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Umberto


Umberto


1. Auflage

von: Günter Saalmann

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 01.01.2011
ISBN/EAN: 9783863940522
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 228

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Umberto, Schüler einer sechsten Klasse in einer typisch sächsischen DDR-Schule, hat keinen Ranzen, keine Hefte, aber ein, zwei Bücher, die er vor seiner Mutter versteckt, um sie vor dem Verfeuern zu bewahren. Vor Lehrern und Mitschülern, die von ihm sagen, dass er stinkt, spielt er den Clown, um auf sich aufmerksam zu machen und Zuwendung zu finden. Er stellt schließlich alles an, dass auch die staatliche Jugendhilfe sich seiner annimmt. Seine Flucht "nach Afrika" endet schließlich dort, wo er längst hin
will: In einem Kinderheim, und das ist nicht das Schlechteste, was einem wie ihm passieren kann.

LESEPROBE:
Bekanntschaft mit dem nackten Helden. Umberto beweist seine zwanglose Haltung zu schulischen Pflichten und erfährt bitteres Unrecht. Ein Kumpel von besonderer Sorte.
Da hockt er in der Wanne, Umberto Medock, ein nackter Mensch-Anfänger, kratzt sich einen Schorf vom Knie, wundert sich, dass er im Sitzen Querfalten im Bauch hat, und erklärt einer nassen Herbstfliege, die er im Deckel vom Badeshampoo gondeln lässt: »'ne Badewanne. Wanne, Klobecken, Gasboiler, alles neu. Gestern waren sie vom Kreis hier, verstehst du, die Frau Jugendhilfe, und die Monteure haben die Rohre gelegt.«
Er blinzelt sich den klebrigen Schlaf aus den Augen. Seine Unterlider sind von Fältchen geknifft, die dem Jungengesicht einen listigen, übermüdeten Ausdruck verleihen, wie man sie sonst bei Kindern nicht sieht. Insgesamt jedoch - kein übler Anblick, dieser Umberto Medock.
Jetzt leert er mit entschlossenem Daumendruck die Shampooflasche bis zum Grund und beginnt mit dem Küchensieb Schaum zu schlagen. Gewaltig ist die Wirkung: Erst quillt die Wanne über, dann fliegen die Schaumfetzen, weiß, weiß, weiß, setzen sich auf die Windeln, die zum Trocken hängen, auf die Wand.
Umberto glitscht aus dem Wasser, öffnet das Fenster und schaufelt mit dem Sieb das weiße Zeug hinaus in den Oktoberregen.
Durch die Frongasse kommen zwei geblümte Kinderschirme angequirlt. Unter dem einen blitzt ein signalgelber Anorak: Aleksandra Krautwein, die Neue in der 6c, der Klasse, die auch Umberto besucht. Hihi. Besucht. Fein ausgedrückt.
Der andere Schirm gehört dem wundergottbraven, gescheiten, pünktlichen Raul Fiebig. Die zwei sind bereits dicke Tinte, sie haben ihre Ranzen aneinandergeknotet und tragen sie am Riemen zwischen sich.



Günter Saalmann
Geboren 1936 in Waldbröl im Oberbergischen, durch den Krieg nach Sachsen verschlagen. Nach dem Abitur drei Jahre Studium der Slavistik/Russistik in Leipzig, exmatrikuliert 1958, Arbeit als Straßenbahnschaffner, Materialverbrauchsnormhilfssachbearbeiter. Facharbeiterbrief in Abendkursen als Gebrauchswerber: Schaufensterdekoration, Schriftenmalerei.
Die Schriftstellerei begann mit der Verfertigung von Schlager- und Liedtexten für den Eigenbedarf der Tanzmusikformation, in der der künftige Autor Posaune spielte. Berufsmusikerprüfung 1962, von da an auch Jazzmusik.
Ab 1973 Studium am Literaturinstitut "Johannes R. Becher" in Leipzig. Abschluss 1976. Danach freiberuflicher Schriftsteller, Lyrik, Prosa, Funkdramatik vorwiegend für Kinder, außerdem ab 1978 zusammen mit dem Jazzgitarristen Helmut "Joe" Sachse Auftritte in einem musikalisch-literarischen Programm "Po(e)saunenstunde". In den Tagen der Wende einer der Wortführer im Chemnitzer Neuen Forum.
Arbeiten für das Radio, Bilderbücher, Bücher für junge Leser und für Größere, Lyrikübertragungen aus dem Russischen, Übersetzung aus dem Russischen.

Literaturpreise und Ehrungen
Rotes Flügelpferd (Kinderbuchverlag) 1978
Kulturpreis des Bezirkes Karl-Marx-Stadt 1986
Erich-Weinert-Medaille für "Umberto" 1988
Maxim-Gorki-Preis der Ibby-Sektionen der Ostblockländer 1989, ebenfalls für "Umberto"
Ehrenliste zum österr. Staatspreis für Jugendliteratur für Umberto 1989
"Luchs" Nr. 67, vergeben von der "Zeit" und Radio Bremen, für "Mops Eisenfaust", 1992
"Das Rote Tuch" - antifaschistischer Jugend-Medienpreis, SPD Berlin-Charlottenburg und Zehlendorf, für "Mops Eisenfaust" 1992
Auswahlliste für den Deutschen Jugendbuchpreis 1998 für „Ich bin der King“
Bekanntschaft mit dem nackten Helden. Umberto beweist seine zwanglose Haltung zu schulischen Pflichten und erfährt bitteres Unrecht. Ein Kumpel von besonderer Sorte.
Da hockt er in der Wanne, Umberto Medock, ein nackter Mensch-Anfänger, kratzt sich einen Schorf vom Knie, wundert sich, dass er im Sitzen Querfalten im Bauch hat, und erklärt einer nassen Herbstfliege, die er im Deckel vom Badeshampoo gondeln lässt: »'ne Badewanne. Wanne, Klobecken, Gasboiler, alles neu. Gestern waren sie vom Kreis hier, verstehst du, die Frau Jugendhilfe, und die Monteure haben die Rohre gelegt.«
Er blinzelt sich den klebrigen Schlaf aus den Augen. Seine Unterlider sind von Fältchen geknifft, die dem Jungengesicht einen listigen, übermüdeten Ausdruck verleihen, wie man sie sonst bei Kindern nicht sieht. Insgesamt jedoch - kein übler Anblick, dieser Umberto Medock.
Jetzt leert er mit entschlossenem Daumendruck die Shampooflasche bis zum Grund und beginnt mit dem Küchensieb Schaum zu schlagen. Gewaltig ist die Wirkung: Erst quillt die Wanne über, dann fliegen die Schaumfetzen, weiß, weiß, weiß, setzen sich auf die Windeln, die zum Trocken hängen, auf die Wand.
Umberto glitscht aus dem Wasser, öffnet das Fenster und schaufelt mit dem Sieb das weiße Zeug hinaus in den Oktoberregen.
Durch die Frongasse kommen zwei geblümte Kinderschirme angequirlt. Unter dem einen blitzt ein signalgelber Anorak: Aleksandra Krautwein, die Neue in der 6c, der Klasse, die auch Umberto besucht. Hihi. Besucht. Fein ausgedrückt.
Der andere Schirm gehört dem wundergottbraven, gescheiten, pünktlichen Raul Fiebig. Die zwei sind bereits dicke Tinte, sie haben ihre Ranzen aneinandergeknotet und tragen sie am Riemen zwischen sich.
Eine Ladung Schaum segelt hinunter, landet auch richtig auf Aleksandras Schirm, leider unbemerkt. Zwei Paar bunte Gummistiefel verlieren sich im rauschenden, hupenden, brummenden Gewühl des Marktes.
Umberto besitzt keine Gummistiefel für solches Mistwetter, er wird sich Zeit lassen mit dem Schulweg.
Seelenruhig steigt er in seine Sachen. In der Turnhose klafft ein Dreieck. Na und, kommen die langen Hosen drüber. Den etwas ausgeweiteten Pullover stopft er in den Bund, so sitzt alles fest und kann nicht rutschen.
Endlich verstaut er den Familienwecker in seiner Anoraktasche und kracht die Wohnungstür hinter sich zu. Sollen Ilona und das Baby gefälligst jetzt aufwachen.
Unten im Hausflur steigt er über Farbeimer und ausrangierte Heizkörper. Die Imbissstube ZUM IGEL wird renoviert.
Durchgeregnet steht er dann in der Klassenzimmertür. Eben ist die Leistungskontrolle vorüber: Aleksandra stakst zurück zu ihrem Platz, hochrot im Gesicht.
»Noch gerade Drei«, sagt Frau Lehrerin Krautwein zu ihrer Tochter und wendet sich dem Nachzügler zu: »Na, Umberto, mal wieder der verflixte Wecker?«
Umberto zerrt den Wecker aus der Tasche. Ehrliche Entrüstung malt sich auf seinen Zügen: Darf man ihn zu allem Unglück hier verspotten?
Die Lehrerin forscht in seinem Gesicht. Sie kann in den weit aufgerissenen, rot geriebenen Augen keine Spur von Scheinheiligkeit entdecken. Zögernd glättet sich die steile Falte auf ihrer noch jungen Stirn. Und Umberto macht einen Schritt und hebt ihr den Wecker ans Ohr. Ob sie aus der Nähe seinen angenehmen Fichten-Badegeruch schnuppern kann? Er sieht ihre Nasenflügel zittern.
Die Klasse lauscht: Kein Weckerticken ist zu hören, soviel ist amtlich.
»Junge, überleg doch mal«, sagt die Pädagogin. »Soll es wieder Einträge und Verwarnungen regnen, wie in den ersten Wochen unserer Bekanntschaft?«
»Ja«, spricht Umberto, heiser vor Hoffnung, »es wäre vielleicht besser.« Dabei blitzt er streng den Wecker an. Gleich muss sie sein Schülertagebuch verlangen, und er muss antworten, dass es verloren ging. Ein großes Traritrara wird losgehen, und sie wird sich eine Viertelstunde bloß mit ihm abgeben, mit ihm ganz allein.
»Na, häng deinen Anorak hinaus und nimm Platz.«
Er rennt noch einmal auf den Gang zu seinem Garderobenhaken. Den Wecker zieht er ein bisschen auf, auch das Läutwerk, und zwängt ihn zurück in die Anoraktasche.
Frau Krautwein aber wickelt soeben aus Zeitungspapier eine Topfpflanze. Die blüht über und über blaulila, jede Blüte hat in der Mitte ein leuchtendgelbes Sternchen. »Schade«, meint sie, zur Klasse gewendet, »jammerschade, dass auf Umberto so wenig Verlass ist. Da wird er wohl unser afrikanisches Veilchen sterben lassen, wenn er die Pflege übernimmt, wie er gestern versprach.«
»Ich mach's schon«, knurrt Umberto. »Ist es wirklich aus Afrika?« Er nimmt die Pflanze und trägt sie behutsam aufs Fensterbrett neben seinem Platz. Wenn hier einer was von Afrika versteht, dann er.
»Es muss aber regelmäßig gegossen werden und zwar früh, vor dem Unterricht«, sagt Frau Krautwein und beginnt mit dem heutigen Thema. Wovon handelt es? Natürlich nicht von Afrika, sondern von nördlichen Ländern, irgendwelchen Forden oder Fjorden. Umberto kennt das alles schon, denn er hat die Klasse sechs schon einmal abgesessen. Bloß, da hatte er noch nicht bei Frau Krautwein. Die ist ja ganz neu an der Comeniusschule Walda.
Umberto beobachtet die silberne Halskette an der schwarzen Pulloverbrust der Lehrerin, der Anhänger hat die Form einer kleinen Spinne.
Seine nass geregneten Hosen kleben wie Lappen an den Knien. Er streckt die Beine von sich und zupft den Stoff von der Haut. Selbst in Frau Krautweins Erzählung geht es kalt zu, Eisberge schieben Schutt und Geröll bis in die DDR. Er bibbert. Das Gebibber überträgt sich auf den Tisch, den er mit Aleksandra teilt. Die guckt für einen Moment herüber und zieht vernehmlich Luft durch die Nase. Dann kritzelt sie einen Zettel und schiebt ihn nach hinten, zu ihrem Raul.
Was sie an dem Blässling findet. Um ihr Geschreibsel zu lesen, setzt er die Brille ab und eine andere auf. Ein Junge mit zwei Brillen, lachhaft. Hinter den dicken Gläsern kullern seine Augen dicht an den Buchstaben hin und her wie hellblaue Murmeln.
»Umberto, schau nach vorn!« unterbricht Frau Krautwein ihre Rede.
»Hier ist was los, eh« nölt der Angesprochene der Form halber und heftet den Blick auf ihre Nase. Ein Kumpel von ihm, der schon alles über Frauen drauf hat, hat ihm mal erklärt: »Guck den Weibern auf die Nase, dann weißt du Bescheid, auch wenn sie'n Winterpelz anhaben: Wie die Nase, so die Brust ...«
Frau Krautweins Nase ist groß und schön geschwungen.
Umberto kann sich nicht konzentrieren. Jetzt wieder bildet er sich den Geruch heißer Gulaschsuppe ein, faserige Fleischstücke, Gewürzkörner, die weich zwischen den Zähnen zerplatzen.
Als es klingelt, verkündet Frau Krautwein für morgen Besuch: ein oder zwei Kollegen der Patenbrigade, die Männer von der Stadtwirtschaft.

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