.

Aber Roy Pavlac hatte sich vorgenommen, seine Geschichte nicht noch einmal zu erzählen. Er konnte sie nicht mehr hören. Unzählige Male hatte er sie hier breittreten müssen. Immer und immer wieder. Und immer wieder war er zu dem Moment gekommen, in dem ihn sein Bewußtsein verlassen hatte, als die fürchterliche Tat geschehen sein mußte. Wie hatte Nugent gebohrt und gebohrt, um zu erfahren, was sich an jenem Septemberabend in Dallas zugetragen hatte!

Meredith erzählte weiter:

»Ich ging auf Sylvia zu. Da hob sie ganz plötzlich das Messer. Bleib stehen! schrie sie mir entgegen. Was ist mit Esther? fragte ich, und sie schrie plötzlich:

Mörder! Du hast sie umgebracht! Ich? entgegnete ich, wandte mich um, lief aus der Küche heraus, stürzte die Treppe hinauf…«